Stanley Cavell, einer der bedeutensten gegenwärtigen Philosophen Amerikas, hat entschiedener als irgend ein anderer Philosoph unserer Zeit den Spielarten des Glücks im alltäglichen Leben, seinen begrenzten ebenso wie seinen utopischen Aspekten, nachgespürt. Anstatt die philosophische Sorge um das Glück in Traktate zur Lebenshilfe zu fassen, hat er sie vielmehr in der Tradition der philosophischen Skepsis verankert und dabei die Register des Gewöhnlichen und des Außergewöhnlichen, des Ästhetischen und des Politischen, des streng Logischen und raffiniert Literarischen auf unnachahmliche Weise miteinander verschränkt.
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Frankfurter Allgemeine ZeitungPolitisches Glück
Aussichtslos ist wohl der Versuch, das Werk des Harvard-Philosophen Stanley Cavell auf einen Begriff zu bringen. Zu heterogen scheint sein Themenspektrum, das von Wittgenstein und dem Skeptizismus über die amerikanischen Gründerfiguren Thoreau und Emerson, das Hollywoodkino und Shakespeare bis hin zum "moralischen Perfektionismus" einer Orientierung am "Gewöhnlichen" reicht. Wie der vorliegende Sammelband zeigt, ist die Rezeption Cavells inzwischen jedoch so vielfältig wie sein Werk. Während sich Gertrud Koch und Constanze Demuth seinen Filmlektüren widmen, untersucht Dieter Thomä seine Philosophie des "Werdens", lotet Hent de Vries in dekonstruktivem Geist die für Cavell so wichtige Sprechakttheorie Austins aus. In einem konzisen Beitrag zur politischen Philosophie setzt Thomas Khurana Cavells Denken der Gemeinschaft zu Überlegungen der neueren französischen Philosophie in Beziehung. Der Autor zeichnet nach, wie Cavell eine dritte Position zwischen einer quasi naturhaften Gemeinschaft und einer als bloße Assoziation für sich bestehender Subjekte aufgefassten Gesellschaft gewinnen will. In dem zweiten herausragenden Aufsatz des Bands widmet sich Paola Marrati der Frage, warum es für moderne Demokratien nicht ausreicht, die Bedingungen der Möglichkeit individuellen Glücksstrebens zu garantieren und die Bürger im Übrigen mit ihren privaten Lebensprojekten sich selbst zu überlassen. Cavells Antwort liegt für Marrati in einem Begriff von Freiheit, der diese nicht als vernünftige Selbstgesetzgebung versteht, sondern als einen lebendig und offen bleibenden Möglichkeitsraum des Wünschens. Es fällt schwer, ihre Ausführungen zu lesen, ohne an die Auseinandersetzung um "Stuttgart 21" zu denken: Die Prozesse und Institutionen der Demokratie können funktionieren und brauchen doch die kritische Leidenschaft der Bürger. ("Happy Days". Lebenswissen nach Cavell. Hrsg. v. Kathrin Thiele und Katrin Trüstedt. Wilhelm Fink Verlag, München 2010. 322 S., br., 39,90 [Euro].) adr
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Aussichtslos ist wohl der Versuch, das Werk des Harvard-Philosophen Stanley Cavell auf einen Begriff zu bringen. Zu heterogen scheint sein Themenspektrum, das von Wittgenstein und dem Skeptizismus über die amerikanischen Gründerfiguren Thoreau und Emerson, das Hollywoodkino und Shakespeare bis hin zum "moralischen Perfektionismus" einer Orientierung am "Gewöhnlichen" reicht. Wie der vorliegende Sammelband zeigt, ist die Rezeption Cavells inzwischen jedoch so vielfältig wie sein Werk. Während sich Gertrud Koch und Constanze Demuth seinen Filmlektüren widmen, untersucht Dieter Thomä seine Philosophie des "Werdens", lotet Hent de Vries in dekonstruktivem Geist die für Cavell so wichtige Sprechakttheorie Austins aus. In einem konzisen Beitrag zur politischen Philosophie setzt Thomas Khurana Cavells Denken der Gemeinschaft zu Überlegungen der neueren französischen Philosophie in Beziehung. Der Autor zeichnet nach, wie Cavell eine dritte Position zwischen einer quasi naturhaften Gemeinschaft und einer als bloße Assoziation für sich bestehender Subjekte aufgefassten Gesellschaft gewinnen will. In dem zweiten herausragenden Aufsatz des Bands widmet sich Paola Marrati der Frage, warum es für moderne Demokratien nicht ausreicht, die Bedingungen der Möglichkeit individuellen Glücksstrebens zu garantieren und die Bürger im Übrigen mit ihren privaten Lebensprojekten sich selbst zu überlassen. Cavells Antwort liegt für Marrati in einem Begriff von Freiheit, der diese nicht als vernünftige Selbstgesetzgebung versteht, sondern als einen lebendig und offen bleibenden Möglichkeitsraum des Wünschens. Es fällt schwer, ihre Ausführungen zu lesen, ohne an die Auseinandersetzung um "Stuttgart 21" zu denken: Die Prozesse und Institutionen der Demokratie können funktionieren und brauchen doch die kritische Leidenschaft der Bürger. ("Happy Days". Lebenswissen nach Cavell. Hrsg. v. Kathrin Thiele und Katrin Trüstedt. Wilhelm Fink Verlag, München 2010. 322 S., br., 39,90 [Euro].) adr
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