Mit großer Spannung erwartet: der letzte Band der Harry-Potter-Saga. Die Gerüchte überschlagen sich: Wird die Hogwarts Schule für Zauberei geschlossen? Ist Harrys verhasster Lehrer Severus Snape nun wirklich voll und ganz auf Voldemorts Seite? Was wird aus dem Orden des Phönix? Wird es Harry und seinen Freunden gelingen, die restlichen Horcruxes zu zerstören? Wird Harry Potter im Kampf gegen Voldemort sterben?
Eines steht jedenfalls fest: für die Millionen Harry-Potter-Fans wird die Welt nicht mehr dieselbe sein, denn Joanne K. Rowling gibt sich unerbittlich: nach diesem Band ist Schluss!
Harry has been burdened with a dark, dangerous and seemingly impossible task: that of locating and destroying Voldemort's remaining Horcuxes. Never has Harry felt so alone, or faced a future so full of shadows. But Harry must somehow find within himself the strength to complete the task he has been given. He must leave the warmth, safety and companionship of The Burrow and follow without fear or hesitation the inexorable path laid out for him…
In this final, seventh instalment of the Harry Potter series, J.K. Rowling unveils in spectacular fashion the answers to the many questions that have been so eagerly awaited. The spellbinding, richly woven narrative, which plunges, twists and turns at a breathtaking pace, confirms the author as a mistress of storytelling, whose books will be read, reread and read again.
Eines steht jedenfalls fest: für die Millionen Harry-Potter-Fans wird die Welt nicht mehr dieselbe sein, denn Joanne K. Rowling gibt sich unerbittlich: nach diesem Band ist Schluss!
Harry has been burdened with a dark, dangerous and seemingly impossible task: that of locating and destroying Voldemort's remaining Horcuxes. Never has Harry felt so alone, or faced a future so full of shadows. But Harry must somehow find within himself the strength to complete the task he has been given. He must leave the warmth, safety and companionship of The Burrow and follow without fear or hesitation the inexorable path laid out for him…
In this final, seventh instalment of the Harry Potter series, J.K. Rowling unveils in spectacular fashion the answers to the many questions that have been so eagerly awaited. The spellbinding, richly woven narrative, which plunges, twists and turns at a breathtaking pace, confirms the author as a mistress of storytelling, whose books will be read, reread and read again.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.07.2007Wenn nur alles in der Familie bleibt
Das Kinderbuch für ein nachkindliches Zeitalter – und ein Sieg der Klassengesellschaft: Der neue und letzte von sieben Bänden „Harry Potter”
Nun ist er also draußen, der jüngste und letzte der sieben Harry-Potter-Bände. Um den Schluss vor allem hat sich die Aufregung gedreht, um die Frage, wie die ungeheure Heptalogie nach ihrem langen Flug denn nun aufsetzen wird. Das war wohl unvermeidlich, denn nur so ließ sich der bittere Geschmack des Abschieds überwürzen; Neugier verhüllt die Trauer. Wenn man das Buch dann wirklich in einer Mammutsitzung am Samstag durchgelesen hat, so stellt man fest, was auch vorher zu wissen gewesen wäre: dass die Fantasy-Literatur, dieses bei aller kaleidoskopischen Variation so festgeprägte Genre, wirkliche Freiheit in der Führung des Plots nicht zulässt. Nicht jedes Ende kam in Frage, eigentlich nur ein einziges: dieses. Den wahren Geheimnisverrat, so steht zu fürchten, begeht der, der nach der Lektüre verkündet: Die Überraschung besteht darin, dass es keine gibt, und wenn ihr von einem Buch vor allem den Schluss wissen wollt, dann kauft euch lieber einen Krimi von Agatha Christie.
Nachdem jetzt alles ausgestanden ist, darf man doch einmal verschnaufen und eine andere Frage an dieses Werk richten: Wo kommt dieser gigantische Erfolg her? An der literarischen Leistung, an der Sprache von J. K. Rowling, kann es nicht liegen. Man braucht nicht sehr boshaft zu sein, um die These zu wagen: Eine eigene Sprache hat diese Autorin gar nicht. Was sie zu sagen hat, teilt sie nicht in, sondern durch Sprache mit. Man darf ihr ohne weiteres die Anekdote glauben, dass die ganze Geschichte bis in die Einzelheiten ihr auf einmal zufiel: Dies war der himmlische Gnadenakt, dessen sie teilhaftig wurde, und das Weitere lässt sich als bloße Ausarbeitung und Einkleidung eines Vorgängigen betrachten. Alle Erfindung bewegt sich bei ihr auf der rein sachlichen Ebene; und am meisten dort, wo die zauberische Macht ausdrücklich im Sprachlichen behaust sein soll: Die gern und reichlich zitierten Zauberformeln haben den Charme von Betriebsanleitungen, wobei nicht einmal das frei gehandhabte Latein ihnen zu einem Hauch von Grazie verhilft. Das Magische ist bei Rowling, obwohl ihr ganzes Werk das Gegenteil zu behaupten scheint, keine literarische Kategorie eigenen Rechts, sondern eine technische Spezialität.
Im siebten Band passiert viel, schätzungsweise so viel wie in den ersten sechs zusammen, und das ganze angesammelte Personal will mehr oder weniger gleichzeitig beschäftigt sein. Unter dieser Last ächzt Rowlings Verlautbarungsprosa gewaltig. Typische szenische Schilderungen gehen so vor sich: „Bellatrix kämpfte immer noch, fünfzig Yard von Voldemort entfernt, und wie ihr Herr duellierte sie sich mit dreien auf einmal: Hermine, Ginny und Luna, die alle so hart fochten wie sie konnten, aber Bellatrix war ihnen gewachsen, und Harrys Aufmerksamkeit wurde abgelenkt, als ein Todesfluch so dicht an Ginny vorbeischoss, dass sie dem Tod nur um einen Inch entging –” Das hat die Form des Drehbuchs; es will und kann nicht Literatur sein, sondern begnügt sich mit der knappen Handreichung für ein anderes Medium.
Der Erfolg der Potter-Serie kann auch nicht daran liegen, dass sie etwas Neues böte; denn selbst wo sie es tut, ist dafür gesorgt, dass überall die Anmutung des Alten bestimmend wirkt. Zunächst einmal natürlich des historisch Alten, wie es sich in der Architektur von Hogwarts ausspricht. Vor allem aber tritt einem in den Potter-Büchern etwas entgegen, was man von jeher zu kennen glaubt; sie schlagen eine Saite an wie ein einfaches Kinderlied, das man gar nicht in seiner Kindheit gehört haben muss, um doch sofort eine Art Heimweh zu empfinden.
An diesem Phänomen prallt der Vorwurf des Plagiats ab, den man gegen J. K. Rowling wiederholt erhoben hat, und nicht ohne Anlass. Wem entgingen die, vorsichtig gesagt, Anklänge an den „Herrn der Ringe” und den „Krieg der Sterne”? Und doch findet hier eine Synthese eigenen, vielleicht höheren Rechts statt. Diese Motive gehören im eigentlichen Sinn niemandem, in ihrer Wandelbarkeit wie ihrem Bestand gleichen sie dem Mythos, den jeder haben und nach seinem Bedürfnis modeln kann; das ausgesetzte Geschwisterpaar Hänsel und Gretel begeht keinen geistigen Diebstahl an dem ausgesetzten Moses.
Erschlaffung der Imagination
Es handelt sich um Konstellationen des Familienlebens; und deren Zahl muss klein bleiben, wenn man bedenkt, wie wenige Sterne mitwirken. Das verwundete, verlassene, verstoßene Kind kehrt zurück als König, Schöpfer oder Erlöser; und zu diesen herrlich gerechtfertigten Waisen im eigentlichen oder übertragenen Sinn gehört auch Harry Potter, dessen emblematischer Stirnzeichen beides verkündet, als Narbe und Krone der verletzten und geheilten Familie. Das mörderische Urgeschehen, an dem dennoch etwas gutgemacht werden kann: das musste in einer Ära der massenhaft scheiternden und dysfunktionalen Familien wie ein Blitz zu Herzen gehen.
In der gesamten riesenhaften Fantasy-Literatur, besonders aber in ihren drei großen, geschlossenen, gemeindebildenden Universen – „Star Wars”, „Herr der Ringe”, Harry Potter -, erkennt man unschwer die wuchernde Wiederkehr des Märchens. Woher aber die Wucherung? Nimmt man im erwachsenen Alter wieder einmal die Märchen der Gebrüder Grimm zur Hand, so wird man fast unweigerlich eine Enttäuschung erleben: Es steht dort gar nicht, woran man sich erinnert, es steht dort viel weniger. Es heißt einfach „ein dunkler Wald”, „eine Hexe”, und Schluss; alle die inständigen Bilder, die sie heraufbeschwören, waren eine Leistung der eigenen kindlichen Phantasie gewesen, man selbst hatte diesem dürrsten Gerüst zu Farbe und Tiefe verholfen. Wie kreativ wir damals waren, als wir bloß zu empfangen meinten!
Doch das kann man weder von den heutigen Kindern noch von der heutigen Zeit mehr verlangen. Um annähernd gleiche Wirkungen zu erzielen, braucht man viel stärkere Reize, was sich zunächst einmal in viel dickeren Büchern niederschlägt. Man sollte sich darum auch aus lesepädagogischer Sicht nicht allzusehr über die Bereitschaft zur Lektüre starkleibiger Bände freuen: Sie bezeugt zunächst einmal die eingetretene Erschlaffung der imaginativen Kräfte, so wie ja auch ein starkes Schlafmittel keineswegs auf den guten Schlaf des Benutzers schließen lässt. Harry Potter ist ein Kinderbuch für ein nachkindliches Zeitalter; darum lieben es auch die Erwachsenen. Es spiegelt den Zustand und trägt seinen Teil dazu bei, dass die Kinder immer früher immer klüger werden und die Erwachsenen sich dafür in die Kindheit und deren Vorvernunft zurückträumen.
Und man schaue sich an, wie diese barocke Vervielfachung der einfachen Glieder bewerkstelligt wird: stets und immer durch den „Quest”, das heißt aus der Koppelung der Welterlösung mit einer Schnitzeljagd. Ein einziger gralsartiger Gegenstand, handlich, schwer und kostbar, kann da gar nicht genügen. Was „Harry Potter and the Deathly Hallows” hier liefern, kann als bislang unüberbotener, absurder Höhepunkt der Gattung gelten. Hier haben ihren Auftritt: sechs Horkruxe, darunter ein Kelch, ein Siegelring, ein Medaillon, ein Diadem, eine Schlange (der sechste muss aus dramaturgischen Gründen verschwiegen werden); die titelgebenden drei „Deathly Hallows”, ein Stein, ein Zauberstab und ein Mantel; und dazu noch vier Erbstücke Dumbledores. Es kommt der Augenblick, wo Harry selbst nicht mehr weiß, ob er jetzt einem Hallow oder einem Horkrux hinterherhechten soll: ein Augenblick komischer Ratlosigkeit.
Und warum die Wiederkehr des Märchens? Dass es „immer da” war, stimmt ja gar nicht. Jede Buchhändlerin weiß, dass Kinderliteratur ein Nullsummenspiel ist und das kindliche Gesamtlesevolumen keineswegs zunimmt. Jede Potterlektüre entspricht also der Unterlassung einer anderen. Man fasst das Phänomen wohl am besten zusammen, indem man von einem Sieg Englands über Schweden spricht. In den siebziger Jahren und noch einige Zeit danach wurden die Charts von Astrid Lindgren angeführt. Auch Pipi Langstrumpf war ein funktionelles Waisenkind; aber nie vergoss sie eine Träne über die Abwesenheit ihres Vaters, des fernen „Negerkönigs”. Im Gegenteil, solche Elternlosigkeit machte sie zum Gegenstand von Neid und Bewunderung seitens ihrer Freunde und Leserinnen. Keine Familie haben – konnte es etwas Schöneres geben? Es war das Tor zur Freiheit; und Aufbruch, Befreiung war das gesellschaftliche Paradigma der Zeit.
Vergleicht man Harry Potter damit, so fällt auf, dass der Begriff der Freiheit hier nicht einmal gedacht wird. An seine Stelle tritt die Idee des Guten. Das Gute zwingt zur Entscheidung; aber diese Entscheidung ist niemals frei, denn als Alternative steht nur das Böse zur Wahl, mit dem es kein gutes Ende nehmen kann. Alles an diesem Guten ist Pflicht, Bewährung, Leiden, Kampf – und am Ende die Reproduktion der Ausgangslage, ein ewiger Zirkel, der das sozialdemokratisch gestimmte Zeitalter in tiefe Depression gestürzt hätte. Dass es aber so knüppeldick kommt, dass Rowling ihre Welt unter einer so hermetischen Käseglocke versiegelt, schluckt man nur mit großem Widerwillen. Das Buch hat einen Abgesang, in dem wir die überlebenden Hauptpersonen neunzehn Jahre später sehen, alle brav mit ihren Schätzen aus der Schulzeit verheiratet, und die Kinder wiederholen mit niederschmetternder Ausschließlichkeit die Namen der großelterlichen Generation, als gäbe in der Folge der Generationen nur die Abwechslung von gerade und ungerade, und auch die Kinder fahren wieder mit der roten Dampflok von Gleis 9 ¾ nach Hogwarts.
Zukunftsangst? Nach England!
Bei der Weltgeschichte kommt sowieso nichts heraus, höchstens was Schlechteres: Das ist das verzagte Credo jedes Konservatismus. Und jedes Zeitalter, das vor der Zukunft Angst hat, blickt zur Orientierung nach England, wo der Konservatismus so gut zu funktionieren scheint. Wer gehofft hat, dass die rigorose Klassengesellschaft in Rowlings Büchern durch den großen apokalyptischen Kampf wenigstens ein bisschen aufgemischt würde, sieht sich getäuscht; am Ende steht wieder das Gleichgewicht von Zauberern und Muggles, mit deutlichem Vorrang für die erste Gruppe; die emanzipatorischen Bestrebungen, die sich eine Zeitlang für die Unterschichten der Elfen und Kobolde (Goblins) erkennen ließen, scheitern. Der Adel muss sich widerstrebend in die Allianz mit der Bourgeoisie fügen, das ist der Preis, den sie beide zu zahlen haben, damit das Proletariat ausgeschlossen bleibt. Das Buch endet äußerlich um 1997 – ideologisch etwa zweihundert Jahre früher, in der Reifephase der Französischen Revolution.
Davon will das Buch nichts wissen. Geschichte heißt ihm ausschließlich Familiengeschichte; und diese wiederum ist identisch mit dem Skelett im Wandschrank und dem Dreck am Stecken. Aber das Verdrängte kehrt bekanntlich wieder, manchmal bloß in Kleinigkeiten. Man denke an die Zauberstäbe: die Liebe, mit der sie beschrieben sind, die vielen Hölzer, aus denen es zu wählen gilt, das persönliche Verhältnis zu ihrem Benutzer – nicht der Zauberer suche sich den Stab, sondern der Stab den Zauberer, heißt es: so sprechen Musiker von ihren Instrumenten. Und es fällt einem ein, dass früher die englischen Polizisten keine Pistolen trugen, sondern nur ihre „nightsticks”, die Schlagstöcke.
Die Zauberstäbe schienen eine hübsche Allegorie auf diesen kleinen, aber bezeichnenden zivilisatorischen Vorsprung der Insel vor den anderen Nationen. Im letzten Band aber geht ein Großeinsatz nunmehr so vonstatten: „Kommen Sie heraus mit erhobenen Händen! Wir wissen, dass Sie hier sind! Wir haben ein halbes Dutzend Zauberstäbe auf Sie gerichtet und werden jeden ohne Rücksicht verfluchen!” Das sind keine Flötentöne mehr, hier kommen halbautomatische Schusswaffen zum Einsatz. Aber immerhin, und das kann man nicht hoch genug veranschlagen: Bis zum allerletzten Augenblick geht von keinem der Helden ein Tötungsakt aus. BURKHARD MÜLLER
J. K. ROWLING: Harry Potter and the Deathly Hallows. Bloomsbury London, 608 Seiten, ab 14,90 Euro. Die deutsche Übersetzung erscheint am 27. Oktober im Carlsen-Verlag.
Die ganze Welt steht Schlange für ein Buch: Szenen (von links oben nach rechts unten) aus Neu Delhi, Lahore, Moskau, Peking, Kampala, Frankfurt und Teheran. Fotos: AFP (2), AP, dpa (2), ddp, Reuters
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Das Kinderbuch für ein nachkindliches Zeitalter – und ein Sieg der Klassengesellschaft: Der neue und letzte von sieben Bänden „Harry Potter”
Nun ist er also draußen, der jüngste und letzte der sieben Harry-Potter-Bände. Um den Schluss vor allem hat sich die Aufregung gedreht, um die Frage, wie die ungeheure Heptalogie nach ihrem langen Flug denn nun aufsetzen wird. Das war wohl unvermeidlich, denn nur so ließ sich der bittere Geschmack des Abschieds überwürzen; Neugier verhüllt die Trauer. Wenn man das Buch dann wirklich in einer Mammutsitzung am Samstag durchgelesen hat, so stellt man fest, was auch vorher zu wissen gewesen wäre: dass die Fantasy-Literatur, dieses bei aller kaleidoskopischen Variation so festgeprägte Genre, wirkliche Freiheit in der Führung des Plots nicht zulässt. Nicht jedes Ende kam in Frage, eigentlich nur ein einziges: dieses. Den wahren Geheimnisverrat, so steht zu fürchten, begeht der, der nach der Lektüre verkündet: Die Überraschung besteht darin, dass es keine gibt, und wenn ihr von einem Buch vor allem den Schluss wissen wollt, dann kauft euch lieber einen Krimi von Agatha Christie.
Nachdem jetzt alles ausgestanden ist, darf man doch einmal verschnaufen und eine andere Frage an dieses Werk richten: Wo kommt dieser gigantische Erfolg her? An der literarischen Leistung, an der Sprache von J. K. Rowling, kann es nicht liegen. Man braucht nicht sehr boshaft zu sein, um die These zu wagen: Eine eigene Sprache hat diese Autorin gar nicht. Was sie zu sagen hat, teilt sie nicht in, sondern durch Sprache mit. Man darf ihr ohne weiteres die Anekdote glauben, dass die ganze Geschichte bis in die Einzelheiten ihr auf einmal zufiel: Dies war der himmlische Gnadenakt, dessen sie teilhaftig wurde, und das Weitere lässt sich als bloße Ausarbeitung und Einkleidung eines Vorgängigen betrachten. Alle Erfindung bewegt sich bei ihr auf der rein sachlichen Ebene; und am meisten dort, wo die zauberische Macht ausdrücklich im Sprachlichen behaust sein soll: Die gern und reichlich zitierten Zauberformeln haben den Charme von Betriebsanleitungen, wobei nicht einmal das frei gehandhabte Latein ihnen zu einem Hauch von Grazie verhilft. Das Magische ist bei Rowling, obwohl ihr ganzes Werk das Gegenteil zu behaupten scheint, keine literarische Kategorie eigenen Rechts, sondern eine technische Spezialität.
Im siebten Band passiert viel, schätzungsweise so viel wie in den ersten sechs zusammen, und das ganze angesammelte Personal will mehr oder weniger gleichzeitig beschäftigt sein. Unter dieser Last ächzt Rowlings Verlautbarungsprosa gewaltig. Typische szenische Schilderungen gehen so vor sich: „Bellatrix kämpfte immer noch, fünfzig Yard von Voldemort entfernt, und wie ihr Herr duellierte sie sich mit dreien auf einmal: Hermine, Ginny und Luna, die alle so hart fochten wie sie konnten, aber Bellatrix war ihnen gewachsen, und Harrys Aufmerksamkeit wurde abgelenkt, als ein Todesfluch so dicht an Ginny vorbeischoss, dass sie dem Tod nur um einen Inch entging –” Das hat die Form des Drehbuchs; es will und kann nicht Literatur sein, sondern begnügt sich mit der knappen Handreichung für ein anderes Medium.
Der Erfolg der Potter-Serie kann auch nicht daran liegen, dass sie etwas Neues böte; denn selbst wo sie es tut, ist dafür gesorgt, dass überall die Anmutung des Alten bestimmend wirkt. Zunächst einmal natürlich des historisch Alten, wie es sich in der Architektur von Hogwarts ausspricht. Vor allem aber tritt einem in den Potter-Büchern etwas entgegen, was man von jeher zu kennen glaubt; sie schlagen eine Saite an wie ein einfaches Kinderlied, das man gar nicht in seiner Kindheit gehört haben muss, um doch sofort eine Art Heimweh zu empfinden.
An diesem Phänomen prallt der Vorwurf des Plagiats ab, den man gegen J. K. Rowling wiederholt erhoben hat, und nicht ohne Anlass. Wem entgingen die, vorsichtig gesagt, Anklänge an den „Herrn der Ringe” und den „Krieg der Sterne”? Und doch findet hier eine Synthese eigenen, vielleicht höheren Rechts statt. Diese Motive gehören im eigentlichen Sinn niemandem, in ihrer Wandelbarkeit wie ihrem Bestand gleichen sie dem Mythos, den jeder haben und nach seinem Bedürfnis modeln kann; das ausgesetzte Geschwisterpaar Hänsel und Gretel begeht keinen geistigen Diebstahl an dem ausgesetzten Moses.
Erschlaffung der Imagination
Es handelt sich um Konstellationen des Familienlebens; und deren Zahl muss klein bleiben, wenn man bedenkt, wie wenige Sterne mitwirken. Das verwundete, verlassene, verstoßene Kind kehrt zurück als König, Schöpfer oder Erlöser; und zu diesen herrlich gerechtfertigten Waisen im eigentlichen oder übertragenen Sinn gehört auch Harry Potter, dessen emblematischer Stirnzeichen beides verkündet, als Narbe und Krone der verletzten und geheilten Familie. Das mörderische Urgeschehen, an dem dennoch etwas gutgemacht werden kann: das musste in einer Ära der massenhaft scheiternden und dysfunktionalen Familien wie ein Blitz zu Herzen gehen.
In der gesamten riesenhaften Fantasy-Literatur, besonders aber in ihren drei großen, geschlossenen, gemeindebildenden Universen – „Star Wars”, „Herr der Ringe”, Harry Potter -, erkennt man unschwer die wuchernde Wiederkehr des Märchens. Woher aber die Wucherung? Nimmt man im erwachsenen Alter wieder einmal die Märchen der Gebrüder Grimm zur Hand, so wird man fast unweigerlich eine Enttäuschung erleben: Es steht dort gar nicht, woran man sich erinnert, es steht dort viel weniger. Es heißt einfach „ein dunkler Wald”, „eine Hexe”, und Schluss; alle die inständigen Bilder, die sie heraufbeschwören, waren eine Leistung der eigenen kindlichen Phantasie gewesen, man selbst hatte diesem dürrsten Gerüst zu Farbe und Tiefe verholfen. Wie kreativ wir damals waren, als wir bloß zu empfangen meinten!
Doch das kann man weder von den heutigen Kindern noch von der heutigen Zeit mehr verlangen. Um annähernd gleiche Wirkungen zu erzielen, braucht man viel stärkere Reize, was sich zunächst einmal in viel dickeren Büchern niederschlägt. Man sollte sich darum auch aus lesepädagogischer Sicht nicht allzusehr über die Bereitschaft zur Lektüre starkleibiger Bände freuen: Sie bezeugt zunächst einmal die eingetretene Erschlaffung der imaginativen Kräfte, so wie ja auch ein starkes Schlafmittel keineswegs auf den guten Schlaf des Benutzers schließen lässt. Harry Potter ist ein Kinderbuch für ein nachkindliches Zeitalter; darum lieben es auch die Erwachsenen. Es spiegelt den Zustand und trägt seinen Teil dazu bei, dass die Kinder immer früher immer klüger werden und die Erwachsenen sich dafür in die Kindheit und deren Vorvernunft zurückträumen.
Und man schaue sich an, wie diese barocke Vervielfachung der einfachen Glieder bewerkstelligt wird: stets und immer durch den „Quest”, das heißt aus der Koppelung der Welterlösung mit einer Schnitzeljagd. Ein einziger gralsartiger Gegenstand, handlich, schwer und kostbar, kann da gar nicht genügen. Was „Harry Potter and the Deathly Hallows” hier liefern, kann als bislang unüberbotener, absurder Höhepunkt der Gattung gelten. Hier haben ihren Auftritt: sechs Horkruxe, darunter ein Kelch, ein Siegelring, ein Medaillon, ein Diadem, eine Schlange (der sechste muss aus dramaturgischen Gründen verschwiegen werden); die titelgebenden drei „Deathly Hallows”, ein Stein, ein Zauberstab und ein Mantel; und dazu noch vier Erbstücke Dumbledores. Es kommt der Augenblick, wo Harry selbst nicht mehr weiß, ob er jetzt einem Hallow oder einem Horkrux hinterherhechten soll: ein Augenblick komischer Ratlosigkeit.
Und warum die Wiederkehr des Märchens? Dass es „immer da” war, stimmt ja gar nicht. Jede Buchhändlerin weiß, dass Kinderliteratur ein Nullsummenspiel ist und das kindliche Gesamtlesevolumen keineswegs zunimmt. Jede Potterlektüre entspricht also der Unterlassung einer anderen. Man fasst das Phänomen wohl am besten zusammen, indem man von einem Sieg Englands über Schweden spricht. In den siebziger Jahren und noch einige Zeit danach wurden die Charts von Astrid Lindgren angeführt. Auch Pipi Langstrumpf war ein funktionelles Waisenkind; aber nie vergoss sie eine Träne über die Abwesenheit ihres Vaters, des fernen „Negerkönigs”. Im Gegenteil, solche Elternlosigkeit machte sie zum Gegenstand von Neid und Bewunderung seitens ihrer Freunde und Leserinnen. Keine Familie haben – konnte es etwas Schöneres geben? Es war das Tor zur Freiheit; und Aufbruch, Befreiung war das gesellschaftliche Paradigma der Zeit.
Vergleicht man Harry Potter damit, so fällt auf, dass der Begriff der Freiheit hier nicht einmal gedacht wird. An seine Stelle tritt die Idee des Guten. Das Gute zwingt zur Entscheidung; aber diese Entscheidung ist niemals frei, denn als Alternative steht nur das Böse zur Wahl, mit dem es kein gutes Ende nehmen kann. Alles an diesem Guten ist Pflicht, Bewährung, Leiden, Kampf – und am Ende die Reproduktion der Ausgangslage, ein ewiger Zirkel, der das sozialdemokratisch gestimmte Zeitalter in tiefe Depression gestürzt hätte. Dass es aber so knüppeldick kommt, dass Rowling ihre Welt unter einer so hermetischen Käseglocke versiegelt, schluckt man nur mit großem Widerwillen. Das Buch hat einen Abgesang, in dem wir die überlebenden Hauptpersonen neunzehn Jahre später sehen, alle brav mit ihren Schätzen aus der Schulzeit verheiratet, und die Kinder wiederholen mit niederschmetternder Ausschließlichkeit die Namen der großelterlichen Generation, als gäbe in der Folge der Generationen nur die Abwechslung von gerade und ungerade, und auch die Kinder fahren wieder mit der roten Dampflok von Gleis 9 ¾ nach Hogwarts.
Zukunftsangst? Nach England!
Bei der Weltgeschichte kommt sowieso nichts heraus, höchstens was Schlechteres: Das ist das verzagte Credo jedes Konservatismus. Und jedes Zeitalter, das vor der Zukunft Angst hat, blickt zur Orientierung nach England, wo der Konservatismus so gut zu funktionieren scheint. Wer gehofft hat, dass die rigorose Klassengesellschaft in Rowlings Büchern durch den großen apokalyptischen Kampf wenigstens ein bisschen aufgemischt würde, sieht sich getäuscht; am Ende steht wieder das Gleichgewicht von Zauberern und Muggles, mit deutlichem Vorrang für die erste Gruppe; die emanzipatorischen Bestrebungen, die sich eine Zeitlang für die Unterschichten der Elfen und Kobolde (Goblins) erkennen ließen, scheitern. Der Adel muss sich widerstrebend in die Allianz mit der Bourgeoisie fügen, das ist der Preis, den sie beide zu zahlen haben, damit das Proletariat ausgeschlossen bleibt. Das Buch endet äußerlich um 1997 – ideologisch etwa zweihundert Jahre früher, in der Reifephase der Französischen Revolution.
Davon will das Buch nichts wissen. Geschichte heißt ihm ausschließlich Familiengeschichte; und diese wiederum ist identisch mit dem Skelett im Wandschrank und dem Dreck am Stecken. Aber das Verdrängte kehrt bekanntlich wieder, manchmal bloß in Kleinigkeiten. Man denke an die Zauberstäbe: die Liebe, mit der sie beschrieben sind, die vielen Hölzer, aus denen es zu wählen gilt, das persönliche Verhältnis zu ihrem Benutzer – nicht der Zauberer suche sich den Stab, sondern der Stab den Zauberer, heißt es: so sprechen Musiker von ihren Instrumenten. Und es fällt einem ein, dass früher die englischen Polizisten keine Pistolen trugen, sondern nur ihre „nightsticks”, die Schlagstöcke.
Die Zauberstäbe schienen eine hübsche Allegorie auf diesen kleinen, aber bezeichnenden zivilisatorischen Vorsprung der Insel vor den anderen Nationen. Im letzten Band aber geht ein Großeinsatz nunmehr so vonstatten: „Kommen Sie heraus mit erhobenen Händen! Wir wissen, dass Sie hier sind! Wir haben ein halbes Dutzend Zauberstäbe auf Sie gerichtet und werden jeden ohne Rücksicht verfluchen!” Das sind keine Flötentöne mehr, hier kommen halbautomatische Schusswaffen zum Einsatz. Aber immerhin, und das kann man nicht hoch genug veranschlagen: Bis zum allerletzten Augenblick geht von keinem der Helden ein Tötungsakt aus. BURKHARD MÜLLER
J. K. ROWLING: Harry Potter and the Deathly Hallows. Bloomsbury London, 608 Seiten, ab 14,90 Euro. Die deutsche Übersetzung erscheint am 27. Oktober im Carlsen-Verlag.
Die ganze Welt steht Schlange für ein Buch: Szenen (von links oben nach rechts unten) aus Neu Delhi, Lahore, Moskau, Peking, Kampala, Frankfurt und Teheran. Fotos: AFP (2), AP, dpa (2), ddp, Reuters
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.07.2007Harrys Finale
Der Übersetzer kann sich an die Arbeit machen. Seit die englische Ausgabe des letzten Abenteuers von Harry Potter am Samstag erschienen ist, brütet Klaus Fritz über der deutschen Fassung. Der Titel steht schon fest: "Harry Potter und die Heiligtümer des Todes" wird der letzte Band der Serie auf Deutsch heißen. Wer nicht bis zum 27. Oktober warten möchte, kann sich am Original versuchen. In Deutschland wurden davon allein am Wochenende schon fast 400 000 Exemplare verkauft, in England und Amerika sogar mehr als elf Millionen - ein neuer Rekord.
Im siebten Band begibt sich Harry gemeinsam mit Ron und Hermine auf die aufregende Suche nach den "Horcruxes", den Gegenständen, in denen Lord Voldemort Teile seiner Seele verwahrt hat, um dem Tod zu entgehen. Sie wollen die "Horcruxes" zerstören, um ihn zu besiegen. Ständig müssen sie sich verstecken, denn Voldemorts "Totesser" sind ihnen auf der Spur. Ob an der Tottenham Court Road oder am Grimmauld Place - kein Platz scheint sicher. Auf den 608 Seiten begegnen einem viele alte Bekannte. Der rassistische Hauselfe Kreacher erzählt seine Geschichte, der "Orden des Phönix", die Allianz gegen das Böse, kämpft an Harrys Seite. Neben viel Schatten gibt es auch lichte Momente: Bill Weasley und die schöne Fleur Delacour feiern eine richtig pompöse Hochzeit. Mit fliegenden Champagnerflaschen.
rsch.
(J. K. Rowling: Harry Potter and the Deathly Hallows, Band 7, gebunden, Bloomsbury 2007, ab 17,90 Euro.)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der Übersetzer kann sich an die Arbeit machen. Seit die englische Ausgabe des letzten Abenteuers von Harry Potter am Samstag erschienen ist, brütet Klaus Fritz über der deutschen Fassung. Der Titel steht schon fest: "Harry Potter und die Heiligtümer des Todes" wird der letzte Band der Serie auf Deutsch heißen. Wer nicht bis zum 27. Oktober warten möchte, kann sich am Original versuchen. In Deutschland wurden davon allein am Wochenende schon fast 400 000 Exemplare verkauft, in England und Amerika sogar mehr als elf Millionen - ein neuer Rekord.
Im siebten Band begibt sich Harry gemeinsam mit Ron und Hermine auf die aufregende Suche nach den "Horcruxes", den Gegenständen, in denen Lord Voldemort Teile seiner Seele verwahrt hat, um dem Tod zu entgehen. Sie wollen die "Horcruxes" zerstören, um ihn zu besiegen. Ständig müssen sie sich verstecken, denn Voldemorts "Totesser" sind ihnen auf der Spur. Ob an der Tottenham Court Road oder am Grimmauld Place - kein Platz scheint sicher. Auf den 608 Seiten begegnen einem viele alte Bekannte. Der rassistische Hauselfe Kreacher erzählt seine Geschichte, der "Orden des Phönix", die Allianz gegen das Böse, kämpft an Harrys Seite. Neben viel Schatten gibt es auch lichte Momente: Bill Weasley und die schöne Fleur Delacour feiern eine richtig pompöse Hochzeit. Mit fliegenden Champagnerflaschen.
rsch.
(J. K. Rowling: Harry Potter and the Deathly Hallows, Band 7, gebunden, Bloomsbury 2007, ab 17,90 Euro.)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Like the rest of the world, I have to know what happens next Kate Saunders, New Statesman