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Allein mit seinen beiden Romanen Die Wolfshaut (1960) und Der Feuerkreis (1971) gehört Hans Lebert (1919-1993) zu den bedeutendsten österreichischen Erzählern des 20. Jahrhunderts. Kein zweiter Autor hat mit solcher Sprachgewalt und Radikalität so früh die Verstrickung der Österreicher in die Kriegsverbrechen des 'Dritten Reichs' literarisch gestaltet und ist dabei doch ein Patriot geblieben, für den die Selbstaufgabe Österreichs im März 1938 das größte Trauma seines Lebens war. Zugleich überschreiten seine Werke die rein historische Dimension des Geschehens und konfrontieren den Leser mittels…mehr

Produktbeschreibung
Allein mit seinen beiden Romanen Die Wolfshaut (1960) und Der Feuerkreis (1971) gehört Hans Lebert (1919-1993) zu den bedeutendsten österreichischen Erzählern des 20. Jahrhunderts. Kein zweiter Autor hat mit solcher Sprachgewalt und Radikalität so früh die Verstrickung der Österreicher in die Kriegsverbrechen des 'Dritten Reichs' literarisch gestaltet und ist dabei doch ein Patriot geblieben, für den die Selbstaufgabe Österreichs im März 1938 das größte Trauma seines Lebens war. Zugleich überschreiten seine Werke die rein historische Dimension des Geschehens und konfrontieren den Leser mittels der von Lebert erfundenen poetischen Methode des 'Transparentismus' mit magischen Kräften jenseits des Diesseits. Was dieser 'Achttausender der österreichischen Nachkriegsliteratur' (Elfriede Jelinek) geschaffen hat, ist ohne Frage Weltliteratur.Umso bedauerlicher ist der Umstand, dass trotz des Interesses etlicher namhafter Verlage sein Werk wegen der obstinanten Weigerung seiner Witwe seit zwei Jahrzehnten erneut vom Buchmarkt verschwunden ist. Damit der Autor nach dem großen Echo, das die Wiederentdeckung seines Werks in den 90er Jahren erlebte, nicht gänzlich der Vergessenheit anheimfällt, versucht diese Biografie wenigstens anlässlich seines 100. Geburtstags an ihn zu erinnern. Da auch sie ohne Einblick in den Nachlass geschrieben werden musste, vermag sie nicht mehr als eine Silhouette zu zeichnen. Aber schon sie macht erkennbar, dass Lebert sein Werk mit äußerster Disziplin einem nicht unkomplizierten Leben abgerungen hat. Wenn auch nicht alle Rätsel seines Lebenslaufs - etwa die Frage nach seinem Verhältnis zum österreichischen Widerstand - gelöst werden können, bietet sie doch erstmals eine auf viele unbekannte Quellen und Bilder gestützte zusammenhängende Darstellung seiner Vita.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.06.2020

Lieber doch kein Enkel des Kaisers

Jürgen Egyptien spürt Hans Leberts Biographie nach und stellt einen Autor vor, der sich dem restaurativen Zeitgeist nicht fügen wollte.

Er gehört zu den Großen der Literatur nach 1945 und ist dennoch verschwunden aus der Wahrnehmung des Publikums: Von Hans Lebert (1919 bis 1993), den Elfriede Jelinek einen "Achttausender der österreichischen Nachkriegsliteratur" genannt hat, gibt es zurzeit kein lieferbares Werk, weder den schaurig-radikalen Dorfroman "Die Wolfshaut" (1960) noch die sinnlich-übersinnliche Heimkehrer-Geschichte "Der Feuerkreis" (1971). Diese Misere ist Leberts Witwe zu verdanken, die seinem Nachruhm, konkret einer Neuauflage seiner Romane, Erzählungen und Gedichte nicht bloß desinteressiert gegenübersteht, sondern sie konsequent verhindert. Der Germanist und Lebert-Spezialist Jürgen Egyptien benennt diesen Umstand in seiner Biographie unumwunden; er soll den bescheidenen Untertitel "Eine biografische Silhouette" begründen. Der Autor hatte keinen Zugang zum Nachlass, war also gänzlich auf Archivarbeit und Interviews angewiesen.

Leberts Leben bietet einiges an tönendem Glamour: Vor seiner literarischen Laufbahn war der gebürtige Wiener im "Dritten Reich" als Opernsänger an mittleren Bühnen erfolgreich, seine Karriere überdauerte das Kriegsende freilich nicht. Geliebt und gefördert wurde der mehrfach Begabte von seinem berühmten Onkel Alban Berg: "Der Bub ist über alle Maßen süß." Seine Frau wiederum berichtet vom zweiten Wort des Einjährigen, nach "Mama": "Er sagt den ganzen Tag ,Trotel'." Der Biograph kommentiert lapidar: "Ansonsten sind keine Zeugnisse über Hans Leberts Kindermund bekannt."

Alban Berg war verheiratet mit Leberts Tante Helene, die zuvor eine Liaison mit dem prominenten Biologen Paul Kammerer hatte (einem Liebhaber Alma Mahlers, der sich wegen eines Fälschungsvorwurfs auf dem Schneeberg erschießen sollte). Überhaupt beschert die Ahnenkunde in Sachen Lebert dem Leser ein Gefühl für die Vernetzung der Wiener Gesellschaft bis in allerhöchste Kreise: Die Großmutter Anna Nahowski war in den Jahren 1875 bis 1888 die - natürlich heimliche - Geliebte Kaiser Franz Josephs, der ihr Haus nahe Schönbrunn durch eine geheime Gartenpforte zu betreten pflegte und mit Zuwendungen in (Euro-)Millionenhöhe nicht unwesentlich zum Wohlstand der Familie beitrug. Während sein älterer Kollege Alexander Lernet-Holenia für sich gerne mit der Vaterschaft eines Habsburger-Erzherzogs spekulierte, wollte Lebert "lieber kein Enkel des Kaisers" sein. Obwohl man Hans Lebert die charakteristische "Habsburger-Lippe" attestieren könnte, kommt tatsächlich wohl nur der Realitätenbesitzer Franz Nahowski als der leibliche Vater seiner drei Kinder in Frage. Sein geistig beeinträchtigter Sohn Franzl, Leberts Onkel, wollte das freilich nicht glauben und opferte am kaiserlichen Geburtstag unter Zuhilfenahme einer Geflügelschere seinen kleinen Finger. Immerhin hatte man ihn auf den Namen Franz Joseph getauft.

Jürgen Egyptien erzählt von dem ungebärdigen Buben Hans, dessen überspannt hypochondrischer Mutter, dem sanften, lungenkranken Vater, einem Fabrikanten aus Freiburg, der starb, als der Sohn zehn Jahre alt war. Er erzählt von den Sommerfrischen in einer Villa im steirischen Trahütten, von ersten Schreib- und ebenso beachtlichen Malversuchen und vom wirtschaftlichen Niedergang der Familie, der den jungen Mann erst dazu bewog, seine schöne Tenorstimme ausbilden zu lassen.

Seine Opernkarriere führte ihn nach dem "Anschluss" von 1938 nach Kiel und Gablonz (Jablonec), bis sie 1941 durch eine sechsmonatige Untersuchungshaft unterbrochen wurde: Lebert hatte die Annahme des Einberufungsbefehls verweigert und war wegen Wehrkraftzersetzung angeklagt. Er erreichte, unter anderem mit einem bühnenreifen Auftritt vor Gericht, die Diagnose "Paranoide Schizophrenie" und kehrte nach einem Klinikaufenthalt in den Opernbetrieb zurück. Am Deutschen Theater Olmütz lernte er seine spätere Frau, die Schauspielerin Annette Schön, kennen. Im Sommer 1944 entzog er sich der Einberufung durch Flucht in die Steiermark. Nach dem Krieg fand der immer noch junge Wagner-Tenor kein Engagement mehr und verlegte sich zusehends aufs Schreiben.

Egyptien zeichnet mit sicherer Hand das Bild eines eigenbrötlerischen, in Baden bei Wien Betriebsferne suchenden, im Umgang aber liebenswürdigen und amüsanten Mannes - als Lektor des Europaverlags lernte er Lebert 1991 kennen. Gleichwohl wahrt er Distanz gegenüber Leberts legendenhafter Selbstdarstellung, etwa der Behauptung, er wäre im Widerstand gewesen. Nicht immer erscheint die Ausführlichkeit der Behandlung dem Thema angemessen; so bietet der Biograph zwar eine umfängliche Liste der Gymnasiallehrer, verbucht Alban Bergs frühen Tod im Jahr 1935 (als Folge einer Blutvergiftung) aber recht lakonisch. Auch Leberts eindrucksvolles bildnerisches OEuvre ist hier dokumentiert, das gestrichene Papier und der gar kleine Druck machen das schmucke Buch aber unnötig schwer zu halten und zu lesen.

In seinen klugen Analysen des literarischen Werkes legt Egyptien besonderes Augenmerk auf dessen mythischen und religiösen Gehalt, den die Wucht der Faschismuskritik in der zeitgenössischen Debatte verdeckte. Wenn Elfriede Jelinek "Die Wolfshaut" 1991 anlässlich der Neuausgabe als "eins der größten Leseerlebnisse meines Lebens", "eins der großen Werke der Weltliteratur" und den "ersten radikal modernen Roman" der Nachkriegszeit in Österreich bezeichnet, erfasst sie damit auch die symphonische Komposition, in die Lebert den Kriminalfall im parabelhaften Dorf namens Schweigen gebettet hat. Vor der Erstveröffentlichung bei Claassen musste der Autor sich nicht nur massive Kürzungen verbitten - für ihn unzumutbar bei einem "als Roman getarnten Epos" -, sondern auch Eingriffe in die österreichische Sprachgestalt; die Korrekturen, schrieb er dem Lektor, seien "entweder Stuss oder jenes ,Anschluss-Deutsch', das ,ostmärkische' Parteigenossen seinerzeit zu sprechen sich mühten".

"Die Wolfshaut" und erst recht der um einiges greller inszenierte, mit Wagner'schem Mythos aufgeladene Inzest- und Kriegsverbrecher-Roman "Der Feuerkreis" waren umstritten und finanziell wenig ertragreich, aber sie verschafften ihrem Autor das Entree in die Nachkriegsliteratur. 1974, nach dem Tod seiner Frau und der Wiederverheiratung nur wenige Wochen danach, versiegte Leberts literarische Produktion - das Bedauern darüber ist dem Biographen anzumerken.

Die späte Wiederentdeckung trug Lebert 1992 den Grillparzer-Preis der Toepfer-Stiftung ein, die Dankesrede nutzte er, um die braune Vergangenheit des Stifters anzuprangern, das Schreckensbild eines neuen Anschlusses an die Wand zu malen (der deutsche Botschafter verließ den Saal) und just seine Fürsprecher als Österreich-Denunzianten zu geißeln.

Denn für Lebert, so Egyptien, habe nur "eine echte Liebe zum eigenen Land zugleich die schärfste Kritik an seinen historischen Verfehlungen" gerechtfertigt.

DANIELA STRIGL

Jürgen Egyptien: "Hans Lebert". Eine biografische Silhouette.

Sonderzahl Verlag, Wien 2019. 272 S., geb., 28,- [Euro].

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