Die Außenpolitik von Hans-Dietrich Genscher war geprägt von Prinzipien des Liberalismus. Demokratie, Menschenrechte, Pluralismus und Freiheit waren die Ziele, die er mit seiner Politik verfolgte. Der Sammelband untersucht, was die Politik Genschers auszeichnete und wodurch seine politische Strategie gekennzeichnet war. Eine chronologische Darstellung seiner Amtszeit zeigt auf, wo der "rote Faden" seiner Amtszeit zu suchen ist und welche Auswirkungen seine Politik für die Bundesrepublik und ihre Stellung in Europa und der Welt hatte.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.12.2014Das Amt und sein Minister
Hans-Dietrich Genscher
Den Bundesaußenminister der Jahre 1974 bis 1992 feiern Kerstin Brauckhoff von der Friedrich-Naumann-Stiftung und Irmgard Schwaetzer, die frühere Staatsministerin im Auswärtigen Amt (AA) und Fast-Nachfolgerin von Hans-Dietrich Genscher, mit einem Sammelband. Der Architekt der Einheit und sein riesiges "Architekturbüro" an der Bonner Adenauerallee fühlten sich schon 1989/90 wohl etwas im Schatten des oft gerühmten "Baumeisters der Einheit" im Kanzleramt. Daher soll die "liberale Außenpolitik" stärker beleuchtet werden mit dieser lesenswerten Mischung aus zehn wissenschaftlichen Aufsätzen und acht Zeitzeugenbeiträgen - angereichert durch ein Interview mit Genscher vom Juli 2014.
Hans-Dieter Heumann definiert liberale Außenpolitik als "verantwortliche Interessenpolitik" und würdigt Genscher als "Vordenker des Multilateralismus" und der europäischen Integration. Eine Einordnung des durchaus umstrittenen "Genscherismus" in die Theorie der internationalen Beziehungen nimmt Siegfried Schieder vor; demnach handelte es sich um eine Reaktion auf interne Veränderungen (Wertewandel, Suche nach der nationalen Identität und gestiegenes Selbstbewusstsein der Deutschen) und externe Veränderungen (Annäherung zwischen den beiden Machtblöcken, Dynamik der europäischen Integration und Wandel in den transatlantischen Beziehungen). Für Gerhard A. Ritter sind die Verhandlungen zur deutschen Einheit "eine politische Meisterleistung von Genscher, aber auch seiner führenden Berater im Auswärtigen Amt". Im Unterschied zu Helmut Kohl unterschätzte er die " massiven Interessen" der Vereinigten Staaten am Erhalt der Nato; daneben stellte Genscher "wohl die Aversion der Polen und anderer ostmitteleuropäischer Nationen, die die sowjetische Herrschaft gerade abgeschüttelt hatten, gegen ein enges Zusammengehen mit der Sowjetunion und dem späteren Russland in einem Gemeinsamen Europäischen Haus nicht ausreichend in Rechnung".
Den Weggenossen-Reigen eröffnet Richard von Weizsäcker: Die gemeinsame Moskau-Reise 1987 sei eine "Eisbrecher-Mission" gewesen. Und Wolfgang Ischinger schildert, wie sich Genscher 1983 "per Gate-Crashing Zugang" beim Bundeskanzler verschaffte. Abschließend weist Genscher die These zurück, dass der Euro der Preis für die französische Zustimmung zur Einheit gewesen sei: "Ich habe am 26. Februar 1988 eine Denkschrift veröffentlicht für die Einführung des Euro." Damals stand die Vereinigung gar nicht zur Debatte, jedoch benötigte Europa den "unrevidierbaren Schritt nach vorn" durch die Währungsunion.
RAINER BLASIUS
Kerstin Brauckhoff/Irmgard Schwaetzer (Herausgeberinnen): Hans-Dietrich Genschers Außenpolitik. Verlag Springer Fachmedien, Wiesbaden 2015. 295 S., 34,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Hans-Dietrich Genscher
Den Bundesaußenminister der Jahre 1974 bis 1992 feiern Kerstin Brauckhoff von der Friedrich-Naumann-Stiftung und Irmgard Schwaetzer, die frühere Staatsministerin im Auswärtigen Amt (AA) und Fast-Nachfolgerin von Hans-Dietrich Genscher, mit einem Sammelband. Der Architekt der Einheit und sein riesiges "Architekturbüro" an der Bonner Adenauerallee fühlten sich schon 1989/90 wohl etwas im Schatten des oft gerühmten "Baumeisters der Einheit" im Kanzleramt. Daher soll die "liberale Außenpolitik" stärker beleuchtet werden mit dieser lesenswerten Mischung aus zehn wissenschaftlichen Aufsätzen und acht Zeitzeugenbeiträgen - angereichert durch ein Interview mit Genscher vom Juli 2014.
Hans-Dieter Heumann definiert liberale Außenpolitik als "verantwortliche Interessenpolitik" und würdigt Genscher als "Vordenker des Multilateralismus" und der europäischen Integration. Eine Einordnung des durchaus umstrittenen "Genscherismus" in die Theorie der internationalen Beziehungen nimmt Siegfried Schieder vor; demnach handelte es sich um eine Reaktion auf interne Veränderungen (Wertewandel, Suche nach der nationalen Identität und gestiegenes Selbstbewusstsein der Deutschen) und externe Veränderungen (Annäherung zwischen den beiden Machtblöcken, Dynamik der europäischen Integration und Wandel in den transatlantischen Beziehungen). Für Gerhard A. Ritter sind die Verhandlungen zur deutschen Einheit "eine politische Meisterleistung von Genscher, aber auch seiner führenden Berater im Auswärtigen Amt". Im Unterschied zu Helmut Kohl unterschätzte er die " massiven Interessen" der Vereinigten Staaten am Erhalt der Nato; daneben stellte Genscher "wohl die Aversion der Polen und anderer ostmitteleuropäischer Nationen, die die sowjetische Herrschaft gerade abgeschüttelt hatten, gegen ein enges Zusammengehen mit der Sowjetunion und dem späteren Russland in einem Gemeinsamen Europäischen Haus nicht ausreichend in Rechnung".
Den Weggenossen-Reigen eröffnet Richard von Weizsäcker: Die gemeinsame Moskau-Reise 1987 sei eine "Eisbrecher-Mission" gewesen. Und Wolfgang Ischinger schildert, wie sich Genscher 1983 "per Gate-Crashing Zugang" beim Bundeskanzler verschaffte. Abschließend weist Genscher die These zurück, dass der Euro der Preis für die französische Zustimmung zur Einheit gewesen sei: "Ich habe am 26. Februar 1988 eine Denkschrift veröffentlicht für die Einführung des Euro." Damals stand die Vereinigung gar nicht zur Debatte, jedoch benötigte Europa den "unrevidierbaren Schritt nach vorn" durch die Währungsunion.
RAINER BLASIUS
Kerstin Brauckhoff/Irmgard Schwaetzer (Herausgeberinnen): Hans-Dietrich Genschers Außenpolitik. Verlag Springer Fachmedien, Wiesbaden 2015. 295 S., 34,99 [Euro].
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