"Harald Poelchau ist eine der faszinierendsten Gestalten des deutschen Widerstands gegen Hitler." -- Peter Schneider
Im Jahr 1933 übernahm ein junger Theologe das Amt des Gefängnispfarrers in der Berliner Haftanstalt Tegel: Harald Poelchau. Er ahnte nicht, dass er in den folgenden zwölf Jahren dem mörderischen Charakter des Nationalsozialismus so hautnah begegnen sollte. Mehr als eintausend zum Tode verurteilte Häftlinge hat er auf ihren Gang zum Henker vorbereitet, einige hundert bis zur Richtstätte begleitet. Doch blieb es nicht bei seelischem Beistand. Unter dem Schutz, den er als Geistlicher genoss, hat Poelchau im Widerstand fast täglich sein Leben riskiert und in Berlin ein Netzwerk aufgebaut, das politisch und rassisch Verfolgten Unterschlupf bot und vielen das Leben rettete. Mit Mitgliedern der Roten Kapelle hielt er engen Kontakt; er selbst gehörte dem Kreisauer Kreis an und war mit Peter Yorck von Wartenburg, Helmuth James von Moltke und Dietrich Bonhoeffer befreundet.
Im Jahr 1933 übernahm ein junger Theologe das Amt des Gefängnispfarrers in der Berliner Haftanstalt Tegel: Harald Poelchau. Er ahnte nicht, dass er in den folgenden zwölf Jahren dem mörderischen Charakter des Nationalsozialismus so hautnah begegnen sollte. Mehr als eintausend zum Tode verurteilte Häftlinge hat er auf ihren Gang zum Henker vorbereitet, einige hundert bis zur Richtstätte begleitet. Doch blieb es nicht bei seelischem Beistand. Unter dem Schutz, den er als Geistlicher genoss, hat Poelchau im Widerstand fast täglich sein Leben riskiert und in Berlin ein Netzwerk aufgebaut, das politisch und rassisch Verfolgten Unterschlupf bot und vielen das Leben rettete. Mit Mitgliedern der Roten Kapelle hielt er engen Kontakt; er selbst gehörte dem Kreisauer Kreis an und war mit Peter Yorck von Wartenburg, Helmuth James von Moltke und Dietrich Bonhoeffer befreundet.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.03.2004Dr. Tegel gegen Hitler
Ein Gefängnispfarrer im "Dritten Reich" / Von Rainer Blasius
Am 1. April 1933 trat Harald Poelchau seine neue Stelle an. Etwa sechshundert Personen hatte er im "Verwahrhaus III" des Gefängnisses Tegel - elf Kilometer vom Berliner Stadtzentrum entfernt - seelsorgerisch zu betreuen. Der 1903 geborene staatliche Fürsorger und Theologe wurde noch im Sommer 1933 Staatsbeamter. Poelchau, der in seiner Tegeler Funktion in keinem Dienstverhältnis zur evangelischen Kirche stand, war "der erste Gefängnisgeistliche im Dritten Reich - eine düstere Pointe, die sich Poelchau später zuweilen zunutze machte, um den braunen oder schwarzen Schergen die eine oder andere Konzession abzupressen". Darauf weist Klaus Harpprecht in seiner einfühlsamen und sehr lesenswerten Biographie hin.
Am 17. April 1934 mußte der leidenschaftliche Gegner der Todesstrafe den ersten Delinquenten zur Exekution begleiten. Mehr als tausend Menschen sollte Poelchau bis 1945 auf die Hinrichtung vorbereiten oder auf dem schrecklichen letzten Weg beistehen, unter ihnen viele Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944, der "Roten Kapelle" und des "Kreisauer Kreises". Zu den Kreisauern um Helmuth James Graf von Moltke stand Poelchau bereits vor deren Entdeckung durch die Gestapo in Kontakt, obwohl er nicht zum innersten Zirkel dieser Widerstandsgruppe gerechnet werden kann. Der Anstaltsgeistliche ermöglichte es vor allem, daß die Hitlergegner während ihrer Haftzeit untereinander und mit ihren Familien Verbindung halten konnten, und er kümmerte sich auch couragiert um die Hinterbliebenen der Hingerichteten. Über Poelchaus Einschätzung der tapferen Witwen stellt Harpprecht fest: "Ist ihm jemals deutlich geworden, daß sie alle bürgerlicher Herkunft waren: Freya von Moltke eine geborene Deichmann, Marion von Yorck, die Juristin, eine geborene Winter, Barbara von Haeften eine geborene Curtius (die Tochter des einstigen Außenministers der Weimarer Republik), Clarita von Trott zu Solz, die spätere Ärztin, eine geborene Tiefenbacher? Das bürgerliche Element, das sie in die Ehen brachten, mag den Blick der Männer für die sozialen Realitäten geschärft haben. Moltke und Yorck und Trott wußten wohl, daß die Mehrheit ihrer Standesgenossen keineswegs mit dem Widerstand sympathisierten . . . Um so bedeutender die Leistung der Widerstandskämpfer des Kreisauer Kreises und des 20. Juli, die - zum Teil manchen frühen Verwirrungen abschwörend - ihr Leben unter dem Gebot des Anstands und damit der wahren Ehre dahingaben."
Unter dem Decknamen "Dr. Tegel" war Poelchau eine Anlaufstelle für rassisch und politisch Verfolgte, denen er Verstecke bot oder zur Flucht verhalf. So nahmen er und seine Frau Dorothee beispielsweise Ende 1942 ein völlig verängstigtes achtjähriges jüdisches Mädchen für einige Wochen bei sich auf. Zur Tarnung erhielt das Kind den Namen einer Gleichaltrigen aus dem eigenen Bekanntenkreis. Trotzdem war die Gefahr groß, daß es sich selbst verraten würde. Als Dorothee Poelchau den Kindern in der Hausgemeinschaft ein Märchen erzählte und vom Tod eines alten Königs sprach, wollte die Kleine sofort wissen: "Tante, wie haben sie ihn denn umgebracht, haben sie ihn vergast, oder hat er sich das Leben genommen?" Nur diese Möglichkeiten des Sterbens kannte das Mädchen aus den täglichen Gesprächen im Lebenskreis der Mutter.
Harpprecht weist in seiner Studie, die das Nachkriegsleben Poelchaus bis zu dessen Tode am 29. April 1972 einbezieht, mehrfach darauf hin, daß ein Retter wie der Tegeler Gefängnispfarrer immer wieder selbst einige Helfer brauchte, um einem Verfolgten das Überleben sichern zu können. Riskiert hätten solche "Gerechte", von denen die Welt erst jetzt - also nach Jahrzehnten - Kenntnis nehme, Haft und Konzentrationslager. "Daß Harald Poelchau niemals in die Fänge der Gestapo und ihrer Häscher geriet, war ein Rätsel, nein, eines der Wunder jener Tage. Man muß kein frommer Christ oder Jude sein, um zu glauben, daß er und die Seinen durch eine Fügung bestimmt waren, den Menschen zu dienen, wie er es getan hat: ein harter Dienst." In der moralischen Leistung jener Retter und auch der Soldaten, die sich verbrecherischen Befehlen verweigerten, sowie im Opfer der Männer und Frauen des Widerstandes dürfe man das von einer "beschämend geringen" Minderheit gebildete Fundament erkennen, "auf das ein freies Gemeinwesen in einem europäisierten Deutschland gebaut werden konnte".
Klaus Harpprecht: "Harald Poelchau". Ein Leben im Widerstand. Rowohlt Verlag, Reinbek 2004. 253 S., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Gefängnispfarrer im "Dritten Reich" / Von Rainer Blasius
Am 1. April 1933 trat Harald Poelchau seine neue Stelle an. Etwa sechshundert Personen hatte er im "Verwahrhaus III" des Gefängnisses Tegel - elf Kilometer vom Berliner Stadtzentrum entfernt - seelsorgerisch zu betreuen. Der 1903 geborene staatliche Fürsorger und Theologe wurde noch im Sommer 1933 Staatsbeamter. Poelchau, der in seiner Tegeler Funktion in keinem Dienstverhältnis zur evangelischen Kirche stand, war "der erste Gefängnisgeistliche im Dritten Reich - eine düstere Pointe, die sich Poelchau später zuweilen zunutze machte, um den braunen oder schwarzen Schergen die eine oder andere Konzession abzupressen". Darauf weist Klaus Harpprecht in seiner einfühlsamen und sehr lesenswerten Biographie hin.
Am 17. April 1934 mußte der leidenschaftliche Gegner der Todesstrafe den ersten Delinquenten zur Exekution begleiten. Mehr als tausend Menschen sollte Poelchau bis 1945 auf die Hinrichtung vorbereiten oder auf dem schrecklichen letzten Weg beistehen, unter ihnen viele Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944, der "Roten Kapelle" und des "Kreisauer Kreises". Zu den Kreisauern um Helmuth James Graf von Moltke stand Poelchau bereits vor deren Entdeckung durch die Gestapo in Kontakt, obwohl er nicht zum innersten Zirkel dieser Widerstandsgruppe gerechnet werden kann. Der Anstaltsgeistliche ermöglichte es vor allem, daß die Hitlergegner während ihrer Haftzeit untereinander und mit ihren Familien Verbindung halten konnten, und er kümmerte sich auch couragiert um die Hinterbliebenen der Hingerichteten. Über Poelchaus Einschätzung der tapferen Witwen stellt Harpprecht fest: "Ist ihm jemals deutlich geworden, daß sie alle bürgerlicher Herkunft waren: Freya von Moltke eine geborene Deichmann, Marion von Yorck, die Juristin, eine geborene Winter, Barbara von Haeften eine geborene Curtius (die Tochter des einstigen Außenministers der Weimarer Republik), Clarita von Trott zu Solz, die spätere Ärztin, eine geborene Tiefenbacher? Das bürgerliche Element, das sie in die Ehen brachten, mag den Blick der Männer für die sozialen Realitäten geschärft haben. Moltke und Yorck und Trott wußten wohl, daß die Mehrheit ihrer Standesgenossen keineswegs mit dem Widerstand sympathisierten . . . Um so bedeutender die Leistung der Widerstandskämpfer des Kreisauer Kreises und des 20. Juli, die - zum Teil manchen frühen Verwirrungen abschwörend - ihr Leben unter dem Gebot des Anstands und damit der wahren Ehre dahingaben."
Unter dem Decknamen "Dr. Tegel" war Poelchau eine Anlaufstelle für rassisch und politisch Verfolgte, denen er Verstecke bot oder zur Flucht verhalf. So nahmen er und seine Frau Dorothee beispielsweise Ende 1942 ein völlig verängstigtes achtjähriges jüdisches Mädchen für einige Wochen bei sich auf. Zur Tarnung erhielt das Kind den Namen einer Gleichaltrigen aus dem eigenen Bekanntenkreis. Trotzdem war die Gefahr groß, daß es sich selbst verraten würde. Als Dorothee Poelchau den Kindern in der Hausgemeinschaft ein Märchen erzählte und vom Tod eines alten Königs sprach, wollte die Kleine sofort wissen: "Tante, wie haben sie ihn denn umgebracht, haben sie ihn vergast, oder hat er sich das Leben genommen?" Nur diese Möglichkeiten des Sterbens kannte das Mädchen aus den täglichen Gesprächen im Lebenskreis der Mutter.
Harpprecht weist in seiner Studie, die das Nachkriegsleben Poelchaus bis zu dessen Tode am 29. April 1972 einbezieht, mehrfach darauf hin, daß ein Retter wie der Tegeler Gefängnispfarrer immer wieder selbst einige Helfer brauchte, um einem Verfolgten das Überleben sichern zu können. Riskiert hätten solche "Gerechte", von denen die Welt erst jetzt - also nach Jahrzehnten - Kenntnis nehme, Haft und Konzentrationslager. "Daß Harald Poelchau niemals in die Fänge der Gestapo und ihrer Häscher geriet, war ein Rätsel, nein, eines der Wunder jener Tage. Man muß kein frommer Christ oder Jude sein, um zu glauben, daß er und die Seinen durch eine Fügung bestimmt waren, den Menschen zu dienen, wie er es getan hat: ein harter Dienst." In der moralischen Leistung jener Retter und auch der Soldaten, die sich verbrecherischen Befehlen verweigerten, sowie im Opfer der Männer und Frauen des Widerstandes dürfe man das von einer "beschämend geringen" Minderheit gebildete Fundament erkennen, "auf das ein freies Gemeinwesen in einem europäisierten Deutschland gebaut werden konnte".
Klaus Harpprecht: "Harald Poelchau". Ein Leben im Widerstand. Rowohlt Verlag, Reinbek 2004. 253 S., 19,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
"Sehr angetan zeigt sich Rezensent Reiner Blasius von Klaus Harpprechts Biografie des 1903 geborenen Seelsorgers und Theologen Harald Poelchau, der ab 1933 im Dritten Reich als Gefängnispfarrer tätig war. Wie Blasius referiert, musste Poelchau, ein entschiedener Gegner der Todesstrafe, über tausend Menschen, darunter viele Widerstandskämpfer, zwischen 1933 und 1945 auf ihre Hinrichtung vorbereiten und auf ihrem letzten Weg begleiten. Er ermöglichte den Hitlergegnern, während ihrer Haftzeit untereinander in Kontakt zu bleiben, kümmerte sich couragiert um die Hinterbliebenen und gewährte politisch oder rassisch Verfolgten Schutz. Das Resümee des Rezensenten: eine "einfühlsame und sehr lesenswerte Biografie".
© Perlentaucher Medien GmbH"
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