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Als Konrad Adenauer 1953 Hans Globke zu seinem Staatssekretär bestellte, wusste er um dessen umstrittene Vergangenheit. Globke war im Dritten Reich Ministerialbeamter und hatte den ersten Kommentar zu den Nürnberger Gesetzen verfasst. Gleichzeitig konnte er nachweisen, dass er sich als Informant oppositioneller Kreise betätigt und für Verfolgte eingesetzt hatte. Anhand des lange unzugänglichen Nachlasses Globkes sowie von Dokumenten aus zahlreichen in- und ausländischen Archiven zeichnet Erik Lommatzsch den Werdegang Globkes von der Weimarer Republik über den Nationalsozialismus bis zum…mehr

Produktbeschreibung
Als Konrad Adenauer 1953 Hans Globke zu seinem Staatssekretär bestellte, wusste er um dessen umstrittene Vergangenheit. Globke war im Dritten Reich Ministerialbeamter und hatte den ersten Kommentar zu den Nürnberger Gesetzen verfasst. Gleichzeitig konnte er nachweisen, dass er sich als Informant oppositioneller Kreise betätigt und für Verfolgte eingesetzt hatte. Anhand des lange unzugänglichen Nachlasses Globkes sowie von Dokumenten aus zahlreichen in- und ausländischen Archiven zeichnet Erik Lommatzsch den Werdegang Globkes von der Weimarer Republik über den Nationalsozialismus bis zum Vertrauten des ersten Bundeskanzlers nach. Er war weder die geheimnisumwitterte "graue Eminenz ", als die ihn die Medien bis heute gern darstellen, noch war er der NS-Verbrecher, als der er in einem Schauprozess der DDR in Abwesenheit verurteilt wurde. Ebenso wenig jedoch war er der Widerstandskämpfer, als der er sich mitunter darzustellen versuchte. Jenseits seiner individuellen Geschichte steht er für viele Beamte im Nationalsozialismus und in der späteren Bundesrepublik: ein konservativer Staatsdiener, dessen Handlungsspielraum begrenzter war, als viele wahrhaben wollen.
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Autorenporträt
Erik Lommatzsch, geb. 1974, Dr. phil., studierte an den Universitäten Leipzig und Bologna Mittlere und Neuere Geschichte, Alte Geschichte und Politikwissenschaft. 2006 wurde er an der Universität Leipzig promoviert.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.12.2009

In jedem System verwendbar
Die Karriere des stets effizienten Staatsdieners Hans Globke, der trotz seiner schillernden Vergangenheit Adenauers engster Mitarbeiter wurde Von Ulrich Teusch
Es gibt Sätze, deren Sinn sich auch nach mehrfacher Lektüre nicht so recht erschließen will. Dieser zum Beispiel: „Der Dreiachteljude, der einen volljüdischen und einen halbjüdischen Großelternteil besitzt, gilt als Mischling mit einem volljüdischen Großelternteil, der Fünfachteljude mit zwei volljüdischen und einen halbjüdischen Großelternteil als Mischling mit zwei volljüdischen Großeltern.”
Die bemerkenswerte Definition ist mehr als 70 Jahre alt und stammt von dem Juristen Dr. Hans Globke, seinerzeit Oberregierungsrat in der Abteilung I „Gesetzgebung und Verfassung” des Reichsinnenministeriums. Sie findet sich in Globkes umfangreichen „Kommentaren” zu den Nürnberger Rassengesetzen aus dem Jahr 1936. Für den Journalisten Jürgen Bevers liegt der Fall klar: „Wie Globke hier mit der distanzierten Pedanterie eines Juristen und Beamten seine rassistischen Rechenaufgaben löste, mutet ungeheuerlich an.” Ganz anders urteilt der Historiker Erik Lommatzsch. Stets darum bemüht, zwischen den Zeilen und Paragraphen zu lesen, weist er darauf hin, dass Globkes Definition den „Dreiachteljuden” dem „Vierteljuden” und somit dem „Deutschblütigen” rechtlich gleichstelle; den „Fünfachteljuden” wiederum mache Globke zum „Mischling”, obwohl er nach nazistischer Rasselogik eigentlich zu den „Juden” hätte zählen müssen. Aus heutiger Sicht muten solch subtile Differenzierungen abstrus und zynisch an. Damals aber, so Lommatzsch, konnten sie für die Betroffenen lebensrettend sein; der Ministerialbeamte Globke habe im Rahmen seiner begrenzten Möglichkeiten dazu beigetragen, die NS-Judenverfolgung zu mildern.
Lommatzschs und Bevers’ biographische Annäherungen an Hans Globke verhalten sich gleichsam spiegelverkehrt zueinander und setzen Auseinandersetzungen fort, die insbesondere in den 50er und 60er Jahren um Globke ausgetragen wurden. Dass ein Mann wie er „unbelastet” sei – so das Ergebnis seines Spruchkammerverfahrens – konnten und wollten damals viele nicht glauben. Wobei die Frage nach seiner Vergangenheit vermutlich kaum jemanden interessiert hätte, wenn Globke in der Bundesrepublik nicht schon bald wieder in Amt und Würden gewesen wäre. Adenauer holte ihn 1949 ins Kanzleramt und machte ihn 1953 zum Staatssekretär. Freund und Feind sind sich einig, dass der Kanzler keinen besseren Mitarbeiter hätte finden können: Globke war ungemein fleißig, effizient, sachkundig, verfügte über ein legendäres Personengedächtnis, galt als absolut loyal und verschwiegen. Mit seiner Unterstützung steuerte Adenauer nicht nur die Regierungspolitik, sondern auch die CDU. So eng war das Verhältnis der beiden, dass manche Beobachter rückblickend von einer „Ära Adenauer-Globke” sprechen.
Die Kehrseite der Medaille bestand für den Kanzler darin, dass sein engster Mitarbeiter immer wieder scharfen Angriffen ausgesetzt war; nicht selten zielten diese auf Adenauer selbst. Besonders augenfällig wurde das 1963, als die DDR einen Prozess gegen den „Bonner Staatssekretär” inszenierte und ihn „in Abwesenheit” zu lebenslangem Zuchthaus verurteilte. Ost-Berlin legte nicht nur Dokumente vor, die Globke belasten sollten. In Vorbereitung des Prozesses wurden auch insgesamt 638 DDR-Bürger, die in der NS-Zeit anti-jüdischen Repressalien ausgesetzt gewesen waren, eingehend befragt. Einen Teil der damals entstandenen Protokolle hat das Berliner Centrum Judaicum nun in seiner Schriftenreihe veröffentlicht. Herausgeberin Erika Schwarz hat sie sachkundig kommentiert und um weitere aussagekräftige Materialien ergänzt.
Die verdienstvolle Publikation zeigt eindrücklich, welche Bedeutung die auch unter Globkes Mithilfe geschaffene juristisch-bürokratische Grundlage der Judenverfolgung, insbesondere die diversen Durchführungsverordnungen der Nürnberger Gesetze, für die betroffenen Menschen hatte. Der im Titel des Bandes angedeutete Bezug der Zeugenaussagen zur Tätigkeit Globkes bleibt freilich eher allgemein und indirekt. Nur in einer Aussage kommt das Verhalten Globkes zur Sprache. Da berichtet eine Zeugin, die seinerzeit in „Mischehe” lebte, dass sie 1942 im Innenministerium vorstellig geworden sei und Globke um Hilfe für ihren von Deportation bedrohten Sohn gebeten habe. Er habe ihr jedoch brüsk und in beleidigender Form jegliche Unterstützung verweigert. Eine auf den ersten Blick eindeutig belastende Aussage, die jedoch insofern zwiespältig ist, als die Zeugin sich auf einen ihr verbundenen hohen Beamten des Innenministeriums bezieht, der ihr den dringenden Rat gegeben habe, sich an Globke zu wenden. Das lässt den Schluss zu, dass Globke bei Insidern im Ruf stand, in Einzelfällen hilfswillig zu sein.
Dies ist ihm nach dem Krieg denn auch vielfach bestätigt worden. Die gewichtigste Ehrenerklärung in seiner dicken Mappe mit Persilscheinen war zweifellos die des Berliner Bischofs Konrad von Preysing, eines Nazi-Gegners, der seinem Glaubensbruder Globke bescheinigte, ein wichtiger Informant des Bischöflichen Ordinariats gewesen zu sein. Dank seiner Hilfe habe man rechtzeitig von Maßnahmen erfahren, die gegen die Kirchen geplant waren; insbesondere habe man „katholischen Nichtariern” helfen und die Zwangsscheidung deutsch-jüdischer „Mischehen” verhindern können.
Globke selbst hat sich nach dem Krieg zum Widerstandskämpfer stilisiert, der seinen „Kopf zu Markte getragen” habe. Selbstredend habe er „äußerlich gewisse Konzessionen” machen müssen, doch die hätten nie das „zulässige Maß” überschritten. Genau das bezweifelt Jürgen Bevers. Er sieht in Globke, der 1929 noch als Mann des „Zentrums” ins Preußische Innenministerium gekommen war und danach „Preußenschlag” wie „Machtergreifung” unbeschadet überstand, den Typus des stets diensteifrigen, karrieristischen Beamten, der in jedem System verwendbar ist und seine „Pflicht” erfüllt. Bevers zeichnet das Porträt eines Schreibtischtäters, der sich seiner Vergangenheit nie stellte, keinerlei Schuldbewusstsein zeigte und – wenn mit Vorwürfen konfrontiert – sich der immer gleichen Immunisierungsstrategien bediente. Um diese im Kern wohl zutreffende Interpretation durchhalten zu können, muss er freilich die durchaus riskanten oppositionellen Aktivitäten Globkes herunterspielen.
Genau umgekehrt – und noch fragwürdiger – verfährt Erik Lommatzsch. Gewissenhaft rekapituliert er Globkes Selbstdarstellungen nach 1945 und zitiert ausgiebig aus Persilscheinen; hier und da bringt er zwar Vorbehalte, kleine Korrekturen und Abschwächungen an, doch sie fallen am Ende nicht wirklich ins Gewicht. Den neuralgischen Punkten in der Biographie Globkes, die in Bevers’ Darstellung dominieren, geht er geflissentlich aus dem Weg. So zählt er zwar akribisch die Aufgabenbereiche Globkes im Dritten Reich auf, erwähnt seine diversen Reisen in die besetzten Gebiete oder bibliographiert seine juristischen Publikationen. Doch was Globke im Arbeitsalltag der langen zwölf Jahre konkret tat, sagte oder schrieb – Fehlanzeige.
Das gleiche Bild für die Zeit nach 1945: Ob es sich um das eigentümliche Verhältnis zwischen Globke und dem Nürnberger Ankläger Robert Kempner handelt, ob um die Vorwürfe des SPD-Politikers Adolf Arndt, Globke habe durch seine Kommentierung der Rassengesetze partiell zu deren Verschärfung beigetragen, ob es um Globkes Rolle beim Aufbau des Bundesnachrichtendienstes geht, um seine zuweilen peinlichen Auftritte bei NS-Prozessen oder um die deutsch-israelische Abmachung, Globke aus dem Eichmann-Prozess herauszuhalten – Lommatzsch weiß zu alledem nichts Substantielles zu sagen. Seine wissenschaftliche Neugier endet dort, wo es für den Leser interessant und für seinen Protagonisten unangenehm werden könnte.
Jürgen Bevers
Der Mann hinter Adenauer
Hans Globkes Aufstieg vom NS-Juristen zur Grauen Eminenz der Bonner Republik. Ch. Links Verlag, Berlin 2009. 240 Seiten, 19,90 Euro.
Erik Lommatzsch
Hans Globke (1898-1973)
Beamter im Dritten Reich und Staatssekretär Adenauers. Campus Verlag, Frankfurt 2009. 445 Seiten, 39,90 Euro.
Erika Schwarz
Juden im Zeugenstand
Die Spur des Hans Globke im Gedächtnis von Überlebenden der Schoa. Verlag Hentrich & Hentrich, Berlin und Teetz 2009. 260 Seiten, 32 Euro.
Enges Vertrauensverhältnis zwischen dem Kanzler und seinem wichtigsten Mitarbeiter: Konrad Adenauer und Hans Globke im Jahr 1961. Foto: AP
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Verhalten äußert sich Rezensent Matthias Becker zu Erik Lommatzsch' Untersuchung über Hans Globke. Die fundierte Studie über den einstigen NS-Funktionär und späteren Staatssekretär von Adenauer, die er sich gewünscht hätte, ist das Buch jedenfalls nicht. Und im Unterschied zu Jürgen Bevers' Globke-Biografie scheint ihm diese von der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung geförderte Arbeit eher bemüht, die Tätigkeiten Globkes während des Dritten Reichs zu relativieren. Zudem hält er dem Autor vor, die Version, die aus den Quellen von Globke oder Kollegen hervorgeht, "über weite Strecken als Tatsache" zu präsentieren.

© Perlentaucher Medien GmbH
Symbolfigur der frühen Bundesrepublik
"Lommatzsch untersucht in seinem Buch vor allem die reale Tätigkeit des Beamten. Ihm geht es darum, die 'Handlungsspielräume' auszuloten, die sich für Globke in seiner jeweiligen Tätigkeit ergaben - und wie er damit umging. Dieser Ansatz ist die Stärke der Studie." (Die Welt, 01.10.2009)

Der Schattenmann
"Globkes Doppelbild wird von Erik Lommatzsch eindrucksvoll und ausdrucksstark gezeichnet." (Die Welt, 10.10.2009)