Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.07.2008Johnsons Zeitalter
Eine Biographie über einen großen Ökonomen
"Johnsons Zeitalter" nannte der Nobelpreisträger James Tobin einmal die Zeitspanne zwischen 1950 und 1975 für die Wirtschaftswissenschaften. Das war ein großes Wort, wohl auch eine kleine Übertreibung. Zweifellos aber zählte Harry G. Johnson (1923 bis 1977) zu den führenden Ökonomen jener Zeit. Dass sein Name vielen jüngeren Wirtschaftswissenschaftlern nicht mehr viel sagen wird, schmälert nicht Johnsons Bedeutung. Verantwortlich für das Vergessen ist zum einen sein früher Tod, zu dem ein jahrzehntelanger schwerer Alkoholismus beitrug. Zum zweiten gehört vieles, was Johnson leistete, heute längst zum Allgemeingut der Volkswirtschaftslehre. Herausragend waren vor allem seine Arbeiten zur Außenwirtschaftstheorie und zur monetären Makroökonomik.
Zu Lebzeiten galt Johnson als ein Titan, und das nicht nur wegen seines wuchtigen Körperbaus und seiner kraftvollen, durchaus kontroversen Persönlichkeit. Der Kanadier war vor allem ein Arbeitstier: In rund drei Jahrzehnten verfasste er 526 Fachartikel, 41 Bücher und mehr als 150 Buchbesprechungen. Daneben gab er mehrere Fachzeitschriften heraus, und er war als unermüdlicher Konferenzteilnehmer auf fünf Kontinenten wohl der am besten vernetzte Ökonom seiner Zeit.
Johnsons Ruhm beruhte nicht nur auf seinen eigenen Beiträgen zur Wirtschaftstheorie, sondern auch auf seiner Tätigkeit als belesener Kompilator. Aus seiner Feder stammten mehrere von Kollegen und Studenten hochgeschätzte Überblicksartikel über neuere Entwicklungen innerhalb des Fachs. Der Erfolg blieb nicht aus: Während mehrerer Jahre belegte Johnson in der Rangliste der in Fachzeitschriften meistzitierten Ökonomen Platz 2 - übertroffen nur von Paul Samuelson, der in einer eigenen Liga spielte.
In Kanada geboren, studierte Johnson in Toronto, Cambridge (wo er Keynes' letzte Präsentation eines Arbeitspapiers miterlebte) und in Harvard (wo Schumpeter sein Interesse an Theoriegeschichte weckte). Prägend waren jedoch vor allem seine späteren Aufenthalte als Professor am Kings College in Cambridge und in Chicago. In Cambridge lernte er als junger Mann die Schüler von Keynes kennen. Obgleich Johnson sich damals als Keynesianer verstand, irritierten ihn die Keynes-Schüler, weil sie entweder Schlachten früherer Jahrzehnte noch einmal schlagen wollten oder sich in esoterische Zweige der ökonomischen Theorie vergruben.
Nach Chicago kam Johnson auf Empfehlung Milton Friedmans, dem der junge Mann als hervorragender Außenhandelstheoretiker aufgefallen war. Chicago war damals unter Friedmans Führung die Zentrale der Anti-Keynesianer. Falls Friedman jedoch geglaubt haben sollte, er könne Johnson in seinen Feldzug gegen den Keynesianismus einbinden, sollte er sich täuschen. Der Kanadier fand manches an Friedmans Monetarismus bedenkenswert, doch behielt er eine interessierte Distanz.
Friedmans aggressiver persönlicher Stil und die damalige Lagermentalität bedrückten Johnson, der in einem Vortrag konstatierte: "Doktoranden aus Chicago unterscheiden sich von Doktoranden anderer Universitäten durch einen grimmigen und freudlosen Gesichtsausdruck und die Unfähigkeit, über intellektuelle Witze zu lachen." Wohin Johnson seine Unzufriedenheit in Chicago führte, schilderte später ein Student: "Professor Johnson war erstaunlich. Ich sah ihn die meiste Zeit sturzbetrunken, und doch war er in der Lage, in diesem Zustand über Ökonomie zu reden."
Der Suff ließ den Kanadier jedenfalls nicht seinen klaren Blick verlieren. Während Keynesianer und Monetaristen über Jahre ihre legendären Schlachten schlugen, hatte Johnson, der damit seiner Zeit voraus war, längst den wahren Charakter dieser Auseinandersetzung erkannt: Was beide Seiten trennte, war vor allem Ideologie. Aus einer ökonomischen Sicht war der Streit sinnlos, weil Cambridge und Chicago zwei Seiten einer Medaille darstellten.
Keynes und Friedman bildeten aus seiner Sicht auch keine Antipoden: Friedman war nichts anderes als ein Nachfolger Keynes' in der monetären Makroökonomik, und beide verband neben aller Brillianz auch dieselben Schwächen - gnadenlose Vereinfachungen, empirische Oberflächlichkeit sowie die Neigung, alles auszublenden, was nicht ins eigene Weltbild passte. Heute, wo der damalige Keynesianismus und der Monetarismus in Dogmengeschichten längst als zwei verwandte Unterabteilungen der monetären Makroökonomik abgelegt sind, ist das Allgemeingut. Vor 35 Jahren stand Johnson mit seiner Ansicht weitgehend alleine.
Das Leben Johnsons ist Thema einer Biographie aus der Feder Don Moggridges (Toronto), eines versierten Theoriegeschichtlers, der unter anderem eine angesehene Keynes-Biographie verfasst hat. Das Buch hinterlässt leider einen etwas zwiespältigen Eindruck. Es ist gut recherchiert, routiniert geschrieben und versteht es, Johnsons Theoriebeiträge - zum Beispiel zur monetären Theorie der Zahlungsbilanz oder zur Zolltheorie - verständlich zu beschreiben und einzuordnen. Insofern lässt es sich mit Gewinn lesen. Aber dem Buch fehlen das Feuer und das persönliche Flair, das Johnson auszeichnete. Vielleicht hätte das Werk gewonnen, wenn Moggridge mehr noch am Leben befindliche Zeitgenossen Johnsons - etwa Jagdish Bhagwati, Robert Mundell oder Paul Samuelson - um persönliche Eindrücke gebeten hätte.
GERALD BRAUNBERGER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eine Biographie über einen großen Ökonomen
"Johnsons Zeitalter" nannte der Nobelpreisträger James Tobin einmal die Zeitspanne zwischen 1950 und 1975 für die Wirtschaftswissenschaften. Das war ein großes Wort, wohl auch eine kleine Übertreibung. Zweifellos aber zählte Harry G. Johnson (1923 bis 1977) zu den führenden Ökonomen jener Zeit. Dass sein Name vielen jüngeren Wirtschaftswissenschaftlern nicht mehr viel sagen wird, schmälert nicht Johnsons Bedeutung. Verantwortlich für das Vergessen ist zum einen sein früher Tod, zu dem ein jahrzehntelanger schwerer Alkoholismus beitrug. Zum zweiten gehört vieles, was Johnson leistete, heute längst zum Allgemeingut der Volkswirtschaftslehre. Herausragend waren vor allem seine Arbeiten zur Außenwirtschaftstheorie und zur monetären Makroökonomik.
Zu Lebzeiten galt Johnson als ein Titan, und das nicht nur wegen seines wuchtigen Körperbaus und seiner kraftvollen, durchaus kontroversen Persönlichkeit. Der Kanadier war vor allem ein Arbeitstier: In rund drei Jahrzehnten verfasste er 526 Fachartikel, 41 Bücher und mehr als 150 Buchbesprechungen. Daneben gab er mehrere Fachzeitschriften heraus, und er war als unermüdlicher Konferenzteilnehmer auf fünf Kontinenten wohl der am besten vernetzte Ökonom seiner Zeit.
Johnsons Ruhm beruhte nicht nur auf seinen eigenen Beiträgen zur Wirtschaftstheorie, sondern auch auf seiner Tätigkeit als belesener Kompilator. Aus seiner Feder stammten mehrere von Kollegen und Studenten hochgeschätzte Überblicksartikel über neuere Entwicklungen innerhalb des Fachs. Der Erfolg blieb nicht aus: Während mehrerer Jahre belegte Johnson in der Rangliste der in Fachzeitschriften meistzitierten Ökonomen Platz 2 - übertroffen nur von Paul Samuelson, der in einer eigenen Liga spielte.
In Kanada geboren, studierte Johnson in Toronto, Cambridge (wo er Keynes' letzte Präsentation eines Arbeitspapiers miterlebte) und in Harvard (wo Schumpeter sein Interesse an Theoriegeschichte weckte). Prägend waren jedoch vor allem seine späteren Aufenthalte als Professor am Kings College in Cambridge und in Chicago. In Cambridge lernte er als junger Mann die Schüler von Keynes kennen. Obgleich Johnson sich damals als Keynesianer verstand, irritierten ihn die Keynes-Schüler, weil sie entweder Schlachten früherer Jahrzehnte noch einmal schlagen wollten oder sich in esoterische Zweige der ökonomischen Theorie vergruben.
Nach Chicago kam Johnson auf Empfehlung Milton Friedmans, dem der junge Mann als hervorragender Außenhandelstheoretiker aufgefallen war. Chicago war damals unter Friedmans Führung die Zentrale der Anti-Keynesianer. Falls Friedman jedoch geglaubt haben sollte, er könne Johnson in seinen Feldzug gegen den Keynesianismus einbinden, sollte er sich täuschen. Der Kanadier fand manches an Friedmans Monetarismus bedenkenswert, doch behielt er eine interessierte Distanz.
Friedmans aggressiver persönlicher Stil und die damalige Lagermentalität bedrückten Johnson, der in einem Vortrag konstatierte: "Doktoranden aus Chicago unterscheiden sich von Doktoranden anderer Universitäten durch einen grimmigen und freudlosen Gesichtsausdruck und die Unfähigkeit, über intellektuelle Witze zu lachen." Wohin Johnson seine Unzufriedenheit in Chicago führte, schilderte später ein Student: "Professor Johnson war erstaunlich. Ich sah ihn die meiste Zeit sturzbetrunken, und doch war er in der Lage, in diesem Zustand über Ökonomie zu reden."
Der Suff ließ den Kanadier jedenfalls nicht seinen klaren Blick verlieren. Während Keynesianer und Monetaristen über Jahre ihre legendären Schlachten schlugen, hatte Johnson, der damit seiner Zeit voraus war, längst den wahren Charakter dieser Auseinandersetzung erkannt: Was beide Seiten trennte, war vor allem Ideologie. Aus einer ökonomischen Sicht war der Streit sinnlos, weil Cambridge und Chicago zwei Seiten einer Medaille darstellten.
Keynes und Friedman bildeten aus seiner Sicht auch keine Antipoden: Friedman war nichts anderes als ein Nachfolger Keynes' in der monetären Makroökonomik, und beide verband neben aller Brillianz auch dieselben Schwächen - gnadenlose Vereinfachungen, empirische Oberflächlichkeit sowie die Neigung, alles auszublenden, was nicht ins eigene Weltbild passte. Heute, wo der damalige Keynesianismus und der Monetarismus in Dogmengeschichten längst als zwei verwandte Unterabteilungen der monetären Makroökonomik abgelegt sind, ist das Allgemeingut. Vor 35 Jahren stand Johnson mit seiner Ansicht weitgehend alleine.
Das Leben Johnsons ist Thema einer Biographie aus der Feder Don Moggridges (Toronto), eines versierten Theoriegeschichtlers, der unter anderem eine angesehene Keynes-Biographie verfasst hat. Das Buch hinterlässt leider einen etwas zwiespältigen Eindruck. Es ist gut recherchiert, routiniert geschrieben und versteht es, Johnsons Theoriebeiträge - zum Beispiel zur monetären Theorie der Zahlungsbilanz oder zur Zolltheorie - verständlich zu beschreiben und einzuordnen. Insofern lässt es sich mit Gewinn lesen. Aber dem Buch fehlen das Feuer und das persönliche Flair, das Johnson auszeichnete. Vielleicht hätte das Werk gewonnen, wenn Moggridge mehr noch am Leben befindliche Zeitgenossen Johnsons - etwa Jagdish Bhagwati, Robert Mundell oder Paul Samuelson - um persönliche Eindrücke gebeten hätte.
GERALD BRAUNBERGER
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'This is a fascinating account of a larger-than-life figure, with seemingly boundless energy, who not only helped shape international economics in the 1950s and 1960s but also became a missionary for Chicago-style economics in Britain and elsewhere.' Roger E. Backhouse, University of Birmingham