Der fünfte Band in der erfolgreichsten Jugendbuchserie aller Zeiten!
Es sind Sommerferien und wieder einmal sitzt Harry bei den unmöglichen Dursleys im Ligusterweg fest. Doch diesmal treibt ihn größere Unruhe denn je - Warum schreiben seine Freunde Ron und Hermine nur so rätselhafte Briefe? Und vor allem: Warum erfährt er nichts über die dunklen Mächte, die inzwischen neu erstanden sind und sich unaufhaltsam über Harrys Welt verbreiten? Noch weiß er nicht, was der geheimnisvolle Orden des Phönix gegen Du-weißt-schon-wen ausrichten kann ...
Als Harrys fünftes Schuljahr in Hogwarts beginnt, werden seine Sorgen nur noch größer. Die neue Lehrerin Dolores Umbridge macht ihm das Leben zur Hölle. Sie glaubt Harry einfach nicht, dass Voldemort zurück ist. Doch bald schlägt der Dunkle Lord wieder zu. Nun muss Harry seine Freunde um sich scharen, sonst gibt es kein Entrinnen.
Es sind Sommerferien und wieder einmal sitzt Harry bei den unmöglichen Dursleys im Ligusterweg fest. Doch diesmal treibt ihn größere Unruhe denn je - Warum schreiben seine Freunde Ron und Hermine nur so rätselhafte Briefe? Und vor allem: Warum erfährt er nichts über die dunklen Mächte, die inzwischen neu erstanden sind und sich unaufhaltsam über Harrys Welt verbreiten? Noch weiß er nicht, was der geheimnisvolle Orden des Phönix gegen Du-weißt-schon-wen ausrichten kann ...
Als Harrys fünftes Schuljahr in Hogwarts beginnt, werden seine Sorgen nur noch größer. Die neue Lehrerin Dolores Umbridge macht ihm das Leben zur Hölle. Sie glaubt Harry einfach nicht, dass Voldemort zurück ist. Doch bald schlägt der Dunkle Lord wieder zu. Nun muss Harry seine Freunde um sich scharen, sonst gibt es kein Entrinnen.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.06.2003Es kann nur einen geben
Harry Potter wird leben, aber die Rasse der Zauberer muss untergehen
Alt ist das Europa, in dem Harry Potter von September bis Juni lebt. Es besitzt Türme und Zinnen, Spitzbogen stützen die hohen Dächer, und von den Bildern an den Wänden grüßen die Ahnen. Arme Ritter spuken darin herum, deren Kopf an einem dünnen Faden hängt. In Hogwarts, dem Internat des nunmehr fünfzehnjährigen Zauberlehrlings, herrscht die ewige Gotik, das einzige metaphysische Zeitalter der Weltgeschichte, eine Epoche, die so fremd ist, dass für gewöhnliche Menschen, die Muggels, kein Weg dorthin führt. Denn die Welt der Muggels, dieser banalen, ein wenig törichten und bestenfalls harmlosen Rasse, verlässt nur, wer aus dem Londoner Bahnhof King’s Cross auf Gleis neundreiviertel hinausfahren kann.
An diesem Wochenende ist, zur maßlosen Aufregung der halben Welt, der fünfte Band dieses erfolgreichsten Bildungsromans aller Zeiten im englischen Original erschienen: „Harry Potter und der Orden des Phönix” heißt das dicke Buch, und Joanne K. Rowling hat drei Jahre gebraucht, um es zu schreiben – eine Verzögerung im Publikationstakt der Serie, die Anlass zu den üblichen Spekulationen gegeben hatte: Waren die Ideen ausgegangen, war die Autorin zu reich oder gar zu faul geworden? Der Grund ist vermutlich einfacher und komplizierter zugleich: Denn in diesem Band wird ein erzählerisches Dilemma offenbar, das Harry Potter von Anfang an begleitet hatte: Für die Zauberwelt gilt keine Zeit, und der zauberische Raum besitzt Löcher wie ein mottenzerfressener Spitzhut. Doch Harry Potter soll kein altersloser Peter Pan sein. Er wächst heran, und mit der Pubertät tritt er aus der Zeitlosigkeit der Kindheit in die historische Welt. Der erste Kuss und der Tod eines nahe stehenden Menschen – das ahnte das Publikum, deshalb wurde es so nervös – werden die ersten wirklichen Prüfungen dieser Romanfolge und ihres Helden sein, weil das Prinzip von Hogwarts herausgefordert wird.
Behutsam geht Joanne K. Rowling an das Problem der geschichtlichen Zeit heran, zunächst in kleinen Schritten. Dudley, der fette, dumme, niederträchtige Sohn der Stiefeltern, trägt eine Lederjacke und ist unter dem Kriegsnamen „Big D” zum Chef einer Schlägerbande geworden, der die Vorstadt terrorisiert und die kleineren Kinder der Nachbarschaft verprügelt. Gegen Ende des Buches aber geht es mit dem Erwachsenwerden so schnell voran, dass der Leser zu fürchten beginnt, die siebenhundertsechsundsechzig Seiten dieses Schmökers könnten gar nicht ausreichen, um so viel Schuld und Verantwortung, Geschichte und Ethik nach Art des späten zwanzigsten Jahrhunderts aufzunehmen. Am Ende dieser Serie wird es, so viel Voraussage sei gewagt, in riesigen, flammenden Lettern eine politische Moral zu lesen geben.
Was heißt es, wenn Harry Potter erwachsen werden soll? Er muss zum Beispiel erfahren, dass seine toten Eltern am frühen Triumph des Bösen nicht unschuldig waren: „Sie dachten, dass Voldemort die richtige Idee hat”, heißt es über die beiden Mitläufer eines zukünftigen totalitären Regimes, „sie begeisterten sich für Reinigung der Zaubererrasse, wollten die Abkömmlinge der Muggels loswerden und das reine Blut an die Macht bringen.” Es kommt, wie es kommen muss: Was gut ist und was böse, lässt sich nicht mehr trennen, und so wie im „Krieg der Sterne” der Knabe Luke Skywalker im schwarzen Meister Darth Vader steckte (und umgekehrt), so teilen sich auch Harry Potter und der Lord Voldemort nicht nur den Geist, sondern auch die Art der Abstammung: Beide sind „half bloods”, Bastarde, halb Mensch, halb Zauberer. Aber wohin gehört das Herz?
Wenn es ein Lebensalter gibt, in dem man sich magische Fähigkeiten wünscht, dann ist dies die Pubertät, die Schwellenzeit, die Periode der nicht enden wollenden Missgeschicke und Peinlichkeiten. Wie angenehm wäre es, wenn man die vielen Quälgeister fortzaubern könnte. Oder sich selbst. Schon Hogwarts, das Internat, die totale Schule, war ein Heilsversprechen, denn die großen Schrecken der kleinen Leute müssen auf besondere Art gebannt werden: „Und wenn die anderen kommen und Harry zu schlagen versuchten, war er bereit – er hatte seinen Stab.” Wer ein Kind in diesem Sinne war, das wurde von Band zu Band undeutlicher, und bald müssen auch schon sehr erwachsene Menschen ihre bange Seele und ihre Liebe zu einem kleinen Zauberer entdeckt haben: Wie sonst sollte man erklären, dass dem Gedanken an eine magische Geheimgesellschaft, der kindlichen Hoffnung, man könne sich in der Welt vor der Welt verstecken, ein solcher Erfolg beschieden war?
Das Glück der Zukunft
Der Grund dieses gigantischen Erfolgs ist nicht nur darin zu suchen, dass Joanne K. Rowling mit jedem Buch dieser Serie eine effizientere, zunehmend radikalere Schriftstellerin geworden ist, eine allein erziehende Mutter und Autorin, die ihrer eigenen Welterfahrung so sehr vertraut, dass sie Harry Potter den Vater gleich zweimal raubt. Es liegt auch darin, dass sie mit dieser Idee des bedingungslosen Aus-der-Welt-Fallen-Wollens an einen Grundwunsch unserer Zeit zu rühren scheint, an den Traum, es könne ein Leben ohne Geschichte und ohne Gesellschaft geben. Und es liegt schließlich auch daran, dass sich der Erfolg dieser Serie längst selbst generiert: als der beinahe hysterische Wunsch, es müsse wieder etwas geben, das alle kennen, das einen gemeinsamen Bezug schafft, das eine universale Erfahrung zusammenschließt, so wie es zum Beispiel die frühen Lieder der „Beatles” taten. Deshalb ist es so wichtig, dass Harry Potter älter wird, dass die ihm gewidmeten Romane als Lebensbegleitung funktionieren und, von Jahrgangsstufe zu Jahrgangsstufe ansteigend, an moralischer Komplexität und an Intensität des beschriebenen Schreckens gewinnen.
Harry Potter muss leiden wie jeder Erlöser. Sein Leiden begann in der Schlafkammer unter der Treppe, und die Qual ist mit dem jüngsten Zweikampf gegen Voldemort mit Sicherheit noch nicht ausgestanden. Er muss leiden wie Anton Reiser oder David Copperfield, er muss leiden, wie man es einem Heranwachsenden in der Kinderliteratur schon lange nicht mehr zugemutet hat, es sei denn, es ging um die Bewältigung der deutschen Vergangenheit. Gegen dieses Leiden rebelliert er jetzt mit dem ganzen Wahrheitspathos eines Fünfzehnjährigen.
Wenn man älter werde, so scheint die ehemalige Sozialarbeiterin Joanne K. Rowling zu lehren, dann müsse man auch den Kummer kennen lernen, denn daran wachse der Mensch. Aber in diesem Buch geht es um viel mehr. Ein Krieg hat begonnen, das Böse bedroht die Welt, die Behörden sind so verblendet wie korrupt, und das Glück der Zukunft ruht auf den schmalen Schultern eines Verstoßenen. Das fantastische Ballspiel Quidditch spielt kaum noch eine Rolle, die Zaubersprüche sind Waffen, und Harry Potter muss sich ohne Hermine und Ron und Neville behaupten. Und auch dies wird überdeutlich: Der tote Gefährte ist nur ein Bote der Zukunft, es wird noch schlimmer werden.
Hermann Hesse war der erste Schriftsteller, dessen großer Erfolg auf der Vorstellung beruhte, es gebe nicht nur eine Art Naturform für alle, die anders sind, sondern sogar eine Heimat für die andersartigen Seelen, Indien oder Kastalien, wie auch immer. Joanne K. Rowling hat dieser Idee nicht nur eine magische, sondern auch eine rassentheoretische Spitze gegeben. Denn tief wie ein höllischer Abgrund ist die Kluft, die Magier und Menschen trennt. „The bond of blood is the strongest shield”, muss Harry Potter lernen, „das Band des Blutes ist der stärkste Schild”. Das ist ein Satz, für den man Martin Walser alle Furien der Aufklärung hinterherjagen würde.
Denn in dieser Differenz steckt mehr als die Attraktivität einer natürlichen Elite, als der Traum von einer angeborenen Überlegenheit. In dieser Differenz verbirgt sich auch die Schlüssigkeit, die scheinbar erlösende Kraft und das brutal Falsche einer Rassendoktrin. Denn was sind die Zauberer, wenn nicht ein auserwähltes Volk, dämonischer und interessanter als die Muggels? Und was heißt es, wenn die jungen Zauberer zur Schule gehen und Hausaufgaben zu bewältigen haben, es aber in keinem der nun fünf dicken Bücher eine Darstellung des praktischen Unterrichts gibt? Doch wohl, dass die Zugehörigkeit zur Rasse der Zauberer vom Schicksal verliehen wird, als Gnade und Verhängnis zugleich.
Tatsächlich beherrschen die Motive von Rasse und Klasse die gesamte Zauberschule. Soll es denn ein Zufall sein, dass die Guten, ob Schüler oder Lehrer, vielen Völkern zu entstammen scheinen? Oder dass Harry Potters erste erotische Schwärmerei einer zauberhaften kleinen Orientalin namens Cho Chang gehört? Sie wird das Mädchen, dem Harry Potter zum ersten Mal den ebenso verliebten wie ratlosen Ruf: „Women!” hinterherschicken darf. Dieser gemischten Gesellschaft gegenüber steht der ebenso arische wie reaktionäre und moralisch heruntergekommene Adel des weiß-blonden Draco Malfoy. Gewiss, die multiethnische Welt wird siegen, aber erst, wenn auch Harry Potter die aristokratischen Tugenden von Stolz, Eigensinn und Ehrgeiz wird überwunden haben.
Lassie darf nicht sterben, heißt die bekannte Regel aus einer vergangenen Kindheit. Joanne K. Rowling hat gegen dieses Gesetz zum Schutz der Jugend in der Kunst verstoßen. Im fünften Buch der Serie hat sie Mauern der Zauberburg geöffnet, sie hat den Bann um Hogwarts gebrochen und die Evolution eintreten lassen. Am Ende steht eine Prophezeiung: „and either must die at the hand of the other for neither can live while the other survives” – „und einer muss sterben von der Hand des anderen, denn keiner von beiden kann leben, während der andere bleibt”. Und das heißt: Es kann nur einen geben, den pater absconditus, den in die totale Verderbtheit gesunkenen Vertreter einer verlorenen Aristokratie oder den wenn auch genialen Repräsentanten einer neuen, gemischten Rasse. Man ahnt nun, wie die Geschichte enden wird: als Allegorie auf das zwanzigste Jahrhundert. Harry Potter wird leben, aber die Welt der Zauberer kann es nicht mehr geben.
THOMAS STEINFELD
Mit dieser Narbe sollst Du siegen. Aber vorher muss Harry Potter leiden wie nur je ein Erlöser
Abb.: AP
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Harry Potter wird leben, aber die Rasse der Zauberer muss untergehen
Alt ist das Europa, in dem Harry Potter von September bis Juni lebt. Es besitzt Türme und Zinnen, Spitzbogen stützen die hohen Dächer, und von den Bildern an den Wänden grüßen die Ahnen. Arme Ritter spuken darin herum, deren Kopf an einem dünnen Faden hängt. In Hogwarts, dem Internat des nunmehr fünfzehnjährigen Zauberlehrlings, herrscht die ewige Gotik, das einzige metaphysische Zeitalter der Weltgeschichte, eine Epoche, die so fremd ist, dass für gewöhnliche Menschen, die Muggels, kein Weg dorthin führt. Denn die Welt der Muggels, dieser banalen, ein wenig törichten und bestenfalls harmlosen Rasse, verlässt nur, wer aus dem Londoner Bahnhof King’s Cross auf Gleis neundreiviertel hinausfahren kann.
An diesem Wochenende ist, zur maßlosen Aufregung der halben Welt, der fünfte Band dieses erfolgreichsten Bildungsromans aller Zeiten im englischen Original erschienen: „Harry Potter und der Orden des Phönix” heißt das dicke Buch, und Joanne K. Rowling hat drei Jahre gebraucht, um es zu schreiben – eine Verzögerung im Publikationstakt der Serie, die Anlass zu den üblichen Spekulationen gegeben hatte: Waren die Ideen ausgegangen, war die Autorin zu reich oder gar zu faul geworden? Der Grund ist vermutlich einfacher und komplizierter zugleich: Denn in diesem Band wird ein erzählerisches Dilemma offenbar, das Harry Potter von Anfang an begleitet hatte: Für die Zauberwelt gilt keine Zeit, und der zauberische Raum besitzt Löcher wie ein mottenzerfressener Spitzhut. Doch Harry Potter soll kein altersloser Peter Pan sein. Er wächst heran, und mit der Pubertät tritt er aus der Zeitlosigkeit der Kindheit in die historische Welt. Der erste Kuss und der Tod eines nahe stehenden Menschen – das ahnte das Publikum, deshalb wurde es so nervös – werden die ersten wirklichen Prüfungen dieser Romanfolge und ihres Helden sein, weil das Prinzip von Hogwarts herausgefordert wird.
Behutsam geht Joanne K. Rowling an das Problem der geschichtlichen Zeit heran, zunächst in kleinen Schritten. Dudley, der fette, dumme, niederträchtige Sohn der Stiefeltern, trägt eine Lederjacke und ist unter dem Kriegsnamen „Big D” zum Chef einer Schlägerbande geworden, der die Vorstadt terrorisiert und die kleineren Kinder der Nachbarschaft verprügelt. Gegen Ende des Buches aber geht es mit dem Erwachsenwerden so schnell voran, dass der Leser zu fürchten beginnt, die siebenhundertsechsundsechzig Seiten dieses Schmökers könnten gar nicht ausreichen, um so viel Schuld und Verantwortung, Geschichte und Ethik nach Art des späten zwanzigsten Jahrhunderts aufzunehmen. Am Ende dieser Serie wird es, so viel Voraussage sei gewagt, in riesigen, flammenden Lettern eine politische Moral zu lesen geben.
Was heißt es, wenn Harry Potter erwachsen werden soll? Er muss zum Beispiel erfahren, dass seine toten Eltern am frühen Triumph des Bösen nicht unschuldig waren: „Sie dachten, dass Voldemort die richtige Idee hat”, heißt es über die beiden Mitläufer eines zukünftigen totalitären Regimes, „sie begeisterten sich für Reinigung der Zaubererrasse, wollten die Abkömmlinge der Muggels loswerden und das reine Blut an die Macht bringen.” Es kommt, wie es kommen muss: Was gut ist und was böse, lässt sich nicht mehr trennen, und so wie im „Krieg der Sterne” der Knabe Luke Skywalker im schwarzen Meister Darth Vader steckte (und umgekehrt), so teilen sich auch Harry Potter und der Lord Voldemort nicht nur den Geist, sondern auch die Art der Abstammung: Beide sind „half bloods”, Bastarde, halb Mensch, halb Zauberer. Aber wohin gehört das Herz?
Wenn es ein Lebensalter gibt, in dem man sich magische Fähigkeiten wünscht, dann ist dies die Pubertät, die Schwellenzeit, die Periode der nicht enden wollenden Missgeschicke und Peinlichkeiten. Wie angenehm wäre es, wenn man die vielen Quälgeister fortzaubern könnte. Oder sich selbst. Schon Hogwarts, das Internat, die totale Schule, war ein Heilsversprechen, denn die großen Schrecken der kleinen Leute müssen auf besondere Art gebannt werden: „Und wenn die anderen kommen und Harry zu schlagen versuchten, war er bereit – er hatte seinen Stab.” Wer ein Kind in diesem Sinne war, das wurde von Band zu Band undeutlicher, und bald müssen auch schon sehr erwachsene Menschen ihre bange Seele und ihre Liebe zu einem kleinen Zauberer entdeckt haben: Wie sonst sollte man erklären, dass dem Gedanken an eine magische Geheimgesellschaft, der kindlichen Hoffnung, man könne sich in der Welt vor der Welt verstecken, ein solcher Erfolg beschieden war?
Das Glück der Zukunft
Der Grund dieses gigantischen Erfolgs ist nicht nur darin zu suchen, dass Joanne K. Rowling mit jedem Buch dieser Serie eine effizientere, zunehmend radikalere Schriftstellerin geworden ist, eine allein erziehende Mutter und Autorin, die ihrer eigenen Welterfahrung so sehr vertraut, dass sie Harry Potter den Vater gleich zweimal raubt. Es liegt auch darin, dass sie mit dieser Idee des bedingungslosen Aus-der-Welt-Fallen-Wollens an einen Grundwunsch unserer Zeit zu rühren scheint, an den Traum, es könne ein Leben ohne Geschichte und ohne Gesellschaft geben. Und es liegt schließlich auch daran, dass sich der Erfolg dieser Serie längst selbst generiert: als der beinahe hysterische Wunsch, es müsse wieder etwas geben, das alle kennen, das einen gemeinsamen Bezug schafft, das eine universale Erfahrung zusammenschließt, so wie es zum Beispiel die frühen Lieder der „Beatles” taten. Deshalb ist es so wichtig, dass Harry Potter älter wird, dass die ihm gewidmeten Romane als Lebensbegleitung funktionieren und, von Jahrgangsstufe zu Jahrgangsstufe ansteigend, an moralischer Komplexität und an Intensität des beschriebenen Schreckens gewinnen.
Harry Potter muss leiden wie jeder Erlöser. Sein Leiden begann in der Schlafkammer unter der Treppe, und die Qual ist mit dem jüngsten Zweikampf gegen Voldemort mit Sicherheit noch nicht ausgestanden. Er muss leiden wie Anton Reiser oder David Copperfield, er muss leiden, wie man es einem Heranwachsenden in der Kinderliteratur schon lange nicht mehr zugemutet hat, es sei denn, es ging um die Bewältigung der deutschen Vergangenheit. Gegen dieses Leiden rebelliert er jetzt mit dem ganzen Wahrheitspathos eines Fünfzehnjährigen.
Wenn man älter werde, so scheint die ehemalige Sozialarbeiterin Joanne K. Rowling zu lehren, dann müsse man auch den Kummer kennen lernen, denn daran wachse der Mensch. Aber in diesem Buch geht es um viel mehr. Ein Krieg hat begonnen, das Böse bedroht die Welt, die Behörden sind so verblendet wie korrupt, und das Glück der Zukunft ruht auf den schmalen Schultern eines Verstoßenen. Das fantastische Ballspiel Quidditch spielt kaum noch eine Rolle, die Zaubersprüche sind Waffen, und Harry Potter muss sich ohne Hermine und Ron und Neville behaupten. Und auch dies wird überdeutlich: Der tote Gefährte ist nur ein Bote der Zukunft, es wird noch schlimmer werden.
Hermann Hesse war der erste Schriftsteller, dessen großer Erfolg auf der Vorstellung beruhte, es gebe nicht nur eine Art Naturform für alle, die anders sind, sondern sogar eine Heimat für die andersartigen Seelen, Indien oder Kastalien, wie auch immer. Joanne K. Rowling hat dieser Idee nicht nur eine magische, sondern auch eine rassentheoretische Spitze gegeben. Denn tief wie ein höllischer Abgrund ist die Kluft, die Magier und Menschen trennt. „The bond of blood is the strongest shield”, muss Harry Potter lernen, „das Band des Blutes ist der stärkste Schild”. Das ist ein Satz, für den man Martin Walser alle Furien der Aufklärung hinterherjagen würde.
Denn in dieser Differenz steckt mehr als die Attraktivität einer natürlichen Elite, als der Traum von einer angeborenen Überlegenheit. In dieser Differenz verbirgt sich auch die Schlüssigkeit, die scheinbar erlösende Kraft und das brutal Falsche einer Rassendoktrin. Denn was sind die Zauberer, wenn nicht ein auserwähltes Volk, dämonischer und interessanter als die Muggels? Und was heißt es, wenn die jungen Zauberer zur Schule gehen und Hausaufgaben zu bewältigen haben, es aber in keinem der nun fünf dicken Bücher eine Darstellung des praktischen Unterrichts gibt? Doch wohl, dass die Zugehörigkeit zur Rasse der Zauberer vom Schicksal verliehen wird, als Gnade und Verhängnis zugleich.
Tatsächlich beherrschen die Motive von Rasse und Klasse die gesamte Zauberschule. Soll es denn ein Zufall sein, dass die Guten, ob Schüler oder Lehrer, vielen Völkern zu entstammen scheinen? Oder dass Harry Potters erste erotische Schwärmerei einer zauberhaften kleinen Orientalin namens Cho Chang gehört? Sie wird das Mädchen, dem Harry Potter zum ersten Mal den ebenso verliebten wie ratlosen Ruf: „Women!” hinterherschicken darf. Dieser gemischten Gesellschaft gegenüber steht der ebenso arische wie reaktionäre und moralisch heruntergekommene Adel des weiß-blonden Draco Malfoy. Gewiss, die multiethnische Welt wird siegen, aber erst, wenn auch Harry Potter die aristokratischen Tugenden von Stolz, Eigensinn und Ehrgeiz wird überwunden haben.
Lassie darf nicht sterben, heißt die bekannte Regel aus einer vergangenen Kindheit. Joanne K. Rowling hat gegen dieses Gesetz zum Schutz der Jugend in der Kunst verstoßen. Im fünften Buch der Serie hat sie Mauern der Zauberburg geöffnet, sie hat den Bann um Hogwarts gebrochen und die Evolution eintreten lassen. Am Ende steht eine Prophezeiung: „and either must die at the hand of the other for neither can live while the other survives” – „und einer muss sterben von der Hand des anderen, denn keiner von beiden kann leben, während der andere bleibt”. Und das heißt: Es kann nur einen geben, den pater absconditus, den in die totale Verderbtheit gesunkenen Vertreter einer verlorenen Aristokratie oder den wenn auch genialen Repräsentanten einer neuen, gemischten Rasse. Man ahnt nun, wie die Geschichte enden wird: als Allegorie auf das zwanzigste Jahrhundert. Harry Potter wird leben, aber die Welt der Zauberer kann es nicht mehr geben.
THOMAS STEINFELD
Mit dieser Narbe sollst Du siegen. Aber vorher muss Harry Potter leiden wie nur je ein Erlöser
Abb.: AP
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.06.2003Im Bann des Guten
Auch im fünften "Harry Potter" macht J.K. Rowling alles richtig
Die Frage, ob Literatur den Charakter prägt, stellt sich nicht nur bei Kinderbüchern, aber dort besonders. Denn zweifellos verändert Lektüre unseren Blick auf die Welt. Daß Bücher, die diese Welt größer, rätselhafter und erhaltenswerter erscheinen lassen, süchtig machen können, hat niemand nachdrücklicher bewiesen als Joanne K. Rowling. Seit dem Sommer des Jahres 1997, als ein hünenhafter Struwwelpeter namens Hagrid auf einem Motorrad aus dem Himmel plumpste und einem erstaunten Elfjährigen mitteilte, er werde künftig die Zauberschule Hogwarts besuchen, ist diese Welt nicht mehr ganz dieselbe.
Mehr als drei Millionen Exemplare des neuen Bands, "Harry Potter and the Order of the Phoenix", sollen am vergangenen Wochenende bereits verkauft worden sein. Seitdem sie sogar die Queen überrundet hat, ist Frau Rowlings Vermögen legendär. Doch alles Geld der Welt kann den Druck, der auf der Schriftstellerin lastet, nicht wegzaubern. Drei Jahre mußte ihr Publikum auf Band fünf warten, und wer jetzt sagt, daß Enttäuschung meist vorprogrammiert ist, wo die Erwartungen so hoch sind, ist ein Spielverderber und ein Neidhammel.
J. K. Rowling hat ihre Leser noch nie enttäuscht. Auch in "Harry Potter and the Order of the Phoenix" gibt es keine Anzeichen einer Ermüdung der Autorin, anders als Band vier, der stellenweise ein bißchen bemüht wirkte. Das neue Buch strotzt nur so von Einfällen, von liebevoll erdachten und gewohnt geschickt plazierten Details. Fäden, die in den früheren Bänden raffiniert ausgelegt wurden, werden hier wieder aufgenommen: Diesmal spielt etwa Mrs. Figg, die schrullige, katzenhaltende Nachbarin der Dursleys, eine erstaunliche Nebenrolle.
"Harry Potter and the Order of the Phoenix" ist so wild, abenteuerlich und spannend wie seine Vorgänger, trotz der schwerfällig anmutenden Länge. Außerdem ist es, wie zu vermuten war, das bisher dunkelste Buch der Reihe, das psychologischste, gegen Ende auch das traurigste. Doch gerade weil die Finsternis allgegenwärtig ist, finden sich in diesem Band herrlich komische Episoden und Wortwechsel, geht es ein bißchen flotter, rabiater und schlagfertiger zu. (Zumal die Weasley-Zwillinge, von Harry gesponsort, geraten völlig außer Rand und Band.) Vor allem ist dieses der erste Band, der keine Auflösung hat, auf die die Autorin hinschreiben könnte. Zwar gibt es am Schluß den obligatorischen, kinematographisch inszenierten Show-down zwischen Harry und Voldemort, doch ist schon zu Beginn klar, daß der Kampf gegen das Böse am Ende dieses Bands nicht vorüber sein wird. Er hat erst richtig angefangen.
Sein fünftes Jahr in Hogwarts erweist sich für Harry als Serie schwarzer Tage. Zunächst einmal müssen Ron, Hermione und er frustriert feststellen, daß nur erwachsene Zauberer in den Phönix-Orden aufgenommen werden, der sich zur Bekämpfung Lord Voldemorts gebildet hat und dessen Hauptquartier sich im Londoner Haus seines Patenonkels Sirius Black befindet. Dann entpuppt sich die neue Lehrerin seines Lieblingsfachs, Verteidigung gegen Schwarze Magie, als sadistische Spionin des Zauberministeriums. Daß Dolores Umbridge Harry mit einem lebenslangen Quidditch-Bann belegt, gehört noch zu ihren harmloseren Strafen. Bald kontrolliert sie die gesamte Schule mit einer unverhohlenen Mischung aus Überwachung, Zensur und Brutalität, die manches totalitäre Regime blaß aussehen läßt.
Die früher bewährten Ablenkungen sind diesmal nicht zu haben: Kein Quidditch, keine zauberischen Großereignisse, keine Teestunden bei Hagrid. Da auch die Post kontrolliert wird, kommt selbst Harrys Eule Hedwig nicht zum Flug. Doch nicht nur die ausgefallene Ereignisroutine, auch andere Abwesenheiten sind auffällig, vor allem jene von Dumbledore und Hagrid, der diesmal eine eher obskure Nebenrolle innehat. Überhaupt ist es für Harry ein einsames Jahr, denn auch sein Verhältnis zu Ron und Hermione hat sich verändert, und das nicht nur, weil seine beiden Freunde zu Präfekten ernannt worden sind und er nicht oder weil Ron als Torhüter des Gryffindor Quidditch-Teams Aufmerksamkeit erregt, während Harry nicht mehr mitfliegen darf.
Harry ist dünnhäutiger denn je und reagiert abwechselnd gereizt, ausfallend oder wütend. Er pubertiert, er ist ein bißchen verliebt, er schläft schlecht. Vor allem fühlt er sich vom Kampf gegen Voldemort ausgeschlossen. Und er ist aufgebracht, weil nicht nur Zauberminister Fudge, sondern auch die meisten seiner Mitschüler nicht glauben wollen, daß Voldemort tatsächlich zurückgekehrt ist - auch das eine von vielen Parallelen zur historisch-politischen Realität. J. K. Rowlings stetes Bemühen, Harry als Held wider Willen zu zeichnen, bescheiden und stolz zugleich, zahlt sich aus. Denn erst diese Brüche machen Harry glaubwürdig als Rebell für die gerechte Sache, als Vorbild, mit dem sich nicht nur Kinder identifizieren können. Überhaupt scheut die Autorin keinen Konflikt, auch nicht den zwischen den Erwachsenen, die sich diesmal ebensooft und heftig in die Haare bekommen wie die Jugendlichen.
Das Genie von "Harry Potter" liegt - unter anderem - darin begründet, daß die Bücher, die gern dem Fantasy-Genre zugeordnet werden, zwar in einer anderen Welt spielen, aber doch in einer Welt, die von unserem Alltag aus erreicht werden kann. Ähnlich wie in C. S. Lewis' "Narnia-Chronicles", wo der magische Kosmos hinter einer ganz gewöhnlichen Schrankwand liegt, befindet sich die Zauberwelt Harry Potters mitten unter uns: Das Ministerium für Zauberei betritt man beispielsweise durch eine kaputte Telefonzelle, das St. Mungus Krankenhaus für Zaubererleiden versteckt sich mitten in London hinter der Fassade eines heruntergekommenen Kaufhauses, wegen Umbauarbeiten seit Jahren "vorübergehend" geschlossen.
Die Bücher sind von Folge zu Folge dicker geworden, wobei die Aussagekraft der Handlung allerdings nicht unbedingt proportional mitwuchs. Was größer wurde, waren Kühnheit und Selbstvertrauen der Autorin. Joanne K. Rowling wäre eine geringere Schriftstellerin, wenn sie ihren Tolkien und ihren Hauff, ihre Artussaga und ihren Milton, ihren Dickens und ihren Twain, ihre keltischen Mythen und die Bibel nicht so genau gelesen hätte. Doch das, was ihre Bücher so besonders, im wahrsten Sinne magisch macht, hat sie sich nicht anlesen können: das mutige Vertrauen in die schützende, rettende Macht der Liebe - und ihr Talent, darüber unbefangen zu schreiben, ohne daß vermeintlich coole Teenager ihre Bücher in die Ecke feuern. Harry muß eben nicht nur Zaubersprüche meistern, sondern auch das Leben verstehen lernen. Trotz der Aufregung um die Ereignisse im Kampf der Guten gegen die Bösen ist dieses andere große Thema in keinem Band zu übersehen. Jetzt ist es wichtiger denn je: Zwar weiß Harry, daß ihn die Liebe seiner toten Mutter vor Voldemort beschützt, doch das Einzelkind hat bei den Dursleys niemals erfahren, was bedingungslose Zuneigung bedeutet. Auch deshalb ist dieses Buch - das erste, in dem Harry und Ron keine wortlose Trotzphase überwinden müssen - für die Serie so bedeutsam. Harry begreift, daß Meinungsverschiedenheiten wahre Freundschaften nicht gefährden.
Am Ende des vierten Band bemerkt der weise Dumbledore, daß es nicht darauf ankommt, als was jemand geboren wird, sondern nur darauf, zu was er heranwächst. Genauso ist es mit den Büchern J. K. Rowlings. "Harry Potter and the Order of the Phoenix" mag seine Leser nicht verändern. Ihren Charakter jedoch stählt die Lektüre bestimmt.
FELICITAS VON LOVENBERG
J.K. Rowling: "Harry Potter and the Order of the Phoenix". Roman. Bloomsbury Publishing, London 2003. 766 S., geb., 16,99 £.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Auch im fünften "Harry Potter" macht J.K. Rowling alles richtig
Die Frage, ob Literatur den Charakter prägt, stellt sich nicht nur bei Kinderbüchern, aber dort besonders. Denn zweifellos verändert Lektüre unseren Blick auf die Welt. Daß Bücher, die diese Welt größer, rätselhafter und erhaltenswerter erscheinen lassen, süchtig machen können, hat niemand nachdrücklicher bewiesen als Joanne K. Rowling. Seit dem Sommer des Jahres 1997, als ein hünenhafter Struwwelpeter namens Hagrid auf einem Motorrad aus dem Himmel plumpste und einem erstaunten Elfjährigen mitteilte, er werde künftig die Zauberschule Hogwarts besuchen, ist diese Welt nicht mehr ganz dieselbe.
Mehr als drei Millionen Exemplare des neuen Bands, "Harry Potter and the Order of the Phoenix", sollen am vergangenen Wochenende bereits verkauft worden sein. Seitdem sie sogar die Queen überrundet hat, ist Frau Rowlings Vermögen legendär. Doch alles Geld der Welt kann den Druck, der auf der Schriftstellerin lastet, nicht wegzaubern. Drei Jahre mußte ihr Publikum auf Band fünf warten, und wer jetzt sagt, daß Enttäuschung meist vorprogrammiert ist, wo die Erwartungen so hoch sind, ist ein Spielverderber und ein Neidhammel.
J. K. Rowling hat ihre Leser noch nie enttäuscht. Auch in "Harry Potter and the Order of the Phoenix" gibt es keine Anzeichen einer Ermüdung der Autorin, anders als Band vier, der stellenweise ein bißchen bemüht wirkte. Das neue Buch strotzt nur so von Einfällen, von liebevoll erdachten und gewohnt geschickt plazierten Details. Fäden, die in den früheren Bänden raffiniert ausgelegt wurden, werden hier wieder aufgenommen: Diesmal spielt etwa Mrs. Figg, die schrullige, katzenhaltende Nachbarin der Dursleys, eine erstaunliche Nebenrolle.
"Harry Potter and the Order of the Phoenix" ist so wild, abenteuerlich und spannend wie seine Vorgänger, trotz der schwerfällig anmutenden Länge. Außerdem ist es, wie zu vermuten war, das bisher dunkelste Buch der Reihe, das psychologischste, gegen Ende auch das traurigste. Doch gerade weil die Finsternis allgegenwärtig ist, finden sich in diesem Band herrlich komische Episoden und Wortwechsel, geht es ein bißchen flotter, rabiater und schlagfertiger zu. (Zumal die Weasley-Zwillinge, von Harry gesponsort, geraten völlig außer Rand und Band.) Vor allem ist dieses der erste Band, der keine Auflösung hat, auf die die Autorin hinschreiben könnte. Zwar gibt es am Schluß den obligatorischen, kinematographisch inszenierten Show-down zwischen Harry und Voldemort, doch ist schon zu Beginn klar, daß der Kampf gegen das Böse am Ende dieses Bands nicht vorüber sein wird. Er hat erst richtig angefangen.
Sein fünftes Jahr in Hogwarts erweist sich für Harry als Serie schwarzer Tage. Zunächst einmal müssen Ron, Hermione und er frustriert feststellen, daß nur erwachsene Zauberer in den Phönix-Orden aufgenommen werden, der sich zur Bekämpfung Lord Voldemorts gebildet hat und dessen Hauptquartier sich im Londoner Haus seines Patenonkels Sirius Black befindet. Dann entpuppt sich die neue Lehrerin seines Lieblingsfachs, Verteidigung gegen Schwarze Magie, als sadistische Spionin des Zauberministeriums. Daß Dolores Umbridge Harry mit einem lebenslangen Quidditch-Bann belegt, gehört noch zu ihren harmloseren Strafen. Bald kontrolliert sie die gesamte Schule mit einer unverhohlenen Mischung aus Überwachung, Zensur und Brutalität, die manches totalitäre Regime blaß aussehen läßt.
Die früher bewährten Ablenkungen sind diesmal nicht zu haben: Kein Quidditch, keine zauberischen Großereignisse, keine Teestunden bei Hagrid. Da auch die Post kontrolliert wird, kommt selbst Harrys Eule Hedwig nicht zum Flug. Doch nicht nur die ausgefallene Ereignisroutine, auch andere Abwesenheiten sind auffällig, vor allem jene von Dumbledore und Hagrid, der diesmal eine eher obskure Nebenrolle innehat. Überhaupt ist es für Harry ein einsames Jahr, denn auch sein Verhältnis zu Ron und Hermione hat sich verändert, und das nicht nur, weil seine beiden Freunde zu Präfekten ernannt worden sind und er nicht oder weil Ron als Torhüter des Gryffindor Quidditch-Teams Aufmerksamkeit erregt, während Harry nicht mehr mitfliegen darf.
Harry ist dünnhäutiger denn je und reagiert abwechselnd gereizt, ausfallend oder wütend. Er pubertiert, er ist ein bißchen verliebt, er schläft schlecht. Vor allem fühlt er sich vom Kampf gegen Voldemort ausgeschlossen. Und er ist aufgebracht, weil nicht nur Zauberminister Fudge, sondern auch die meisten seiner Mitschüler nicht glauben wollen, daß Voldemort tatsächlich zurückgekehrt ist - auch das eine von vielen Parallelen zur historisch-politischen Realität. J. K. Rowlings stetes Bemühen, Harry als Held wider Willen zu zeichnen, bescheiden und stolz zugleich, zahlt sich aus. Denn erst diese Brüche machen Harry glaubwürdig als Rebell für die gerechte Sache, als Vorbild, mit dem sich nicht nur Kinder identifizieren können. Überhaupt scheut die Autorin keinen Konflikt, auch nicht den zwischen den Erwachsenen, die sich diesmal ebensooft und heftig in die Haare bekommen wie die Jugendlichen.
Das Genie von "Harry Potter" liegt - unter anderem - darin begründet, daß die Bücher, die gern dem Fantasy-Genre zugeordnet werden, zwar in einer anderen Welt spielen, aber doch in einer Welt, die von unserem Alltag aus erreicht werden kann. Ähnlich wie in C. S. Lewis' "Narnia-Chronicles", wo der magische Kosmos hinter einer ganz gewöhnlichen Schrankwand liegt, befindet sich die Zauberwelt Harry Potters mitten unter uns: Das Ministerium für Zauberei betritt man beispielsweise durch eine kaputte Telefonzelle, das St. Mungus Krankenhaus für Zaubererleiden versteckt sich mitten in London hinter der Fassade eines heruntergekommenen Kaufhauses, wegen Umbauarbeiten seit Jahren "vorübergehend" geschlossen.
Die Bücher sind von Folge zu Folge dicker geworden, wobei die Aussagekraft der Handlung allerdings nicht unbedingt proportional mitwuchs. Was größer wurde, waren Kühnheit und Selbstvertrauen der Autorin. Joanne K. Rowling wäre eine geringere Schriftstellerin, wenn sie ihren Tolkien und ihren Hauff, ihre Artussaga und ihren Milton, ihren Dickens und ihren Twain, ihre keltischen Mythen und die Bibel nicht so genau gelesen hätte. Doch das, was ihre Bücher so besonders, im wahrsten Sinne magisch macht, hat sie sich nicht anlesen können: das mutige Vertrauen in die schützende, rettende Macht der Liebe - und ihr Talent, darüber unbefangen zu schreiben, ohne daß vermeintlich coole Teenager ihre Bücher in die Ecke feuern. Harry muß eben nicht nur Zaubersprüche meistern, sondern auch das Leben verstehen lernen. Trotz der Aufregung um die Ereignisse im Kampf der Guten gegen die Bösen ist dieses andere große Thema in keinem Band zu übersehen. Jetzt ist es wichtiger denn je: Zwar weiß Harry, daß ihn die Liebe seiner toten Mutter vor Voldemort beschützt, doch das Einzelkind hat bei den Dursleys niemals erfahren, was bedingungslose Zuneigung bedeutet. Auch deshalb ist dieses Buch - das erste, in dem Harry und Ron keine wortlose Trotzphase überwinden müssen - für die Serie so bedeutsam. Harry begreift, daß Meinungsverschiedenheiten wahre Freundschaften nicht gefährden.
Am Ende des vierten Band bemerkt der weise Dumbledore, daß es nicht darauf ankommt, als was jemand geboren wird, sondern nur darauf, zu was er heranwächst. Genauso ist es mit den Büchern J. K. Rowlings. "Harry Potter and the Order of the Phoenix" mag seine Leser nicht verändern. Ihren Charakter jedoch stählt die Lektüre bestimmt.
FELICITAS VON LOVENBERG
J.K. Rowling: "Harry Potter and the Order of the Phoenix". Roman. Bloomsbury Publishing, London 2003. 766 S., geb., 16,99 £.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Das lange Warten hat ein Ende
Keines der bisherigen Harry Potter-Abenteuer hatte ein so offenes Ende wie Band 4. Und noch nie mussten die Millionen Fans des mittlerweile nicht mehr ganz so kleinen Zauberlehrlings so lange auf eine Fortsetzung der Serie warten. Ganze drei Jahre ließ sich JK Rowling mit Harry Potter und der Orden des Phönix Zeit. Es wurde gar von Schreibblockade gemunkelt. Doch jeder, der Band 5 in den Händen hält, wird sofort eines Besseren belehrt: Von einer Schaffenskrise kann keine Rede sein. Im Gegenteil, JK Rowling präsentiert sich mit ihrem bisher umfangreichsten Buch der Harry Potter-Reihe in absoluter Höchstform!
Harrys fünftes Jahr in Hogwarts
Wie zu erwarten vertieft sich zunächst die Kluft in der Welt der Zauberer, die sich gegen Ende von Band 4 schon angedeutet hat: Cornelius Fudge und sein Zaubereiministerium weigern sich, Harrys und Dumbledores Bericht über Voldemorts Rückkehr Glauben zu schenken. Mittels hinterlistiger Zeitungsartikel im "Daily Prophet" wird versucht, die beiden zu diskreditieren. Und die meisten Mitglieder der magischen Gemeinschaft sind nur allzu gerne bereit, die Berichte über Dumbledores Altersschwäche und Harrys fragwürdigen Geisteszustand für wahr zu nehmen - ist dies doch bequemer als der schrecklichen Wahrheit ins Gesicht zu sehen. Dumbledore verfolgt jedoch längst seine eigenen Wege, um Voldemort zu stoppen. Er hat den "Orden des Phönix", die Gruppe mutiger Zauberer, die Voldemort schon früher unermüdlich bekämpft hat, wieder ins Leben gerufen.
Harry erfährt davon freilich erst, als er nach den üblichen miserablen Ferien bei den Dursleys ins Hauptquartier des Ordens geholt wird. So verärgert er über die Geheimnistuerei seiner Freunde Ron und Hermine, die ihm den Orden in ihren Briefen verschwiegen haben, auch ist, dies stellt sich als sein geringstes Problem im neuen Schuljahr heraus: Fudge versucht, ihn noch vor der Rückkehr nach Hogwarts wegen erneuter unerlaubter Zauberei in den Ferien von der Schule zu werfen. Viele seiner Mitschüler zweifeln - nicht zuletzt aufgrund der Berichterstattung im "Daily Prophet" - an seiner Geschichte von Voldemorts Rückkehr und meiden ihn. Die neue Lehrerin in der Verteidigung gegen die Dunklen Künste, Dolores Umbridge, ist eine Beamtin des Zaubereiministeriums und macht ihm das Leben schwer. Und von Hagrid, der von seiner geheimen Mission über den Sommer noch nicht zurückgekehrt ist, fehlt jede Spur.
Am schlimmsten sind aber die Albträume, die Harry beinahe jede Nacht plagen - Träume, in denen er Voldemorts Gedanken teilt. Besonders ein Traum, in dem er durch einen dunklen Korridor geht und vor einer verschlossenen Tür stehen bleibt, wiederholt sich immer wieder. Doch schließlich wird der Traum Wirklichkeit und Harry kann durch die geheimnisvolle Tür gehen. Es kommt zum Kampf auf Leben und Tod - ein Kampf, den einer von Harrys Mitstreitern nicht überleben wird...
Die Magie der JK Rowling
Wer bei einem Buch mit stolzen 1.021 Seiten Umfang inhaltliche Längen erwartet hat, kann aufatmen: Wie schon die ersten vier Bände fesselt Harry Potter und der Orden des Phönix die Leser von der ersten bis zur letzten Seite. Keine Nebenepisode, kein Satz ist zuviel, JK Rowling versteht es wieder einmal meisterhaft, ihre magische Welt bis ins kleinste Detail schlüssig und spannend zu gestalten und die Leser zu verzaubern. Besonders beeindruckend in diesem Band ist die Weiterentwicklung der Charaktere, denn Harry, Ron und Hermine sind inzwischen mitten in der Pubertät - mit allen Nebenwirkungen wie Streitereien, Launenhaftigkeit und Gefühlschaos. Neben dem Wiedersehen mit vielen Figuren aus den ersten Bänden - wie etwa Remus Lupin und Gilderoy Lockhart - werden einige neue Charaktere ins Harry Potter-Universum eingeführt, die wohl auch in Zukunft keine unbedeutende Rolle spielen werden. Und obwohl das große Geheimnis gelüftet wird, warum Voldemort Harry schon als Baby töten wollte, bleiben viele Rätsel offen bzw. werden neue Fragen aufgeworfen. So dass man nach dem sprichwörtlichen Verschlingen des Buches sofort nur einen Gedanken hat: Wann erscheint Band 6? Und nur darauf hoffen kann, dass JK Rowlings kleiner Sohn ein lieber Junge ist, der seiner Mutter viel Zeit zum Schreiben lässt - eine weitere "Durststrecke" von drei Jahren wäre für die Fans einfach zu viel... (Gisela Blank)
Keines der bisherigen Harry Potter-Abenteuer hatte ein so offenes Ende wie Band 4. Und noch nie mussten die Millionen Fans des mittlerweile nicht mehr ganz so kleinen Zauberlehrlings so lange auf eine Fortsetzung der Serie warten. Ganze drei Jahre ließ sich JK Rowling mit Harry Potter und der Orden des Phönix Zeit. Es wurde gar von Schreibblockade gemunkelt. Doch jeder, der Band 5 in den Händen hält, wird sofort eines Besseren belehrt: Von einer Schaffenskrise kann keine Rede sein. Im Gegenteil, JK Rowling präsentiert sich mit ihrem bisher umfangreichsten Buch der Harry Potter-Reihe in absoluter Höchstform!
Harrys fünftes Jahr in Hogwarts
Wie zu erwarten vertieft sich zunächst die Kluft in der Welt der Zauberer, die sich gegen Ende von Band 4 schon angedeutet hat: Cornelius Fudge und sein Zaubereiministerium weigern sich, Harrys und Dumbledores Bericht über Voldemorts Rückkehr Glauben zu schenken. Mittels hinterlistiger Zeitungsartikel im "Daily Prophet" wird versucht, die beiden zu diskreditieren. Und die meisten Mitglieder der magischen Gemeinschaft sind nur allzu gerne bereit, die Berichte über Dumbledores Altersschwäche und Harrys fragwürdigen Geisteszustand für wahr zu nehmen - ist dies doch bequemer als der schrecklichen Wahrheit ins Gesicht zu sehen. Dumbledore verfolgt jedoch längst seine eigenen Wege, um Voldemort zu stoppen. Er hat den "Orden des Phönix", die Gruppe mutiger Zauberer, die Voldemort schon früher unermüdlich bekämpft hat, wieder ins Leben gerufen.
Harry erfährt davon freilich erst, als er nach den üblichen miserablen Ferien bei den Dursleys ins Hauptquartier des Ordens geholt wird. So verärgert er über die Geheimnistuerei seiner Freunde Ron und Hermine, die ihm den Orden in ihren Briefen verschwiegen haben, auch ist, dies stellt sich als sein geringstes Problem im neuen Schuljahr heraus: Fudge versucht, ihn noch vor der Rückkehr nach Hogwarts wegen erneuter unerlaubter Zauberei in den Ferien von der Schule zu werfen. Viele seiner Mitschüler zweifeln - nicht zuletzt aufgrund der Berichterstattung im "Daily Prophet" - an seiner Geschichte von Voldemorts Rückkehr und meiden ihn. Die neue Lehrerin in der Verteidigung gegen die Dunklen Künste, Dolores Umbridge, ist eine Beamtin des Zaubereiministeriums und macht ihm das Leben schwer. Und von Hagrid, der von seiner geheimen Mission über den Sommer noch nicht zurückgekehrt ist, fehlt jede Spur.
Am schlimmsten sind aber die Albträume, die Harry beinahe jede Nacht plagen - Träume, in denen er Voldemorts Gedanken teilt. Besonders ein Traum, in dem er durch einen dunklen Korridor geht und vor einer verschlossenen Tür stehen bleibt, wiederholt sich immer wieder. Doch schließlich wird der Traum Wirklichkeit und Harry kann durch die geheimnisvolle Tür gehen. Es kommt zum Kampf auf Leben und Tod - ein Kampf, den einer von Harrys Mitstreitern nicht überleben wird...
Die Magie der JK Rowling
Wer bei einem Buch mit stolzen 1.021 Seiten Umfang inhaltliche Längen erwartet hat, kann aufatmen: Wie schon die ersten vier Bände fesselt Harry Potter und der Orden des Phönix die Leser von der ersten bis zur letzten Seite. Keine Nebenepisode, kein Satz ist zuviel, JK Rowling versteht es wieder einmal meisterhaft, ihre magische Welt bis ins kleinste Detail schlüssig und spannend zu gestalten und die Leser zu verzaubern. Besonders beeindruckend in diesem Band ist die Weiterentwicklung der Charaktere, denn Harry, Ron und Hermine sind inzwischen mitten in der Pubertät - mit allen Nebenwirkungen wie Streitereien, Launenhaftigkeit und Gefühlschaos. Neben dem Wiedersehen mit vielen Figuren aus den ersten Bänden - wie etwa Remus Lupin und Gilderoy Lockhart - werden einige neue Charaktere ins Harry Potter-Universum eingeführt, die wohl auch in Zukunft keine unbedeutende Rolle spielen werden. Und obwohl das große Geheimnis gelüftet wird, warum Voldemort Harry schon als Baby töten wollte, bleiben viele Rätsel offen bzw. werden neue Fragen aufgeworfen. So dass man nach dem sprichwörtlichen Verschlingen des Buches sofort nur einen Gedanken hat: Wann erscheint Band 6? Und nur darauf hoffen kann, dass JK Rowlings kleiner Sohn ein lieber Junge ist, der seiner Mutter viel Zeit zum Schreiben lässt - eine weitere "Durststrecke" von drei Jahren wäre für die Fans einfach zu viel... (Gisela Blank)
"Sie erfreuen Sammler, bezaubern die große Fangemeinde und verführen eine neue Generation von Lesern", Dein Spiegel, 16.10.2018