Hard-Boiled Wonderland and the End of the World takes a tour through two parallel narratives, exploring consciousness, the subconscious and identity.
A narrative particle accelerator that zooms between Wild Turkey Whiskey and Bob Dylan, unicorn skulls and voracious librarians, John Coltrane and Lord Jim.
This book is science fiction, detective story and post-modern manifesto all rolled into one rip-roaring novel.
Tracking one man's descent into the Kafkaesque underworld of contemporary Tokyo, Murakami unites East and West, tragedy and farce, compassion and detachment, slang and philosophy.
_ORDER HARUKI MURAKAMI'S NEW NOVEL, THE CITY AND ITS UNCERTAIN WALLS, NOW_
A narrative particle accelerator that zooms between Wild Turkey Whiskey and Bob Dylan, unicorn skulls and voracious librarians, John Coltrane and Lord Jim.
This book is science fiction, detective story and post-modern manifesto all rolled into one rip-roaring novel.
Tracking one man's descent into the Kafkaesque underworld of contemporary Tokyo, Murakami unites East and West, tragedy and farce, compassion and detachment, slang and philosophy.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.08.1995Bibliothek vergangener Träume
Murakami Haruki schickt die Datenmafia ins Wunderland
Mit der älteren Literatur und Kultur Japans hat dieser Roman nichts zu tun. Sein Verfasser, Jahrgang 1949, entzog sich längst den Ordnungsbegriffen seiner Heimat, teils durch längere Reisen in die Vereinigten Staaten und nach Europa, teils in einer Art von innerer Emigration. Was seine Phantasie durchdringt und bewegt, ist die Erinnerung an westliche Literatur von Aischylos bis Faulkner und Chandler, aber auch eine Mischung bekannter Mären und Märchen wie die Kunde vom mirakulösen Einhorn oder vom verlorenen Schatten. Die Brandenburgischen Konzerte sind Haruki ebenso geläufig wie Schlagertexte, und auf Schritt und Tritt werden Bildsequenzen zumeist bejahrter Hollywoodschinken eingeblendet.
Erzählt wird auf zwei Ebenen, so daß ein - auch typographisch abgesetzter - Doppelroman entsteht. Der Computerwelt Tokios, das den letzten Rest an eigentümlichem Kolorit verloren hat, kontrastiert eine am Rande der Welt, eigentlich in Utopia, angesiedelte Stadt, die von hohen Mauern umgeben ist. Hier weiden die wunderbaren Einhörner, die "das Ego der Bewohner" verkörpern. Es gibt einen Uhrturm - fast à la Kubin - und eine Bibliothek, in der man abgetane Träume entziffern darf. Wächter warnen vor dem Eindringen in Dickichte und Wälder. Wer hier lebt, hat seine Seele, seine Identität, verloren und trifft auf seinen Schatten (Chamisso läßt grüßen) wie auf einen Fremdling. Nur in Anflügen von Liebe und im Klang von Musik erhält sich eine Form von Humanität wie ein fernes Versprechen, das eher Verstörung verursacht als Protest.
Daneben also Tokio, genauer: eine seltsame Unterwelt, die man durch menschenleere Gebäude, Tunnel und Schächte betritt. Das erzählende Ich präsentiert sich als Computerfachmann, und als solcher steht er an der Frontlinie sich bekämpfender Banden einer Datenmafia, die vor Gewalttaten nicht zurückschreckt. Daraus erwächst eine abenteuerliche Handlung, bei welcher der Held, ohne es zunächst zu wissen, eine herausragende Rolle spielt. Ein Professor hat ihm ein neues Bewußtsein implantiert, das nun feindliche Mächte in ihre Gewalt bringen wollen. Der Leser durchstreift geheimnisvolle Labore, erhält Unterricht über bizarre Codierverfahren, erlebt Einbrüche und Erpressungen und teilt schließlich Angst und Flucht des Protagonisten, der sich durch eine unterirdische Höhlenlandschaft durchschlagen muß, die an Szenerien Jules Vernes gemahnt. Motive der Science-fiction treffen auf triviale Arrangements der Kriminalliteratur, und dazwischen gibt es allerlei erotische Romanzen und sinnträchtiges Gerede.
Der besondere Kniff dieser Großerzählung enthüllt sich nach und nach. Das computergezeugte Bewußtsein enthält jene Welt des anderen Ichs, das sich in Utopia häuslich einrichtet. Der Tod des Großstadtmenschen und Computerfachmanns in Tokio erweist sich schließlich als bewußtes Einverständnis mit dem Leben in der zweiten Welt jenseits der Mauern. Das Ich verweigert sich am Ende seiner Seele, mit der er sich wieder vereinigen könnte. Im Abtauchen in die Musik Bob Dylans wird ein neuer Grad fatal-beglückender Einsamkeit erreicht. "Am Ende der Welt" vollzieht sich so das Ritual eines Eskapismus, das mit allerlei Zitaten abendländischer Utopik verkleidet wird und doch die Symptome einer radikalen Entfremdung nicht verleugnen kann, aus der sich Haruki mit einer Poesie aus zweiter Hand erlöst.
Daß dieser Roman und andere Werke Harukis in Japan Triumphe feierten, darf nicht verwundern. Dort mag als aufregend exotisch gelten, was hierzulande Anfälle von Gähnen nicht immer verhindert: alt gewordene Themen wie das Leiden des Intellektuellen an seinem Bewußtsein, dazu bekannte Bilder, Motive und Zitate, in denen sich die Angst vor den Abgründen des Ichs mit dem Grauen vor der eigenen Manipulierbarkeit verknüpft. So wird man diesen bemerkenswert komplexen Text - eigentlich ein Derivat der europäischen Romantik - als Dokument einer "interkulturellen" Begegnung und Assimilation nach Gebühr würdigen können, ohne daß die eigene Leseerfahrung dadurch wesentlich bereichert würde. WILHELM KÜHLMANN
Murakami Haruki: "Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt". Aus dem Japanischen übersetzt von Annelie Ortmanns und Jürgen Stalph. Mit einem Nachwort von Jürgen Stalph. Insel Verlag, Frankfurt am Main und Leipzig 1995. 542 S., geb., 48,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Murakami Haruki schickt die Datenmafia ins Wunderland
Mit der älteren Literatur und Kultur Japans hat dieser Roman nichts zu tun. Sein Verfasser, Jahrgang 1949, entzog sich längst den Ordnungsbegriffen seiner Heimat, teils durch längere Reisen in die Vereinigten Staaten und nach Europa, teils in einer Art von innerer Emigration. Was seine Phantasie durchdringt und bewegt, ist die Erinnerung an westliche Literatur von Aischylos bis Faulkner und Chandler, aber auch eine Mischung bekannter Mären und Märchen wie die Kunde vom mirakulösen Einhorn oder vom verlorenen Schatten. Die Brandenburgischen Konzerte sind Haruki ebenso geläufig wie Schlagertexte, und auf Schritt und Tritt werden Bildsequenzen zumeist bejahrter Hollywoodschinken eingeblendet.
Erzählt wird auf zwei Ebenen, so daß ein - auch typographisch abgesetzter - Doppelroman entsteht. Der Computerwelt Tokios, das den letzten Rest an eigentümlichem Kolorit verloren hat, kontrastiert eine am Rande der Welt, eigentlich in Utopia, angesiedelte Stadt, die von hohen Mauern umgeben ist. Hier weiden die wunderbaren Einhörner, die "das Ego der Bewohner" verkörpern. Es gibt einen Uhrturm - fast à la Kubin - und eine Bibliothek, in der man abgetane Träume entziffern darf. Wächter warnen vor dem Eindringen in Dickichte und Wälder. Wer hier lebt, hat seine Seele, seine Identität, verloren und trifft auf seinen Schatten (Chamisso läßt grüßen) wie auf einen Fremdling. Nur in Anflügen von Liebe und im Klang von Musik erhält sich eine Form von Humanität wie ein fernes Versprechen, das eher Verstörung verursacht als Protest.
Daneben also Tokio, genauer: eine seltsame Unterwelt, die man durch menschenleere Gebäude, Tunnel und Schächte betritt. Das erzählende Ich präsentiert sich als Computerfachmann, und als solcher steht er an der Frontlinie sich bekämpfender Banden einer Datenmafia, die vor Gewalttaten nicht zurückschreckt. Daraus erwächst eine abenteuerliche Handlung, bei welcher der Held, ohne es zunächst zu wissen, eine herausragende Rolle spielt. Ein Professor hat ihm ein neues Bewußtsein implantiert, das nun feindliche Mächte in ihre Gewalt bringen wollen. Der Leser durchstreift geheimnisvolle Labore, erhält Unterricht über bizarre Codierverfahren, erlebt Einbrüche und Erpressungen und teilt schließlich Angst und Flucht des Protagonisten, der sich durch eine unterirdische Höhlenlandschaft durchschlagen muß, die an Szenerien Jules Vernes gemahnt. Motive der Science-fiction treffen auf triviale Arrangements der Kriminalliteratur, und dazwischen gibt es allerlei erotische Romanzen und sinnträchtiges Gerede.
Der besondere Kniff dieser Großerzählung enthüllt sich nach und nach. Das computergezeugte Bewußtsein enthält jene Welt des anderen Ichs, das sich in Utopia häuslich einrichtet. Der Tod des Großstadtmenschen und Computerfachmanns in Tokio erweist sich schließlich als bewußtes Einverständnis mit dem Leben in der zweiten Welt jenseits der Mauern. Das Ich verweigert sich am Ende seiner Seele, mit der er sich wieder vereinigen könnte. Im Abtauchen in die Musik Bob Dylans wird ein neuer Grad fatal-beglückender Einsamkeit erreicht. "Am Ende der Welt" vollzieht sich so das Ritual eines Eskapismus, das mit allerlei Zitaten abendländischer Utopik verkleidet wird und doch die Symptome einer radikalen Entfremdung nicht verleugnen kann, aus der sich Haruki mit einer Poesie aus zweiter Hand erlöst.
Daß dieser Roman und andere Werke Harukis in Japan Triumphe feierten, darf nicht verwundern. Dort mag als aufregend exotisch gelten, was hierzulande Anfälle von Gähnen nicht immer verhindert: alt gewordene Themen wie das Leiden des Intellektuellen an seinem Bewußtsein, dazu bekannte Bilder, Motive und Zitate, in denen sich die Angst vor den Abgründen des Ichs mit dem Grauen vor der eigenen Manipulierbarkeit verknüpft. So wird man diesen bemerkenswert komplexen Text - eigentlich ein Derivat der europäischen Romantik - als Dokument einer "interkulturellen" Begegnung und Assimilation nach Gebühr würdigen können, ohne daß die eigene Leseerfahrung dadurch wesentlich bereichert würde. WILHELM KÜHLMANN
Murakami Haruki: "Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt". Aus dem Japanischen übersetzt von Annelie Ortmanns und Jürgen Stalph. Mit einem Nachwort von Jürgen Stalph. Insel Verlag, Frankfurt am Main und Leipzig 1995. 542 S., geb., 48,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.05.2006Das universelle „Du darfst”
Haruki Murakamis Roman „Hard-Boiled Wonderland und das Ende der Welt”
Nach der Lektüre dachte ich: Dieses Buch könnte ich mit erstaunlich geringem Aufwand meinem 15-jährigen Sohn beschreiben. Stell dir vor, würde ich sagen, zwei Romane, ineinander geschoben wie ein Kartenspiel, Kapitel für Kapitel abwechselnd. Der eine Roman, „Hard-Boiled Wonderland”, ist eine Mischung aus einem Mystery- und einem Jump-and-Run-Spiel für den PC. Allmählich entwickelt sich eine äußerst vertrackte Geschichte um Datenverschlüsselung und Datenklau, um neuronale Manipulationen und natürlich um den Krieg zweier Banden oder Systeme mit dem nicht geringen Kriegsziel: Weltherrschaft. Der Held des Spiels, unversehens mitten in die Ereignisse geraten, trägt nach und nach die Teile dieser Geschichte wie die eines Puzzles zusammen, nicht zum wenigsten aber muss er sich mit unterirdischen Schwärzlingen und oberirdischen bad Guys herumschlagen.
Der andere Roman, „Das Ende der Welt”, ist dagegen klassische Fantasy: Ein Mann findet sich in einer seltsamen, vollkommen in sich geschlossenen Welt gefangen. Von seiner Erinnerung in Form seines Schattens getrennt, beginnt er seine Seele zu verlieren, doch er rebelliert gegen diese innere Auslöschung und plant die Flucht aus der Stadt als eine Flucht aus der Seelenlosigkeit. Am Ende aber entscheidet er sich doch fürs Bleiben, aus Liebe zu einer Frau, mit der zusammen er ein, nun ja, richtiges Leben im Falschen versuchen will.
Und jetzt der Clou: Liest man die beiden Texte Kapitel für Kapitel abwechselnd, so versteht man allmählich, dass der Held aus dem PC-Spiel und der aus dem Fantasy-Roman ein und dieselbe Person sind, einmal vor und einmal nach den Folgen des Eingriffs in sein Gehirn. - Nach dieser Beschreibung würde sich mein Sohn wahrscheinlich für das Buch interessieren. Zumal er Murakamis „Kafka am Strand” und „Gefährliche Geliebte” schon gelesen und „richtig gut” gefunden hat.
Ich selbst hingegen mag beides nicht so sehr: Gewisse PC-Spiele und Fantasy-Romane. Die einen opfern in der Regel selbst die dünnste Story dem puren Aktionismus und der grafisch attraktiven Oberfläche. Die anderen huldigen hingegen dauernd und lautstark ihren stofflichen Erfindungen und folgen dabei einer Poetik des universellen „Du darfst”, sprich: die Einfälle reihen sich in fröhlicher Willkür aneinander, bis am Schluss alles, was nicht passt, passend gemacht wird. So als spiele man Schach nach Regeln, die Zug für Zug geändert werden, während allmählich auch die anderen Figuren aus der Großen Spielesammlung mittun dürfen. Ich will ganz offen sein: für mich ist das keine Literatur.
Nun täte ich Haruki Murakami freilich Unrecht, wenn ich aus solch persönlichen Prämissen ein Urteil über „Hard-Boiled Wonderland und Das Ende der Welt” entwickelte. Natürlich ist sein Doppel-Roman mehr als Game plus Fantasy - zumal er bereits vor 20 Jahren, also weit vor der Entstehung der einen bzw. dem Boom der anderen geschrieben wurde. Murakami ist das Original, das die anderen kopieren!
Glück durch Shopping
Im ersten Teil entwirft er mit dem Ich-Erzähler den mittlerweile fast dominierenden Typus des urbanen Singles. Der schaut gern alte Filme und identifiziert sich mit den Helden der Schwarzen Serie, dabei besteht sein täglicher Kampf eher darin, seinem reduzierten Alltag die unbedingt notwendigen Glücksmomente abzuringen, z.B. durch Shopping. Wenn es dann aber richtig über ihn hereinbricht, ist er so erstaunlich widerstandsfähig wie die Helden Hitchcocks. Ein intelligentes Sozialportrait, auch heute noch mit Gewinn zu lesen.
Auch die Story von „Hard-Boiled Wonderland” verschwindet nicht vollkommen in den unterirdischen Action-Szenen. Der Professor, der im Kopf des Helden ein paar Manipulationen vorgenommen hat, um ihn zu einer perfekten Verschlüsselungsmaschine zu machen, ist nicht nur „nutty” oder „evil”; vielmehr entlassen seine seltsamen Forschungen ein nach-aufklärerisches Menschenbild, in dem die Anteile von Prägung, Individualität und freiem Willen neu und nicht gerade erfreulich definiert sind.
Schließlich ist auch der zweite Teil, „Das Ende der Welt”, nicht Fantasy allein um der Fantasy willen. Die stille, hoch verschneite und emotionslose Welt hinter Mauern ist vielmehr eine Großmetapher für das Leben nach der Austreibung der Individualität, nach dem Absterben der Erinnerungen und der Emotionen.
Trotz alldem konnte ich das Buch im Gegensatz zu vielen Murakami-Fans, die zuletzt selbst für die vergriffene Taschenbuch-Ausgabe stolze Preise zahlten, nicht recht lieben. Während es selbst intelligent und unterhaltsam von Geheimnis zu Geheimnis eilte, ließ es mich immer weiter und ohne Fragen zurück. Als sich schließlich die beiden Helden nicht wieder zu einer vollen, ganzen Person vereinigten, war selbst dieses Ende „happy” genug, um mich von der Anteilnahme am Schicksal der Figur zu entheben. Und mein Bild vom autonomen Menschen fand sich in den Forschungen des Professors zwar schwer beschädigt; doch die Hauptfigur lebte mir vor, dass man mit seiner Auslöschung nicht allzu viel zu verlieren hat. Mir klang hier ein religiöser Grundton durch, der nicht meiner ist. Ich schätze Fatalismus gering!
Sie hören es durch meine Sätze hindurch: Der Respekt vor dem großen Kollegen verbietet mir, ex kathedra über das Buch zu urteilen. Ich schicke meinen Geschmack vor, mein Missbehagen zu entschuldigen. Alles an „Hard-Boiled Wonderland und Das Ende der Welt” ist wunderbar gelungen, fantasievoll und zugleich voller kulturpessimistischer Melancholie. Und wenn ich mich bei der Lektüre wie einer fühle, der sich mit einer Glasmurmel zudecken soll, dann ist das sicher mein Fehler und nicht der des Buches. BURKHARD SPINNEN
HARUKI MURAKAMI: Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt. Roman. Aus dem Japanischen von Annelie Ortmanns. Dumont Verlag, Köln 2006. 506 Seiten, 24,90 Euro.
Aktionismus auf attraktiven Oberflächen: Das Computerspiel „Lineage II Chronicle 4: Scions of Destiny”
Foto: NCsoft
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Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Haruki Murakamis Roman „Hard-Boiled Wonderland und das Ende der Welt”
Nach der Lektüre dachte ich: Dieses Buch könnte ich mit erstaunlich geringem Aufwand meinem 15-jährigen Sohn beschreiben. Stell dir vor, würde ich sagen, zwei Romane, ineinander geschoben wie ein Kartenspiel, Kapitel für Kapitel abwechselnd. Der eine Roman, „Hard-Boiled Wonderland”, ist eine Mischung aus einem Mystery- und einem Jump-and-Run-Spiel für den PC. Allmählich entwickelt sich eine äußerst vertrackte Geschichte um Datenverschlüsselung und Datenklau, um neuronale Manipulationen und natürlich um den Krieg zweier Banden oder Systeme mit dem nicht geringen Kriegsziel: Weltherrschaft. Der Held des Spiels, unversehens mitten in die Ereignisse geraten, trägt nach und nach die Teile dieser Geschichte wie die eines Puzzles zusammen, nicht zum wenigsten aber muss er sich mit unterirdischen Schwärzlingen und oberirdischen bad Guys herumschlagen.
Der andere Roman, „Das Ende der Welt”, ist dagegen klassische Fantasy: Ein Mann findet sich in einer seltsamen, vollkommen in sich geschlossenen Welt gefangen. Von seiner Erinnerung in Form seines Schattens getrennt, beginnt er seine Seele zu verlieren, doch er rebelliert gegen diese innere Auslöschung und plant die Flucht aus der Stadt als eine Flucht aus der Seelenlosigkeit. Am Ende aber entscheidet er sich doch fürs Bleiben, aus Liebe zu einer Frau, mit der zusammen er ein, nun ja, richtiges Leben im Falschen versuchen will.
Und jetzt der Clou: Liest man die beiden Texte Kapitel für Kapitel abwechselnd, so versteht man allmählich, dass der Held aus dem PC-Spiel und der aus dem Fantasy-Roman ein und dieselbe Person sind, einmal vor und einmal nach den Folgen des Eingriffs in sein Gehirn. - Nach dieser Beschreibung würde sich mein Sohn wahrscheinlich für das Buch interessieren. Zumal er Murakamis „Kafka am Strand” und „Gefährliche Geliebte” schon gelesen und „richtig gut” gefunden hat.
Ich selbst hingegen mag beides nicht so sehr: Gewisse PC-Spiele und Fantasy-Romane. Die einen opfern in der Regel selbst die dünnste Story dem puren Aktionismus und der grafisch attraktiven Oberfläche. Die anderen huldigen hingegen dauernd und lautstark ihren stofflichen Erfindungen und folgen dabei einer Poetik des universellen „Du darfst”, sprich: die Einfälle reihen sich in fröhlicher Willkür aneinander, bis am Schluss alles, was nicht passt, passend gemacht wird. So als spiele man Schach nach Regeln, die Zug für Zug geändert werden, während allmählich auch die anderen Figuren aus der Großen Spielesammlung mittun dürfen. Ich will ganz offen sein: für mich ist das keine Literatur.
Nun täte ich Haruki Murakami freilich Unrecht, wenn ich aus solch persönlichen Prämissen ein Urteil über „Hard-Boiled Wonderland und Das Ende der Welt” entwickelte. Natürlich ist sein Doppel-Roman mehr als Game plus Fantasy - zumal er bereits vor 20 Jahren, also weit vor der Entstehung der einen bzw. dem Boom der anderen geschrieben wurde. Murakami ist das Original, das die anderen kopieren!
Glück durch Shopping
Im ersten Teil entwirft er mit dem Ich-Erzähler den mittlerweile fast dominierenden Typus des urbanen Singles. Der schaut gern alte Filme und identifiziert sich mit den Helden der Schwarzen Serie, dabei besteht sein täglicher Kampf eher darin, seinem reduzierten Alltag die unbedingt notwendigen Glücksmomente abzuringen, z.B. durch Shopping. Wenn es dann aber richtig über ihn hereinbricht, ist er so erstaunlich widerstandsfähig wie die Helden Hitchcocks. Ein intelligentes Sozialportrait, auch heute noch mit Gewinn zu lesen.
Auch die Story von „Hard-Boiled Wonderland” verschwindet nicht vollkommen in den unterirdischen Action-Szenen. Der Professor, der im Kopf des Helden ein paar Manipulationen vorgenommen hat, um ihn zu einer perfekten Verschlüsselungsmaschine zu machen, ist nicht nur „nutty” oder „evil”; vielmehr entlassen seine seltsamen Forschungen ein nach-aufklärerisches Menschenbild, in dem die Anteile von Prägung, Individualität und freiem Willen neu und nicht gerade erfreulich definiert sind.
Schließlich ist auch der zweite Teil, „Das Ende der Welt”, nicht Fantasy allein um der Fantasy willen. Die stille, hoch verschneite und emotionslose Welt hinter Mauern ist vielmehr eine Großmetapher für das Leben nach der Austreibung der Individualität, nach dem Absterben der Erinnerungen und der Emotionen.
Trotz alldem konnte ich das Buch im Gegensatz zu vielen Murakami-Fans, die zuletzt selbst für die vergriffene Taschenbuch-Ausgabe stolze Preise zahlten, nicht recht lieben. Während es selbst intelligent und unterhaltsam von Geheimnis zu Geheimnis eilte, ließ es mich immer weiter und ohne Fragen zurück. Als sich schließlich die beiden Helden nicht wieder zu einer vollen, ganzen Person vereinigten, war selbst dieses Ende „happy” genug, um mich von der Anteilnahme am Schicksal der Figur zu entheben. Und mein Bild vom autonomen Menschen fand sich in den Forschungen des Professors zwar schwer beschädigt; doch die Hauptfigur lebte mir vor, dass man mit seiner Auslöschung nicht allzu viel zu verlieren hat. Mir klang hier ein religiöser Grundton durch, der nicht meiner ist. Ich schätze Fatalismus gering!
Sie hören es durch meine Sätze hindurch: Der Respekt vor dem großen Kollegen verbietet mir, ex kathedra über das Buch zu urteilen. Ich schicke meinen Geschmack vor, mein Missbehagen zu entschuldigen. Alles an „Hard-Boiled Wonderland und Das Ende der Welt” ist wunderbar gelungen, fantasievoll und zugleich voller kulturpessimistischer Melancholie. Und wenn ich mich bei der Lektüre wie einer fühle, der sich mit einer Glasmurmel zudecken soll, dann ist das sicher mein Fehler und nicht der des Buches. BURKHARD SPINNEN
HARUKI MURAKAMI: Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt. Roman. Aus dem Japanischen von Annelie Ortmanns. Dumont Verlag, Köln 2006. 506 Seiten, 24,90 Euro.
Aktionismus auf attraktiven Oberflächen: Das Computerspiel „Lineage II Chronicle 4: Scions of Destiny”
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