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Mit Hans Christian Andersen. Eine Biographie liegt rechtzeitig zum 200. Geburtstag des großen dänischen Märchendichters am 2. April 2005 eine umfangreiche, aktuelle und reich illustrierte Lebensdarstellung vor, die den Menschen H. C. Andersen zwischen Romantik und Moderne in all seiner Komplexität und Widersprüchlichkeit zeigt.

Produktbeschreibung
Mit Hans Christian Andersen. Eine Biographie liegt rechtzeitig zum 200. Geburtstag des großen dänischen Märchendichters am 2. April 2005 eine umfangreiche, aktuelle und reich illustrierte Lebensdarstellung vor, die den Menschen H. C. Andersen zwischen Romantik und Moderne in all seiner Komplexität und Widersprüchlichkeit zeigt.
Autorenporträt
Jens Andersen, geboren 1955, hat sein Studium der Nordistik an der Universität von Kopenhagen mit einer Promotion abgeschlossen, arbeitete viele Jahre als Literaturkritiker für große dänische Zeitungen und lebt nun als Schriftsteller in Kopenhagen. Seit 1990 veröffentlicht er Biografien skandinavischer Persönlichkeiten. Christian Andersen, für das er mehrfach ausgezeichnet wurde. Jens Andersen erhielt u.a. den Georg-Brandes-Preis, den Søren-Gyldendal-Preis und den Preis des dänischen Schriftstellerverbands.
Rezensionen
»Diesen unvergleichlichen Märchenstoff aus dem wirklichen 19. Jahrhundert breitet Jens Andersen mit solcher Detail- und Erzählfreude aus, daß auch Andersen-Verächter flugs konvertieren.«
Christoph Bartmann, Süddeutsche Zeitung

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.03.2005

Die wimmelnden Talente einer Auftrittsnervensäge
Zwei Biographien zum zweihundertsten Geburtstag von Hans Christian Andersen: Groß, schön und klug die eine, dumm und blau die andere
Hans Christian Andersen war ein echter Schmerzensmann, trotz seines Emporklimmens in märchenhafte Höhen, vielleicht sogar gerade deswegen. Kaum ein zu seiner Zeit geführtes Leben dürfte solche soziale Tiefe und Höhe umfasst, kaum ein Mann so viele Kilometer auf Reisen zurückgelegt und dabei so viele Begegnungen mit berühmten Leuten verbucht haben; und gewiss sind nur wenige Körper derart hartnäckig von Tics und wandernden Kleingebrechen heimgesucht worden. Die sozialen, körperlichen und seelischen Verhältnisse, Misserfolge und Triumphe des berühmten dänischen Märchenmannes, sind nun in einer von Jens Andersen vorgelegten Biographie erkundet worden. Es ist ein schön und verständiges Buch daraus entstanden.
dass er nicht mit der Kindheit des Helden beginnt, ist ein geschickter Schachzug des Biographen. Jens Andersen (kein später Verwandter des Dichters) räumt die Bühne frei für die ersten Auftritte eines kuriosen Halbwüchsigen, der an die Türen möglicher Gönner klopft, vor denen er deklamiert, singt, hüpft, springt, überhaupt alles Erdenkliche tut, um sich auf naive und zugleich durchtriebene Weise bemerkbar zu machen. Der Held betritt Kopenhagen als eine kleine Auftrittsnervensäge, von niemandem und nichts abzuschrecken. Verneigen wir uns an dieser Stelle vor dem schier unglaublichen Mut des jungen Andersen und seinen durcheinanderwimmelnden Talenten, die ihm zu allen Knopflöchern seiner schlotternden Kleider herausflogen.
Den Kopenhagener Bürgern, die sich seiner annahmen, erschien er als Naturkind, weder vom Christentum noch von allgemeinen Benimmregeln angekratzt. Sie bestaunten ihn ausgiebig und nahmen sich vor, ihn erziehen zu lassen. Der lange Lulatsch wurde dem Rektor Meisling übergeben und in eine Lateinschule in der Provinz gesteckt, und dieser Rektor, ein zynischer und zunehmend verwahrloster Wüterich, „zog die Leidensschraube Monat für Monat an.” Bis ins hohe Alter träumte Andersen von seinem ehemaligen Peiniger, bisweilen versöhnlich, in aller Regel schrecklich.
Wieder zurück in Kopenhagen fand Andersen in den Collins eine Art Adoptivfamilie. Etatrat Jonas Collin, ein hoher Beamter, stand dem imposanten Familienbau vor. Seine Geradlinigkeit, Vernunft, aber auch Wärme und Intelligenz bildeten die große Klammer, die die Familie in all ihren Gliedern über Kinder und Kindeskinder hinweg umspannte. Hans Christian Andersen wurde unter die Fittiche genommen und dem in etwa gleichaltrigen Sohn Edvard überantwortet - dieser sollte ihm beim Lernen helfen. Edvard Collin, gutaussehend, kühl, selbstbewusst, wurde für Andersen zur Komplementär- und Schicksalsfigur, die ihn ein Leben lang in die Schranken wies und von der er doch nie lassen konnte. Edvard, der sein Temperament zu zügeln wusste, ärgerte sich über die Wallungen, den Gefühlstumult im Herzen des aufgezwungenen Bruders; vermutlich war auch Eifersucht im Spiel über die Aufregung, die Hans Christian allenthalben verursachte. Aber am meisten fürchtete er wohl Kussfertigkeit und die leicht in Tränen schwimmenden Augen seines Gegenübers.
An dieser Stelle beweist der Biograph, wie fein sein Taktgefühl ausgebildet ist, dass Witz und eine löbliche Renitenz gegen moderne, allzu moderne Kategorisierung des menschlichen Trieb- und Gefühlslebens ihn auszeichnen. Hier wird gottlob die Schublade einmal nicht aufgezogen und ihr Inhalt auf dem Boden verschüttet. Jens Andersen unternimmt einen Spaziergang um das Thema herum, zeigt, wie in der aufkeimenden Romantik das Androgyne verehrt und empfindsame, schwärmerische Brieffreundschaften unter Männern gepflegt wurden, „in denen man all seine kleinen und größeren Verliebtheiten in beiderlei Geschlecht gestand oder umschrieb”. Die hin und her schwirrenden Briefe, die vielen mündlichen Geständnisse fungierten als Seelenlabor, das nach und nach verstaubte, sobald die Männer in den Stand der Ehe getreten waren. Will man dem Doppelportrait auf Seite 287 Glauben schenken, heiratete Edvard 1836 ein ausnehmend schönes Mädchen. Hans Christian hingegen blieb Junggeselle, noch dazu ein keuscher, und schrieb anlässlich der Heirat, zu der er nicht einmal eingeladen worden war, mit der „Kleinen Meerfrau” eines seiner traurigsten Märchen.
Eine halbe Weiblichkeit
Die Beziehung zwischen den beiden Männern war verzwirbelt, reich an Pirouetten und Pointen. Höhepunkt ist das verweigerte „Du”, das im Märchen „Der Schatten” ein unheimliches Echo findet. Obwohl ihn Andersen mehrfach darum bat, war Collin niemals dazu bereit, vom „Sie” abzugehen. „Mit dem ganzen Vertrauen eines Kindes bot ich Ihnen mein brüderliches Du, und Sie schlugen es mir ab! Da weinte ich und schwieg, immer ist es seither wie eine offene Wunde gewesen; aber gerade meine Weichheit, meine halbe Weiblichkeit, ließ mich an Ihnen festhalten, da ich so viele andere herrliche Eigenschaften an Ihnen sah, dass ich Sie gern haben und mich daran erinnern musste, dass es doch nur ein kleiner Fehler war bei so vielem Guten.” Man ahnt, wie viel auf dem Spiel stand, als es der alternde Dichter unternahm, einem verjüngten Stellvertreter - Edvards inzwischen erwachsenem Sohn Jonas, den er gern auf Reisen mitnahm - das verflixte „Du” endlich abzutrotzen.
Edvard bewahrte auf seine trockene, ironische Weise die Treue. Bei etlichen Schriften, die ihm der Freund von seinen Reisestationen aus zuschickte, diente er als Lektor und Zensor, und er wirkte zeitlebens als dessen Vermögensverwalter. Der Tod sorgte für eine letzte Pointe: als Andersen 1875 starb, wurde Bankdirektor Edvard Collin zum Nachlassverwalter bestimmt und erbte ein Vermögen - ausgerechnet von dem stets auf Distanz gehaltenen ehemaligen Hungerleider, jenem falschen Bruder, den es so unbändig danach verlangt hatte, in die Familie aufgenommen zu werden.
Hungerleider fürwahr! Andersens Kinderschicksal war eher grauenhaft denn pittoresk, das Leben keineswegs arm und redlich, wie er es in seinen Erinnerungen ausmalte, sondern arm und verkommen. Eindringlich beschreibt der Biograph das Elend der vielen unehelichen Kinder, den Kot in den Straßen, Prostitution und Alkoholismus der armen Leute auf der Insel Fünen. Die Mutter starb im Delirium tremens in einem Armenstift, da hatte der Sohn gerade seine erste größere Summe verdient und nichts davon abgegeben; die Halbschwester Karen Marie verreckte auf dem Dachboden eines Kopenhagener Elendsviertels, da war Andersen längst ein gemachter Mann und wohnte behaglich. Sobald er einem Jahrmarkt nahekam und der Geruch von Schmalzgebäck ihm in die Nase stach, wurde ihm schlecht. Klugerweise beschränkt sich der Biograph hier auf die Fakten. Moralischer Einspruch wäre gänzlich unangebracht. Der soziale Sprung, den Andersen gewagt hatte, war einfach zu groß. Es gab keine Brücke, nicht in einer sozial derart verbarrikadierten Gesellschaft.
Was wurde dem Mann nicht alles vorgeworfen! Dass er keine Manieren habe, dass er eitel sei und sich die Haare zu oft kräuseln ließ, dass er weder Orthographie noch Grammatik beherrsche, dass er sein Gefühlsleben nicht im Griff habe. Für den Körper wurden immer wieder Tiere zum Vergleich bemüht: der Orang-Utan für die Arme, Adler und Schwein für Nase und Äuglein. Man tat das ziemlich unbekümmert. Auch als er längst weltberühmt war, wurde der lange Mann daheim in Kopenhagen verspottet.
Nachts schläft er schlecht, wenn Arbeitsideen ihn durchfliegen, oder er sich vor Zahn- Hals- Bauch- oder Gliederschmerzen windet wie ein Wurm. „Tante Zahnschmerz” - ein poetologisches Märchen - kann man kaum lesen, ohne empfindlichst die eigenen Zähne zu spüren. Kinderschmerz, Erwachsenenschmerz, der Mann wusste, wovon er schrieb. Ein unerbittlicher Gott, der seinen Aufstieg überwacht hatte, trieb noch die kleinste Schuld ein. Zahlgeld waren die Rastlosigkeit, die ihn kreuz und quer durch Europa trieb, Ängste und Schmerzen. Im Buch ist der Strick abgebildet, den er auf Reisen mitführte, um sich im Falle eines Hotelbrandes abseilen zu können.
Auftritt eines Zauberers
Wer Andersen einmal, zweimal, dreimal erlebt hatte, wie er im Salon vorlas oder Kindern Geschichten erzählte und dabei mit der Schere zarte und wilde Gespinste ausschnitt, war fasziniert und berichtete mit glänzenden Augen von der Begegnung; wer ihn länger auf dem Hals hatte, wie etwa Charles Dickens, machte drei Kreuze, als er endlich die Koffer packte. Im Geleit des Biographen, der bei den Höhenflügen seines Helden Begeisterung zeigt und während der Talfahrten Behutsamkeit walten lässt, erleben wir so manchen Auftritt Andersens als Zauberer oder Nervensäge. Wahre Schätze an Material werden vor die Augen des Lesers gehoben, die in Deutschland gänzlich unbekannt sein dürften - sei es die Glücklosigkeit als Dramatiker, sei es die Fehde mit Kierkegaard. Vor allem aber bekommt man ein Gespür dafür, wie unerhört anarchisch, funkelnd frisch die Geschichten wirkten, die Andersen schrieb, wie eigensinnig seine Assoziationen auf’s Papier sprangen, wie raffiniert er seinen Stil polierte, ohne Wendigkeit und Spontaneität zu schmälern.
Was den Psychotiker vom Dichter trennt, ist vielleicht nur, dass letzterer den Stimmen in seinem Kopf einen glücklicheren Ausschlupf zu verschaffen weiß. In Andersens Kopf rumorten die Triebe, die Mütter, die Blätter, Teller, Tassen, Jünglinge, Frösche und Blümchen. Jens Andersen hat es geschickt umgriffen: „,Grab! Grab!’ schreien die schwarzen aasfressenden Raben. ‚Rappel dich! Rappel dich!’ schnattern die Enten. ‚Husch! Waren sie fort’ heißt es über die jungen Irrlichter. Man hört, wenn etwas so Unverfrorenem wie dem Halskragen ein ‚Lump’ zugezischt wird, oder die Talgkerze sich mit ‚fut-pfui’ beschwert, weil sie von einem übelriechenden Schwefelholz angezündet wurde.”
Und nun zu Wolfgang Mönninghoffs „Das große Hans Christian Andersen Buch.” Es will Schmöker-, Blätter- und Bilderbuch sein. Und top! Die Wette wurde gehalten. Herausgekommen ist ein Andersen-Salatbuch. Salatordnungswidrig daran ist nur, dass der Hersteller darauf verfallen ist, einige Zeichnungen und Zeilen und so manches neckische Zeichen blau zu drucken. Es mögen die Hintergründe mancher Scherenschnitte ihn dazu verlockt haben, es mag die blaue Blume der Romantik böse Patin der Idee gewesen sein, das Buch durchzieht ein penetranter Farbton, der an die blaue Tonne erinnert. Zugegeben, man findet die eine oder andere interessante Abbildung, die in Jens Andersens Band nicht enthalten ist, und sofern nicht blau, ist sie in guter Qualität gedruckt. Märchenillustrationen sind ebenfalls zu besichtigen, auch so ein Kitschblatt wie Jirí Trnkas „Hässliches Entenküken.” Von Andersens Zeichnungen, Scherenschnitten und Collagen dagegen herzlich wenig. Die Zitate des Dichters wiederum sind mit kleinen blauen Schwänen geziert, niedlich wie die Etiketten, die man an Kühlschrankwände kleben kann. Das Buch versammelt ganze Märchen, längere Stellen aus Andersens Tagebüchern, Briefen und Reisebeschreibungen, dazu Zitate von Zeitgenossen und Kommentatoren. Zugegeben, etliche Zitate sind ergiebig, zum Beispiel die von Georg Brandes, aber man hätte gern gewusst, woraus sie entnommen sind. Ausgerechnet bei Artemis & Winkler, ein Verlag, der noch vor kurzem zu den ehrbaren Häusern zählte, gab man sich salopp und sagte zu den Zitatbelegen einfach: skip it!
Und der Autor? Er weiß hundertprozentig, was mit Andersen los war, und das geht bei ihm zack-zack. Oder er listet viele Stimmen auf, und die eine meint: Gurke! die andere: Tomate! und die dritte: Nein, Schnittlauch! Das Beste, was man von Mönninghoff sagen kann, ist, dass er in den klugen Texten von Heinrich Detering und Michael Maar gelesen hat, um, was davon hängenblieb, auf mönninghoffsche Weise zu verspachteln. Das liest sich so: „Schon Anfang des 19. Jahrhunderts wird auch der Traum zum festen Bestandteil des Lebens erklärt und damit zu etwas ganz Natürlichem, das der Beschreibung wert ist.” Der Traum? Fest? Wurde er je für unnatürlich gehalten? Hat man vor dem 19. Jahrhundert versäumt, ihn zu beschreiben? Und warum „schon” und warum „auch”? Schonen wir uns jetzt, ruhen wir auch.
SIBYLLE LEWITSCHAROFF
JENS ANDERSEN: Hans Christian Andersen, Eine Biographie. Insel Verlag, Frankfurt am Main 2005. 808 Seiten, 28,- Euro.
WOLFGANG MÖNNINGHOFF: Das große Hans Christian Andersen Buch. Artemis & Winkler, Düsseldorf 2005. 224 Seiten, 29,90 Euro.
Hans Christian Andersen im Garten seines Wohnhauses
Foto: Scherl / SV-Bilderdienst
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Der Biograf Jens Andersen ist nicht mit dem dänischen Märchendichter Hans Christian Andersen verwandt, versichert Sybille Lewitscharoff, die von Andersen juniors Lebensgeschichte des Andersen senior sehr angetan ist. Vor allem, weil er Taktgefühl walten lässt. Zwei Beispiele führt die Rezensentin an: das eine ist die lebensbestimmende Freundschaft Andersons mit Edvard Collin; statt sich in Spekulationen über Andersens homoerotische Neigungen zu ergehen, informiere der Verfasser über das schwärmerische Element in männlichen Brieffreundschaften oder über die Verehrung des Androgynen zur Zeit der Romantik. Auch was Andersens soziale Herkunft angehe, lasse der Biograf keinen Zweifel daran, dass sie keineswegs arm und ehrlich, sondern arm und schäbig war. Der Dichter hatte alle Brücken zu seinen Verwandten abgebrochen, er unterstützte sie auch nicht, als er Geld hatte; es ist wohltuend, meint Lewitscharoff, dass sich der Biograf in diesem Punkt jedes moralischen Urteils enthält. Die Biografie hebe "wahre Schätze", lobt sie, manch Unbekanntes - wie eine Fehde mit Kierkegaard - träte zutage, vor allem aber bekämen die Leser ein Gespür dafür - weil der Biograf begeistert und behutsam zugleich vorgehe -, wie anarchisch und frisch Andersen geschrieben hätte.

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