Abtreibungen sind bis heute mit Scham belegt und erheblichem Druck von außen ausgesetzt. In Deutschland sind sie nach wie vor nicht erlaubt, aber straffrei. Die wieder verstärkte Stigmatisierung von allen, die sich für einen Abbruch entscheiden, sorgt dafür, dass über diese Erfahrungen fast flächendeckend geschwiegen wird. 2017 wurde eine Ärztin vor Gericht verurteilt, nur weil sie die Information über die Möglichkeit von Abtreibungen in ihrer Praxis auf ihre Homepage gestellt hatte.
In ihrer sorgfältig recherchierten Studie stellt Erica Millar heraus, wie die gängige Rhetorik auch in vermeintlich liberalen Ländern mit festgelegten Stereotypen arbeitet: Mutterschaft ist gut, Abtreibung böse, Ersteres bringt Glück, Letzteres Unglück. Jahrelang hat Millar Parlamentsdebatten verfolgt und Medien analysiert, um die erste weltweite Studie zu den emotionalen Zuschreibungen rund um Abtreibungen zu verfassen. Die australische Forscherin zeigt, dass der überwältigende Teil der Frauen nach der Abtreibung große Erleichterung und Dankbarkeit empfindet und nicht - wie so oft unterstellt - traumatisiert ist.
In ihrer sorgfältig recherchierten Studie stellt Erica Millar heraus, wie die gängige Rhetorik auch in vermeintlich liberalen Ländern mit festgelegten Stereotypen arbeitet: Mutterschaft ist gut, Abtreibung böse, Ersteres bringt Glück, Letzteres Unglück. Jahrelang hat Millar Parlamentsdebatten verfolgt und Medien analysiert, um die erste weltweite Studie zu den emotionalen Zuschreibungen rund um Abtreibungen zu verfassen. Die australische Forscherin zeigt, dass der überwältigende Teil der Frauen nach der Abtreibung große Erleichterung und Dankbarkeit empfindet und nicht - wie so oft unterstellt - traumatisiert ist.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.12.2018Das Leben, das sie führen wollen
Erica Millar über Vorbehalte gegenüber Frauen, die ihre Schwangerschaft abbrechen
"Happy", also womöglich lustig-vergnügt nach einer Abtreibungsentscheidung? Der Titel der deutschen Übersetzung verschärft eine gewollte Provokation. Wenn sich über Geburten nach erwünschter Schwangerschaft mit der Mutter die ganze Umgebung freut: Warum sollte dann nicht auch eine abgewendete ungewollte, nämlich rechtzeitig abgebrochene Schwangerschaft ein Anlass zur Freude sein? Zählt hier das Lebensglück einer Frau plötzlich nicht mehr?
Im Englischen meint "happy" allerdings nicht zwingend Partystimmung, sondern so etwas wie "unbeschwert", "gelöst", "erleichtert". Und darum geht es der Sozialwissenschaftlerin Erica Millar in ihrem - im Übrigen mit viel Zahlenmaterial argumentierenden, stocknüchternen - Buch: In den meisten westlichen Ländern sind Schwangerschaftsabbrüche zwar legal und als medizinische Dienstleistung komplikationslos möglich. Selbst Kritik an dem, was Gegner einer selbstbestimmten Schwangerschaft immer noch Abtreibung nennen, zielt selten darauf, Abbrüche (abermals) zu kriminalisieren. Dennoch hat sich, und zwar erst nach der Liberalisierung des Schwangerschaftsabbruchs, ein "emotionales Skript" festgesetzt, dem zufolge eine Frau, die abtreibt, ihre Entscheidung mit psychischem Schmerz, vielleicht sogar lebenslanger Trauer bezahlen muss.
Das Konstrukt eines post abortion syndrome, eines Krankheitsbildes womöglich sogar, geistert durch die - oft fragwürdige - Literatur zum Thema. Und empirische Befragungen, die zeigen, dass die meisten Frauen Schwangerschaftsabbrüche als einen durchaus normalen, hilfreichen, auch rettenden kleinen Eingriff erleben, der ihnen schlichtweg das Leben sichert, das sie führen wollen - keine ungewollte Mutterschaft, nicht noch ein weiteres Kind, kein Kind vom fraglichen Mann (...) -, werden öffentlich ignoriert.
Millar recherchiert am Fallbeispiel Australien akribisch nach, wie es Abtreibungskritiker/innen sowie Lebensschutz-Vereinigungen gelungen ist, das Bild der Frau, die selbst entscheidet, durch einen Diskurs über Emotionen zu überformen. Die unfreiwillig schwangere Frau wird zur "Mutter" eines Fötus umdefiniert, der geopfert wird und dessen "Verlust" mit Trauer, Schmerz, Schuld, Scham einhergeht. Die Entscheidung selbst erscheint als eine, die lediglich im gefühlsmäßigen Ausnahmezustand getroffen werden kann.
Und Frauen, denen der Abbruch leichtfällt, werden als gefühllos oder unweiblich pathologisiert. Hinzu kommt eine verlogene, weil rassistische Seite abtreibungskritischer Debatten: Nur zu oft geht es darum, dass weiße Mittelschichtsfrauen Kinder "behalten" sollen, während man Abbrüche bei schwarzen und/oder armen Müttern als "verständlich" einstuft. Ebenso misst die politische Sprache, wenn es um Föten mit Fehlbildungen geht, mit zweierlei Maß.
Grob gesagt, treibt weltweit jede dritte Frau in ihrem Leben mindestens einmal ab. In Ländern mit restriktiven Abtreibungsregelungen wird sogar häufiger abgetrieben als in Ländern mit liberalen Regelungen. Jährlich kommen um die fünf Millionen Frauen nach improvisierten Schwangerschaftsabbrüchen ins Krankenhaus, 47 000 sterben an ihnen, zumeist dort, wo Abbrüche unter Strafandrohung stehen. Wo Schwangerschaftsabbrüche gut und verlässlich möglich sind, sinken dagegen tendenziell die Fallzahlen, und Todesfälle gibt es faktisch keine mehr.
Was aber nicht besteht, ist die Akzeptanz der Entscheidung zum Abbruch. Doch können Schwangerschaftsabbrüche nicht eine gute Wendung des eigenen Lebens sein? Millar rät zu kämpferischer Sprachpolitik. Sie verweist auf Netzkampagnen, die englischsprachige Aktivistinnen initiierten, wie "#ShoutYourAbortion" oder "1 in 3", in denen Betroffene ihre persönliche (positive) Geschichte mit einer beendeten Schwangerschaft dokumentieren. Sie warnt aber auch davor, den Diskurs rund um die individuellen Gefühle einfach nur umzukehren.
Nicht alle australischen Befunde lassen sich auf die deutsche Situation übertragen. Auch ist das Buch von Redundanzen nicht frei, und man vermisst - etwa zur politischen Zäsur durch den medikamentösen Abbruch mittels RU-486, was Australien angeht - Details. Dennoch lohnt die Lektüre. Und Millar prägt ein neues Wort: Frauen ohne Kinder sind nicht - als mangele es ihnen an etwas - "kinderlos", sondern kinderfrei.
PETRA GEHRING
Erica Millar: "Happy
Abortions". Mein Bauch
gehört mir - noch lange nicht.
Aus dem Englischen von Stephanie Singh. Gekürzte und überarbeitete Ausgabe. Wagenbach Verlag, Berlin 2018. 224 S., br., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Erica Millar über Vorbehalte gegenüber Frauen, die ihre Schwangerschaft abbrechen
"Happy", also womöglich lustig-vergnügt nach einer Abtreibungsentscheidung? Der Titel der deutschen Übersetzung verschärft eine gewollte Provokation. Wenn sich über Geburten nach erwünschter Schwangerschaft mit der Mutter die ganze Umgebung freut: Warum sollte dann nicht auch eine abgewendete ungewollte, nämlich rechtzeitig abgebrochene Schwangerschaft ein Anlass zur Freude sein? Zählt hier das Lebensglück einer Frau plötzlich nicht mehr?
Im Englischen meint "happy" allerdings nicht zwingend Partystimmung, sondern so etwas wie "unbeschwert", "gelöst", "erleichtert". Und darum geht es der Sozialwissenschaftlerin Erica Millar in ihrem - im Übrigen mit viel Zahlenmaterial argumentierenden, stocknüchternen - Buch: In den meisten westlichen Ländern sind Schwangerschaftsabbrüche zwar legal und als medizinische Dienstleistung komplikationslos möglich. Selbst Kritik an dem, was Gegner einer selbstbestimmten Schwangerschaft immer noch Abtreibung nennen, zielt selten darauf, Abbrüche (abermals) zu kriminalisieren. Dennoch hat sich, und zwar erst nach der Liberalisierung des Schwangerschaftsabbruchs, ein "emotionales Skript" festgesetzt, dem zufolge eine Frau, die abtreibt, ihre Entscheidung mit psychischem Schmerz, vielleicht sogar lebenslanger Trauer bezahlen muss.
Das Konstrukt eines post abortion syndrome, eines Krankheitsbildes womöglich sogar, geistert durch die - oft fragwürdige - Literatur zum Thema. Und empirische Befragungen, die zeigen, dass die meisten Frauen Schwangerschaftsabbrüche als einen durchaus normalen, hilfreichen, auch rettenden kleinen Eingriff erleben, der ihnen schlichtweg das Leben sichert, das sie führen wollen - keine ungewollte Mutterschaft, nicht noch ein weiteres Kind, kein Kind vom fraglichen Mann (...) -, werden öffentlich ignoriert.
Millar recherchiert am Fallbeispiel Australien akribisch nach, wie es Abtreibungskritiker/innen sowie Lebensschutz-Vereinigungen gelungen ist, das Bild der Frau, die selbst entscheidet, durch einen Diskurs über Emotionen zu überformen. Die unfreiwillig schwangere Frau wird zur "Mutter" eines Fötus umdefiniert, der geopfert wird und dessen "Verlust" mit Trauer, Schmerz, Schuld, Scham einhergeht. Die Entscheidung selbst erscheint als eine, die lediglich im gefühlsmäßigen Ausnahmezustand getroffen werden kann.
Und Frauen, denen der Abbruch leichtfällt, werden als gefühllos oder unweiblich pathologisiert. Hinzu kommt eine verlogene, weil rassistische Seite abtreibungskritischer Debatten: Nur zu oft geht es darum, dass weiße Mittelschichtsfrauen Kinder "behalten" sollen, während man Abbrüche bei schwarzen und/oder armen Müttern als "verständlich" einstuft. Ebenso misst die politische Sprache, wenn es um Föten mit Fehlbildungen geht, mit zweierlei Maß.
Grob gesagt, treibt weltweit jede dritte Frau in ihrem Leben mindestens einmal ab. In Ländern mit restriktiven Abtreibungsregelungen wird sogar häufiger abgetrieben als in Ländern mit liberalen Regelungen. Jährlich kommen um die fünf Millionen Frauen nach improvisierten Schwangerschaftsabbrüchen ins Krankenhaus, 47 000 sterben an ihnen, zumeist dort, wo Abbrüche unter Strafandrohung stehen. Wo Schwangerschaftsabbrüche gut und verlässlich möglich sind, sinken dagegen tendenziell die Fallzahlen, und Todesfälle gibt es faktisch keine mehr.
Was aber nicht besteht, ist die Akzeptanz der Entscheidung zum Abbruch. Doch können Schwangerschaftsabbrüche nicht eine gute Wendung des eigenen Lebens sein? Millar rät zu kämpferischer Sprachpolitik. Sie verweist auf Netzkampagnen, die englischsprachige Aktivistinnen initiierten, wie "#ShoutYourAbortion" oder "1 in 3", in denen Betroffene ihre persönliche (positive) Geschichte mit einer beendeten Schwangerschaft dokumentieren. Sie warnt aber auch davor, den Diskurs rund um die individuellen Gefühle einfach nur umzukehren.
Nicht alle australischen Befunde lassen sich auf die deutsche Situation übertragen. Auch ist das Buch von Redundanzen nicht frei, und man vermisst - etwa zur politischen Zäsur durch den medikamentösen Abbruch mittels RU-486, was Australien angeht - Details. Dennoch lohnt die Lektüre. Und Millar prägt ein neues Wort: Frauen ohne Kinder sind nicht - als mangele es ihnen an etwas - "kinderlos", sondern kinderfrei.
PETRA GEHRING
Erica Millar: "Happy
Abortions". Mein Bauch
gehört mir - noch lange nicht.
Aus dem Englischen von Stephanie Singh. Gekürzte und überarbeitete Ausgabe. Wagenbach Verlag, Berlin 2018. 224 S., br., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main