Produktdetails
- suhrkamp taschenbuch 3197
- Verlag: Suhrkamp
- 2000.
- Seitenzahl: 541
- Deutsch
- Abmessung: 23mm x 108mm x 177mm
- Gewicht: 321g
- ISBN-13: 9783518396971
- ISBN-10: 3518396978
- Artikelnr.: 08938185
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.08.1995Bibliothek vergangener Träume
Murakami Haruki schickt die Datenmafia ins Wunderland
Mit der älteren Literatur und Kultur Japans hat dieser Roman nichts zu tun. Sein Verfasser, Jahrgang 1949, entzog sich längst den Ordnungsbegriffen seiner Heimat, teils durch längere Reisen in die Vereinigten Staaten und nach Europa, teils in einer Art von innerer Emigration. Was seine Phantasie durchdringt und bewegt, ist die Erinnerung an westliche Literatur von Aischylos bis Faulkner und Chandler, aber auch eine Mischung bekannter Mären und Märchen wie die Kunde vom mirakulösen Einhorn oder vom verlorenen Schatten. Die Brandenburgischen Konzerte sind Haruki ebenso geläufig wie Schlagertexte, und auf Schritt und Tritt werden Bildsequenzen zumeist bejahrter Hollywoodschinken eingeblendet.
Erzählt wird auf zwei Ebenen, so daß ein - auch typographisch abgesetzter - Doppelroman entsteht. Der Computerwelt Tokios, das den letzten Rest an eigentümlichem Kolorit verloren hat, kontrastiert eine am Rande der Welt, eigentlich in Utopia, angesiedelte Stadt, die von hohen Mauern umgeben ist. Hier weiden die wunderbaren Einhörner, die "das Ego der Bewohner" verkörpern. Es gibt einen Uhrturm - fast à la Kubin - und eine Bibliothek, in der man abgetane Träume entziffern darf. Wächter warnen vor dem Eindringen in Dickichte und Wälder. Wer hier lebt, hat seine Seele, seine Identität, verloren und trifft auf seinen Schatten (Chamisso läßt grüßen) wie auf einen Fremdling. Nur in Anflügen von Liebe und im Klang von Musik erhält sich eine Form von Humanität wie ein fernes Versprechen, das eher Verstörung verursacht als Protest.
Daneben also Tokio, genauer: eine seltsame Unterwelt, die man durch menschenleere Gebäude, Tunnel und Schächte betritt. Das erzählende Ich präsentiert sich als Computerfachmann, und als solcher steht er an der Frontlinie sich bekämpfender Banden einer Datenmafia, die vor Gewalttaten nicht zurückschreckt. Daraus erwächst eine abenteuerliche Handlung, bei welcher der Held, ohne es zunächst zu wissen, eine herausragende Rolle spielt. Ein Professor hat ihm ein neues Bewußtsein implantiert, das nun feindliche Mächte in ihre Gewalt bringen wollen. Der Leser durchstreift geheimnisvolle Labore, erhält Unterricht über bizarre Codierverfahren, erlebt Einbrüche und Erpressungen und teilt schließlich Angst und Flucht des Protagonisten, der sich durch eine unterirdische Höhlenlandschaft durchschlagen muß, die an Szenerien Jules Vernes gemahnt. Motive der Science-fiction treffen auf triviale Arrangements der Kriminalliteratur, und dazwischen gibt es allerlei erotische Romanzen und sinnträchtiges Gerede.
Der besondere Kniff dieser Großerzählung enthüllt sich nach und nach. Das computergezeugte Bewußtsein enthält jene Welt des anderen Ichs, das sich in Utopia häuslich einrichtet. Der Tod des Großstadtmenschen und Computerfachmanns in Tokio erweist sich schließlich als bewußtes Einverständnis mit dem Leben in der zweiten Welt jenseits der Mauern. Das Ich verweigert sich am Ende seiner Seele, mit der er sich wieder vereinigen könnte. Im Abtauchen in die Musik Bob Dylans wird ein neuer Grad fatal-beglückender Einsamkeit erreicht. "Am Ende der Welt" vollzieht sich so das Ritual eines Eskapismus, das mit allerlei Zitaten abendländischer Utopik verkleidet wird und doch die Symptome einer radikalen Entfremdung nicht verleugnen kann, aus der sich Haruki mit einer Poesie aus zweiter Hand erlöst.
Daß dieser Roman und andere Werke Harukis in Japan Triumphe feierten, darf nicht verwundern. Dort mag als aufregend exotisch gelten, was hierzulande Anfälle von Gähnen nicht immer verhindert: alt gewordene Themen wie das Leiden des Intellektuellen an seinem Bewußtsein, dazu bekannte Bilder, Motive und Zitate, in denen sich die Angst vor den Abgründen des Ichs mit dem Grauen vor der eigenen Manipulierbarkeit verknüpft. So wird man diesen bemerkenswert komplexen Text - eigentlich ein Derivat der europäischen Romantik - als Dokument einer "interkulturellen" Begegnung und Assimilation nach Gebühr würdigen können, ohne daß die eigene Leseerfahrung dadurch wesentlich bereichert würde. WILHELM KÜHLMANN
Murakami Haruki: "Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt". Aus dem Japanischen übersetzt von Annelie Ortmanns und Jürgen Stalph. Mit einem Nachwort von Jürgen Stalph. Insel Verlag, Frankfurt am Main und Leipzig 1995. 542 S., geb., 48,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Murakami Haruki schickt die Datenmafia ins Wunderland
Mit der älteren Literatur und Kultur Japans hat dieser Roman nichts zu tun. Sein Verfasser, Jahrgang 1949, entzog sich längst den Ordnungsbegriffen seiner Heimat, teils durch längere Reisen in die Vereinigten Staaten und nach Europa, teils in einer Art von innerer Emigration. Was seine Phantasie durchdringt und bewegt, ist die Erinnerung an westliche Literatur von Aischylos bis Faulkner und Chandler, aber auch eine Mischung bekannter Mären und Märchen wie die Kunde vom mirakulösen Einhorn oder vom verlorenen Schatten. Die Brandenburgischen Konzerte sind Haruki ebenso geläufig wie Schlagertexte, und auf Schritt und Tritt werden Bildsequenzen zumeist bejahrter Hollywoodschinken eingeblendet.
Erzählt wird auf zwei Ebenen, so daß ein - auch typographisch abgesetzter - Doppelroman entsteht. Der Computerwelt Tokios, das den letzten Rest an eigentümlichem Kolorit verloren hat, kontrastiert eine am Rande der Welt, eigentlich in Utopia, angesiedelte Stadt, die von hohen Mauern umgeben ist. Hier weiden die wunderbaren Einhörner, die "das Ego der Bewohner" verkörpern. Es gibt einen Uhrturm - fast à la Kubin - und eine Bibliothek, in der man abgetane Träume entziffern darf. Wächter warnen vor dem Eindringen in Dickichte und Wälder. Wer hier lebt, hat seine Seele, seine Identität, verloren und trifft auf seinen Schatten (Chamisso läßt grüßen) wie auf einen Fremdling. Nur in Anflügen von Liebe und im Klang von Musik erhält sich eine Form von Humanität wie ein fernes Versprechen, das eher Verstörung verursacht als Protest.
Daneben also Tokio, genauer: eine seltsame Unterwelt, die man durch menschenleere Gebäude, Tunnel und Schächte betritt. Das erzählende Ich präsentiert sich als Computerfachmann, und als solcher steht er an der Frontlinie sich bekämpfender Banden einer Datenmafia, die vor Gewalttaten nicht zurückschreckt. Daraus erwächst eine abenteuerliche Handlung, bei welcher der Held, ohne es zunächst zu wissen, eine herausragende Rolle spielt. Ein Professor hat ihm ein neues Bewußtsein implantiert, das nun feindliche Mächte in ihre Gewalt bringen wollen. Der Leser durchstreift geheimnisvolle Labore, erhält Unterricht über bizarre Codierverfahren, erlebt Einbrüche und Erpressungen und teilt schließlich Angst und Flucht des Protagonisten, der sich durch eine unterirdische Höhlenlandschaft durchschlagen muß, die an Szenerien Jules Vernes gemahnt. Motive der Science-fiction treffen auf triviale Arrangements der Kriminalliteratur, und dazwischen gibt es allerlei erotische Romanzen und sinnträchtiges Gerede.
Der besondere Kniff dieser Großerzählung enthüllt sich nach und nach. Das computergezeugte Bewußtsein enthält jene Welt des anderen Ichs, das sich in Utopia häuslich einrichtet. Der Tod des Großstadtmenschen und Computerfachmanns in Tokio erweist sich schließlich als bewußtes Einverständnis mit dem Leben in der zweiten Welt jenseits der Mauern. Das Ich verweigert sich am Ende seiner Seele, mit der er sich wieder vereinigen könnte. Im Abtauchen in die Musik Bob Dylans wird ein neuer Grad fatal-beglückender Einsamkeit erreicht. "Am Ende der Welt" vollzieht sich so das Ritual eines Eskapismus, das mit allerlei Zitaten abendländischer Utopik verkleidet wird und doch die Symptome einer radikalen Entfremdung nicht verleugnen kann, aus der sich Haruki mit einer Poesie aus zweiter Hand erlöst.
Daß dieser Roman und andere Werke Harukis in Japan Triumphe feierten, darf nicht verwundern. Dort mag als aufregend exotisch gelten, was hierzulande Anfälle von Gähnen nicht immer verhindert: alt gewordene Themen wie das Leiden des Intellektuellen an seinem Bewußtsein, dazu bekannte Bilder, Motive und Zitate, in denen sich die Angst vor den Abgründen des Ichs mit dem Grauen vor der eigenen Manipulierbarkeit verknüpft. So wird man diesen bemerkenswert komplexen Text - eigentlich ein Derivat der europäischen Romantik - als Dokument einer "interkulturellen" Begegnung und Assimilation nach Gebühr würdigen können, ohne daß die eigene Leseerfahrung dadurch wesentlich bereichert würde. WILHELM KÜHLMANN
Murakami Haruki: "Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt". Aus dem Japanischen übersetzt von Annelie Ortmanns und Jürgen Stalph. Mit einem Nachwort von Jürgen Stalph. Insel Verlag, Frankfurt am Main und Leipzig 1995. 542 S., geb., 48,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
In einer Mehrfachbesprechung befasst sich Ulrich Greiner im Aufmacher der Buchmessenbeilage mit mehreren Romanen des japanischen Schriftstellers Haruki Murakami.
1.) Haruki Murakami: "
1.) Haruki Murakami: "
"'Mit dem Wunderland' liegt ein Herzstück der Romanwelt des Haruki Murakami vor. Von ihm aus lassen sich die anderen Romane und Erzählungen besser verstehen." Hubert Winkels, DIE ZEIT