Der Autor nimmt den Leser mit auf eine spannende Zeitreise. Sie beginnt im Ersten Weltkrieg und endet in den frühen achtziger Jahren.Die Lebensfreundschaft des intellektuellen Generals Hans Speidel und des militanten Intellektuellen Ernst Jünger, die sich erstmals 1941 in Paris begegnen, kreiste nicht zuletzt um die Frage der Verantwortung des konservativen Bürger-tums und der deutschen Soldaten für den Nationalsozialis-mus. Beide trugen auf ihre Weise zur Integration der nationalkonservativen Eliten in die Bonner Demokratie bei. Die Nachlässe bieten einen reichen Quellenfundus an bislang kaum beachtetem Material, das überraschend neue Einblicke in die politische und Geistesgeschichte der frühen Bundes-republik liefert.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.12.2016Die Tradition vom Hakenkreuz trennen
Wie Hans Speidel nach 1945 mit Ernst Jüngers Hilfe Rommel verklären und die Wehrmacht weißwaschen wollte
Seit Mai 1941 pflegten der Berufsoffizier (und Historiker) Hans Speidel und der Schriftsteller (und Ritter des Ordens "Pour le Mérite") Ernst Jünger eine besondere Freundschaft. Speidel, Chef des Kommandostabes des Militärbefehlshabers in Frankreich, hatte erfahren, dass der berühmte "In Stahlgewittern"-Autor als Hauptmann der Reserve Wachdienste im besetzten Paris versah. "Der 44-jährige schwäbische Oberst im Generalstab mit Doktortitel, der zeitlebens die Nähe zu Künstlern suchte und fand, ließ sich die Gelegenheit nicht entgehen", schreibt der Potsdamer Historiker Dieter Krüger in seinem akribisch-scharfsinnigen Teil-Doppelporträt, das sich auf soldatische Verantwortung im "Dritten Reich" und auf spätere Angebote zur Rechtfertigung des Mitmachens konzentriert. Speidel lud den 46-jährigen Jünger zum Frühstück ins "Ritz" ein, beide waren voneinander fasziniert: "Neben zahlreichen Parallelen wies ihr Lebensweg Unterschiede auf, die sich künftig kongenial ergänzten."
Zwischen den zwei Kriegsleutnants von 1914 gab es nach 1945 eine enge Abstimmung über das Bild der Wehrmacht, das sich durch die Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse in der Defensive befand. Speidels Bruder Wilhelm, zuletzt General der Flieger, wurde 1948 wegen Geiselerschießungen in Griechenland zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt. Hans Speidel engagierte sich vehement für eine Entlassung der "Kriegsverurteilten" - was er als Voraussetzung für den Bundeswehr-Aufbau ansah. Demgegenüber übte Jünger nach dem Kriege zunächst heftige Kritik an der Generalität und begründete den Aufstieg des Nationalsozialismus mit der Sorge vor dem Bolschewismus. Dazu ein Zitat von 1946: "Der Bürger sieht, dass seine Klasse in einem großen Reiche ausgerottet wird, und dass im eigenen Lande Kräfte auftreten, die das billigen und anstreben. Er sieht das ihm zugedachte Schicksal voraus. Er erkennt auch, dass die Mittel des Rechtsstaates zu seiner Sicherung nicht ausreichen, weder die Regierung, noch die Volksvertretung, noch die Polizei. Er beginnt seinerseits, den Rechtsgrund zu verlassen."
Mit der These, dass "der ,Klassenmord' der Bolschewiki das logische und faktische Prius des ,Rassenmords' der Nationalsozialisten" gewesen sei, "sollte Ernst Nolte 40 Jahre später den deutschen Historikerstreit über die Singularität des Holocaust auslösen. Die von Jünger wie Nolte behauptete Kausalität mag zwar fragwürdig sein. Tatsache ist jedoch, dass Hitler vor allem aufgrund seines dezidierten Antibolschewismus, weniger wegen seines aggressiven Antisemitismus breite Unterstützung des Bürgertums innerhalb und außerhalb Deutschlands fand", schreibt Krüger. Jünger verfolgte nicht die Absicht, "die Untaten der Wehrmacht zu verschweigen und zu verdrängen". So forderte er 1946 in einem Brief an den Schriftsteller und Kriegskameraden Gerhard Nebel, "das Verbrecherische, das ohne Zweifel vorhanden war, rein auszuscheiden, zur Ausmerzung. Man muss es sichtbar machen und ausrotten, und zwar möglichst durch deutsche Justiz." Und: "Die Tradition muss vom Hakenkreuz getrennt werden." Unter diesem Motto stand vieles von dem, was Jünger und Speidel fortan umtrieb.
Im April 1942 hatte Speidel Paris verlassen zum Einsatz an der Ostfront. Anfang 1944 wurde er, mittlerweile Generalleutnant, von seinem schwäbischen Landmann Generalfeldmarschall Erwin Rommel angefordert, um Chef des Generalstabs der Heeresgruppe B zu werden. Am 15. April traf er im Schloss La Roche-Guyon an der Seine ein. In Paris begegnete er Jünger wieder, der eine "Friedensschrift" verfasst hatte und hoffte, dass Speidel für Druck und Übersetzung sorgen könne. "Der Text kreiste als ,geheime Kommandosache' in den Stäben Stülpnagels und Rommels, und Speidel rechnete Mitte Juli mit dem baldigen Erscheinen", teilt Krüger mit. Zu einem Treffen Rommels mit Jünger sei es jedoch nicht mehr gekommen; ob und wie Jüngers Schrift auf Rommel gewirkt habe, sei nicht nachweisbar.
Cäsar von Hofacker, Adjutant des Militärbefehlshabers in Frankreich, General Carl-Heinrich von Stülpnagel, fungierte als Verbindungsmann zwischen Berliner Verschwörern um Claus Schenk Graf von Stauffenberg und Pariser Regimegegnern um Stülpnagel. Rommels neuem Stabschef kam daher jetzt eine Schlüsselrolle zu: "Zum einen konnte er den Feldmarschall im Sinne des militärischen Widerstands beeinflussen. Zum anderen verfügte die Heeresgruppe, anders als der Militärbefehlshaber, über größere Truppenverbände. Wer Speidel - und vor allem wie weit - in die Attentatspläne einweihte, ist unklar", bemerkt Krüger und zeigt Widersprüche in den Quellen auf.
Am 9. Juli sprach Hofacker mit Rommel; Stülpnagel ging anschließend von der Bereitschaft des Feldmarschalls aus, "notfalls einen separaten Waffenstillstand an der Westfront zu schließen". Max Horst, Speidels Schwager und im Verwaltungsstab beim Militärbefehlshaber, betonte 1975 in einem Interview, "er habe Hofacker zu dessen Besuch bei Rommel begleitet; Hofacker habe jedoch keine Andeutung einer Verschwörung gegen Hitler gemacht". Speidel erinnerte sich gegenüber dem Rommel-Biographen David Irving, Hofacker habe ein Vieraugengespräch mit dem Feldmarschall geführt, über das keine gesicherte Feststellung getroffen werden könne. Dazu meint Krüger: "Nach Speidel hatte der Generalfeldmarschall Hofacker gesagt, dass er jedes gewaltsame Vorgehen gegen den Diktator ablehne. Einzelheiten über den Attentatsplan habe Hofacker weder ihm noch Rommel mitgeteilt." Speidel sei "nur ungefähr über Pläne im Bilde gewesen, Hitler auszuschalten. Genaue Kenntnisse über das geplante Attentat habe er nicht gehabt."
Bekanntlich forderte Rommel am 15. Juli 1944 Hitler auf dem Dienstweg faktisch zur Beendigung des nicht mehr zu gewinnenden Krieges auf. Der Oberbefehlshaber West gab diese Lageanalyse wohl erst nach dem 20. Juli weiter. Am 18. Juli wurde Rommel bei einem Tieffliegerangriff schwer verwundet. Und der Umsturzversuch brach am Abend des 20. Juli sowohl in Berlin als auch in Paris schnell zusammen. Speidel wurde Anfang September 1944 verhaftet (und sollte erst Ende April 1945 von der französischen Armee im badischen Urnau befreit werden). Vor dem "Ehrenhof der Wehrmacht" verteidigte er sich im Oktober 1944 äußerst geschickt. Er blieb "unter Verdacht", den weitere Untersuchungen ausräumen sollten, wurde aber nicht aus der Wehrmacht ausgestoßen. Mächtige Fürsprecher wie SS-Oberstgruppenführer Sepp Dietrich und Rüstungsminister Albert Speer setzten sich für ihn ein.
Moderne Rommel-Biographen - so Krüger - folgten "im Grunde der Auffassung ihres Vorgängers David Irving (1978), dass Speidel Rommel belastet habe, um sich selbst zu entlasten. Von den Kindern Speidels wird diese Interpretation mit dem zutreffenden Argument zurückgewiesen, sie sei aus den bis heute vorliegenden Quellen nicht zu rechtfertigen. Im Umkehrschluss lässt sich freilich auch die Behauptung Irvings nicht widerlegen, solange kein hinreichend glaubwürdiges Vernehmungsprotokoll der Gestapo vorliegt." Speidel schrieb 1947 an Jünger, bei einer Belastung Rommels "wäre ich heute nicht mehr unter den Lebenden, denn ich hätte mich ja als Mitwisser decouvriert", was plausibel klingt.
Anfang September 1945 veröffentlichte der "Südkurier" eine Ende April 1945 abgegebene Erklärung des fast 17-jährigen Manfred Rommel, dass ihm sein Vater, der am 14. Oktober 1944 im Auftrag Hitlers durch zwei Sendboten im Generalsrang zum Selbstmord genötigt worden war, zum Abschied gesagt habe, "er sei durch Speidel und Carl-Heinrich von Stülpnagel belastet worden. Diese hätten bei der Gestapo ausgesagt, dass der Generalfeldmarschall nicht nur von der Verschwörung gewusst habe, sonder auch führend an ihr beteiligt gewesen sei." Speidel dementierte dies; er habe eine Beteiligung Rommels am Staatsstreich bei der Gestapo als völlig abwegig bezeichnet. Mit Rommels Witwe verfasste er nun eine "Richtigstellung" der Erklärung des Rommel-Sohnes: "Danach habe der Feldmarschall den Sendboten Hitlers erklärt, dass er nicht an die angeblichen Geständnisse Speidels und Stülpnagels glaube."
Speidel konnte alsbald seine Sicht der Zeit vor 1945 in Vorträgen sowie in Lehrveranstaltungen an der Universität Tübingen verbreiten. 1949 erschien sein Buch "Invasion 1944. Ein Beitrag zu Rommels und des Reiches Schicksal". Hier musste er sich auch mit einer Beteiligung Rommels am Staatsstreich befassen: "eine Behauptung, von der nicht einmal Rommels Witwe überzeugt war" (so Krüger). Bei aller Monumentalisierung Rommels wies Speidel darauf hin, dass zur Aufkündigung des Treue-Eids und zum Widerstand "nur der oberste militärische Führer befähigt, berechtigt und verpflichtet" sei - "nicht der einzelne Soldat und Offizier, der solche hohe Einsicht nicht besitzen konnte". Laut Krüger löste er mit der "hierarchisch, nach Dienstgrad gestuften Verantwortung vor Gott und der Nation" ein mehrfaches Problem: "Zum einen war er selbst nur als Gehilfe des Feldmarschalls in Verbindung mit dem Widerstand getreten; die Verantwortung für die Unterstützung des Staatsstreichs und womöglich des Tyrannenmordes trug nicht er, sondern Rommel." Zum anderen durchbrach eine Pflicht zum Widerstand den Grundsatz von Befehl und Gehorsam und musste "auf den historischen Ausnahmefall" begrenzt werden. "Wenn Speidel und alle nachgeordneten Dienstgrade im Regelfall Befehle befolgt hatten, dann hatte sich die überwiegende Mehrheit der Wehrmachtangehörigen allenfalls schuldlos, aber eigentlich so gut wie nie schuldhaft in die Verbrechen des Regimes verstrickt", schlussfolgert Krüger. Von Speidels Rommel-Deutung habe ein direkter Weg zu den Ehrenerklärungen von Konrad Adenauer und von Dwight D. Eisenhower wenige Jahre später geführt. Speidel und andere erreichten ein Optimum an Rehabilitierung des eigenen Berufsstandes. Auch das alte Feindbild ließ sich für die Bundeswehr retten: "War einst das Heer der Rassekämpfer gegen das Heer der Klassenkämpfer angetreten, sollte dieses jetzt vom Massenheer der Freiheitskämpfer in Schach gehalten werden."
Über seine glänzende Karriere bei der Bundeswehr und bei der Nato vergaß Speidel nie, geschichtspolitische Akzente zu setzen und als Militärfachmann seinen Einfluss geltend zu machen, nicht zuletzt als Beiratsmitglied des Münchener Instituts für Zeitgeschichte (bis 1977). Nach seiner aktiven Zeit bot sich für den Militärdiplomaten und intellektuellen Vier-Sterne-General außer Diensten sogar eine dritte Karriere: Ende 1964 übernahm er das Amt des Präsidenten der Stiftung Wissenschaft und Politik (bis 1978). Gefordert war Speidel noch durch Forschungsvorhaben und Publikationen zur Rolle der Justiz im Nationalsozialismus, insbesondere der Wehrmachtjustiz. Diesbezüglich gutachtete Speidel nach der Devise, wer die Ehre der Wehrmacht retten wolle, müsse sich auch bei der Wehrmachtjustiz um entlastende Argumente bemühen. Mitte der siebziger Jahre sollte sich schließlich das Gesamtklima ändern: "Die Ära, in der Zeit- und Militärgeschichte von den hochrangigen ehemaligen Funktionsträgern unter Assistenz von Historikern geschrieben wurde, die ebenfalls Zeitzeugen waren, war zu Ende."
Resümierend heißt es: "Weder Speidel noch Jünger haben den Nationalsozialismus aktiv bekämpft." Mitverantwortlich für den Krieg sei auch Jünger gewesen wegen seines Verhaltens vor 1933, als er die ihm verhasste Republik mit der Feder bekämpfte und "Versatzstücke der nationalsozialistischen Ideologie" lieferte und verstärkte durch seine Ästhetisierung der Gewalt. Krüger attestiert Speidel eine Abneigung, "die Verstrickung der Wehrmacht in die Verbrechen des Nationalsozialismus ans Licht einer öffentlichen Debatte zu bringen". Scheiterten letzte Ehrungen bei Jünger - eine Tübinger Ehrenpromotion und Bemühungen, ihn in die Friedensklasse des Pour le Mérite aufnehmen zu lassen - "an der in seinen Schriften gut dokumentierten eigenen Vergangenheit, wurde Speidel in der Person de Gaulles am Ende seiner Karriere ebenfalls von der Vergangenheit eingeholt". Aus Sicht des französischen Präsidenten, der 1963 Speidels Ablösung als Oberbefehlshaber der Alliierten Landstreitkräfte in Mitteleuropa durchsetzte, stand Speidel für das "Kapitel der französischen Kollaboration und des latenten Bürgerkriegs der französischen Gesellschaft während des Zweiten Weltkriegs. Speidel stellte schon als Person den Mythos in Frage, Frankreich habe sich mit Ausnahme weniger Repräsentanten des Vichy-Regimes den Deutschen stets widersetzt."
RAINER BLASIUS
Dieter Krüger: Hans Speidel und Ernst Jünger. Freundschaft und Geschichtspolitik im Zeichen der Weltkriege. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2016. 377 S., 39,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wie Hans Speidel nach 1945 mit Ernst Jüngers Hilfe Rommel verklären und die Wehrmacht weißwaschen wollte
Seit Mai 1941 pflegten der Berufsoffizier (und Historiker) Hans Speidel und der Schriftsteller (und Ritter des Ordens "Pour le Mérite") Ernst Jünger eine besondere Freundschaft. Speidel, Chef des Kommandostabes des Militärbefehlshabers in Frankreich, hatte erfahren, dass der berühmte "In Stahlgewittern"-Autor als Hauptmann der Reserve Wachdienste im besetzten Paris versah. "Der 44-jährige schwäbische Oberst im Generalstab mit Doktortitel, der zeitlebens die Nähe zu Künstlern suchte und fand, ließ sich die Gelegenheit nicht entgehen", schreibt der Potsdamer Historiker Dieter Krüger in seinem akribisch-scharfsinnigen Teil-Doppelporträt, das sich auf soldatische Verantwortung im "Dritten Reich" und auf spätere Angebote zur Rechtfertigung des Mitmachens konzentriert. Speidel lud den 46-jährigen Jünger zum Frühstück ins "Ritz" ein, beide waren voneinander fasziniert: "Neben zahlreichen Parallelen wies ihr Lebensweg Unterschiede auf, die sich künftig kongenial ergänzten."
Zwischen den zwei Kriegsleutnants von 1914 gab es nach 1945 eine enge Abstimmung über das Bild der Wehrmacht, das sich durch die Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse in der Defensive befand. Speidels Bruder Wilhelm, zuletzt General der Flieger, wurde 1948 wegen Geiselerschießungen in Griechenland zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt. Hans Speidel engagierte sich vehement für eine Entlassung der "Kriegsverurteilten" - was er als Voraussetzung für den Bundeswehr-Aufbau ansah. Demgegenüber übte Jünger nach dem Kriege zunächst heftige Kritik an der Generalität und begründete den Aufstieg des Nationalsozialismus mit der Sorge vor dem Bolschewismus. Dazu ein Zitat von 1946: "Der Bürger sieht, dass seine Klasse in einem großen Reiche ausgerottet wird, und dass im eigenen Lande Kräfte auftreten, die das billigen und anstreben. Er sieht das ihm zugedachte Schicksal voraus. Er erkennt auch, dass die Mittel des Rechtsstaates zu seiner Sicherung nicht ausreichen, weder die Regierung, noch die Volksvertretung, noch die Polizei. Er beginnt seinerseits, den Rechtsgrund zu verlassen."
Mit der These, dass "der ,Klassenmord' der Bolschewiki das logische und faktische Prius des ,Rassenmords' der Nationalsozialisten" gewesen sei, "sollte Ernst Nolte 40 Jahre später den deutschen Historikerstreit über die Singularität des Holocaust auslösen. Die von Jünger wie Nolte behauptete Kausalität mag zwar fragwürdig sein. Tatsache ist jedoch, dass Hitler vor allem aufgrund seines dezidierten Antibolschewismus, weniger wegen seines aggressiven Antisemitismus breite Unterstützung des Bürgertums innerhalb und außerhalb Deutschlands fand", schreibt Krüger. Jünger verfolgte nicht die Absicht, "die Untaten der Wehrmacht zu verschweigen und zu verdrängen". So forderte er 1946 in einem Brief an den Schriftsteller und Kriegskameraden Gerhard Nebel, "das Verbrecherische, das ohne Zweifel vorhanden war, rein auszuscheiden, zur Ausmerzung. Man muss es sichtbar machen und ausrotten, und zwar möglichst durch deutsche Justiz." Und: "Die Tradition muss vom Hakenkreuz getrennt werden." Unter diesem Motto stand vieles von dem, was Jünger und Speidel fortan umtrieb.
Im April 1942 hatte Speidel Paris verlassen zum Einsatz an der Ostfront. Anfang 1944 wurde er, mittlerweile Generalleutnant, von seinem schwäbischen Landmann Generalfeldmarschall Erwin Rommel angefordert, um Chef des Generalstabs der Heeresgruppe B zu werden. Am 15. April traf er im Schloss La Roche-Guyon an der Seine ein. In Paris begegnete er Jünger wieder, der eine "Friedensschrift" verfasst hatte und hoffte, dass Speidel für Druck und Übersetzung sorgen könne. "Der Text kreiste als ,geheime Kommandosache' in den Stäben Stülpnagels und Rommels, und Speidel rechnete Mitte Juli mit dem baldigen Erscheinen", teilt Krüger mit. Zu einem Treffen Rommels mit Jünger sei es jedoch nicht mehr gekommen; ob und wie Jüngers Schrift auf Rommel gewirkt habe, sei nicht nachweisbar.
Cäsar von Hofacker, Adjutant des Militärbefehlshabers in Frankreich, General Carl-Heinrich von Stülpnagel, fungierte als Verbindungsmann zwischen Berliner Verschwörern um Claus Schenk Graf von Stauffenberg und Pariser Regimegegnern um Stülpnagel. Rommels neuem Stabschef kam daher jetzt eine Schlüsselrolle zu: "Zum einen konnte er den Feldmarschall im Sinne des militärischen Widerstands beeinflussen. Zum anderen verfügte die Heeresgruppe, anders als der Militärbefehlshaber, über größere Truppenverbände. Wer Speidel - und vor allem wie weit - in die Attentatspläne einweihte, ist unklar", bemerkt Krüger und zeigt Widersprüche in den Quellen auf.
Am 9. Juli sprach Hofacker mit Rommel; Stülpnagel ging anschließend von der Bereitschaft des Feldmarschalls aus, "notfalls einen separaten Waffenstillstand an der Westfront zu schließen". Max Horst, Speidels Schwager und im Verwaltungsstab beim Militärbefehlshaber, betonte 1975 in einem Interview, "er habe Hofacker zu dessen Besuch bei Rommel begleitet; Hofacker habe jedoch keine Andeutung einer Verschwörung gegen Hitler gemacht". Speidel erinnerte sich gegenüber dem Rommel-Biographen David Irving, Hofacker habe ein Vieraugengespräch mit dem Feldmarschall geführt, über das keine gesicherte Feststellung getroffen werden könne. Dazu meint Krüger: "Nach Speidel hatte der Generalfeldmarschall Hofacker gesagt, dass er jedes gewaltsame Vorgehen gegen den Diktator ablehne. Einzelheiten über den Attentatsplan habe Hofacker weder ihm noch Rommel mitgeteilt." Speidel sei "nur ungefähr über Pläne im Bilde gewesen, Hitler auszuschalten. Genaue Kenntnisse über das geplante Attentat habe er nicht gehabt."
Bekanntlich forderte Rommel am 15. Juli 1944 Hitler auf dem Dienstweg faktisch zur Beendigung des nicht mehr zu gewinnenden Krieges auf. Der Oberbefehlshaber West gab diese Lageanalyse wohl erst nach dem 20. Juli weiter. Am 18. Juli wurde Rommel bei einem Tieffliegerangriff schwer verwundet. Und der Umsturzversuch brach am Abend des 20. Juli sowohl in Berlin als auch in Paris schnell zusammen. Speidel wurde Anfang September 1944 verhaftet (und sollte erst Ende April 1945 von der französischen Armee im badischen Urnau befreit werden). Vor dem "Ehrenhof der Wehrmacht" verteidigte er sich im Oktober 1944 äußerst geschickt. Er blieb "unter Verdacht", den weitere Untersuchungen ausräumen sollten, wurde aber nicht aus der Wehrmacht ausgestoßen. Mächtige Fürsprecher wie SS-Oberstgruppenführer Sepp Dietrich und Rüstungsminister Albert Speer setzten sich für ihn ein.
Moderne Rommel-Biographen - so Krüger - folgten "im Grunde der Auffassung ihres Vorgängers David Irving (1978), dass Speidel Rommel belastet habe, um sich selbst zu entlasten. Von den Kindern Speidels wird diese Interpretation mit dem zutreffenden Argument zurückgewiesen, sie sei aus den bis heute vorliegenden Quellen nicht zu rechtfertigen. Im Umkehrschluss lässt sich freilich auch die Behauptung Irvings nicht widerlegen, solange kein hinreichend glaubwürdiges Vernehmungsprotokoll der Gestapo vorliegt." Speidel schrieb 1947 an Jünger, bei einer Belastung Rommels "wäre ich heute nicht mehr unter den Lebenden, denn ich hätte mich ja als Mitwisser decouvriert", was plausibel klingt.
Anfang September 1945 veröffentlichte der "Südkurier" eine Ende April 1945 abgegebene Erklärung des fast 17-jährigen Manfred Rommel, dass ihm sein Vater, der am 14. Oktober 1944 im Auftrag Hitlers durch zwei Sendboten im Generalsrang zum Selbstmord genötigt worden war, zum Abschied gesagt habe, "er sei durch Speidel und Carl-Heinrich von Stülpnagel belastet worden. Diese hätten bei der Gestapo ausgesagt, dass der Generalfeldmarschall nicht nur von der Verschwörung gewusst habe, sonder auch führend an ihr beteiligt gewesen sei." Speidel dementierte dies; er habe eine Beteiligung Rommels am Staatsstreich bei der Gestapo als völlig abwegig bezeichnet. Mit Rommels Witwe verfasste er nun eine "Richtigstellung" der Erklärung des Rommel-Sohnes: "Danach habe der Feldmarschall den Sendboten Hitlers erklärt, dass er nicht an die angeblichen Geständnisse Speidels und Stülpnagels glaube."
Speidel konnte alsbald seine Sicht der Zeit vor 1945 in Vorträgen sowie in Lehrveranstaltungen an der Universität Tübingen verbreiten. 1949 erschien sein Buch "Invasion 1944. Ein Beitrag zu Rommels und des Reiches Schicksal". Hier musste er sich auch mit einer Beteiligung Rommels am Staatsstreich befassen: "eine Behauptung, von der nicht einmal Rommels Witwe überzeugt war" (so Krüger). Bei aller Monumentalisierung Rommels wies Speidel darauf hin, dass zur Aufkündigung des Treue-Eids und zum Widerstand "nur der oberste militärische Führer befähigt, berechtigt und verpflichtet" sei - "nicht der einzelne Soldat und Offizier, der solche hohe Einsicht nicht besitzen konnte". Laut Krüger löste er mit der "hierarchisch, nach Dienstgrad gestuften Verantwortung vor Gott und der Nation" ein mehrfaches Problem: "Zum einen war er selbst nur als Gehilfe des Feldmarschalls in Verbindung mit dem Widerstand getreten; die Verantwortung für die Unterstützung des Staatsstreichs und womöglich des Tyrannenmordes trug nicht er, sondern Rommel." Zum anderen durchbrach eine Pflicht zum Widerstand den Grundsatz von Befehl und Gehorsam und musste "auf den historischen Ausnahmefall" begrenzt werden. "Wenn Speidel und alle nachgeordneten Dienstgrade im Regelfall Befehle befolgt hatten, dann hatte sich die überwiegende Mehrheit der Wehrmachtangehörigen allenfalls schuldlos, aber eigentlich so gut wie nie schuldhaft in die Verbrechen des Regimes verstrickt", schlussfolgert Krüger. Von Speidels Rommel-Deutung habe ein direkter Weg zu den Ehrenerklärungen von Konrad Adenauer und von Dwight D. Eisenhower wenige Jahre später geführt. Speidel und andere erreichten ein Optimum an Rehabilitierung des eigenen Berufsstandes. Auch das alte Feindbild ließ sich für die Bundeswehr retten: "War einst das Heer der Rassekämpfer gegen das Heer der Klassenkämpfer angetreten, sollte dieses jetzt vom Massenheer der Freiheitskämpfer in Schach gehalten werden."
Über seine glänzende Karriere bei der Bundeswehr und bei der Nato vergaß Speidel nie, geschichtspolitische Akzente zu setzen und als Militärfachmann seinen Einfluss geltend zu machen, nicht zuletzt als Beiratsmitglied des Münchener Instituts für Zeitgeschichte (bis 1977). Nach seiner aktiven Zeit bot sich für den Militärdiplomaten und intellektuellen Vier-Sterne-General außer Diensten sogar eine dritte Karriere: Ende 1964 übernahm er das Amt des Präsidenten der Stiftung Wissenschaft und Politik (bis 1978). Gefordert war Speidel noch durch Forschungsvorhaben und Publikationen zur Rolle der Justiz im Nationalsozialismus, insbesondere der Wehrmachtjustiz. Diesbezüglich gutachtete Speidel nach der Devise, wer die Ehre der Wehrmacht retten wolle, müsse sich auch bei der Wehrmachtjustiz um entlastende Argumente bemühen. Mitte der siebziger Jahre sollte sich schließlich das Gesamtklima ändern: "Die Ära, in der Zeit- und Militärgeschichte von den hochrangigen ehemaligen Funktionsträgern unter Assistenz von Historikern geschrieben wurde, die ebenfalls Zeitzeugen waren, war zu Ende."
Resümierend heißt es: "Weder Speidel noch Jünger haben den Nationalsozialismus aktiv bekämpft." Mitverantwortlich für den Krieg sei auch Jünger gewesen wegen seines Verhaltens vor 1933, als er die ihm verhasste Republik mit der Feder bekämpfte und "Versatzstücke der nationalsozialistischen Ideologie" lieferte und verstärkte durch seine Ästhetisierung der Gewalt. Krüger attestiert Speidel eine Abneigung, "die Verstrickung der Wehrmacht in die Verbrechen des Nationalsozialismus ans Licht einer öffentlichen Debatte zu bringen". Scheiterten letzte Ehrungen bei Jünger - eine Tübinger Ehrenpromotion und Bemühungen, ihn in die Friedensklasse des Pour le Mérite aufnehmen zu lassen - "an der in seinen Schriften gut dokumentierten eigenen Vergangenheit, wurde Speidel in der Person de Gaulles am Ende seiner Karriere ebenfalls von der Vergangenheit eingeholt". Aus Sicht des französischen Präsidenten, der 1963 Speidels Ablösung als Oberbefehlshaber der Alliierten Landstreitkräfte in Mitteleuropa durchsetzte, stand Speidel für das "Kapitel der französischen Kollaboration und des latenten Bürgerkriegs der französischen Gesellschaft während des Zweiten Weltkriegs. Speidel stellte schon als Person den Mythos in Frage, Frankreich habe sich mit Ausnahme weniger Repräsentanten des Vichy-Regimes den Deutschen stets widersetzt."
RAINER BLASIUS
Dieter Krüger: Hans Speidel und Ernst Jünger. Freundschaft und Geschichtspolitik im Zeichen der Weltkriege. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2016. 377 S., 39,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main