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Viel ist in letzter Zeit von »Hate Speech« und »Hass im Netz« die Rede. Sascha Lobo und Carolin Emcke machen sich stark gegen den Netzhass, es gibt Social-Media-Kampagnen #GegendenHass, und auch die Bundesregierung lässt sich in diesem Kampf nicht lumpen. Doch was genau darunter zu verstehen sein soll, weiß keiner so recht. Je nach Belieben fallen die unterschiedlichsten Phänomene wie persönliche Beleidigung, Verleumdung, Wut, Provokation, Kunst, Faschismus oder Klassenkampf unter das »Hass«-Verdikt. Wir sollen uns alle besser benehmen - im Internet. Doch wer bestimmt die Spielregeln im Netz?…mehr

Produktbeschreibung
Viel ist in letzter Zeit von »Hate Speech« und »Hass im Netz« die Rede. Sascha Lobo und Carolin Emcke machen sich stark gegen den Netzhass, es gibt Social-Media-Kampagnen #GegendenHass, und auch die Bundesregierung lässt sich in diesem Kampf nicht lumpen. Doch was genau darunter zu verstehen sein soll, weiß keiner so recht. Je nach Belieben fallen die unterschiedlichsten Phänomene wie persönliche Beleidigung, Verleumdung, Wut, Provokation, Kunst, Faschismus oder Klassenkampf unter das »Hass«-Verdikt. Wir sollen uns alle besser benehmen - im Internet. Doch wer bestimmt die Spielregeln im Netz? - Der Kampf gegen das Symptom Hass, behauptet Marlon Grohn, dient der Ablenkung von Verhältnissen, die seine Ursache sind.
Autorenporträt
Marlon Grohn studierte Soziologie und Germanistik und betreibt seit 2008 die Website »Lyzis¿ Welt«. Er veröffentlichte das Buch »Kommunismus für Erwachsene. Linkes Bewusstsein und die Wirklichkeit des Sozialismus« (2019) und gab mit Dietmar Dath die Zitatensammlung »HEGEL to go« (2020) heraus.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.03.2021

Ein Hoch auf die Virtuosen der Beleidigung
Wenn Twitter-Lichtgestalten auf pöbelnde Würstchen treffen: Marlon Grohn versucht sich mit neomarxistischem Pathos an der Ehrenrettung des Hasses im Internet

Es gibt gute Gründe, diesem Buch keine Beachtung zu schenken, und einer davon ist sein Autor. Marlon Grohn versteht sich als Kommunist, schätzt die Sowjetunion und distanziert sich auf seiner Website scherzhaft von eigenen Beiträgen, die die "zahlreichen völlig gerechtfertigten Opfer des Stalinismus" verhöhnten. Für einen ernst zu nehmenden Diskurs hat man sich mit einer solchen Haltung erst mal disqualifiziert.

Andererseits kleben wir heute praktisch alle in unserer jeweiligen Bubble fest und nehmen andere Positionen nurmehr verschwommen wahr, weshalb ein Perspektivwechsel erhellend sein kann. Und dafür, in Grohns Blase einzutauchen, spricht immerhin der Anspruch des Buches, den vielseits beklagten Hass im Netz zu verteidigen, der erfahrungsgemäß vor allem von rechts kommt - ein für einen kommunistischen Traktat dann doch origineller Ansatz.

Während es an Bemühungen, verwandte Gefühle wie Wut und Empörung zu rehabilitieren, zuletzt nicht gemangelt hat, sind sich in der Ablehnung des Hasses weiterhin fast alle einig. Hass spaltet, er vergiftet die Gesellschaft, und der Hass im Netz ebnet schlimmstenfalls den Weg für Gewalt gegen Fremde, Frauen und Andersdenkende. Um den Hass als solchen rechtfertigen zu können, hilft ein Weltbild, in dem die Gesellschaft auch so schon verkorkst genug ist, zum Beispiel ein kommunistisches. Dann kann man, wie der zum Auftakt von Grohn zitierte Lenin, vom edelsten proletarischen Hass sprechen, welcher der Hauptantrieb der Unterdrückten im Klassenkampf ist.

Ein solcher - unfairer - Klassenkampf tobt nach Grohns Diagnose auch heute, wenn sich "die Vertreter der sogenannten liberalen Zivilgesellschaft" gegen ein "pöbelndes Würstchen vor dem Computer" verbünden - da muss man ihm gar nicht widersprechen. Wird einer der Ihren aus abgedunkelter Wohnstube heraus attackiert, haben die Twitter-Lichtgestalten beim Gegenangriff in der Regel überlegene Waffen am Start: die Masse, die Moral, die bessere Rechtschreibung. "Die Mahner gegen Hass und Hetze", springt Grohn den Trollen mit neomarxistischem Pathos zur Seite, "wollen ihnen nun auch noch das nehmen, was sie in ihrer spärlichen Freizeit als Einziges neben ihren Ketten noch zu verlieren haben: das Pöbeln im Internet, den Hass."

Zur Ehrenrettung des Hasses zieht Grohn - und auch da liegt er nicht falsch - große Namen aus der Literatur heran, denen es als "Virtuosen der Beleidigung" gelungen sei, ihren Hass "zur Kunst umzuetikettieren". Beispiel Karl Kraus: "Man liebt seinen Hass. Aber man hasst den Hass der heute Hassenden." Mag sein, es lassen sich aber unter den vielen Fanatikern auf Facebook auch mit dem allerbesten Willen kaum Karl Krause entdecken.

Damit Grohns Weltbild nicht wankt, muss er die Hassenden von heute verklären. Er sieht sie sich mit ihren "revolutionären Gedanken" auflehnen "gegen den real erlebbaren Horror der Welt". Grohns Scheuklappen erlauben es ihm auszublenden, dass sich ein Gros des Hasses im Netz nun mal gegen - vermeintlich - Schwächere richtet und dass sich auch die im Netz besonders agile AfD-Klientel bei weitem nicht nur aus Unterprivilegierten speist. Auch die zahlreichen Journalisten, die sich im frisch erblühten Genre "Hausbesuch beim Troll" versuchten, trafen ihre Gesprächspartner nur selten in Sozialwohnungen an.

Schwerer erträglich als die von ihm bewusst oder unbewusst verharmlosten Rechtsradikalen sind dem Linken Grohn die weniger konsequent Linken, die Linksliberalen wie Jan Böhmermann, Carolin Emcke oder Sascha Lobo: Die Feinde dieser seiner Feinde müssen seine Freunde sein - eine Hufeisentheorie ganz eigener Art. Grohns pointierte Beschreibung dieses Milieus ist von boshafter Ungerechtigkeit und trifft doch manch wunden Punkt. Die prominenten Akteure auf der Social-Media-Bühne wüssten, dass sie Theater spielten, schreibt Grohn, "aber es soll in dem Stück nur noch Gute geben, nur noch Kasper, Fee und Großmutter - keine Räuber, Teufel und Krokodile".

Die "Ausgeburten der liberalen Streitfeindlichkeit" als großes "Moralkollektiv" tummelten sich im "Schöne-Seelen-Sammelbecken" und reagierten gekränkt aufs ungebetene Erscheinen jener "prekären Geschöpfe", die "vormals in den Vorstadthochhaussiedlungen gut weggeschlossen waren". Zwar lassen sich einzelne Hasskommentare oder Accounts sperren, aber den Hass, so Grohn, "kann man nicht aus der Welt schaffen."

Die Utopie einer zusehends harmonischeren und aufgeklärten Netzgemeinschaft hält Grohn ohnehin für naiv: Wer im Internet "seine Privatheiten" zur Schau stelle, solle sich nicht "wundern, dass die Öffentlichkeit sich nicht wie der Therapeut verhält, sondern wie die Öffentlichkeit". Als junger Altlinker hadert Grohn auch mit der Identitätspolitik, bei der es "nicht mehr um objektive gesellschaftliche Verhältnisse geht, sondern nur noch um die Verletztheiten einzelner Personen", um das permanent "schutzbedürftige Bewusstsein". Mit solchen Leuten ist eine Revolution, wie sie Grohn vorschwebt, nicht zu machen, mit Hass aber schon: Es gebe sogar eine Pflicht dazu.

Grohn selbst hat an Hass reichlich zu bieten. Da heißt es dann, Terrorakte und Amokläufe seien als "notwendige Hervorbringungen bürgerlicher Vergesellschaftung nichts Befremdliches". Über den Chefredakteur eines Boulevardblatts: "Leider hat es bei ihm nicht zum Rebellen, zum Sektenführer oder Serienmörder gereicht." Solche Sätze sind indiskutabel und würden im Netz dazu verleiten, ihn zu blockieren; im Buch aber kann man weiterblättern und auf lohnendere Passagen stoßen.

Hasserfüllte Trolle und ihre Ergüsse aus dem Netz zu verbannen und juristisch zu verfolgen ist ein Ansatz, der unsere schönen Seelen erst einmal beruhigen mag, doch die Ruhe ist oberflächlich; für größere Sicherheit scheinen gesellschaftliche Veränderungen nötig. Es sollte nur um Himmels Willen nicht gleich eine kommunistische Revolution sein.

JÖRG THOMANN

Marlon Grohn: "Hass von oben, Hass von unten".

Klassenkampf im Internet. Verlag Das Neue Berlin,

Berlin 2021. 176 S., br., 12,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Jörg Thomann muss sich überwinden, um das Buch des selbsternannten Kommunisten und Hassers linksliberaler Gesellschaftskritik Marlon Grohn zu lesen. Manches im Buch muss er gleich überblättern, etwa Passagen, in denen der Autor von Terror als "notwendiger Hervorbringung bürgerlicher Vergesellschaftung" quasselt. Manch Lohnendes liest Thomann aber auch. Grohns ätzende Kritik an Jan Böhmermann und anderen Social-Media-Linken etwa trifft für ihn einen wunden Punkt. Wenn der Autor proletarischen Hass verteidigt, rollt Thomann zwar mit den Augen, dem temporären Perspektivwechsel kann er aber durchaus etwas abgewinnen.

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