Es sind Sommerferien und wieder einmal sitzt Harry bei den unmöglichen Dursleys im Ligusterweg fest. Doch diesmal treibt ihn größere Unruhe denn je - Warum schreiben seine Freunde Ron und Hermine nur so rätselhafte Briefe? Und vor allem: Warum erfährt er nichts über die dunklen Mächte, die inzwischen neu erstanden sind und sich unaufhaltsam über Harrys Welt verbreiten? Noch weiß er nicht, was der geheimnisvolle Orden des Phönix gegen Du-weißt-schon-wen ausrichten kann ...
Als Harrys fünftes Schuljahr in Hogwarts beginnt, werden seine Sorgen nur noch größer. Die neue Lehrerin Dolores Umbridge macht ihm das Leben zur Hölle. Sie glaubt Harry einfach nicht, dass Voldemort zurück ist. Doch bald schlägt der Dunkle Lord wieder zu. Nun muss Harry seine Freunde um sich scharen, sonst gibt es kein Entrinnen.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Als Harrys fünftes Schuljahr in Hogwarts beginnt, werden seine Sorgen nur noch größer. Die neue Lehrerin Dolores Umbridge macht ihm das Leben zur Hölle. Sie glaubt Harry einfach nicht, dass Voldemort zurück ist. Doch bald schlägt der Dunkle Lord wieder zu. Nun muss Harry seine Freunde um sich scharen, sonst gibt es kein Entrinnen.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.06.2003Es kann nur einen geben
Harry Potter wird leben, aber die Rasse der Zauberer muss untergehen
Alt ist das Europa, in dem Harry Potter von September bis Juni lebt. Es besitzt Türme und Zinnen, Spitzbogen stützen die hohen Dächer, und von den Bildern an den Wänden grüßen die Ahnen. Arme Ritter spuken darin herum, deren Kopf an einem dünnen Faden hängt. In Hogwarts, dem Internat des nunmehr fünfzehnjährigen Zauberlehrlings, herrscht die ewige Gotik, das einzige metaphysische Zeitalter der Weltgeschichte, eine Epoche, die so fremd ist, dass für gewöhnliche Menschen, die Muggels, kein Weg dorthin führt. Denn die Welt der Muggels, dieser banalen, ein wenig törichten und bestenfalls harmlosen Rasse, verlässt nur, wer aus dem Londoner Bahnhof King’s Cross auf Gleis neundreiviertel hinausfahren kann.
An diesem Wochenende ist, zur maßlosen Aufregung der halben Welt, der fünfte Band dieses erfolgreichsten Bildungsromans aller Zeiten im englischen Original erschienen: „Harry Potter und der Orden des Phönix” heißt das dicke Buch, und Joanne K. Rowling hat drei Jahre gebraucht, um es zu schreiben – eine Verzögerung im Publikationstakt der Serie, die Anlass zu den üblichen Spekulationen gegeben hatte: Waren die Ideen ausgegangen, war die Autorin zu reich oder gar zu faul geworden? Der Grund ist vermutlich einfacher und komplizierter zugleich: Denn in diesem Band wird ein erzählerisches Dilemma offenbar, das Harry Potter von Anfang an begleitet hatte: Für die Zauberwelt gilt keine Zeit, und der zauberische Raum besitzt Löcher wie ein mottenzerfressener Spitzhut. Doch Harry Potter soll kein altersloser Peter Pan sein. Er wächst heran, und mit der Pubertät tritt er aus der Zeitlosigkeit der Kindheit in die historische Welt. Der erste Kuss und der Tod eines nahe stehenden Menschen – das ahnte das Publikum, deshalb wurde es so nervös – werden die ersten wirklichen Prüfungen dieser Romanfolge und ihres Helden sein, weil das Prinzip von Hogwarts herausgefordert wird.
Behutsam geht Joanne K. Rowling an das Problem der geschichtlichen Zeit heran, zunächst in kleinen Schritten. Dudley, der fette, dumme, niederträchtige Sohn der Stiefeltern, trägt eine Lederjacke und ist unter dem Kriegsnamen „Big D” zum Chef einer Schlägerbande geworden, der die Vorstadt terrorisiert und die kleineren Kinder der Nachbarschaft verprügelt. Gegen Ende des Buches aber geht es mit dem Erwachsenwerden so schnell voran, dass der Leser zu fürchten beginnt, die siebenhundertsechsundsechzig Seiten dieses Schmökers könnten gar nicht ausreichen, um so viel Schuld und Verantwortung, Geschichte und Ethik nach Art des späten zwanzigsten Jahrhunderts aufzunehmen. Am Ende dieser Serie wird es, so viel Voraussage sei gewagt, in riesigen, flammenden Lettern eine politische Moral zu lesen geben.
Was heißt es, wenn Harry Potter erwachsen werden soll? Er muss zum Beispiel erfahren, dass seine toten Eltern am frühen Triumph des Bösen nicht unschuldig waren: „Sie dachten, dass Voldemort die richtige Idee hat”, heißt es über die beiden Mitläufer eines zukünftigen totalitären Regimes, „sie begeisterten sich für Reinigung der Zaubererrasse, wollten die Abkömmlinge der Muggels loswerden und das reine Blut an die Macht bringen.” Es kommt, wie es kommen muss: Was gut ist und was böse, lässt sich nicht mehr trennen, und so wie im „Krieg der Sterne” der Knabe Luke Skywalker im schwarzen Meister Darth Vader steckte (und umgekehrt), so teilen sich auch Harry Potter und der Lord Voldemort nicht nur den Geist, sondern auch die Art der Abstammung: Beide sind „half bloods”, Bastarde, halb Mensch, halb Zauberer. Aber wohin gehört das Herz?
Wenn es ein Lebensalter gibt, in dem man sich magische Fähigkeiten wünscht, dann ist dies die Pubertät, die Schwellenzeit, die Periode der nicht enden wollenden Missgeschicke und Peinlichkeiten. Wie angenehm wäre es, wenn man die vielen Quälgeister fortzaubern könnte. Oder sich selbst. Schon Hogwarts, das Internat, die totale Schule, war ein Heilsversprechen, denn die großen Schrecken der kleinen Leute müssen auf besondere Art gebannt werden: „Und wenn die anderen kommen und Harry zu schlagen versuchten, war er bereit – er hatte seinen Stab.” Wer ein Kind in diesem Sinne war, das wurde von Band zu Band undeutlicher, und bald müssen auch schon sehr erwachsene Menschen ihre bange Seele und ihre Liebe zu einem kleinen Zauberer entdeckt haben: Wie sonst sollte man erklären, dass dem Gedanken an eine magische Geheimgesellschaft, der kindlichen Hoffnung, man könne sich in der Welt vor der Welt verstecken, ein solcher Erfolg beschieden war?
Das Glück der Zukunft
Der Grund dieses gigantischen Erfolgs ist nicht nur darin zu suchen, dass Joanne K. Rowling mit jedem Buch dieser Serie eine effizientere, zunehmend radikalere Schriftstellerin geworden ist, eine allein erziehende Mutter und Autorin, die ihrer eigenen Welterfahrung so sehr vertraut, dass sie Harry Potter den Vater gleich zweimal raubt. Es liegt auch darin, dass sie mit dieser Idee des bedingungslosen Aus-der-Welt-Fallen-Wollens an einen Grundwunsch unserer Zeit zu rühren scheint, an den Traum, es könne ein Leben ohne Geschichte und ohne Gesellschaft geben. Und es liegt schließlich auch daran, dass sich der Erfolg dieser Serie längst selbst generiert: als der beinahe hysterische Wunsch, es müsse wieder etwas geben, das alle kennen, das einen gemeinsamen Bezug schafft, das eine universale Erfahrung zusammenschließt, so wie es zum Beispiel die frühen Lieder der „Beatles” taten. Deshalb ist es so wichtig, dass Harry Potter älter wird, dass die ihm gewidmeten Romane als Lebensbegleitung funktionieren und, von Jahrgangsstufe zu Jahrgangsstufe ansteigend, an moralischer Komplexität und an Intensität des beschriebenen Schreckens gewinnen.
Harry Potter muss leiden wie jeder Erlöser. Sein Leiden begann in der Schlafkammer unter der Treppe, und die Qual ist mit dem jüngsten Zweikampf gegen Voldemort mit Sicherheit noch nicht ausgestanden. Er muss leiden wie Anton Reiser oder David Copperfield, er muss leiden, wie man es einem Heranwachsenden in der Kinderliteratur schon lange nicht mehr zugemutet hat, es sei denn, es ging um die Bewältigung der deutschen Vergangenheit. Gegen dieses Leiden rebelliert er jetzt mit dem ganzen Wahrheitspathos eines Fünfzehnjährigen.
Wenn man älter werde, so scheint die ehemalige Sozialarbeiterin Joanne K. Rowling zu lehren, dann müsse man auch den Kummer kennen lernen, denn daran wachse der Mensch. Aber in diesem Buch geht es um viel mehr. Ein Krieg hat begonnen, das Böse bedroht die Welt, die Behörden sind so verblendet wie korrupt, und das Glück der Zukunft ruht auf den schmalen Schultern eines Verstoßenen. Das fantastische Ballspiel Quidditch spielt kaum noch eine Rolle, die Zaubersprüche sind Waffen, und Harry Potter muss sich ohne Hermine und Ron und Neville behaupten. Und auch dies wird überdeutlich: Der tote Gefährte ist nur ein Bote der Zukunft, es wird noch schlimmer werden.
Hermann Hesse war der erste Schriftsteller, dessen großer Erfolg auf der Vorstellung beruhte, es gebe nicht nur eine Art Naturform für alle, die anders sind, sondern sogar eine Heimat für die andersartigen Seelen, Indien oder Kastalien, wie auch immer. Joanne K. Rowling hat dieser Idee nicht nur eine magische, sondern auch eine rassentheoretische Spitze gegeben. Denn tief wie ein höllischer Abgrund ist die Kluft, die Magier und Menschen trennt. „The bond of blood is the strongest shield”, muss Harry Potter lernen, „das Band des Blutes ist der stärkste Schild”. Das ist ein Satz, für den man Martin Walser alle Furien der Aufklärung hinterherjagen würde.
Denn in dieser Differenz steckt mehr als die Attraktivität einer natürlichen Elite, als der Traum von einer angeborenen Überlegenheit. In dieser Differenz verbirgt sich auch die Schlüssigkeit, die scheinbar erlösende Kraft und das brutal Falsche einer Rassendoktrin. Denn was sind die Zauberer, wenn nicht ein auserwähltes Volk, dämonischer und interessanter als die Muggels? Und was heißt es, wenn die jungen Zauberer zur Schule gehen und Hausaufgaben zu bewältigen haben, es aber in keinem der nun fünf dicken Bücher eine Darstellung des praktischen Unterrichts gibt? Doch wohl, dass die Zugehörigkeit zur Rasse der Zauberer vom Schicksal verliehen wird, als Gnade und Verhängnis zugleich.
Tatsächlich beherrschen die Motive von Rasse und Klasse die gesamte Zauberschule. Soll es denn ein Zufall sein, dass die Guten, ob Schüler oder Lehrer, vielen Völkern zu entstammen scheinen? Oder dass Harry Potters erste erotische Schwärmerei einer zauberhaften kleinen Orientalin namens Cho Chang gehört? Sie wird das Mädchen, dem Harry Potter zum ersten Mal den ebenso verliebten wie ratlosen Ruf: „Women!” hinterherschicken darf. Dieser gemischten Gesellschaft gegenüber steht der ebenso arische wie reaktionäre und moralisch heruntergekommene Adel des weiß-blonden Draco Malfoy. Gewiss, die multiethnische Welt wird siegen, aber erst, wenn auch Harry Potter die aristokratischen Tugenden von Stolz, Eigensinn und Ehrgeiz wird überwunden haben.
Lassie darf nicht sterben, heißt die bekannte Regel aus einer vergangenen Kindheit. Joanne K. Rowling hat gegen dieses Gesetz zum Schutz der Jugend in der Kunst verstoßen. Im fünften Buch der Serie hat sie Mauern der Zauberburg geöffnet, sie hat den Bann um Hogwarts gebrochen und die Evolution eintreten lassen. Am Ende steht eine Prophezeiung: „and either must die at the hand of the other for neither can live while the other survives” – „und einer muss sterben von der Hand des anderen, denn keiner von beiden kann leben, während der andere bleibt”. Und das heißt: Es kann nur einen geben, den pater absconditus, den in die totale Verderbtheit gesunkenen Vertreter einer verlorenen Aristokratie oder den wenn auch genialen Repräsentanten einer neuen, gemischten Rasse. Man ahnt nun, wie die Geschichte enden wird: als Allegorie auf das zwanzigste Jahrhundert. Harry Potter wird leben, aber die Welt der Zauberer kann es nicht mehr geben.
THOMAS STEINFELD
Mit dieser Narbe sollst Du siegen. Aber vorher muss Harry Potter leiden wie nur je ein Erlöser
Abb.: AP
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Harry Potter wird leben, aber die Rasse der Zauberer muss untergehen
Alt ist das Europa, in dem Harry Potter von September bis Juni lebt. Es besitzt Türme und Zinnen, Spitzbogen stützen die hohen Dächer, und von den Bildern an den Wänden grüßen die Ahnen. Arme Ritter spuken darin herum, deren Kopf an einem dünnen Faden hängt. In Hogwarts, dem Internat des nunmehr fünfzehnjährigen Zauberlehrlings, herrscht die ewige Gotik, das einzige metaphysische Zeitalter der Weltgeschichte, eine Epoche, die so fremd ist, dass für gewöhnliche Menschen, die Muggels, kein Weg dorthin führt. Denn die Welt der Muggels, dieser banalen, ein wenig törichten und bestenfalls harmlosen Rasse, verlässt nur, wer aus dem Londoner Bahnhof King’s Cross auf Gleis neundreiviertel hinausfahren kann.
An diesem Wochenende ist, zur maßlosen Aufregung der halben Welt, der fünfte Band dieses erfolgreichsten Bildungsromans aller Zeiten im englischen Original erschienen: „Harry Potter und der Orden des Phönix” heißt das dicke Buch, und Joanne K. Rowling hat drei Jahre gebraucht, um es zu schreiben – eine Verzögerung im Publikationstakt der Serie, die Anlass zu den üblichen Spekulationen gegeben hatte: Waren die Ideen ausgegangen, war die Autorin zu reich oder gar zu faul geworden? Der Grund ist vermutlich einfacher und komplizierter zugleich: Denn in diesem Band wird ein erzählerisches Dilemma offenbar, das Harry Potter von Anfang an begleitet hatte: Für die Zauberwelt gilt keine Zeit, und der zauberische Raum besitzt Löcher wie ein mottenzerfressener Spitzhut. Doch Harry Potter soll kein altersloser Peter Pan sein. Er wächst heran, und mit der Pubertät tritt er aus der Zeitlosigkeit der Kindheit in die historische Welt. Der erste Kuss und der Tod eines nahe stehenden Menschen – das ahnte das Publikum, deshalb wurde es so nervös – werden die ersten wirklichen Prüfungen dieser Romanfolge und ihres Helden sein, weil das Prinzip von Hogwarts herausgefordert wird.
Behutsam geht Joanne K. Rowling an das Problem der geschichtlichen Zeit heran, zunächst in kleinen Schritten. Dudley, der fette, dumme, niederträchtige Sohn der Stiefeltern, trägt eine Lederjacke und ist unter dem Kriegsnamen „Big D” zum Chef einer Schlägerbande geworden, der die Vorstadt terrorisiert und die kleineren Kinder der Nachbarschaft verprügelt. Gegen Ende des Buches aber geht es mit dem Erwachsenwerden so schnell voran, dass der Leser zu fürchten beginnt, die siebenhundertsechsundsechzig Seiten dieses Schmökers könnten gar nicht ausreichen, um so viel Schuld und Verantwortung, Geschichte und Ethik nach Art des späten zwanzigsten Jahrhunderts aufzunehmen. Am Ende dieser Serie wird es, so viel Voraussage sei gewagt, in riesigen, flammenden Lettern eine politische Moral zu lesen geben.
Was heißt es, wenn Harry Potter erwachsen werden soll? Er muss zum Beispiel erfahren, dass seine toten Eltern am frühen Triumph des Bösen nicht unschuldig waren: „Sie dachten, dass Voldemort die richtige Idee hat”, heißt es über die beiden Mitläufer eines zukünftigen totalitären Regimes, „sie begeisterten sich für Reinigung der Zaubererrasse, wollten die Abkömmlinge der Muggels loswerden und das reine Blut an die Macht bringen.” Es kommt, wie es kommen muss: Was gut ist und was böse, lässt sich nicht mehr trennen, und so wie im „Krieg der Sterne” der Knabe Luke Skywalker im schwarzen Meister Darth Vader steckte (und umgekehrt), so teilen sich auch Harry Potter und der Lord Voldemort nicht nur den Geist, sondern auch die Art der Abstammung: Beide sind „half bloods”, Bastarde, halb Mensch, halb Zauberer. Aber wohin gehört das Herz?
Wenn es ein Lebensalter gibt, in dem man sich magische Fähigkeiten wünscht, dann ist dies die Pubertät, die Schwellenzeit, die Periode der nicht enden wollenden Missgeschicke und Peinlichkeiten. Wie angenehm wäre es, wenn man die vielen Quälgeister fortzaubern könnte. Oder sich selbst. Schon Hogwarts, das Internat, die totale Schule, war ein Heilsversprechen, denn die großen Schrecken der kleinen Leute müssen auf besondere Art gebannt werden: „Und wenn die anderen kommen und Harry zu schlagen versuchten, war er bereit – er hatte seinen Stab.” Wer ein Kind in diesem Sinne war, das wurde von Band zu Band undeutlicher, und bald müssen auch schon sehr erwachsene Menschen ihre bange Seele und ihre Liebe zu einem kleinen Zauberer entdeckt haben: Wie sonst sollte man erklären, dass dem Gedanken an eine magische Geheimgesellschaft, der kindlichen Hoffnung, man könne sich in der Welt vor der Welt verstecken, ein solcher Erfolg beschieden war?
Das Glück der Zukunft
Der Grund dieses gigantischen Erfolgs ist nicht nur darin zu suchen, dass Joanne K. Rowling mit jedem Buch dieser Serie eine effizientere, zunehmend radikalere Schriftstellerin geworden ist, eine allein erziehende Mutter und Autorin, die ihrer eigenen Welterfahrung so sehr vertraut, dass sie Harry Potter den Vater gleich zweimal raubt. Es liegt auch darin, dass sie mit dieser Idee des bedingungslosen Aus-der-Welt-Fallen-Wollens an einen Grundwunsch unserer Zeit zu rühren scheint, an den Traum, es könne ein Leben ohne Geschichte und ohne Gesellschaft geben. Und es liegt schließlich auch daran, dass sich der Erfolg dieser Serie längst selbst generiert: als der beinahe hysterische Wunsch, es müsse wieder etwas geben, das alle kennen, das einen gemeinsamen Bezug schafft, das eine universale Erfahrung zusammenschließt, so wie es zum Beispiel die frühen Lieder der „Beatles” taten. Deshalb ist es so wichtig, dass Harry Potter älter wird, dass die ihm gewidmeten Romane als Lebensbegleitung funktionieren und, von Jahrgangsstufe zu Jahrgangsstufe ansteigend, an moralischer Komplexität und an Intensität des beschriebenen Schreckens gewinnen.
Harry Potter muss leiden wie jeder Erlöser. Sein Leiden begann in der Schlafkammer unter der Treppe, und die Qual ist mit dem jüngsten Zweikampf gegen Voldemort mit Sicherheit noch nicht ausgestanden. Er muss leiden wie Anton Reiser oder David Copperfield, er muss leiden, wie man es einem Heranwachsenden in der Kinderliteratur schon lange nicht mehr zugemutet hat, es sei denn, es ging um die Bewältigung der deutschen Vergangenheit. Gegen dieses Leiden rebelliert er jetzt mit dem ganzen Wahrheitspathos eines Fünfzehnjährigen.
Wenn man älter werde, so scheint die ehemalige Sozialarbeiterin Joanne K. Rowling zu lehren, dann müsse man auch den Kummer kennen lernen, denn daran wachse der Mensch. Aber in diesem Buch geht es um viel mehr. Ein Krieg hat begonnen, das Böse bedroht die Welt, die Behörden sind so verblendet wie korrupt, und das Glück der Zukunft ruht auf den schmalen Schultern eines Verstoßenen. Das fantastische Ballspiel Quidditch spielt kaum noch eine Rolle, die Zaubersprüche sind Waffen, und Harry Potter muss sich ohne Hermine und Ron und Neville behaupten. Und auch dies wird überdeutlich: Der tote Gefährte ist nur ein Bote der Zukunft, es wird noch schlimmer werden.
Hermann Hesse war der erste Schriftsteller, dessen großer Erfolg auf der Vorstellung beruhte, es gebe nicht nur eine Art Naturform für alle, die anders sind, sondern sogar eine Heimat für die andersartigen Seelen, Indien oder Kastalien, wie auch immer. Joanne K. Rowling hat dieser Idee nicht nur eine magische, sondern auch eine rassentheoretische Spitze gegeben. Denn tief wie ein höllischer Abgrund ist die Kluft, die Magier und Menschen trennt. „The bond of blood is the strongest shield”, muss Harry Potter lernen, „das Band des Blutes ist der stärkste Schild”. Das ist ein Satz, für den man Martin Walser alle Furien der Aufklärung hinterherjagen würde.
Denn in dieser Differenz steckt mehr als die Attraktivität einer natürlichen Elite, als der Traum von einer angeborenen Überlegenheit. In dieser Differenz verbirgt sich auch die Schlüssigkeit, die scheinbar erlösende Kraft und das brutal Falsche einer Rassendoktrin. Denn was sind die Zauberer, wenn nicht ein auserwähltes Volk, dämonischer und interessanter als die Muggels? Und was heißt es, wenn die jungen Zauberer zur Schule gehen und Hausaufgaben zu bewältigen haben, es aber in keinem der nun fünf dicken Bücher eine Darstellung des praktischen Unterrichts gibt? Doch wohl, dass die Zugehörigkeit zur Rasse der Zauberer vom Schicksal verliehen wird, als Gnade und Verhängnis zugleich.
Tatsächlich beherrschen die Motive von Rasse und Klasse die gesamte Zauberschule. Soll es denn ein Zufall sein, dass die Guten, ob Schüler oder Lehrer, vielen Völkern zu entstammen scheinen? Oder dass Harry Potters erste erotische Schwärmerei einer zauberhaften kleinen Orientalin namens Cho Chang gehört? Sie wird das Mädchen, dem Harry Potter zum ersten Mal den ebenso verliebten wie ratlosen Ruf: „Women!” hinterherschicken darf. Dieser gemischten Gesellschaft gegenüber steht der ebenso arische wie reaktionäre und moralisch heruntergekommene Adel des weiß-blonden Draco Malfoy. Gewiss, die multiethnische Welt wird siegen, aber erst, wenn auch Harry Potter die aristokratischen Tugenden von Stolz, Eigensinn und Ehrgeiz wird überwunden haben.
Lassie darf nicht sterben, heißt die bekannte Regel aus einer vergangenen Kindheit. Joanne K. Rowling hat gegen dieses Gesetz zum Schutz der Jugend in der Kunst verstoßen. Im fünften Buch der Serie hat sie Mauern der Zauberburg geöffnet, sie hat den Bann um Hogwarts gebrochen und die Evolution eintreten lassen. Am Ende steht eine Prophezeiung: „and either must die at the hand of the other for neither can live while the other survives” – „und einer muss sterben von der Hand des anderen, denn keiner von beiden kann leben, während der andere bleibt”. Und das heißt: Es kann nur einen geben, den pater absconditus, den in die totale Verderbtheit gesunkenen Vertreter einer verlorenen Aristokratie oder den wenn auch genialen Repräsentanten einer neuen, gemischten Rasse. Man ahnt nun, wie die Geschichte enden wird: als Allegorie auf das zwanzigste Jahrhundert. Harry Potter wird leben, aber die Welt der Zauberer kann es nicht mehr geben.
THOMAS STEINFELD
Mit dieser Narbe sollst Du siegen. Aber vorher muss Harry Potter leiden wie nur je ein Erlöser
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