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Geschichten, die nahegehen, ohne sentimental zu sein. Ein Erzähldebüt von großer Zartheit.

Produktbeschreibung
Geschichten, die nahegehen, ohne sentimental zu sein. Ein Erzähldebüt von großer Zartheit.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.07.2000

Lesetipp zum Wochenende
Ein zu großes Wort
Erzählerische Reflexionen zum Thema Glück von Ann Herleman
Auffällig und abschreckend an diesem Band ist der hässliche Umschlag: schreiend gelb mit rosarotem Schriftzug, der Titel schräg von unten nach oben gedruckt. Warum man „Happiness” als Titel wählte und nicht „Glück”, das weiß hoffentlich wenigstens die Lektorin. An der Übersetzerin kann es eigentlich nicht gelegen haben, denn die versteht ihr Handwerk – auch wenn sie darauf verzichtet, das sinnreiche Motto ins Deutsche zu übertragen (was hier gleich nachgeholt werden soll: „Wenn die Welt nur aus Schmerz und Verstand bestünde, wer würde sie dann wollen. ”)
Es lohnt sich jedoch sehr, das Buch zu öffnen und die bei uns unbekannte amerikanische Autorin Ann Herleman kennen zu lernen. Der Band enthält zehn Geschichten – zehn genaue und eindrucksvolle Momentaufnahmen, die vom Streben nach Glück erzählen. Menschen erinnern sich an die seltenen Augenblicke, in denen sie glücklich waren, oder es meinten zu sein. Fast immer gräbt sich das Gedächtnis dabei in längst vergangene Zeiten, und oft bleiben Zweifel, ob das damals wirklich das Glück war.
Eine kinderlose Frau denkt an den Augenblick, als ihr Nachbar seine elf Monate alte Tochter zum ersten Mal mitbrachte, und an die Liebe auf den ersten Blick zwischen ihrem Mann und der Kleinen. Inzwischen ist aus dem Kind ein junges Mädchen und das Verhältnis der beiden immer inniger geworden. Die Frau wartet auf den Augenblick der Wahrheit, fürchtet die Trennung und sinnt über vergangene Empfindungen nach. „Vielleicht ist glücklich ein zu großes Wort. Eine Kleinstadt in Minnesota; leben ist hier nicht aufregend. Zufrieden, vielleicht. Wir waren zufrieden, fühlten uns wohl beieinander und mit dem Leben, das wir führten. ”
Die Frage des Mr. Gujarati
Immer ist das Glück anderswo, verspricht die Welt draußen, außerhalb der Provinz all die Aufregung, die vermisst wird. Ein Mädchen reist mit seinem Großvater in die nächste Stadt, um Bücher zu kaufen. Auf der Bahnfahrt erzählt der alte Mann der Enkelin von seiner verstorbenen Frau, die nicht schön war, aber unvergleichliche Augen hatte, eben solche wie die Halbwüchsige. Aber die möchte nur hübsch wie alle anderen sein.
In der Titelgeschichte wird ein Philosophiedozent von seinem Volkshochschulkurs mit der Frage nach dem Glück gequält. Er soll nicht die großen Denker zitieren, nicht nur Definitionen, sondern Gebrauchsanweisungen fürs Leben geben. „Mr. Gujarati steht auf. ,Was ist mit Glück?‘ Sein Akzent schaukelt die Silben hin und her wie kleine Boote auf dem Wasser. ,Wie erreichen wir es, im Alltag glücklich zu sein? Glück ist das natürliche Ziel des Mannes. ‘ Er schaut auf den blauen Kopf von Mrs. Wentworth hinunter. ,Und der Frau. ‘” Der Lehrer reagiert panisch auf die persönlichen Fragen seiner Schüler und flüchtet in phänomenologische Tabellen. Es gilt zu beweisen, dass sich sowieso täuscht, wer meint glücklich zu sein.
Ann Herlemans Protagonisten sind ratlose Melancholiker, die sich fragen, ob ihr Leben in den richtigen Bahnen läuft, die über Fantasie verfügen und damit über die beste Voraussetzung für den Schmerz. Ein Mann stellt sich den Ehebruch seiner Frau vor, malt sich jedes Detail aus, ohne zu handeln oder aufzubegehren. Eine Frau träumt davon, dem eintönigen Eheleben mit ihrem jungen Geliebten zu entkommen, und tanzt am Ende nur selbstvergessen zu ihrer Lieblingsplatte, die auf volle Lautstärke gedreht ist.
Alles hätte anders kommen, das große Glück oder auch das große Unglück vom Leben Besitz ergreifen können, wenn nicht ängstliches Zögern die Menschen bestimmen würde. Sie scheuen das Risiko, denken sich vorher alle mögliche Entwicklungen aus. Und die kluge polnische Zugehfrau eines amerikanischen Austauschprofessors weiß genau, woher das kommt: „Die Probleme von Amerikanern scheinen immer mechanische Probleme zu sein. Autos, die nicht schließen, Züge, die Verspätung haben. Was wissen sie von Dingen, die von außen kommen, wie die Hand eines Riesen, die Fleisch und Knochen zermahlt?”
Die Helden und Heldinnen dieser Geschichten kennen solche Riesen zwar nicht mehr, aber sie fürchten ihre Existenz ebenso wie sie sie herbeisehnen. Irgendwo zwischen dieser Angst und Lust muss wohl das Glück liegen – in Amerika wie bei uns.
MANUELA REICHART
ANN HARLEMAN: Happiness. Erzählungen. Aus dem Amerikanischen von Dorothea Brinkmann. Arche Verlag, Zürich Hamburg 2000. 191 S. , 32 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Bruno Steiger zeigt sich auf eine stille Art und Weise fasziniert von Harlemans Erzählungen, bei denen es genau genommen weniger um "Happiness" geht, sondern vor allem um "nicht zu lebendes Glück" und Sehnsucht. Irgendetwas scheint die Protagonisten immer vom Glück zu trennen. Der Rezensent nennt dies den "dunkel lastenden Impefekt des wahrhaft Geschehenden, der Vergangenheit". Harleman erzählt in ihren Geschichten, so Steiger, von Verlorenheit, Orientierungslosigkeit, einem Leben, in dem nur die "Erinnerung an erlittenes Unrecht oder an einen lang zurückliegenden Verlust" etwas Halt gibt. Darüber hinaus lobt der Rezensent das "kompositiorische Raffinement" der Autorin und ihre Fähigkeit zu "Zwischentönen", die ihn geradezu in Schwärmerei verfallen lassen. Auch die Übersetzung findet er "makellos".

© Perlentaucher Medien GmbH
"Leidenschaft, Eifersucht, Verlust, 'Happiness' - es ist alles da, wunderschön, Poesie auf jeder Seite... Die Situationen sind so realistisch, daß es scheint, als mache Ann Harleman uns selbst zu ihren Charakteren. Wir sind mittendrin, wir sind dabei - in ihren Küchen, in ihren Schlafzimmern, in ihrer Vergangenheit." (Cynthia Dockrell, Boston Globe)