Das berühmte Bild Hans Holbeins d. Ä., die 1526 in Basel entstandene Madonna, hat ein bewegtes Schicksal hinter sich: Im 17. Jahrhundert wurde das Bild, das bereits in Basel vom katholisch-kaiserlichen Triumphgemälde zum Familiengedenkbild umgarbeitet worden war, nach Amsterdam verkauft und dort kopiert. 1871 entbrannte unter den deutschen Kunsthistorikern der berühmte -Holbein-Streit- um die Frage von Kopie und Original, an dessen Ende schließlich die Identifikation der in Darmstadt aufgetauchten Fassung des Bildes als Ur-Werk stand. Die Autoren zeichnen aufgrund bisher unbekannter Quellen die bewegte Entstehungs- und Werkgeschichte des bekannten Holbein-Gemäldes erstmals vollständig nach.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.10.1997Anrühren bedeutet Glauben
Vollkommenheit liegt im Detail: Vier Bücher zu Hans Holbein dem Jüngeren / Von Werner Schade
Man steht vor Bildern Holbeins voller Respekt. Die beiden Elemente, auf denen ihre außerordentliche Wirkung beruht, sind die Nahsicht, manchmal zum Schreckbild gesteigert, und die Verankerung in geistigen Begründungen. Beide Züge, Nahsicht und Bedeutungsgeladenheit, sind fraglos miteinander verbunden, erschweren aber die Arbeit der Interpreten. Anders als bei Dürer, der in sich ruhte, und bei Cranach, den wir uns vor der Kulisse des in mancher Hinsicht wenig bewegten Wittenberg denken, wechseln Auftrag- und Ratgeber im Falle Holbeins. Rascher Ortswechsel ist ein Bestandteil seiner Biographie. Dabei sind bereits Unterschiede deutlich zwischen den Aufträgen Baseler und französischer Buchverleger. Fast scheint es, daß Holbein unter extremen Bedingungen das Beste geleistet hat. Die "Bilder des Todes" für Melchior Trechsel in Lyon, das Londoner Gesandtenbild, das Dresdener Bildnis des Morette für französische Diplomaten am Hofe des Königs von England können in diesem Sinne aufgefaßt werden.
Die in England im Vorjahr erschienene, jetzt auch im Paperback verfügbare, wohlrecherchierte Biographie von Derek Wilson trägt nicht zu Unrecht den Untertitel "Bildnis eines Unbekannten". Diesen Grad der Unbekanntheit teilt Holbein allerdings nahezu mit jedem Meister seiner Zeit. Geburtsdaten müssen erschlossen werden (und sind für Novizen des Fachs Gegenstand unablässiger, gereizter Betrachtung), Familiennamen fehlen (im Falle Grünewalds und des "Petrarcameisters" umstritten, im Falle Cranachs stillschweigend hingenommen). Bei Holbein ist der Spielraum gering, sein Vater ist eine festumrissene Künstlerpersönlichkeit. Die Schwierigkeit besteht hier darin, das Abspringen vom väterlichen Vorbild und vom Einfluß der Wahlväter, als die Burgkmair und Dürer (trotz des Gemeinplatzes der Unvereinbarkeit) zu gelten haben, genauer einzuschätzen.
Einige Jahre steht neben Hans in Basel Ambrosius, der ältere Bruder, nicht weniger lebendig, doch nicht gleich erfolgreich. Äußerlich fügen sich beide Maler in die Familientradition, Hans behält das Wappen des Stierkopfs bei, das früher einmal als Hinweis auf die Herkunft aus dem Schweizer Kanton Uri galt. Im Unterschied zu Burgkmair und Cranach, deren gewählte Wappen auf ein modernes Künstlerbewußtsein deuten, fällt das auf. Daß bereits Schongauer mit Perugino, dem Meister Raphaels, bekannt war, ist eine gute Vermutung, im Falle Dürers und Bellinis und Raphaels bestanden Verbindungen. Bei Holbein, dem Vielgereisten, gehen die Belege nicht hinaus über die Bekanntschaft mit Quinten Massys, Lucas Horenbout und dem "Meister des Jean de Mauléon", einem französischen Buchmaler, wie Stephanie Buck in "Holbein am Hofe Heinrichs VIII." nachgewiesen hat. Dabei knüpfen seltene Figurenmotive Holbeins, wie längst bekannt ist, an Leonardo an, andere in ekstatischer Bewegung sollten aus dem Bildvorrat Raphaels kommen, ohne daß man sich das erklären kann. Der bekannte Zusammenhang der Architekturinventionen Holbeins mit Italien hat allein im Hinblick auf die Dienste Schweizer Söldner dort eine gewisse Erklärung. Das Wann und das Wie ist dann die Sache der Künstler.
Das Einzelbild in diesem Werk ist immer ein besonderes Ereignis. Untersuchungen über Holbein aus dieser Perspektive liegen in zwei überarbeiteten Dissertationen vor. Verfasserin der einen ist die bereits erwähnte Stephanie Buck, Berlin, Verfasser der anderen, bereits 1993 in Bochum abgeschlossenen, im Vorjahr gedruckten Arbeit ist Stefan Gronert. Sein Gegenstand ist die Gruppe der gemalten Bildnisse des Erasmus von Rotterdam aus den Jahren 1523 und um 1532, die sich in Basel, Paris und New York befinden. Das Buch ist sorgfältig ausdeutend angelegt und besticht durch Zurückhaltung. Man wird bereichert, weil der Verfasser in keinem Punkt der Untersuchung die Schwierigkeit seines Vorhabens verhehlt, von der schon Wölfflin sprach.
Frisch aus der akademischen Ausbildung heraustretend, ist die andere Dissertation in ihren lebhaften Teilen aus der Untersuchung weniger Originale Holbeins entstanden. Gegenstand ist das prachtvolle Bildnis Heinrichs VIII. von England in der Thyssen-Sammlung in Madrid. "Holbein am Hofe Heinrichs VIII." heißt das Buch. Das Werk des Künstlers wird damit vom Ausgang her beleuchtet. Holbein ist am englischen Königshof erst spät zum Zuge gekommen, durch enge Verbindungen zu anderen Kreisen in London eher gehemmt als gefördert. Im Jahre 1537, vielleicht auch schon 1536, wurde er Hofmaler. Das Bild stammt aus dieser Zeit. Trotz des kleinen Formats sind die Hände des Königs am Rand einbezogen. Eine Fügung von großer Dichte läßt Raum für den Anstieg des Kopfes. Die Verfasserin macht wahrscheinlich, daß das Bild an den französischen König ging. Es scheidet bei dieser Annahme aus der Kategorie der Privatporträts aus, zu der man es sonst rechnen müßte. Der anspruchsvolle Auftrag und das kleine Format zwangen zu außerordentlicher Entfaltung in Detail und Umriß. Das altertümliche Aufsetzen der Lichter des Brokatärmels in gestricheltem Gold glaubt die Verfasserin von der Buchmalerei herleiten zu können, obgleich es doch in der Tafelmalerei kurz zuvor noch gelegentlich zu beobachten ist. Aus der gleichen Bildnisaufnahme im Dreiviertelprofil ist das Wandbild in Whitehall entwickelt worden. Das in der National Portrait Gallery in London erhaltene Teilstück des Kartons zeigt, wie Holbein darum rang, die Konturen der großen Figur an den Hintergrund zu binden. Das Format bereitete trotz der Erfahrungen mit der Fassadenmalerei Schwierigkeiten. Doch war das Zerschneiden des Kartons üblich, wie am Beispiel des anderen Auftrags für die Barber Surgeons nachzuweisen ist, was auch den Zustand einzelner anderer Arbeiten Holbeins auf Papier erklären dürfte.
Die Miniaturmalerei auf Pergament mit dem Empfang der Königin von Saba durch Salomo (Windsor Castle) erweist sich nach den Beobachtungen der Verfasserin als eine schillernde Anspielung auf Heinrich. Weitere Beobachtungen der Miniaturmalerei, ausgedehnt bis in die Kreise des französischen Hofes, führten zur Entdeckung, daß Holbein für seinen Totentanz in zwei Fällen an Motive eines in der Walters Art Gallery in Baltimore aufbewahrten Stundenbuchs anknüpfte. Das würde bedeuten, daß der Deutsche Zugang zu seltenen Büchern besaß oder gar Gast eines der führenden Buchmaler seiner Zeit gewesen ist. Der pflügende Bauer der "Bilder des Todes" besitzt trotz der Herleitung aus einer Miniatur des Meisters des Jean Mauléon genug Eigenart Holbeins. Man wußte bisher, daß er nicht zögerte, Vorlagen Cranachs zu redigieren; eine eigene Untersuchung würde den zunächst überraschenden Fall, der durch die Übernahme des Lautenspielers für den Holzschnitt der Nonne begleitet wird, sicherlich bestätigen. Die Verfasserin überbeansprucht das gefundene Material nicht, so daß man ihrer Gedankenführung leicht folgen kann und eine gewisse Offenheit hinsichtlich der Beantwortung ihrer These erhalten bleibt.
Unabhängig von der Gewinnung signifikanter Details dieser Art bleibt das Gesamtwerk Holbeins zu überprüfen, eine Aufgabe, der sich Oskar Bätschmann und Pascal Griener in jahrelanger Abstimmung unterzogen haben. Ihre reich ausgestattete Monographie ist in diesem Rahmen nicht annähernd auszuschöpfen. In den sieben Kapiteln ihrer Gliederung sind alle Gesichtspunkte gegenwärtiger Betrachtung gebündelt. In dem gemeinsam verfaßten ersten Kapitel wird die Interpretation der Persönlichkeit Holbeins aus dem Verständnis der humanistischen Gelehrten behandelt. Doch könnte man in der bekannten Apelles-Aura im Grunde auch das Unvermögen der damaligen Gelehrten fassen, einem spezifischen Künstler gerecht zu werden. Die Gebundenheit an Gemeinplätze dieser Art war verbreitet und hielt noch bis ins siebzehnte Jahrhundert an. Der Orientierung Holbeins an der Kunst Burgkmairs und an einem Stich von Lucas van Leyden ist die Vielzahl italienischer Anregungen anzureihen. Holbeins Proportionsstudien stammen aus relativ später Zeit und sind von fast so geringer Eigenart wie die im Vergleich herangezogenen Holzschnittfiguren des Erhard Schön.
Verlorenen Hauptwerken geht die Untersuchung im Falle der Fassadenmalereien in Luzern nach mit undankbaren Wiedergaben später Nachzeichnungen des offenbar stark geminderten Bestands. Ein letztes Kapitel der religiösen Figurenmalerei in Basel wird aufgeschlagen mit der feinen Madonnentafel in Solothurn. Ihre flämische Orientierung hätte das Herz Hans Holbeins des Älteren erfreut. Die folgende Gegenüberstellung mit der italienischen Kunst könnte den Eindruck des Gebens und Nehmens erwecken. Für das Geben kommt Holbein zu spät. Im ganzen aber ist das ausgebreitete Material anregend. Ein letztes Kapitel berichtet über Holbeins Auswirkung auf die englische Kunst. Die Linie, die hier verfolgt wird, könnte leicht durch Hinweise auf die deutsche Graphik des neunzehnten Jahrhunderts ergänzt werden, wo vor allem Rethels Anknüpfung an Holbeins Totentanz von Bedeutung ist; ein Schweizer Maler wie Karl Stauffer-Bern war sich noch der Nachfolge bewußt, in der er sich befand.
Eine gewisse Schwäche ist in der Abstimmung der Bildtafeln unter sich festzustellen. Man hätte sich hier, das gilt auch für die englische Ausgabe des Buches, ein wenig mehr Konzentration gewünscht, abgesehen von einzelnen Fehlleistungen, die den guten Gesamteindruck allerdings wenig berühren. Man braucht im Falle Holbeins die Abbildung und die Diskussion mancher Details, nicht um von Hauptdingen abzurücken - der Hinweis auf fein gebildete Gesichter, die beim Aufwand der Bilder leicht zu übersehen sind, ist mittlerweile zu einem mißbrauchten Gemeinplatz geworden. Original und Replik sind immer wieder neu zu scheiden. Noch nicht nachdrücklich genug wird freies, aufmerksames Schauen eines Dargestellten vom uniformen Blick der Konvention unterschieden. Zwar kann ein Thomas Morus, den Holbein ja gemalt hat, vom "kitzelnden Gefühl der Glorie", in der er sich fühlte, erfüllt gewesen sein. Holbein in seiner persönlichen Strenge war es kaum. Seine Bilder bilden zwar die Metopen und Friese einer nur ihm vertrauten Architektur. Aber es gehört in diesen Rahmen, daß die Tischtücher ("Holbeinteppiche"), die Falten mancher Beläge, die Säulen, Steine, Stricke, die Leinentücher an der Stätte der Auferstehung, die vielen Kreuze auf Golgatha, die Schlüssel beim Auszug der Apostel, manch ein Bart in auffälliger Betonung in ihrer verschiedenen Aussage erfaßt werden. Jedes Motiv dürfte seine tiefere Erklärung besitzen.
Derek Wilson: "Hans Holbein: Portrait of an Unknown Man". Phoenix Giant, London 1997. 308 S., 40 Abb., 12,99 Pfund.
Stefan Gronert: "Bild-Individualität". Die "Erasmus"-Bildnisse von Hans Holbein dem Jüngeren. Schwabe & Co. Verlag, Basel 1996. 192 S., 19 Abb., 48 Schweizer Franken.
Oskar Bätschmann/Pascal Griener: "Hans Holbein". Aus dem Englischen übersetzt von Dieter Kuhaupt. DuMont Buchverlag, Köln 1997. 256 S., 266 Abb., geb., 98,- DM.
Stephanie Buck: "Holbein am Hofe Heinrichs VIII.". Dietrich Reimer Verlag, Berlin 1997. 374 S., 11 Farbtafeln und 132 Abb., br., 118,- DM.
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Vollkommenheit liegt im Detail: Vier Bücher zu Hans Holbein dem Jüngeren / Von Werner Schade
Man steht vor Bildern Holbeins voller Respekt. Die beiden Elemente, auf denen ihre außerordentliche Wirkung beruht, sind die Nahsicht, manchmal zum Schreckbild gesteigert, und die Verankerung in geistigen Begründungen. Beide Züge, Nahsicht und Bedeutungsgeladenheit, sind fraglos miteinander verbunden, erschweren aber die Arbeit der Interpreten. Anders als bei Dürer, der in sich ruhte, und bei Cranach, den wir uns vor der Kulisse des in mancher Hinsicht wenig bewegten Wittenberg denken, wechseln Auftrag- und Ratgeber im Falle Holbeins. Rascher Ortswechsel ist ein Bestandteil seiner Biographie. Dabei sind bereits Unterschiede deutlich zwischen den Aufträgen Baseler und französischer Buchverleger. Fast scheint es, daß Holbein unter extremen Bedingungen das Beste geleistet hat. Die "Bilder des Todes" für Melchior Trechsel in Lyon, das Londoner Gesandtenbild, das Dresdener Bildnis des Morette für französische Diplomaten am Hofe des Königs von England können in diesem Sinne aufgefaßt werden.
Die in England im Vorjahr erschienene, jetzt auch im Paperback verfügbare, wohlrecherchierte Biographie von Derek Wilson trägt nicht zu Unrecht den Untertitel "Bildnis eines Unbekannten". Diesen Grad der Unbekanntheit teilt Holbein allerdings nahezu mit jedem Meister seiner Zeit. Geburtsdaten müssen erschlossen werden (und sind für Novizen des Fachs Gegenstand unablässiger, gereizter Betrachtung), Familiennamen fehlen (im Falle Grünewalds und des "Petrarcameisters" umstritten, im Falle Cranachs stillschweigend hingenommen). Bei Holbein ist der Spielraum gering, sein Vater ist eine festumrissene Künstlerpersönlichkeit. Die Schwierigkeit besteht hier darin, das Abspringen vom väterlichen Vorbild und vom Einfluß der Wahlväter, als die Burgkmair und Dürer (trotz des Gemeinplatzes der Unvereinbarkeit) zu gelten haben, genauer einzuschätzen.
Einige Jahre steht neben Hans in Basel Ambrosius, der ältere Bruder, nicht weniger lebendig, doch nicht gleich erfolgreich. Äußerlich fügen sich beide Maler in die Familientradition, Hans behält das Wappen des Stierkopfs bei, das früher einmal als Hinweis auf die Herkunft aus dem Schweizer Kanton Uri galt. Im Unterschied zu Burgkmair und Cranach, deren gewählte Wappen auf ein modernes Künstlerbewußtsein deuten, fällt das auf. Daß bereits Schongauer mit Perugino, dem Meister Raphaels, bekannt war, ist eine gute Vermutung, im Falle Dürers und Bellinis und Raphaels bestanden Verbindungen. Bei Holbein, dem Vielgereisten, gehen die Belege nicht hinaus über die Bekanntschaft mit Quinten Massys, Lucas Horenbout und dem "Meister des Jean de Mauléon", einem französischen Buchmaler, wie Stephanie Buck in "Holbein am Hofe Heinrichs VIII." nachgewiesen hat. Dabei knüpfen seltene Figurenmotive Holbeins, wie längst bekannt ist, an Leonardo an, andere in ekstatischer Bewegung sollten aus dem Bildvorrat Raphaels kommen, ohne daß man sich das erklären kann. Der bekannte Zusammenhang der Architekturinventionen Holbeins mit Italien hat allein im Hinblick auf die Dienste Schweizer Söldner dort eine gewisse Erklärung. Das Wann und das Wie ist dann die Sache der Künstler.
Das Einzelbild in diesem Werk ist immer ein besonderes Ereignis. Untersuchungen über Holbein aus dieser Perspektive liegen in zwei überarbeiteten Dissertationen vor. Verfasserin der einen ist die bereits erwähnte Stephanie Buck, Berlin, Verfasser der anderen, bereits 1993 in Bochum abgeschlossenen, im Vorjahr gedruckten Arbeit ist Stefan Gronert. Sein Gegenstand ist die Gruppe der gemalten Bildnisse des Erasmus von Rotterdam aus den Jahren 1523 und um 1532, die sich in Basel, Paris und New York befinden. Das Buch ist sorgfältig ausdeutend angelegt und besticht durch Zurückhaltung. Man wird bereichert, weil der Verfasser in keinem Punkt der Untersuchung die Schwierigkeit seines Vorhabens verhehlt, von der schon Wölfflin sprach.
Frisch aus der akademischen Ausbildung heraustretend, ist die andere Dissertation in ihren lebhaften Teilen aus der Untersuchung weniger Originale Holbeins entstanden. Gegenstand ist das prachtvolle Bildnis Heinrichs VIII. von England in der Thyssen-Sammlung in Madrid. "Holbein am Hofe Heinrichs VIII." heißt das Buch. Das Werk des Künstlers wird damit vom Ausgang her beleuchtet. Holbein ist am englischen Königshof erst spät zum Zuge gekommen, durch enge Verbindungen zu anderen Kreisen in London eher gehemmt als gefördert. Im Jahre 1537, vielleicht auch schon 1536, wurde er Hofmaler. Das Bild stammt aus dieser Zeit. Trotz des kleinen Formats sind die Hände des Königs am Rand einbezogen. Eine Fügung von großer Dichte läßt Raum für den Anstieg des Kopfes. Die Verfasserin macht wahrscheinlich, daß das Bild an den französischen König ging. Es scheidet bei dieser Annahme aus der Kategorie der Privatporträts aus, zu der man es sonst rechnen müßte. Der anspruchsvolle Auftrag und das kleine Format zwangen zu außerordentlicher Entfaltung in Detail und Umriß. Das altertümliche Aufsetzen der Lichter des Brokatärmels in gestricheltem Gold glaubt die Verfasserin von der Buchmalerei herleiten zu können, obgleich es doch in der Tafelmalerei kurz zuvor noch gelegentlich zu beobachten ist. Aus der gleichen Bildnisaufnahme im Dreiviertelprofil ist das Wandbild in Whitehall entwickelt worden. Das in der National Portrait Gallery in London erhaltene Teilstück des Kartons zeigt, wie Holbein darum rang, die Konturen der großen Figur an den Hintergrund zu binden. Das Format bereitete trotz der Erfahrungen mit der Fassadenmalerei Schwierigkeiten. Doch war das Zerschneiden des Kartons üblich, wie am Beispiel des anderen Auftrags für die Barber Surgeons nachzuweisen ist, was auch den Zustand einzelner anderer Arbeiten Holbeins auf Papier erklären dürfte.
Die Miniaturmalerei auf Pergament mit dem Empfang der Königin von Saba durch Salomo (Windsor Castle) erweist sich nach den Beobachtungen der Verfasserin als eine schillernde Anspielung auf Heinrich. Weitere Beobachtungen der Miniaturmalerei, ausgedehnt bis in die Kreise des französischen Hofes, führten zur Entdeckung, daß Holbein für seinen Totentanz in zwei Fällen an Motive eines in der Walters Art Gallery in Baltimore aufbewahrten Stundenbuchs anknüpfte. Das würde bedeuten, daß der Deutsche Zugang zu seltenen Büchern besaß oder gar Gast eines der führenden Buchmaler seiner Zeit gewesen ist. Der pflügende Bauer der "Bilder des Todes" besitzt trotz der Herleitung aus einer Miniatur des Meisters des Jean Mauléon genug Eigenart Holbeins. Man wußte bisher, daß er nicht zögerte, Vorlagen Cranachs zu redigieren; eine eigene Untersuchung würde den zunächst überraschenden Fall, der durch die Übernahme des Lautenspielers für den Holzschnitt der Nonne begleitet wird, sicherlich bestätigen. Die Verfasserin überbeansprucht das gefundene Material nicht, so daß man ihrer Gedankenführung leicht folgen kann und eine gewisse Offenheit hinsichtlich der Beantwortung ihrer These erhalten bleibt.
Unabhängig von der Gewinnung signifikanter Details dieser Art bleibt das Gesamtwerk Holbeins zu überprüfen, eine Aufgabe, der sich Oskar Bätschmann und Pascal Griener in jahrelanger Abstimmung unterzogen haben. Ihre reich ausgestattete Monographie ist in diesem Rahmen nicht annähernd auszuschöpfen. In den sieben Kapiteln ihrer Gliederung sind alle Gesichtspunkte gegenwärtiger Betrachtung gebündelt. In dem gemeinsam verfaßten ersten Kapitel wird die Interpretation der Persönlichkeit Holbeins aus dem Verständnis der humanistischen Gelehrten behandelt. Doch könnte man in der bekannten Apelles-Aura im Grunde auch das Unvermögen der damaligen Gelehrten fassen, einem spezifischen Künstler gerecht zu werden. Die Gebundenheit an Gemeinplätze dieser Art war verbreitet und hielt noch bis ins siebzehnte Jahrhundert an. Der Orientierung Holbeins an der Kunst Burgkmairs und an einem Stich von Lucas van Leyden ist die Vielzahl italienischer Anregungen anzureihen. Holbeins Proportionsstudien stammen aus relativ später Zeit und sind von fast so geringer Eigenart wie die im Vergleich herangezogenen Holzschnittfiguren des Erhard Schön.
Verlorenen Hauptwerken geht die Untersuchung im Falle der Fassadenmalereien in Luzern nach mit undankbaren Wiedergaben später Nachzeichnungen des offenbar stark geminderten Bestands. Ein letztes Kapitel der religiösen Figurenmalerei in Basel wird aufgeschlagen mit der feinen Madonnentafel in Solothurn. Ihre flämische Orientierung hätte das Herz Hans Holbeins des Älteren erfreut. Die folgende Gegenüberstellung mit der italienischen Kunst könnte den Eindruck des Gebens und Nehmens erwecken. Für das Geben kommt Holbein zu spät. Im ganzen aber ist das ausgebreitete Material anregend. Ein letztes Kapitel berichtet über Holbeins Auswirkung auf die englische Kunst. Die Linie, die hier verfolgt wird, könnte leicht durch Hinweise auf die deutsche Graphik des neunzehnten Jahrhunderts ergänzt werden, wo vor allem Rethels Anknüpfung an Holbeins Totentanz von Bedeutung ist; ein Schweizer Maler wie Karl Stauffer-Bern war sich noch der Nachfolge bewußt, in der er sich befand.
Eine gewisse Schwäche ist in der Abstimmung der Bildtafeln unter sich festzustellen. Man hätte sich hier, das gilt auch für die englische Ausgabe des Buches, ein wenig mehr Konzentration gewünscht, abgesehen von einzelnen Fehlleistungen, die den guten Gesamteindruck allerdings wenig berühren. Man braucht im Falle Holbeins die Abbildung und die Diskussion mancher Details, nicht um von Hauptdingen abzurücken - der Hinweis auf fein gebildete Gesichter, die beim Aufwand der Bilder leicht zu übersehen sind, ist mittlerweile zu einem mißbrauchten Gemeinplatz geworden. Original und Replik sind immer wieder neu zu scheiden. Noch nicht nachdrücklich genug wird freies, aufmerksames Schauen eines Dargestellten vom uniformen Blick der Konvention unterschieden. Zwar kann ein Thomas Morus, den Holbein ja gemalt hat, vom "kitzelnden Gefühl der Glorie", in der er sich fühlte, erfüllt gewesen sein. Holbein in seiner persönlichen Strenge war es kaum. Seine Bilder bilden zwar die Metopen und Friese einer nur ihm vertrauten Architektur. Aber es gehört in diesen Rahmen, daß die Tischtücher ("Holbeinteppiche"), die Falten mancher Beläge, die Säulen, Steine, Stricke, die Leinentücher an der Stätte der Auferstehung, die vielen Kreuze auf Golgatha, die Schlüssel beim Auszug der Apostel, manch ein Bart in auffälliger Betonung in ihrer verschiedenen Aussage erfaßt werden. Jedes Motiv dürfte seine tiefere Erklärung besitzen.
Derek Wilson: "Hans Holbein: Portrait of an Unknown Man". Phoenix Giant, London 1997. 308 S., 40 Abb., 12,99 Pfund.
Stefan Gronert: "Bild-Individualität". Die "Erasmus"-Bildnisse von Hans Holbein dem Jüngeren. Schwabe & Co. Verlag, Basel 1996. 192 S., 19 Abb., 48 Schweizer Franken.
Oskar Bätschmann/Pascal Griener: "Hans Holbein". Aus dem Englischen übersetzt von Dieter Kuhaupt. DuMont Buchverlag, Köln 1997. 256 S., 266 Abb., geb., 98,- DM.
Stephanie Buck: "Holbein am Hofe Heinrichs VIII.". Dietrich Reimer Verlag, Berlin 1997. 374 S., 11 Farbtafeln und 132 Abb., br., 118,- DM.
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