Das Interesse an der Philosophie von Hans Blumenberg (1920-1996) wächst im In- und Ausland. Es konzentriert sich aber fast immer auf seine spätere Zeit. Die Gründe der Vernachlässigung seiner frühen Schriften sind leicht zu erklären: Sie suchen ihren Weg zwischen Husserl und Heidegger im Blick auf Texte der mittelalterlichen Philosophie, und vieles blieb ungedruckt. Die Monographie von Kurt Flasch beruht auf Archivstudien und greift zurück auf lebenslange eigene Quellenarbeit zur Philosophie des Mittelalters und der frühen Neuzeit. Sie rekonstruiert die philosophische Entwicklung Blumenbergs von seinen frühesten Texten bis zur Diskussion um die Legitimität der Neuzeit (1966). Sie diskutiert philosophisch und philologisch deren Argumentation und bezieht sie auf die gleichzeitige geschichtliche Entwicklung der Bundesrepublik. Sie geht der Kritik nicht aus dem Weg, verleugnet aber nicht die persönliche Empathie für den Denker Blumenberg. Die umfangreiche Studie ist, bei aller Gelehrtheit der Darstellung, in höchstem Grade lesbar - so wie man es von dem großen Stilisten Kurt Flasch gewohnt ist."Flasch zeigt einen unbekannten und anderen Blumenberg, einen nationalsozialistisch verfolgten und jesuitisch geschulten Katholiken und existentialistischen Christen [....] Seine Erinnerung an den Scholastiker ist ein Antidot gegen einen naiven Klassikerkult, der Blumenberg in seiner Kernkompetenz nicht fachlich zu beurteilen vermag. Sie ist ein Musterbeispiel für wissenschaftsgeschichtliche Historisierung." Zeitschrift für Germanistik"Ein ausgezeichnetes Buch ... Lehrreich und oft vergnüglich zu lesen ... [Flasch hat sich] auf die ersten zwanzig Jahre des Wirkens von Blumenberg beschränkt. Über diese Jahre wussten auch begeisterte Blumenberg-Leser bisher am wenigsten. Deshalb ist Flaschs Buch gerade für sie wertvoll. Aber in weiten Teilen faszinierend zu lesen ist es für jedermann."Jürgen Busche, in: Süddeutsche Zeitung, 27.10.2017"Habitus temperamentvoller Klarheit ... Hans Blumenberg ist für den Mediävisten und Philosophiehistoriker Kurt Flasch noch heute ein Zeitgenosse. [In diesem Buch] balgt er sich mit ihm, gelehrt und akribisch, dass es eine Lust ist." Manfred Sommer, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 7.10.2017"Ebenso gelehrtes wie lehrreiches Buch [....] Flasch füllt eine Forschungslücke, wobei er im Grunde fast so etwas wie ein Handbuch zum frühen Blumenberg vorlegt." Informationsmittel für Bibliotheken"So muss man es als Glücksfall bezeichnen, dass Kurt Flasch [...], nur ein Jahrzehnt jünger als Blumenberg und von 1970 bis 1995 Lehrstuhlinhaber in Bochum, wo beide sich noch begegneten, der "philosophischen Genesis" Blumenbergs ein ganzes Buch widmet." Zeitschrift für KulturphilosophieThe interest taken in the philosophy of Hans Blumenberg (1920-1996) is growing both in Germany and abroad. Yet it almost always focuses on the later Blumenberg. The reasons for the neglect of his early writings are easy to point out: they seek their waybetween Husserl and Heidegger in interpretations of texts of medieval philosophy, and the greater part of them remains unpublished to this day. This monograph by Kurt Flasch, one of Germany´s most renowned experts on medieval philosophy and the history of philosophy, is based on archival studies and draws on lifelong source work on medieval philosophy and the early modern period. It reconstructs the philosophical development of Blumenberg from his earliest texts up to the discussion centered upon the Legitimität der Neuzeit (1966). It philosophically and philologically discusses their lines of argumentation and juxtaposes them with the contemporaneous historical development of the German Federal Republic. It does not eschew criticism, but at the same time does not deny the author´s personal empathy for his subject. Despite the scholarliness of the presentation, the extensive study is an eminently good read - just as one has come to rightfully expect from this author.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.10.2017Nicht alles war für Publikum gedacht
Schlangenhäutungen eines großen Autors: Kurt Flasch folgt mit Verve den frühen Denkwegen des Philosophen Hans Blumenberg.
Von Manfred Sommer
Der 1996 verstorbene Philosoph Hans Blumenberg ist für den Mediävisten und Philosophiehistoriker Kurt Flasch noch heute ein Zeitgenosse. So erinnert er am Beginn seines Buchs über den jungen Blumenberg der Jahre 1945 bis 1966 an einige Begegnungen mit dem zehn Jahre älteren Philosophen um 1970 herum. Sympathie auf beiden Seiten; und die klingt nach, obgleich man sich nie wieder begegnete. Und als habe man viel Zeit im Gespräch miteinander verbracht, verabschiedet sich der Verfasser am Schluss seines Buches mit "Respekt und Dankbarkeit" von Blumenberg. Zwischendurch aber balgt er sich mit ihm, gelehrt und akribisch, dass es eine Lust ist.
Flasch ist in diesem Buch je nach Lage der Dinge Historiker und Kritiker, Kommentator und Ergänzer, Bewunderer und Besserwisser, Sprachpolizist und gern auch mal Wadenbeißer. Herrlich, wie er sich noch echauffieren kann über einzelne Vokabeln, die der junge Blumenberg vor siebzig Jahren zu Papier gebracht hat! Zwischendurch gibt es dann auch Altfrankfurter Entlarvungsgebaren, zuweilen von Häme nur um Haaresbreite entfernt.
Flasch folgt insgesamt der Chronologie von Blumenbergs Schriften der Jahre 1945 bis 1966. Alles aus diesen frühen Jahren des Philosophen referiert er ausführlich und zuverlässig. Bis tief ins Archivmaterial hinein verfolgt er dabei Blumenbergs denkerische Entwicklung. Und immer wieder rekonstruiert er zu dessen weitgestreuten Themen den damaligen Forschungsstand und schreibt diesen in Fußnoten bis zu unserer Gegenwart fort.
Keiner Schrift aus Blumenbergs früher Zeit ist so viel Beachtung zuteilgeworden wie den "Paradigmen zu einer Metaphorologie", erschienen 1960 im "Archiv für Begriffsgeschichte". Flaschs Ausführungen dazu mag man deshalb für gar zu knapp halten. Sie sind aber der Sache völlig angemessen, war doch diese Sammlung beispielhafter Formen sprachlicher Bilder für Blumenberg selbst lediglich eine Art Nebentätigkeit. Als zwiespältige Angelegenheit sollte sich erweisen, dass Jahre später die "Paradigmen" in den Literaturwissenschaften und über sie hinaus Anklang und Weiterführung gefunden haben. Da sind viele beachtenswerte Untersuchungen entstanden, aber einige Adepten haben auch Interpretationen fabriziert, die in Unverständlichkeit schwelgen. Dazu gesellte sich ein Eifer, den Theoretiker zum "Dichterphilosophen" zu ernennen, nur weil er Metaphern analysiert und sich hin und wieder einen erzählenden Duktus gestattet hat.
Gegen solche Abwege ist der Philosophiehistoriker Flasch schon von Berufs wegen gefeit, und mit seinem Habitus temperamentvoller Klarheit ist er es erst recht. Erfreulich, dass er einiges zurechtrückt. Der historische Kontext, den er darstellt, "schließt aus, mit dem Dilettantismus fortzufahren, die philosophische Gratwanderung Blumenbergs erst mit der Metaphorologie beginnen zu lassen". Nötig ist auch die Erinnerung an den Denker, der Blumenberg war: "Nie stellte er Metaphern über die Begriffswelt." Natürlich ist auch die spätere Erweiterung der Metaphorologie zu einer allgemeineren "Theorie der Unbegrifflichkeit" selbst begrifflich verfasst - soweit es irgend geht.
Weiter zurück als der Versuch über die Metaphern liegen die Dissertation und die Habilitationsschrift Blumenbergs, Arbeiten von philosophischer Dichte und Wucht. Sie wurden nie gedruckt, waren nicht leicht zugänglich und blieben nahezu unbekannt. So ist es ein Novum, wenn Flasch uns ihren Inhalt ausführlich zur Kenntnis bringt. Außerdem setzt er sich intensiv und detailliert mit ihnen auseinander, ganz im Stile des Universitätsprofessors, der in einem Promotionsverfahren ein Gutachten zu erstellen hat.
Die Doktorarbeit Blumenbergs von 1947 beschäftigt sich mit dem "Problem der Ursprünglichkeit der mittelalterlich-scholastischen Ontologie". Damit fällt sie mitten in Flaschs Spezialgebiet. Um die Mitte des dreizehnten Jahrhunderts schieden sich die Geister, auch die der Ordensleute, an der Frage: Was ist für den Menschen bedeutsamer, das Wesen der Dinge zu erkennen oder in Liebe das Gute zu wollen? Eine Wesensphilosophie verfochten die Dominikaner, Thomas von Aquin, mit Aristoteles im Rücken, war ihr führender Kopf. Den Willen hingegen favorisierten die Franziskaner, deren Meister Bonaventura war, von Augustinus gestärkt. Blumenberg bevorzugte ihre Sicht und glaubte bei Bonaventura jene "Ursprünglichkeit" fassen zu können, die nach Martin Heidegger für das eigentliche "Seinsverständnis" kennzeichnend ist. Im Lob des Franziskaners gibt Flasch seinem Doktoranden recht; doch der einfließende Jargon der Eigentlichkeit bringt ihn bei dieser nachträglichen Betreuung einer Doktorarbeit heute noch aus der Fassung.
Aufschlussreich ist zudem, dass Flasch auch an ältere intellektuelle Anregungen erinnert: Blumenberg, katholisch und mit jüdischen Vorfahren, hatte nach dem Abitur 1939 an den Philosophisch-Theologischen Hochschulen in Paderborn und Frankfurt studiert. Dank wacher Lehrer waren dort neben Thomas von Aquin auch der Phänomenologe Edmund Husserl und eben der Seinsdenker Heidegger kennenzulernen. Flasch beschreibt die politischen und biographischen Umstände, die dazu führten, dass Blumenberg diesen institutionellen Umweg zur Philosophie nahm. Da ist kein Platz für die Beflissenheit, mit der manche Theologen Blumenberg heute zum Priesteramtskandidaten ernennen wollen.
Man kann es Flasch, der in Buchform begründet hat, warum er kein Christ ist, nicht verübeln, wenn er am Schicksal christlicher Philosophie allenfalls mäßig Anteil nimmt. Aber es ist schon interessant, sich vorzustellen, wie die Philosophie, die der junge Blumenberg sich erarbeitet hatte, im geistigen Kontext der fünfziger Jahre ausgesehen hätte, wenn sie publik geworden wäre. Da war einerseits Josef Pieper. Er lehrte mit Thomas einen Essentialismus: Die Wesensformen dessen, was ist, sind auf je andere Weise im göttlichen Intellekt, im Innern der Dinge und in der erkennenden Seele gegenwärtig. Da war andererseits, neben Gleichgesinnten, Karl Rahner. Der Schüler Heideggers gab dem Thomismus eine transzendentale Wende. Demnach sind die Formen nur unsere subjektiven Kategorien, aber indem wir uns der Welt zuwenden, greifen wir über die einzelnen Dinge hinaus auf das Sein selbst zu. So scheint Thomas schon auf halbem Weg zu einer Existenzphilosophie.
Blumenberg aber ist von Anfang an ganz dort. Völlig zutreffend spricht Flasch vom "christlichen Existenzialismus" Blumenbergs. Doch der behielt all das für sich. Er wollte oder konnte die Publikation dieser Arbeit nicht zum Eröffnungszug seiner philosophischen Autorschaft machen. Ein seltsames Nachspiel zu dieser Konstellation ist, dass Anfang der siebziger Jahre Pieper, Rahner und Blumenberg gleichzeitig an der Universität Münster lehrten; allerdings ohne sich, soweit man weiß, dort jemals begegnet zu sein.
Seine beiden akademischen Qualifikationsschriften hat Blumenberg nicht nur nie veröffentlicht; er hat sie auch, was fast noch wichtiger ist, zeitlebens stillschweigend auf sich beruhen lassen. Offenbar ging für ihn keineswegs alles von ihm Gedachte und Geschriebene wie von selbst ein in das Werk, als dessen Autor er gesehen werden wollte. Ist nun der Zeitgenosse gehalten, diese Selbstumgrenzung des Autors zu respektieren? Der Historiker jedenfalls, als der Flasch agieren möchte, hat alles Recht der Welt, sich über diese Differenz hinwegzusetzen; ignorieren jedoch darf er sie nicht, und er weiß das.
Flasch nennt Blumenbergs erste Arbeiten "Schlangenhäutungen". Dieses Bild moderiert die Strenge der Zurechnung, hat indes nichts mit dem schriftstellerischen Sich-Zeigen und Sich-nicht-Zeigen zu tun. Blumenbergs dezidierte Publikationstätigkeit samt physischer Präsenz beginnt erst zaghaft in den fünfziger Jahren, steigert sich besonders mit der Forschungsgruppe "Poetik und Hermeneutik" und kulminiert im Jahr 1966. Da erscheint sein erstes großes Buch: "Die Legitimität der Neuzeit". Es war zugleich schon das letzte, mit dem er streitbar und sichtbar wurde. Fortan war Abwesenheit das Normale, Präsenz die Ausnahme. Er wollte gelesen, aber nicht gesehen werden. All die großen Werke, die nach dem von Flasch so eindringlich durchforschten Frühwerk, das fast nur Vorwerk ist, folgen sollten und sich zur theoretischen Substanz hinter dem Namen Blumenberg verdichtet haben, sind Dokumente dessen, dass ihm das Schreiben zur actio per distans geworden war: Lesbarkeit als eine Weise, im Wort anwesend und doch leibhaft abwesend zu sein.
Kurt Flasch: "Hans Blumenberg". Philosoph in Deutschland. Die Jahre 1945 bis 1966.
Vittorio Klostermann Verlag, Frankfurt am Main 2017. 620 S., geb., 98,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Schlangenhäutungen eines großen Autors: Kurt Flasch folgt mit Verve den frühen Denkwegen des Philosophen Hans Blumenberg.
Von Manfred Sommer
Der 1996 verstorbene Philosoph Hans Blumenberg ist für den Mediävisten und Philosophiehistoriker Kurt Flasch noch heute ein Zeitgenosse. So erinnert er am Beginn seines Buchs über den jungen Blumenberg der Jahre 1945 bis 1966 an einige Begegnungen mit dem zehn Jahre älteren Philosophen um 1970 herum. Sympathie auf beiden Seiten; und die klingt nach, obgleich man sich nie wieder begegnete. Und als habe man viel Zeit im Gespräch miteinander verbracht, verabschiedet sich der Verfasser am Schluss seines Buches mit "Respekt und Dankbarkeit" von Blumenberg. Zwischendurch aber balgt er sich mit ihm, gelehrt und akribisch, dass es eine Lust ist.
Flasch ist in diesem Buch je nach Lage der Dinge Historiker und Kritiker, Kommentator und Ergänzer, Bewunderer und Besserwisser, Sprachpolizist und gern auch mal Wadenbeißer. Herrlich, wie er sich noch echauffieren kann über einzelne Vokabeln, die der junge Blumenberg vor siebzig Jahren zu Papier gebracht hat! Zwischendurch gibt es dann auch Altfrankfurter Entlarvungsgebaren, zuweilen von Häme nur um Haaresbreite entfernt.
Flasch folgt insgesamt der Chronologie von Blumenbergs Schriften der Jahre 1945 bis 1966. Alles aus diesen frühen Jahren des Philosophen referiert er ausführlich und zuverlässig. Bis tief ins Archivmaterial hinein verfolgt er dabei Blumenbergs denkerische Entwicklung. Und immer wieder rekonstruiert er zu dessen weitgestreuten Themen den damaligen Forschungsstand und schreibt diesen in Fußnoten bis zu unserer Gegenwart fort.
Keiner Schrift aus Blumenbergs früher Zeit ist so viel Beachtung zuteilgeworden wie den "Paradigmen zu einer Metaphorologie", erschienen 1960 im "Archiv für Begriffsgeschichte". Flaschs Ausführungen dazu mag man deshalb für gar zu knapp halten. Sie sind aber der Sache völlig angemessen, war doch diese Sammlung beispielhafter Formen sprachlicher Bilder für Blumenberg selbst lediglich eine Art Nebentätigkeit. Als zwiespältige Angelegenheit sollte sich erweisen, dass Jahre später die "Paradigmen" in den Literaturwissenschaften und über sie hinaus Anklang und Weiterführung gefunden haben. Da sind viele beachtenswerte Untersuchungen entstanden, aber einige Adepten haben auch Interpretationen fabriziert, die in Unverständlichkeit schwelgen. Dazu gesellte sich ein Eifer, den Theoretiker zum "Dichterphilosophen" zu ernennen, nur weil er Metaphern analysiert und sich hin und wieder einen erzählenden Duktus gestattet hat.
Gegen solche Abwege ist der Philosophiehistoriker Flasch schon von Berufs wegen gefeit, und mit seinem Habitus temperamentvoller Klarheit ist er es erst recht. Erfreulich, dass er einiges zurechtrückt. Der historische Kontext, den er darstellt, "schließt aus, mit dem Dilettantismus fortzufahren, die philosophische Gratwanderung Blumenbergs erst mit der Metaphorologie beginnen zu lassen". Nötig ist auch die Erinnerung an den Denker, der Blumenberg war: "Nie stellte er Metaphern über die Begriffswelt." Natürlich ist auch die spätere Erweiterung der Metaphorologie zu einer allgemeineren "Theorie der Unbegrifflichkeit" selbst begrifflich verfasst - soweit es irgend geht.
Weiter zurück als der Versuch über die Metaphern liegen die Dissertation und die Habilitationsschrift Blumenbergs, Arbeiten von philosophischer Dichte und Wucht. Sie wurden nie gedruckt, waren nicht leicht zugänglich und blieben nahezu unbekannt. So ist es ein Novum, wenn Flasch uns ihren Inhalt ausführlich zur Kenntnis bringt. Außerdem setzt er sich intensiv und detailliert mit ihnen auseinander, ganz im Stile des Universitätsprofessors, der in einem Promotionsverfahren ein Gutachten zu erstellen hat.
Die Doktorarbeit Blumenbergs von 1947 beschäftigt sich mit dem "Problem der Ursprünglichkeit der mittelalterlich-scholastischen Ontologie". Damit fällt sie mitten in Flaschs Spezialgebiet. Um die Mitte des dreizehnten Jahrhunderts schieden sich die Geister, auch die der Ordensleute, an der Frage: Was ist für den Menschen bedeutsamer, das Wesen der Dinge zu erkennen oder in Liebe das Gute zu wollen? Eine Wesensphilosophie verfochten die Dominikaner, Thomas von Aquin, mit Aristoteles im Rücken, war ihr führender Kopf. Den Willen hingegen favorisierten die Franziskaner, deren Meister Bonaventura war, von Augustinus gestärkt. Blumenberg bevorzugte ihre Sicht und glaubte bei Bonaventura jene "Ursprünglichkeit" fassen zu können, die nach Martin Heidegger für das eigentliche "Seinsverständnis" kennzeichnend ist. Im Lob des Franziskaners gibt Flasch seinem Doktoranden recht; doch der einfließende Jargon der Eigentlichkeit bringt ihn bei dieser nachträglichen Betreuung einer Doktorarbeit heute noch aus der Fassung.
Aufschlussreich ist zudem, dass Flasch auch an ältere intellektuelle Anregungen erinnert: Blumenberg, katholisch und mit jüdischen Vorfahren, hatte nach dem Abitur 1939 an den Philosophisch-Theologischen Hochschulen in Paderborn und Frankfurt studiert. Dank wacher Lehrer waren dort neben Thomas von Aquin auch der Phänomenologe Edmund Husserl und eben der Seinsdenker Heidegger kennenzulernen. Flasch beschreibt die politischen und biographischen Umstände, die dazu führten, dass Blumenberg diesen institutionellen Umweg zur Philosophie nahm. Da ist kein Platz für die Beflissenheit, mit der manche Theologen Blumenberg heute zum Priesteramtskandidaten ernennen wollen.
Man kann es Flasch, der in Buchform begründet hat, warum er kein Christ ist, nicht verübeln, wenn er am Schicksal christlicher Philosophie allenfalls mäßig Anteil nimmt. Aber es ist schon interessant, sich vorzustellen, wie die Philosophie, die der junge Blumenberg sich erarbeitet hatte, im geistigen Kontext der fünfziger Jahre ausgesehen hätte, wenn sie publik geworden wäre. Da war einerseits Josef Pieper. Er lehrte mit Thomas einen Essentialismus: Die Wesensformen dessen, was ist, sind auf je andere Weise im göttlichen Intellekt, im Innern der Dinge und in der erkennenden Seele gegenwärtig. Da war andererseits, neben Gleichgesinnten, Karl Rahner. Der Schüler Heideggers gab dem Thomismus eine transzendentale Wende. Demnach sind die Formen nur unsere subjektiven Kategorien, aber indem wir uns der Welt zuwenden, greifen wir über die einzelnen Dinge hinaus auf das Sein selbst zu. So scheint Thomas schon auf halbem Weg zu einer Existenzphilosophie.
Blumenberg aber ist von Anfang an ganz dort. Völlig zutreffend spricht Flasch vom "christlichen Existenzialismus" Blumenbergs. Doch der behielt all das für sich. Er wollte oder konnte die Publikation dieser Arbeit nicht zum Eröffnungszug seiner philosophischen Autorschaft machen. Ein seltsames Nachspiel zu dieser Konstellation ist, dass Anfang der siebziger Jahre Pieper, Rahner und Blumenberg gleichzeitig an der Universität Münster lehrten; allerdings ohne sich, soweit man weiß, dort jemals begegnet zu sein.
Seine beiden akademischen Qualifikationsschriften hat Blumenberg nicht nur nie veröffentlicht; er hat sie auch, was fast noch wichtiger ist, zeitlebens stillschweigend auf sich beruhen lassen. Offenbar ging für ihn keineswegs alles von ihm Gedachte und Geschriebene wie von selbst ein in das Werk, als dessen Autor er gesehen werden wollte. Ist nun der Zeitgenosse gehalten, diese Selbstumgrenzung des Autors zu respektieren? Der Historiker jedenfalls, als der Flasch agieren möchte, hat alles Recht der Welt, sich über diese Differenz hinwegzusetzen; ignorieren jedoch darf er sie nicht, und er weiß das.
Flasch nennt Blumenbergs erste Arbeiten "Schlangenhäutungen". Dieses Bild moderiert die Strenge der Zurechnung, hat indes nichts mit dem schriftstellerischen Sich-Zeigen und Sich-nicht-Zeigen zu tun. Blumenbergs dezidierte Publikationstätigkeit samt physischer Präsenz beginnt erst zaghaft in den fünfziger Jahren, steigert sich besonders mit der Forschungsgruppe "Poetik und Hermeneutik" und kulminiert im Jahr 1966. Da erscheint sein erstes großes Buch: "Die Legitimität der Neuzeit". Es war zugleich schon das letzte, mit dem er streitbar und sichtbar wurde. Fortan war Abwesenheit das Normale, Präsenz die Ausnahme. Er wollte gelesen, aber nicht gesehen werden. All die großen Werke, die nach dem von Flasch so eindringlich durchforschten Frühwerk, das fast nur Vorwerk ist, folgen sollten und sich zur theoretischen Substanz hinter dem Namen Blumenberg verdichtet haben, sind Dokumente dessen, dass ihm das Schreiben zur actio per distans geworden war: Lesbarkeit als eine Weise, im Wort anwesend und doch leibhaft abwesend zu sein.
Kurt Flasch: "Hans Blumenberg". Philosoph in Deutschland. Die Jahre 1945 bis 1966.
Vittorio Klostermann Verlag, Frankfurt am Main 2017. 620 S., geb., 98,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.10.2017Abschied vom Willkürgott
Kurt Flasch erhellt das Denken Hans Blumenbergs in den Nachkriegsjahren – und zeigt ihm, was mediävistisch eine Harke ist
Der Bochumer Emeritus Kurt Flasch hat ein ausgezeichnetes Buch über den Philosophen Hans Blumenberg geschrieben. Selber Philosoph, ist Flasch als Mediävist eine der großen Koryphäen seines Fachs. Er hat sich wahrscheinlich deshalb auf die ersten zwanzig Jahre des Wirkens von Blumenberg beschränkt. Über diese Jahre wussten auch begeisterte Blumenberg-Leser bisher am wenigsten. Deshalb ist Flaschs Buch gerade für sie sehr wertvoll. Aber in weiten Teilen faszinierend zu lesen ist es für jedermann.
Flasch gibt eine ausführliche Darstellung der unveröffentlichten Hamburger Dissertation Blumenbergs von 1949. Hier kann er zeigen, wie sehr sich der Doktorand zumeist affirmativ auf Heidegger bezog. Heidegger war in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts neben seinem Lehrer Edmund Husserl der wichtigste Philosoph in Deutschland. In der Polemik, die beide schließlich gegeneinander betrieben, stellte sich der 29-jährige Blumenberg zwanzig Jahre später ganz auf die Seite Heideggers.
Aber die Stoßrichtung der Arbeit „Beiträge zum Problem der Ursprünglichkeit der mittelalterlichen-scholastischen Ontologie“ war gegen eine berühmte These Heideggers gerichtet. Dessen großes Werk „Sein und Zeit“ beginnt mit der Behauptung, dass die Frage nach dem Sein seit Platon in Vergessenheit geraten sei. Unter Gebrauch der phänomenologischen Methode Husserls – Husserl sah Missbrauch – entwickelte Heidegger eine Fundamentalontologie, für die er vieles von dem, was Husserl lehrte, beiseite schieben musste. Blumenberg befand, da habe Heidegger recht daran getan, aber das mit dem „Vergessen“ seit Platon stimme nicht. Die großen Philosophen der Christenheit seien genau dieser Frage nachgegangen und hätten sie mit dem Schöpfergott beantwortet, der alles aus dem Nichts erschafft. Flasch zeigt nun bei-den, Heidegger und Blumenberg, was mediävistisch eine Harke ist.
Auch in Blumenbergs schon zwei Jahre später vorgelegter Habilitationsschrift „Die ontologische Distanz“ geht es um die gegensätzlich gewordenen Positionen von Husserl und Heidegger, und wieder stimmt Blumenberg dem Letzteren zu. Dann kommt lange Zeit kein größeres Buch. Blumenberg schreibt viele Aufsätze, auch in Tageszeitungen, und genießt Ausflüge in die Literaturkritik. Da gefällt Flasch manches nicht, was der junge Katholik zu Papier bringt. Besonders beim Thema Ernst Jünger wittert er Anbiederung an ein konservatives Publikum.
1960 schließlich erschien das kleine Buch „Paradigmen zu einer Metaphorologie“. Blumenberg lehrt darin seine Leser, Metaphern auch in der Philosophie ernst zu nehmen. Sie sind ähnlich wichtig wie Begriffe. Es wurde sein folgenreichstes Buch, wichtig für etliche geisteswissenschaftliche Disziplinen. Flasch präsentiert es gründlich, moniert aber sein Erscheinen in einem von Erich Rothacker herausgegebenen Periodikum, weil dieser ein Nazi gewesen sei. Überhaupt kreidet er Blumenberg Höflichkeit gegen ehemalige Nationalsozialisten an.
1966 kommt das Buch „Die Legitimität der Neuzeit“, ein Paukenschlag. Seit Jahrzehnten hatte die Neuzeit in Deutschland in schlechtem Ruf gestanden. Vorgeworfen wurde ihr die entfesselte Wissenschaft, der Machbarkeitswahn, Hauptschuldiger war ihr Vollender Descartes gewesen. Nach dem Zweiten Weltkrieg veröffentlichte der katholische Theologe Romano Guardini ein Büchlein „Ende der Neuzeit“, das zum Bestseller wurde. Blumenberg behauptete nun, mittelalterliche Philosophie, hoch entwickelte Scholastik, die Renaissance und die Fortschritte in den Wissenschaften – Kopernikus, Galilei – hätten es nach und nach intelligenten Europäern unmöglich gemacht, weiterhin an den „Willkürgott“ zu glauben, also den Gott, den Augustinus und die großen Lehrer der Kirche gelehrt hätten. Der Gott, der dem Menschen keine Freiheit ließe – Esau ist schon im Mutterleib von Gott gehasst und sein Zwillingsbruder Jakob von ihm geliebt – sei nicht hinnehmbar.
Flasch: „Blumenbergs These, Theorien über den spätmittelalterlichen Willkürgott hätten die Rebellion der Neuzeit hervorgerufen und das mache sie legitim, nennt als wesentlichen Auslöser der Selbstbehauptung den Nominalismus. Wie von Heidegger vorausgesehen, hätte wieder einmal ein Intellektueller – diesmal Wilhelm von Ockham – die Epoche angestiftet. Das hat ihm Kritik eingetragen. Er assoziiert: Spätes Mittelalter mit Nominalismus, Voluntarismus, Willkürgottheit und bewertet die davon provozierte Neuzeit als berechtigte, humane Selbstbehauptung gegen theologischen Absolutismus.“ Der Nominalismus, schreibt Blumenberg, habe die „Destruktion des human relevanten und verläßlichen Kosmos“ gründlich besorgt.
In diesem Kapitel gerät Flasch, der jüngst ein Buch schrieb, warum er kein Christ sei, in das frischeste Fahrwasser, er kanzelt Blumenberg ab, das es eine Art hat, er ist der kompetente Mediävist. Aber mit Respekt vor des Autors großem und überaus gelehrtem Werk in den Büchern nach 1966 tut er es hier, ohne bissig oder gar böse zu werden. Allenfalls wird er höhnisch. Er verwirft Blumenbergs Rede von einer Epochenschwelle zwischen Mittelalter und Neuzeit. Die gebe es nicht. Und wenn, dann sei es ein Zeitraum von 150 Jahren. Blumenbergs Ausrede, das sei eine untergründige Schwelle, begegnet er mit dem Hinweis, eine Schwelle unter dem Boden sei eben keine Schwelle. Bedauerlich ist, dass Flasch die Mediävistin Anneliese Maier, deren in Rom entstandenes Riesenwerk über die gelehrte Welt in Mittelalter und Renaissance Blumenberg in den Fünfzigerjahren mit einer fünfzig Seiten langen Rezension in der Philosophischen Rundschau gewürdigt hatte, zwar oft erwähnt, aber sie zur „Handschriftenforscherin“ degradiert und nicht näher vorstellt – was er bei anderen gern tut. Anneliese Maier war die Tochter des Berliner Philosophen Heinrich Maier. Und was hatte sie wohl in den Dreißigerjahren nach Rom und in den Vatikan gebracht? Flaschs Buch endet mit der Vorstellung der wichtigsten Reaktionen auf das Legitimitätsbuch: Wie kann man nach der Säkularisation noch vernünftig und zugleich Christ sein?
Das alles ist sehr lehrreich und oft vergnüglich zu lesen. Flasch macht Witzchen wie viele Professoren, die ihre Studenten in der Vorlesung wach halten wollen. Er gibt auch etliche Hinweise zu Blumenbergs Leben. Und da wird sein umfangreiches Buch problematisch. Er nennt Blumenberg einmal einen eigenwilligen Katholiken, kommt auch oft darauf zu sprechen, dass diese oder jene Tendenz in Blumenbergs Argumentationen typisch katholisch sei. Aber ansonsten hält er das Katholische in der Biografie des Philosophen überraschend im Abseits. Das beginnt mit der Erzählung, dass dem Lübecker Abiturienten, der 1939 als Halbjude nicht studieren durfte, vom Vater geraten worden sei, an einer kirchlichen Hochschule Theologie zu studieren und sich dabei auf die Philosophie zu konzentrieren. Das gibt Flasch klugerweise in indirekter Rede wider. Tatsächlich hat sich Blumenberg ausweislich seiner reichhaltigen Privatbibliothek schon als Schüler auf das Theologiestudium vorbereitet, und zwar mit dem Blick auf das Priesteramt. Was man aus Paderborn, wo er zunächst hinging, eruieren kann, bestätigt die Ernsthaftigkeit dieses Ziels. Der Wechsel nach drei Semestern zu den Jesuiten nach St. Georgen erfolgte mit dem Segen seines Osnabrücker Bischofs.
Das der 27 Jahre alte Student in Hamburg 1947 einen langen Aufsatz über Pascal in einer renommierten Zeitschrift veröffentlichen konnte, die in einer anderen Besatzungszone erschien, deutet auf mehr als nur gute Vernetzung im katholischen Akademikermilieu hin. In den Fünfzigerjahren schrieb Blumenberg für das katholische Hochland eine Reihe brillanter Schrift-steller-Porträts, so über Evelyn Waugh, William Faulkner und andere gleichen Ranges. Flasch erwähnt das beiläufig, geht aber nicht darauf ein. Dabei bereitet sich hier das Arbeitsfeld vor, auf dem der Autor einmal große Erfolge erzielen sollte.
In der zweiten Hälfte der Fünfzigerjahre müssen dann Beziehungen zerbrochen sein. Blumenberg behauptete oft, seit 1950 („Holzwege“) nichts mehr von Heidegger gelesen zu haben. Der Bruch mit dem katholischen Milieu wird von beiden Seiten her als heftig erlebt und empfunden worden sein. Wie ist es erklärlich, dass im Philosophischen Jahrbuch, Blumenbergs erstem Publikationsort, in den Jahrzehnten, in denen Buch um Buch von ihm herauskam, kein einziges davon behandelt wurde?
Bei Flasch erfährt man davon nichts. Das kommt vielleicht nicht von ungefähr. Es gibt Blumenbergianer, die alles Katholische aus dem Bild ihres Helden entfernen wollen – soweit das geht. Was sie antreibt, weiß kein Mensch. Womöglich meinen sie, dem Wunsch des verehrten Philosophen zu entsprechen. Für Biografen ist das schlecht. Kurt Flasch hat ein sicherlich bedeutendes Werk zur Philosophiegeschichte des 20. Jahrhunderts geschrieben, aber keine Biografie.
JÜRGEN BUSCHE
Kurt Flasch: Hans Blumenberg. Philosoph in Deutschland. Die Jahre 1945 bis 1966. Verlag Vittorio Klostermann, Frankfurt am Main 2017. 620 Seiten, 98 Euro.
Eine Schwelle unter dem
Boden ist wohl
doch keine Schwelle
Der Bruch mit dem katholischen
Milieu wird von beiden Seiten als
heftig erlebt worden sein
Der Philosoph Hans Blumenberg (1920 – 1996).
Foto: DPA
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Kurt Flasch erhellt das Denken Hans Blumenbergs in den Nachkriegsjahren – und zeigt ihm, was mediävistisch eine Harke ist
Der Bochumer Emeritus Kurt Flasch hat ein ausgezeichnetes Buch über den Philosophen Hans Blumenberg geschrieben. Selber Philosoph, ist Flasch als Mediävist eine der großen Koryphäen seines Fachs. Er hat sich wahrscheinlich deshalb auf die ersten zwanzig Jahre des Wirkens von Blumenberg beschränkt. Über diese Jahre wussten auch begeisterte Blumenberg-Leser bisher am wenigsten. Deshalb ist Flaschs Buch gerade für sie sehr wertvoll. Aber in weiten Teilen faszinierend zu lesen ist es für jedermann.
Flasch gibt eine ausführliche Darstellung der unveröffentlichten Hamburger Dissertation Blumenbergs von 1949. Hier kann er zeigen, wie sehr sich der Doktorand zumeist affirmativ auf Heidegger bezog. Heidegger war in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts neben seinem Lehrer Edmund Husserl der wichtigste Philosoph in Deutschland. In der Polemik, die beide schließlich gegeneinander betrieben, stellte sich der 29-jährige Blumenberg zwanzig Jahre später ganz auf die Seite Heideggers.
Aber die Stoßrichtung der Arbeit „Beiträge zum Problem der Ursprünglichkeit der mittelalterlichen-scholastischen Ontologie“ war gegen eine berühmte These Heideggers gerichtet. Dessen großes Werk „Sein und Zeit“ beginnt mit der Behauptung, dass die Frage nach dem Sein seit Platon in Vergessenheit geraten sei. Unter Gebrauch der phänomenologischen Methode Husserls – Husserl sah Missbrauch – entwickelte Heidegger eine Fundamentalontologie, für die er vieles von dem, was Husserl lehrte, beiseite schieben musste. Blumenberg befand, da habe Heidegger recht daran getan, aber das mit dem „Vergessen“ seit Platon stimme nicht. Die großen Philosophen der Christenheit seien genau dieser Frage nachgegangen und hätten sie mit dem Schöpfergott beantwortet, der alles aus dem Nichts erschafft. Flasch zeigt nun bei-den, Heidegger und Blumenberg, was mediävistisch eine Harke ist.
Auch in Blumenbergs schon zwei Jahre später vorgelegter Habilitationsschrift „Die ontologische Distanz“ geht es um die gegensätzlich gewordenen Positionen von Husserl und Heidegger, und wieder stimmt Blumenberg dem Letzteren zu. Dann kommt lange Zeit kein größeres Buch. Blumenberg schreibt viele Aufsätze, auch in Tageszeitungen, und genießt Ausflüge in die Literaturkritik. Da gefällt Flasch manches nicht, was der junge Katholik zu Papier bringt. Besonders beim Thema Ernst Jünger wittert er Anbiederung an ein konservatives Publikum.
1960 schließlich erschien das kleine Buch „Paradigmen zu einer Metaphorologie“. Blumenberg lehrt darin seine Leser, Metaphern auch in der Philosophie ernst zu nehmen. Sie sind ähnlich wichtig wie Begriffe. Es wurde sein folgenreichstes Buch, wichtig für etliche geisteswissenschaftliche Disziplinen. Flasch präsentiert es gründlich, moniert aber sein Erscheinen in einem von Erich Rothacker herausgegebenen Periodikum, weil dieser ein Nazi gewesen sei. Überhaupt kreidet er Blumenberg Höflichkeit gegen ehemalige Nationalsozialisten an.
1966 kommt das Buch „Die Legitimität der Neuzeit“, ein Paukenschlag. Seit Jahrzehnten hatte die Neuzeit in Deutschland in schlechtem Ruf gestanden. Vorgeworfen wurde ihr die entfesselte Wissenschaft, der Machbarkeitswahn, Hauptschuldiger war ihr Vollender Descartes gewesen. Nach dem Zweiten Weltkrieg veröffentlichte der katholische Theologe Romano Guardini ein Büchlein „Ende der Neuzeit“, das zum Bestseller wurde. Blumenberg behauptete nun, mittelalterliche Philosophie, hoch entwickelte Scholastik, die Renaissance und die Fortschritte in den Wissenschaften – Kopernikus, Galilei – hätten es nach und nach intelligenten Europäern unmöglich gemacht, weiterhin an den „Willkürgott“ zu glauben, also den Gott, den Augustinus und die großen Lehrer der Kirche gelehrt hätten. Der Gott, der dem Menschen keine Freiheit ließe – Esau ist schon im Mutterleib von Gott gehasst und sein Zwillingsbruder Jakob von ihm geliebt – sei nicht hinnehmbar.
Flasch: „Blumenbergs These, Theorien über den spätmittelalterlichen Willkürgott hätten die Rebellion der Neuzeit hervorgerufen und das mache sie legitim, nennt als wesentlichen Auslöser der Selbstbehauptung den Nominalismus. Wie von Heidegger vorausgesehen, hätte wieder einmal ein Intellektueller – diesmal Wilhelm von Ockham – die Epoche angestiftet. Das hat ihm Kritik eingetragen. Er assoziiert: Spätes Mittelalter mit Nominalismus, Voluntarismus, Willkürgottheit und bewertet die davon provozierte Neuzeit als berechtigte, humane Selbstbehauptung gegen theologischen Absolutismus.“ Der Nominalismus, schreibt Blumenberg, habe die „Destruktion des human relevanten und verläßlichen Kosmos“ gründlich besorgt.
In diesem Kapitel gerät Flasch, der jüngst ein Buch schrieb, warum er kein Christ sei, in das frischeste Fahrwasser, er kanzelt Blumenberg ab, das es eine Art hat, er ist der kompetente Mediävist. Aber mit Respekt vor des Autors großem und überaus gelehrtem Werk in den Büchern nach 1966 tut er es hier, ohne bissig oder gar böse zu werden. Allenfalls wird er höhnisch. Er verwirft Blumenbergs Rede von einer Epochenschwelle zwischen Mittelalter und Neuzeit. Die gebe es nicht. Und wenn, dann sei es ein Zeitraum von 150 Jahren. Blumenbergs Ausrede, das sei eine untergründige Schwelle, begegnet er mit dem Hinweis, eine Schwelle unter dem Boden sei eben keine Schwelle. Bedauerlich ist, dass Flasch die Mediävistin Anneliese Maier, deren in Rom entstandenes Riesenwerk über die gelehrte Welt in Mittelalter und Renaissance Blumenberg in den Fünfzigerjahren mit einer fünfzig Seiten langen Rezension in der Philosophischen Rundschau gewürdigt hatte, zwar oft erwähnt, aber sie zur „Handschriftenforscherin“ degradiert und nicht näher vorstellt – was er bei anderen gern tut. Anneliese Maier war die Tochter des Berliner Philosophen Heinrich Maier. Und was hatte sie wohl in den Dreißigerjahren nach Rom und in den Vatikan gebracht? Flaschs Buch endet mit der Vorstellung der wichtigsten Reaktionen auf das Legitimitätsbuch: Wie kann man nach der Säkularisation noch vernünftig und zugleich Christ sein?
Das alles ist sehr lehrreich und oft vergnüglich zu lesen. Flasch macht Witzchen wie viele Professoren, die ihre Studenten in der Vorlesung wach halten wollen. Er gibt auch etliche Hinweise zu Blumenbergs Leben. Und da wird sein umfangreiches Buch problematisch. Er nennt Blumenberg einmal einen eigenwilligen Katholiken, kommt auch oft darauf zu sprechen, dass diese oder jene Tendenz in Blumenbergs Argumentationen typisch katholisch sei. Aber ansonsten hält er das Katholische in der Biografie des Philosophen überraschend im Abseits. Das beginnt mit der Erzählung, dass dem Lübecker Abiturienten, der 1939 als Halbjude nicht studieren durfte, vom Vater geraten worden sei, an einer kirchlichen Hochschule Theologie zu studieren und sich dabei auf die Philosophie zu konzentrieren. Das gibt Flasch klugerweise in indirekter Rede wider. Tatsächlich hat sich Blumenberg ausweislich seiner reichhaltigen Privatbibliothek schon als Schüler auf das Theologiestudium vorbereitet, und zwar mit dem Blick auf das Priesteramt. Was man aus Paderborn, wo er zunächst hinging, eruieren kann, bestätigt die Ernsthaftigkeit dieses Ziels. Der Wechsel nach drei Semestern zu den Jesuiten nach St. Georgen erfolgte mit dem Segen seines Osnabrücker Bischofs.
Das der 27 Jahre alte Student in Hamburg 1947 einen langen Aufsatz über Pascal in einer renommierten Zeitschrift veröffentlichen konnte, die in einer anderen Besatzungszone erschien, deutet auf mehr als nur gute Vernetzung im katholischen Akademikermilieu hin. In den Fünfzigerjahren schrieb Blumenberg für das katholische Hochland eine Reihe brillanter Schrift-steller-Porträts, so über Evelyn Waugh, William Faulkner und andere gleichen Ranges. Flasch erwähnt das beiläufig, geht aber nicht darauf ein. Dabei bereitet sich hier das Arbeitsfeld vor, auf dem der Autor einmal große Erfolge erzielen sollte.
In der zweiten Hälfte der Fünfzigerjahre müssen dann Beziehungen zerbrochen sein. Blumenberg behauptete oft, seit 1950 („Holzwege“) nichts mehr von Heidegger gelesen zu haben. Der Bruch mit dem katholischen Milieu wird von beiden Seiten her als heftig erlebt und empfunden worden sein. Wie ist es erklärlich, dass im Philosophischen Jahrbuch, Blumenbergs erstem Publikationsort, in den Jahrzehnten, in denen Buch um Buch von ihm herauskam, kein einziges davon behandelt wurde?
Bei Flasch erfährt man davon nichts. Das kommt vielleicht nicht von ungefähr. Es gibt Blumenbergianer, die alles Katholische aus dem Bild ihres Helden entfernen wollen – soweit das geht. Was sie antreibt, weiß kein Mensch. Womöglich meinen sie, dem Wunsch des verehrten Philosophen zu entsprechen. Für Biografen ist das schlecht. Kurt Flasch hat ein sicherlich bedeutendes Werk zur Philosophiegeschichte des 20. Jahrhunderts geschrieben, aber keine Biografie.
JÜRGEN BUSCHE
Kurt Flasch: Hans Blumenberg. Philosoph in Deutschland. Die Jahre 1945 bis 1966. Verlag Vittorio Klostermann, Frankfurt am Main 2017. 620 Seiten, 98 Euro.
Eine Schwelle unter dem
Boden ist wohl
doch keine Schwelle
Der Bruch mit dem katholischen
Milieu wird von beiden Seiten als
heftig erlebt worden sein
Der Philosoph Hans Blumenberg (1920 – 1996).
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