Before the Communists came to power, China lay broken. Today it is a global force, but its leaders are haunted by the past. Sulmaan Wasif Khan chronicles the grand strategies that have sought to protect China from aggression and ensure it would never again experience the powerlessness of the late Qing and Republican eras.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.08.2018Was bedeutet die harmonische Gesellschaft?
Der Mann mit dem schwierigsten Job der Welt: Zwei Bücher versuchen, ein realistisches Bild von Chinas starkem Mann Xi Jinping zu zeichnen.
Man hatte sich daran gewöhnt, die Volksrepublik China von diskreten Apparatschiks regiert zu sehen. Mit Mao Zedongs Tod 1976 war das Charisma des Revolutionsführers und Staatsgründers erloschen; es konnte nicht vererbt werden. Der alte Pragmatiker Deng Xiaoping steuerte das Land als graue Eminenz aus dem Hintergrund. Ihm folgten kollektive Führungen unter den Technokraten Jiang Zemin und Hu Jintao.
Mit Xi Jinpings Aufstieg zum Generalsekretär der Kommunistischen Partei 2012 und zum Staatspräsidenten ein Jahr später änderte sich der Stil: mehr Befugnisse in der Hand der Spitzenfigur, erstmals seit Mao wieder Ansätze zu einem Personenkult, ein schärferes Vorgehen gegen Regimekritiker auf der einen, gegen korrupte Funktionäre auf der anderen Seite, Verstärkung von Propaganda und Gedankenkontrolle, Zunahme der Repression in den Randzonen des Staatsgebiets. Im März 2018 wurde die Amtszeitbegrenzung des Staatspräsidenten aufgehoben. Hat sich China, so spekulierte die Öffentlichkeit im Ausland, auf die schiefe Bahn von bürokratischer Parteidiktatur zur persönlichen Willkürherrschaft eines Führers begeben? Zurück zu Mao?
Zwei Experten warnen vor einem vorschnellen Urteil. Die Form der Machtausübung habe sich geändert, nicht ihre Substanz. Xi Jinping, darin sind sich der Amerikaner Sulmann Wasif Khan und der Brite Kerry Brown einig, ist ein besonnener Staatsmann, der die Interessen von Partei und Nation - beides selbstverständlich als identisch verstanden - mit Umsicht zu wahren sucht. Er ist kein Regelbrecher und Zerstörer. Um ihn zu verstehen, muss man keine Individualpsychologie bemühen, wie sie bei der Deutung des dämonischen Einzeltäters Trump den Ratlosen vielfach als letzte Zuflucht erscheint. Es genügt, den Präsidenten Xi in die Geschichte der chinesischen Staatsräson einzuordnen.
Khans Interpretation ist die oberflächlichere der beiden. Zwar bemüht er nicht das pseudohistorische Klischee, China habe nie etwas anderes als Autokratie und Despotismus gekannt - und verdiene deshalb auch nichts Besseres. Aber er verharrt doch bei der allzu pauschalen und wenig originellen These, es gebe seit der Staatsgründung von 1949 eine durchgängig handlungsleitende, allenfalls in den Jahren maoistischer Exzesse (etwa von 1958 bis 1971) auf Eis gelegte "grand strategy". Die chinesische Führung erstrebe als letzte Ziele den Zusammenhalt und die Sicherheit des Landes und das Überleben der Partei. Kontrollierte Veränderung im Inneren werde durch eine - im Vergleich zu anderen Großmächten - defensive Außenpolitik abgeschirmt, die seit 1979 kein einziges Mal militärisch interveniert hat. Das ist nicht falsch, erklärt aber wenig.
Der ehemalige Diplomat und Politikprofessor Kerry Brown hat ein feineres Gespür für Paradoxien und Widersprüche. Seiner Biographie des Parteichefs ("CEO China: The Rise of Xi Jinping", 2016) hat er nun eine essayistisch gehaltene Nachbetrachtung folgen lassen. Von dem, was man "über das neue China wissen muss", erfährt man hier kaum etwas - nichts über Wirtschaft, Gesellschaft und Umweltprobleme, nichts über das Alltagsleben und die Sorgen und Wünsche der verschiedenen Bevölkerungsgruppen in den unterschiedlichen Regionen des großen Landes. Sogar die Funktionsweise der Kommunistischen Partei wird als bekannt vorausgesetzt.
Dafür dringt Brown in seinem knappen Text, der auf Belege ganz verzichtet, zum Kern der Weltsicht Xi Jinpings vor. Er tut dies, indem er einige von Xis weitverbreiteten Reden interpretiert. Viel mehr, als dort steht, weiß man über Xis Denken nicht. Der Mann schüttet sein Herz nicht per Twitter aus, und seine Äußerungen summieren sich keineswegs zu so etwas wie einer konsistenten "Theorie" à la Mao.
Xi Jinping hat den schwierigsten Job der Welt. 1400 Millionen Chinesen zu regieren ist etwas anderes, als 31 Millionen Venezolanern, 80 Millionen Türken, 95 Millionen Ägyptern und sogar 145 Millionen Bewohnern der Russischen Föderation autokratisch vorzustehen. Wie kann ein Einzelner die Übersicht über ein Fünftel der Menschheit behalten, als kollektivpsychologische Projektionsfigur für die Hoffnungen dieses Fünftels dienen, ihre materiellen Erwartungen erfüllen und die widerstrebenden Tendenzen innerhalb der Gesellschaft so moderieren, dass das Ganze nicht auseinanderfliegt?
Xi Jinping, wie Kerry Brown ihn sieht, ist kein machtberauschter Tyrann, sondern ein Realist aus der Schule des großen Deng Xiaoping. Selbstverständlich glaubt er nicht, dass sein eigener Propagandaslogan von der "harmonischen Gesellschaft" (die es in China "seit 5000 Jahren" geben soll) die Wirklichkeit beschreibt. Er sieht, dass seine beiden Vorgänger sich allzu monoman auf ein maximales Wirtschaftswachstum konzentriert hatten.
Wie wird eine wachsende Mittelschicht, die seit vier Jahrzehnten nichts als Wohlstandszuwächse kennt, auf unvermeidliche wirtschaftliche Schwierigkeiten reagieren? Außenpolitisch hat Xi mit seiner "One Belt, One Road"-Initiative von 2013 ein beispiellos ehrgeiziges Programm geopolitischer Einflusserweiterung gestartet. Er macht sich jedoch keine Illusionen darüber, dass Chinas außenpolitische und militärische Situation dadurch nicht sicherer geworden ist. Die unberechenbaren Vereinigten Staaten bleiben in großen Teilen Asiens präsent und sehen China als strategischen Schicksalsgegner; die Beziehungen zu Japan und mehreren Ländern Südostasiens sind miserabel; Europa ist weit weg und militärisch unbedeutend.
Hinter Xi Jinpings selbstbewusstem Auftreten im Inland wie auf der Weltbühne verbergen sich, so Kerry Brown, weniger persönliche Ängste als politisch nicht unverständliche Befürchtungen. Es folgt aus der Logik seiner skeptischen Einschätzung der Gesamtlage, Kohärenzkräfte in der chinesischen Gesellschaft zu stärken. Xi und seine Verbündeten sehen sie vor allem im Bereich der kollektiven Imagination, des offiziell so genannten chinesischen Traums. Deshalb die amtlich propagierte Großerzählung vom Wiederaufstieg Chinas zu allseits anerkannter Erstrangigkeit, deshalb auch die Symbolik des starken "Kaisers", dem die Welt ihren Respekt entbietet. Nur eine sichtbare Zentralgestalt, so das Kalkül, kann diesen innen- wie außenpolitischen Integrationszweck erfüllen, niemals ein graues Politbüro.
In Kerry Browns bedenkenswerter Lesart erscheint Xi Jinping als ein ebenso rationaler wie skrupelloser Herrscher, der halbwegs erfolgreich die Korruption bekämpft und Deng Xiaopings Einsicht treu bleibt: Die Partei kann vieles, aber nicht alles kontrollieren - und sie darf notfalls vor härtesten Mitteln nicht zurückschrecken. Noch zeigt Xi trotz seiner Machtfülle jene persönliche Selbstdisziplin, die sein Kollege in Washington vermissen lässt.
JÜRGEN OSTERHAMMEL
Kerry Brown: "Die Welt des Xi Jinping". Alles, was man über das neue China wissen muss.
Aus dem Englischen von Brigitte Höhenrieder. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2018. 156 S., br., 16,- [Euro].
Sulmaan Wasif Khan: "Haunted by Chaos". China's Grand Strategy from Mao Zedong to Xi Jinping.
Harvard University Press, Cambridge, Mass., und London 2018.
320 S., geb., 24,50 [Euro].
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Der Mann mit dem schwierigsten Job der Welt: Zwei Bücher versuchen, ein realistisches Bild von Chinas starkem Mann Xi Jinping zu zeichnen.
Man hatte sich daran gewöhnt, die Volksrepublik China von diskreten Apparatschiks regiert zu sehen. Mit Mao Zedongs Tod 1976 war das Charisma des Revolutionsführers und Staatsgründers erloschen; es konnte nicht vererbt werden. Der alte Pragmatiker Deng Xiaoping steuerte das Land als graue Eminenz aus dem Hintergrund. Ihm folgten kollektive Führungen unter den Technokraten Jiang Zemin und Hu Jintao.
Mit Xi Jinpings Aufstieg zum Generalsekretär der Kommunistischen Partei 2012 und zum Staatspräsidenten ein Jahr später änderte sich der Stil: mehr Befugnisse in der Hand der Spitzenfigur, erstmals seit Mao wieder Ansätze zu einem Personenkult, ein schärferes Vorgehen gegen Regimekritiker auf der einen, gegen korrupte Funktionäre auf der anderen Seite, Verstärkung von Propaganda und Gedankenkontrolle, Zunahme der Repression in den Randzonen des Staatsgebiets. Im März 2018 wurde die Amtszeitbegrenzung des Staatspräsidenten aufgehoben. Hat sich China, so spekulierte die Öffentlichkeit im Ausland, auf die schiefe Bahn von bürokratischer Parteidiktatur zur persönlichen Willkürherrschaft eines Führers begeben? Zurück zu Mao?
Zwei Experten warnen vor einem vorschnellen Urteil. Die Form der Machtausübung habe sich geändert, nicht ihre Substanz. Xi Jinping, darin sind sich der Amerikaner Sulmann Wasif Khan und der Brite Kerry Brown einig, ist ein besonnener Staatsmann, der die Interessen von Partei und Nation - beides selbstverständlich als identisch verstanden - mit Umsicht zu wahren sucht. Er ist kein Regelbrecher und Zerstörer. Um ihn zu verstehen, muss man keine Individualpsychologie bemühen, wie sie bei der Deutung des dämonischen Einzeltäters Trump den Ratlosen vielfach als letzte Zuflucht erscheint. Es genügt, den Präsidenten Xi in die Geschichte der chinesischen Staatsräson einzuordnen.
Khans Interpretation ist die oberflächlichere der beiden. Zwar bemüht er nicht das pseudohistorische Klischee, China habe nie etwas anderes als Autokratie und Despotismus gekannt - und verdiene deshalb auch nichts Besseres. Aber er verharrt doch bei der allzu pauschalen und wenig originellen These, es gebe seit der Staatsgründung von 1949 eine durchgängig handlungsleitende, allenfalls in den Jahren maoistischer Exzesse (etwa von 1958 bis 1971) auf Eis gelegte "grand strategy". Die chinesische Führung erstrebe als letzte Ziele den Zusammenhalt und die Sicherheit des Landes und das Überleben der Partei. Kontrollierte Veränderung im Inneren werde durch eine - im Vergleich zu anderen Großmächten - defensive Außenpolitik abgeschirmt, die seit 1979 kein einziges Mal militärisch interveniert hat. Das ist nicht falsch, erklärt aber wenig.
Der ehemalige Diplomat und Politikprofessor Kerry Brown hat ein feineres Gespür für Paradoxien und Widersprüche. Seiner Biographie des Parteichefs ("CEO China: The Rise of Xi Jinping", 2016) hat er nun eine essayistisch gehaltene Nachbetrachtung folgen lassen. Von dem, was man "über das neue China wissen muss", erfährt man hier kaum etwas - nichts über Wirtschaft, Gesellschaft und Umweltprobleme, nichts über das Alltagsleben und die Sorgen und Wünsche der verschiedenen Bevölkerungsgruppen in den unterschiedlichen Regionen des großen Landes. Sogar die Funktionsweise der Kommunistischen Partei wird als bekannt vorausgesetzt.
Dafür dringt Brown in seinem knappen Text, der auf Belege ganz verzichtet, zum Kern der Weltsicht Xi Jinpings vor. Er tut dies, indem er einige von Xis weitverbreiteten Reden interpretiert. Viel mehr, als dort steht, weiß man über Xis Denken nicht. Der Mann schüttet sein Herz nicht per Twitter aus, und seine Äußerungen summieren sich keineswegs zu so etwas wie einer konsistenten "Theorie" à la Mao.
Xi Jinping hat den schwierigsten Job der Welt. 1400 Millionen Chinesen zu regieren ist etwas anderes, als 31 Millionen Venezolanern, 80 Millionen Türken, 95 Millionen Ägyptern und sogar 145 Millionen Bewohnern der Russischen Föderation autokratisch vorzustehen. Wie kann ein Einzelner die Übersicht über ein Fünftel der Menschheit behalten, als kollektivpsychologische Projektionsfigur für die Hoffnungen dieses Fünftels dienen, ihre materiellen Erwartungen erfüllen und die widerstrebenden Tendenzen innerhalb der Gesellschaft so moderieren, dass das Ganze nicht auseinanderfliegt?
Xi Jinping, wie Kerry Brown ihn sieht, ist kein machtberauschter Tyrann, sondern ein Realist aus der Schule des großen Deng Xiaoping. Selbstverständlich glaubt er nicht, dass sein eigener Propagandaslogan von der "harmonischen Gesellschaft" (die es in China "seit 5000 Jahren" geben soll) die Wirklichkeit beschreibt. Er sieht, dass seine beiden Vorgänger sich allzu monoman auf ein maximales Wirtschaftswachstum konzentriert hatten.
Wie wird eine wachsende Mittelschicht, die seit vier Jahrzehnten nichts als Wohlstandszuwächse kennt, auf unvermeidliche wirtschaftliche Schwierigkeiten reagieren? Außenpolitisch hat Xi mit seiner "One Belt, One Road"-Initiative von 2013 ein beispiellos ehrgeiziges Programm geopolitischer Einflusserweiterung gestartet. Er macht sich jedoch keine Illusionen darüber, dass Chinas außenpolitische und militärische Situation dadurch nicht sicherer geworden ist. Die unberechenbaren Vereinigten Staaten bleiben in großen Teilen Asiens präsent und sehen China als strategischen Schicksalsgegner; die Beziehungen zu Japan und mehreren Ländern Südostasiens sind miserabel; Europa ist weit weg und militärisch unbedeutend.
Hinter Xi Jinpings selbstbewusstem Auftreten im Inland wie auf der Weltbühne verbergen sich, so Kerry Brown, weniger persönliche Ängste als politisch nicht unverständliche Befürchtungen. Es folgt aus der Logik seiner skeptischen Einschätzung der Gesamtlage, Kohärenzkräfte in der chinesischen Gesellschaft zu stärken. Xi und seine Verbündeten sehen sie vor allem im Bereich der kollektiven Imagination, des offiziell so genannten chinesischen Traums. Deshalb die amtlich propagierte Großerzählung vom Wiederaufstieg Chinas zu allseits anerkannter Erstrangigkeit, deshalb auch die Symbolik des starken "Kaisers", dem die Welt ihren Respekt entbietet. Nur eine sichtbare Zentralgestalt, so das Kalkül, kann diesen innen- wie außenpolitischen Integrationszweck erfüllen, niemals ein graues Politbüro.
In Kerry Browns bedenkenswerter Lesart erscheint Xi Jinping als ein ebenso rationaler wie skrupelloser Herrscher, der halbwegs erfolgreich die Korruption bekämpft und Deng Xiaopings Einsicht treu bleibt: Die Partei kann vieles, aber nicht alles kontrollieren - und sie darf notfalls vor härtesten Mitteln nicht zurückschrecken. Noch zeigt Xi trotz seiner Machtfülle jene persönliche Selbstdisziplin, die sein Kollege in Washington vermissen lässt.
JÜRGEN OSTERHAMMEL
Kerry Brown: "Die Welt des Xi Jinping". Alles, was man über das neue China wissen muss.
Aus dem Englischen von Brigitte Höhenrieder. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2018. 156 S., br., 16,- [Euro].
Sulmaan Wasif Khan: "Haunted by Chaos". China's Grand Strategy from Mao Zedong to Xi Jinping.
Harvard University Press, Cambridge, Mass., und London 2018.
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