Darf man anordnen, daß auf unseren Schulhöfen deutsch gesprochen wird? Kann der Staat Fremdwörter und Anglizismen verbannen? Wie können wir Deutsch wieder als Wissenschaftssprache beleben? Und wie erreichen wir, daß sich das Deutsche als Europasprache behauptet? Jutta Limbachs Buch ist ein Plädoyer für, und eine Liebeserklärung an die deutsche Sprache.
Deutsch spielt keine Hauptrolle im weltweiten Sprachenkonzert; an der Stellung der globalen lingua franca Englisch kann und will niemand mehr rütteln. Trotzdem, Deutsch ist eine beachtliche "Regionalsprache" in der Europäischen Union. 32% aller EU-Bürger sprechen deutsch (51% englisch, 26% französisch und 15% spanisch). Wie wird sich das Deutsche in einer erweiterten Union behaupten, in der offiziell 20 Sprachen gesprochen werden? Und innenpolitisch ist die Frage, welche Integrationskraft das Deutsche entwickeln wird und welche Perspektiven ein Konzept von Mehrsprachigkeit eröffnet. Taugt die Sprache als Instrument der Integration und in welcher Weise können Rechtsnormen den Sprachgebrauch beeinflussen?
Jutta Limbach, die als Präsidentin des Goethe-Instituts in besonderer Weise mit den Themen Spracherwerb und Sprachkultur befasst ist, geht in diesem Buch der Frage nach, welche Rolle wir selbst dem Deutschen zubilligen, was uns zu recht daran hindert, sprachlich aufzutrumpfen und weshalb es dennoch sinnvoll ist, uns mit Nachdruck für eine konsequente Sprachpraxis einzusetzen. Um weltgewandt zu erscheinen, spricht mancher Deutsche im Ausland selbst mit Deutschen lieber englisch oder französisch. Welcher Italiener, Spanier oder Grieche käme je auf eine solche Idee? Jutta Limbach nimmt einige unserer Sprachgewohnheiten unter die Lupe und plädiert dann sehr überzeugend zu Gunsten des Deutschen.
Haben wir eine Sprache mit Zukunft? Jutta Limbach, bis vor kurzem Präsidentin des Goethe-Instituts, sucht in ihrem neuen Buch eine Antwort.
Deutsch spielt keine Hauptrolle im weltweiten Sprachenkonzert; an der Stellung der globalen lingua franca Englisch kann und will niemand mehr rütteln. Trotzdem, Deutsch ist eine beachtliche "Regionalsprache" in der Europäischen Union. 32% aller EU-Bürger sprechen deutsch (51% englisch, 26% französisch und 15% spanisch). Wie wird sich das Deutsche in einer erweiterten Union behaupten, in der offiziell 20 Sprachen gesprochen werden? Und innenpolitisch ist die Frage, welche Integrationskraft das Deutsche entwickeln wird und welche Perspektiven ein Konzept von Mehrsprachigkeit eröffnet. Taugt die Sprache als Instrument der Integration und in welcher Weise können Rechtsnormen den Sprachgebrauch beeinflussen?
Jutta Limbach, die als Präsidentin des Goethe-Instituts in besonderer Weise mit den Themen Spracherwerb und Sprachkultur befasst ist, geht in diesem Buch der Frage nach, welche Rolle wir selbst dem Deutschen zubilligen, was uns zu recht daran hindert, sprachlich aufzutrumpfen und weshalb es dennoch sinnvoll ist, uns mit Nachdruck für eine konsequente Sprachpraxis einzusetzen. Um weltgewandt zu erscheinen, spricht mancher Deutsche im Ausland selbst mit Deutschen lieber englisch oder französisch. Welcher Italiener, Spanier oder Grieche käme je auf eine solche Idee? Jutta Limbach nimmt einige unserer Sprachgewohnheiten unter die Lupe und plädiert dann sehr überzeugend zu Gunsten des Deutschen.
Haben wir eine Sprache mit Zukunft? Jutta Limbach, bis vor kurzem Präsidentin des Goethe-Instituts, sucht in ihrem neuen Buch eine Antwort.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.04.2008Haben wir eine Sprache mit Zukunft?
Wer spricht in hundert Jahren noch Deutsch? Jutta Limbach, bis vor kurzem Präsidentin des Goethe-Instituts, sucht in ihrem neuen Buch eine Antwort. Zum Auftakt des F.A.Z. Reading Rooms zur Zukunft der deutschen Sprache stellt die Autorin ihre wichtigsten Thesen vor.
Von Jutta Limbach
Wohl noch nie ist in deutschsprachigen Ländern ein so gutes Deutsch von einer so großen Zahl von Menschen gesprochen und geschrieben worden. Diese Behauptung wird Protest auslösen. Ist doch die deutsche Sprache ein beliebter Gegenstand moralisierender Nörgelei. Es ist ein deutscher Aberglaube, zu meinen, dass man einem geschätzten Kulturgut am besten dient, wenn man seinen Zustand bejammert und seinen Verfall prophezeit. Je drastischer das Bedrohungsszenarium an die Wand gemalt wird, desto mehr geraten die Vorzüge der deutschen Sprache in den Hintergrund. Wer Texte sucht, die Kauderwelsch aufbieten, wird stets reiche Beute finden. Dennoch wird die deutsche Sprache nicht wegen der Seitensprünge in fremde Reviere und wegen der dabei erzeugten Mischlinge dahinwelken. Besser als jede deutschtümelnde Beckmesserei bewahrt gute Literatur die poetische und sprachschöpferische Kraft unserer Sprache. Literaturpreis-Jurys haben weniger ein Qualitäts- als ein Mengenproblem zu meistern.
Gleichwohl sei die populäre Sprachkritik nicht geringgeschätzt, beweist sie doch Sensibilität für Fragen der Sprachästhetik. Dieses aus der Gesellschaft kommende Schutzbedürfnis bestätigt die These, dass die Sprache eine Res publica, eine öffentliche Angelegenheit im ursprünglichen Sinne, ist. Nicht eine Akademie schreibt vor, wie das Deutsche richtig gesprochen und geschrieben wird. Die Sprachgemeinschaft ist es, die unsere Muttersprache fortbildet. Das meint auch der Bundestag, der im Streit um die Rechtschreibreform dem Bundesverfassungsgericht mitteilte, dass "sich die Sprache im Gebrauch der Bürgerinnen und Bürger ... ständig und behutsam, organisch und schließlich durch gemeinsame Übereinkunft weiterentwickelt. Mit einem Wort: Die Sprache gehört dem Volk." In der Tat: Die Muttersprache ist eine Privat- und öffentliche Angelegenheit freier Bürger.
Nicht die Frage, ob Rohheit mit einem oder zwei "h" geschrieben werden sollte, macht die deutsche Sprache gegenwärtig zu einem Politikum. Zwei Phänomene sind es, die die Sprachpolitik herausfordern: die Globalisierung und die Migration. Der mit der Wirtschaft einhergehende Trend zum Englischen als einziger Weltsprache bedroht nicht nur den Status des Deutschen als Europasprache. Auf längere Sicht können die kulturelle Unterschiede einebnenden Kräfte zu einem Verkümmern der anderen Sprachen führen. Der Glaube, die deutsche Sprache werde sich als Kultursprache, als die Sprache der Dichter und Denker behaupten, dürfte sich mit der Zeit als treuherzig erweisen. Denn eine Sprache, die in der Arbeitswelt immer weniger gesprochen wird, verarmt und taugt eines Tages nur noch als Schlüssel zum Sich-Erinnern an die Blütezeit deutscher Hochkultur. Mangels eines fortgebildeten Wortschatzes lässt sie uns sprachlos bei der Reflexion von Gegenwartsproblemen und dem Entwurf von Zukunftsplänen in der entgrenzten Welt.
Sprache als Friedensstifter
Die Sorge, dass auch von der Europäischen Union ein Druck auf eine internationale Verkehrssprache ausgehen könnte, scheint auf den ersten Blick unbegründet. Denn der Reformvertrag von Lissabon setzt diesem Trend die Maxime der Mehrsprachigkeit entgegen. Die Vielzahl der Sprachen gehört seit jeher zu den kulturellen Schätzen Europas. Die Europäische Union hat sich zum Ziel gesetzt, die kulturelle und sprachliche Vielfalt zu respektieren und das kulturelle Erbe zu bewahren. Im Sinne dieser Aufgabe hat die Europäische Kommission das Jahr 2008 dem interkulturellen Dialog gewidmet. Eingedenk der Tatsache, dass sprachliche und kulturelle Vielfalt zugleich Quelle von Reichtum, aber auch von Spannungen ist, gilt es, die positiven Auswirkungen der Vielsprachigkeit Europas zu stärken.
Auf den ersten Blick berechtigen die offiziellen Sprachregeln der Europäischen Union zu großen Erwartungen. Seit ihrer Gründung sind alle offiziellen Sprachen der Mitgliedstaaten gleichberechtigt. Zudem ist die deutsche Sprache seit 1993 neben der englischen und französischen zur dritten internen Arbeitssprache in der Kommission gewählt worden. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus. Unsere Landsleute in Brüssel haben aus diesem privilegierten Status kaum Kapital zu schlagen vermocht. Die Tatsache, dass laut dem Eurobarometer rund 83 Millionen Menschen in der Europäischen Union Deutsch als Muttersprache und seit der Ost-Erweiterung rund 63 Millionen als Fremdsprache sprechen, hat sie im Gebrauch der deutschen Sprache kaum zu stimulieren vermocht. In sieben Ländern hat Deutsch einen offiziellen Status. Der deutsche Sprachraum mit seinen vierzehn Sprachnachbarn ist ein Transit- und Austauschgebiet par excellence zwischen Nord und Süd und seit dem Fall des Eisernen Vorhangs auch zwischen Ost und West.
Gäbe es nicht die Lichtblicke einer in Brüssel deutsch sprechenden Kanzlerin und den Protest des Bundestags wegen der fehlenden Übersetzung Brüsseler Texte in die deutsche Sprache, man könnte schier verzweifeln über die deutsche Sprachflucht in der Union. Wir können nur hoffen, dass der Deutsche Bundestag und das Auswärtige Amt nicht zu spät erwacht sind, um die Versäumnisse künftig wettzumachen. Eine kluge Personal- und Sprachpolitik sind gefordert. Diese darf allerdings nicht aus den Augen verlieren, dass auch die anderen Europäer ihre Sprache lieben und sie nicht verkümmern lassen wollen. Das Bildungsziel der Mehrsprachigkeit ist ein normatives Konzept und kein Sprachregime.
Sprachgewirr an Berliner Schulen
Wer Anschauungsunterricht in Sachen kultureller und sprachlicher Vielfalt sucht, braucht nicht auf Reisen in fremde Länder zu gehen. In vielen deutschen Städten zeigen bereits die Geschäftsbezeichnungen der Gaststätten, Kioske und Feinkostläden eine Vielfalt von Sprachen und Kulturen an. Auch wenn einige Politiker noch immer Schwierigkeiten haben, das Wort "Einwanderungsland" in den Mund zu nehmen, müssen sie sich der Tatsache stellen, dass hierzulande fast sieben Millionen Ausländer, darunter rund drei Millionen Muslime, leben, die Deutschland als zweite Heimat betrachten. Die zugewanderten Menschen sprechen in vielen Zungen. Ein Beispiel bietet das babylonische Sprachengewirr auf Berliner Schulhöfen, dem wir mit "Deutschpflicht" und "Pausensprache" zwei jüngst neu zusammengesetzte Wörter verdanken. In siebzig Berliner Oberschulen ist Deutsch für die große Mehrzahl der Schüler nicht die Muttersprache. Mitunter werden an diesen Schulen acht bis zehn verschiedene Herkunftssprachen gesprochen.
Gewalt gehört an diesen Berliner Schulen zum Alltag. Deutsche sind nicht nur Opfer, sondern auch Täter. Es geht nicht um ein Problem von In- und Ausländern, sondern um die Herkunft aus den ärmsten Schichten. Die Pisa-Studien haben auf eindringliche Weise deutlich gemacht, dass die Lebenschancen der Migrantenkinder in hohem Maße durch mangelnde Lernhilfen vertan werden. Wir wissen, dass das Gleiche auch für deutschsprachige Kinder aus sozial benachteiligten Elternhäusern gilt.
Die aus kultureller Zwietracht resultierenden Gewaltausbrüche haben die Politik herausgefordert, sich erneut und grundsätzlicher der Integration von Zuwanderern anzunehmen. Eigene Integrations- und insbesondere Sprachkurse sollen den Zuwanderern helfen, sich in der deutschen Kultur und Politik zurechtzufinden und am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Das Erlernen der deutschen Sprache ist ein notwendiges, wenn auch kein ausreichendes Mittel der Integration. Eine aktive Bürgerschaft ist ohne die Fähigkeit, sich sprachlich zu verständigen, kaum möglich.
Nicht nur der Druck und die Pflicht, Deutsch zu lernen, auch das Erlernen der Mutter- und Herkunftssprache werden im heißen Streit erörtert. Viele Kinder aus Zuwandererfamilien beherrschen weder die Landes- noch ihre Muttersprache. Gibt es - wie es in dem Berliner Schulstreit behauptet worden ist - ein Grundrecht auf Muttersprache? Ist der deutsche Staat verpflichtet, Kindern aus Einwandererfamilien das Erlernen ihrer Herkunftssprache zu ermöglichen? Gibt es wenigstens eine Art Minderheitenrecht, das den Staat verpflichtet, Kultur und Sprache der zugewanderten Volksgruppen zu schützen und zu fördern? Weder das Grundgesetz noch andere deutsche Rechtsquellen geben eine positive Antwort auf diese Frage.
Diese Rechtslage schließt es aber nicht aus, die zugewanderten Minderheiten bei dem Versuch zu unterstützen, ihr kulturelles Erbe und ihre Sprache zu pflegen. Für alle gilt die Humboldtsche Einsicht, dass die Muttersprache der Königsweg zur Bildung der Persönlichkeit ist. Der mit dem Spracherwerb verbundene geistige Prozess bringt Selbstbewusstsein und ein kulturelles Wertesystem hervor. In der Bundesrepublik sollte die Bereitschaft reifen, die Tatsache, dass Migrantenkinder sich in zwei Sprachwelten zurechtfinden müssen, nicht nur als Defizit, sondern als Schatz zu betrachten.
Den Reading Room zu Jutta Limbachs Buch
"Hat Deutsch eine Zukunft?" finden Sie im Internet unter www.faz.net/limbach. Leser sind eingeladen, dort mit Wissenschaftlern, Autoren und Politikern zu diskutieren.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wer spricht in hundert Jahren noch Deutsch? Jutta Limbach, bis vor kurzem Präsidentin des Goethe-Instituts, sucht in ihrem neuen Buch eine Antwort. Zum Auftakt des F.A.Z. Reading Rooms zur Zukunft der deutschen Sprache stellt die Autorin ihre wichtigsten Thesen vor.
Von Jutta Limbach
Wohl noch nie ist in deutschsprachigen Ländern ein so gutes Deutsch von einer so großen Zahl von Menschen gesprochen und geschrieben worden. Diese Behauptung wird Protest auslösen. Ist doch die deutsche Sprache ein beliebter Gegenstand moralisierender Nörgelei. Es ist ein deutscher Aberglaube, zu meinen, dass man einem geschätzten Kulturgut am besten dient, wenn man seinen Zustand bejammert und seinen Verfall prophezeit. Je drastischer das Bedrohungsszenarium an die Wand gemalt wird, desto mehr geraten die Vorzüge der deutschen Sprache in den Hintergrund. Wer Texte sucht, die Kauderwelsch aufbieten, wird stets reiche Beute finden. Dennoch wird die deutsche Sprache nicht wegen der Seitensprünge in fremde Reviere und wegen der dabei erzeugten Mischlinge dahinwelken. Besser als jede deutschtümelnde Beckmesserei bewahrt gute Literatur die poetische und sprachschöpferische Kraft unserer Sprache. Literaturpreis-Jurys haben weniger ein Qualitäts- als ein Mengenproblem zu meistern.
Gleichwohl sei die populäre Sprachkritik nicht geringgeschätzt, beweist sie doch Sensibilität für Fragen der Sprachästhetik. Dieses aus der Gesellschaft kommende Schutzbedürfnis bestätigt die These, dass die Sprache eine Res publica, eine öffentliche Angelegenheit im ursprünglichen Sinne, ist. Nicht eine Akademie schreibt vor, wie das Deutsche richtig gesprochen und geschrieben wird. Die Sprachgemeinschaft ist es, die unsere Muttersprache fortbildet. Das meint auch der Bundestag, der im Streit um die Rechtschreibreform dem Bundesverfassungsgericht mitteilte, dass "sich die Sprache im Gebrauch der Bürgerinnen und Bürger ... ständig und behutsam, organisch und schließlich durch gemeinsame Übereinkunft weiterentwickelt. Mit einem Wort: Die Sprache gehört dem Volk." In der Tat: Die Muttersprache ist eine Privat- und öffentliche Angelegenheit freier Bürger.
Nicht die Frage, ob Rohheit mit einem oder zwei "h" geschrieben werden sollte, macht die deutsche Sprache gegenwärtig zu einem Politikum. Zwei Phänomene sind es, die die Sprachpolitik herausfordern: die Globalisierung und die Migration. Der mit der Wirtschaft einhergehende Trend zum Englischen als einziger Weltsprache bedroht nicht nur den Status des Deutschen als Europasprache. Auf längere Sicht können die kulturelle Unterschiede einebnenden Kräfte zu einem Verkümmern der anderen Sprachen führen. Der Glaube, die deutsche Sprache werde sich als Kultursprache, als die Sprache der Dichter und Denker behaupten, dürfte sich mit der Zeit als treuherzig erweisen. Denn eine Sprache, die in der Arbeitswelt immer weniger gesprochen wird, verarmt und taugt eines Tages nur noch als Schlüssel zum Sich-Erinnern an die Blütezeit deutscher Hochkultur. Mangels eines fortgebildeten Wortschatzes lässt sie uns sprachlos bei der Reflexion von Gegenwartsproblemen und dem Entwurf von Zukunftsplänen in der entgrenzten Welt.
Sprache als Friedensstifter
Die Sorge, dass auch von der Europäischen Union ein Druck auf eine internationale Verkehrssprache ausgehen könnte, scheint auf den ersten Blick unbegründet. Denn der Reformvertrag von Lissabon setzt diesem Trend die Maxime der Mehrsprachigkeit entgegen. Die Vielzahl der Sprachen gehört seit jeher zu den kulturellen Schätzen Europas. Die Europäische Union hat sich zum Ziel gesetzt, die kulturelle und sprachliche Vielfalt zu respektieren und das kulturelle Erbe zu bewahren. Im Sinne dieser Aufgabe hat die Europäische Kommission das Jahr 2008 dem interkulturellen Dialog gewidmet. Eingedenk der Tatsache, dass sprachliche und kulturelle Vielfalt zugleich Quelle von Reichtum, aber auch von Spannungen ist, gilt es, die positiven Auswirkungen der Vielsprachigkeit Europas zu stärken.
Auf den ersten Blick berechtigen die offiziellen Sprachregeln der Europäischen Union zu großen Erwartungen. Seit ihrer Gründung sind alle offiziellen Sprachen der Mitgliedstaaten gleichberechtigt. Zudem ist die deutsche Sprache seit 1993 neben der englischen und französischen zur dritten internen Arbeitssprache in der Kommission gewählt worden. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus. Unsere Landsleute in Brüssel haben aus diesem privilegierten Status kaum Kapital zu schlagen vermocht. Die Tatsache, dass laut dem Eurobarometer rund 83 Millionen Menschen in der Europäischen Union Deutsch als Muttersprache und seit der Ost-Erweiterung rund 63 Millionen als Fremdsprache sprechen, hat sie im Gebrauch der deutschen Sprache kaum zu stimulieren vermocht. In sieben Ländern hat Deutsch einen offiziellen Status. Der deutsche Sprachraum mit seinen vierzehn Sprachnachbarn ist ein Transit- und Austauschgebiet par excellence zwischen Nord und Süd und seit dem Fall des Eisernen Vorhangs auch zwischen Ost und West.
Gäbe es nicht die Lichtblicke einer in Brüssel deutsch sprechenden Kanzlerin und den Protest des Bundestags wegen der fehlenden Übersetzung Brüsseler Texte in die deutsche Sprache, man könnte schier verzweifeln über die deutsche Sprachflucht in der Union. Wir können nur hoffen, dass der Deutsche Bundestag und das Auswärtige Amt nicht zu spät erwacht sind, um die Versäumnisse künftig wettzumachen. Eine kluge Personal- und Sprachpolitik sind gefordert. Diese darf allerdings nicht aus den Augen verlieren, dass auch die anderen Europäer ihre Sprache lieben und sie nicht verkümmern lassen wollen. Das Bildungsziel der Mehrsprachigkeit ist ein normatives Konzept und kein Sprachregime.
Sprachgewirr an Berliner Schulen
Wer Anschauungsunterricht in Sachen kultureller und sprachlicher Vielfalt sucht, braucht nicht auf Reisen in fremde Länder zu gehen. In vielen deutschen Städten zeigen bereits die Geschäftsbezeichnungen der Gaststätten, Kioske und Feinkostläden eine Vielfalt von Sprachen und Kulturen an. Auch wenn einige Politiker noch immer Schwierigkeiten haben, das Wort "Einwanderungsland" in den Mund zu nehmen, müssen sie sich der Tatsache stellen, dass hierzulande fast sieben Millionen Ausländer, darunter rund drei Millionen Muslime, leben, die Deutschland als zweite Heimat betrachten. Die zugewanderten Menschen sprechen in vielen Zungen. Ein Beispiel bietet das babylonische Sprachengewirr auf Berliner Schulhöfen, dem wir mit "Deutschpflicht" und "Pausensprache" zwei jüngst neu zusammengesetzte Wörter verdanken. In siebzig Berliner Oberschulen ist Deutsch für die große Mehrzahl der Schüler nicht die Muttersprache. Mitunter werden an diesen Schulen acht bis zehn verschiedene Herkunftssprachen gesprochen.
Gewalt gehört an diesen Berliner Schulen zum Alltag. Deutsche sind nicht nur Opfer, sondern auch Täter. Es geht nicht um ein Problem von In- und Ausländern, sondern um die Herkunft aus den ärmsten Schichten. Die Pisa-Studien haben auf eindringliche Weise deutlich gemacht, dass die Lebenschancen der Migrantenkinder in hohem Maße durch mangelnde Lernhilfen vertan werden. Wir wissen, dass das Gleiche auch für deutschsprachige Kinder aus sozial benachteiligten Elternhäusern gilt.
Die aus kultureller Zwietracht resultierenden Gewaltausbrüche haben die Politik herausgefordert, sich erneut und grundsätzlicher der Integration von Zuwanderern anzunehmen. Eigene Integrations- und insbesondere Sprachkurse sollen den Zuwanderern helfen, sich in der deutschen Kultur und Politik zurechtzufinden und am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Das Erlernen der deutschen Sprache ist ein notwendiges, wenn auch kein ausreichendes Mittel der Integration. Eine aktive Bürgerschaft ist ohne die Fähigkeit, sich sprachlich zu verständigen, kaum möglich.
Nicht nur der Druck und die Pflicht, Deutsch zu lernen, auch das Erlernen der Mutter- und Herkunftssprache werden im heißen Streit erörtert. Viele Kinder aus Zuwandererfamilien beherrschen weder die Landes- noch ihre Muttersprache. Gibt es - wie es in dem Berliner Schulstreit behauptet worden ist - ein Grundrecht auf Muttersprache? Ist der deutsche Staat verpflichtet, Kindern aus Einwandererfamilien das Erlernen ihrer Herkunftssprache zu ermöglichen? Gibt es wenigstens eine Art Minderheitenrecht, das den Staat verpflichtet, Kultur und Sprache der zugewanderten Volksgruppen zu schützen und zu fördern? Weder das Grundgesetz noch andere deutsche Rechtsquellen geben eine positive Antwort auf diese Frage.
Diese Rechtslage schließt es aber nicht aus, die zugewanderten Minderheiten bei dem Versuch zu unterstützen, ihr kulturelles Erbe und ihre Sprache zu pflegen. Für alle gilt die Humboldtsche Einsicht, dass die Muttersprache der Königsweg zur Bildung der Persönlichkeit ist. Der mit dem Spracherwerb verbundene geistige Prozess bringt Selbstbewusstsein und ein kulturelles Wertesystem hervor. In der Bundesrepublik sollte die Bereitschaft reifen, die Tatsache, dass Migrantenkinder sich in zwei Sprachwelten zurechtfinden müssen, nicht nur als Defizit, sondern als Schatz zu betrachten.
Den Reading Room zu Jutta Limbachs Buch
"Hat Deutsch eine Zukunft?" finden Sie im Internet unter www.faz.net/limbach. Leser sind eingeladen, dort mit Wissenschaftlern, Autoren und Politikern zu diskutieren.
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Verhalten äußert sich Rezensentin Stefana Sabin über Jutta Limbachs Buch "Hat Deutsch eine Zukunft?" Wie sie berichtet, setzt sich die ehemalige Verfassungsrichterin und Präsidentin des Goethe-Instituts mit der Frage auseinander, ob und wie das Deutsche dem Druck des Englischen und der Konkurrenz anderer Sprachen standhalten kann. Die Überlegungen der Autorin findet Sabin zwar nicht verkehrt, aber auch nicht besonders originell oder gar brisant. Zudem scheint ihr die Darstellung etwas "kraftlos", wofür in ihren Augen der bisweilen "bürokratische Ton" verantwortlich ist, der für sie eher nach Verfassungsgericht als nach Goethe-Institut klingt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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