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Stigmatisierende Medienberichte, Demütigungen durch Pädagogen und abfällige Bemerkungen von Freunden oder Verwandten - all das sind Beispiele für Praktiken sozialer Abwertung, mit denen Hauptschüler tagtäglich konfrontiert werden.Wie kommen sie zustande? Wie werden sie erlebt und verarbeitet? Diese Fragen stehen im Mittelpunkt der Ethnografie von Stefan Wellgraf, die Hauptschüler in ihrem letzten Schuljahr und beim Versuch, sich eine berufliche Zukunft zu erarbeiten, begleitet. Mit Blick auf die Erfahrungen und Perspektiven der Schüler_innen in Schule und Freizeit entsteht ein materialreicher…mehr

Produktbeschreibung
Stigmatisierende Medienberichte, Demütigungen durch Pädagogen und abfällige Bemerkungen von Freunden oder Verwandten - all das sind Beispiele für Praktiken sozialer Abwertung, mit denen Hauptschüler tagtäglich konfrontiert werden.Wie kommen sie zustande? Wie werden sie erlebt und verarbeitet? Diese Fragen stehen im Mittelpunkt der Ethnografie von Stefan Wellgraf, die Hauptschüler in ihrem letzten Schuljahr und beim Versuch, sich eine berufliche Zukunft zu erarbeiten, begleitet. Mit Blick auf die Erfahrungen und Perspektiven der Schüler_innen in Schule und Freizeit entsteht ein materialreicher Beitrag zur Debatte um gesellschaftliche Ungleichheit - und zugleich eine pointierte und beunruhigende Gesellschaftskritik.
Autorenporträt
Wellgraf, StefanStefan Wellgraf (PD Dr.), geb. 1979, arbeitet im Rahmen einer Heisenbergförderung am Institut für Europäische Ethnologie der Humboldt-Universität zu Berlin. Er studierte Sozial- und Kulturwissenschaften in Berlin und Frankfurt/Oder und war anschließend Kollegiat am Graduiertenkolleg »Berlin-New York« an der TU Berlin. Er war Visiting Scholar an der New York University und der Goldsmith University London. Weitere Stationen führten ihn als wissenschaftlichen Mitarbeiter an das Johann Jacobs Museum in Zürich und an die Universität Hamburg. Zu seinen Forschungsinteressen zählen Exklusion, Migration sowie Populär- und Medienkultur.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Kritisch äußert sich Rezensentin Regina Mönch zu Stefan Wellgrafs Studie über gesellschaftliche Ausgrenzung am Beispiel von Hauptschülern. Sie attestiert der auf Interviews und Beobachtungen von 18 Berliner Hauptschülern sowie Lehrern und Sozialarbeitern basierenden Arbeit zwar eine empathische Haltung gegenüber den Jugendlichen, kann aber über die Einseitigkeit der Argumentation und die teils oberflächlichen Ausführungen nicht hinwegsehen. Insbesondere moniert sie, dass der Autor die Hauptschüler, deren schulisches und berufliches Versagen er dokumentiert, gänzlich als "Opfer der Verhältnisse" beschreibt. Die Vergleiche mit Berliner Gymnasiasten wirken auf sie "ideologisch" und "recht bemüht". Insgesamt hält sie Wellgraf vor, nur sehen zu wollen, was seiner Theorie und seinen Erwartungen entspricht.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.12.2012

Mit so welchen nix zu tun

Hauptschüler als Opfer von Ausgrenzung? Stefan Wellgraf erfragt nur, was zu seinen Theorien und Erwartungen passt.

Von Regina Mönch

Stefan Wellgraf hat eine Zeitlang achtzehn Berliner Hauptschüler begleitet, sie im Unterricht beobachtet, privat getroffen und Lehrer und Sozialarbeiter interviewt. Diese ethnografische Feldforschung ist die Grundlage seiner Studie, in der er die "gesellschaftliche Produktion von Verachtung" analysieren will und sein Bild einer "neoliberalen" Gesellschaft entwirft. Um ihre Machtverhältnisse zu reproduzieren, brauche diese Gesellschaft die Ausgrenzung, so Wellgraf.

Die Hauptschule ist inzwischen abgeschafft, auch Wellgraf ist skeptisch, ob der Wunsch der Schüler nach Anerkennung sich erfüllen wird, nur weil die Etiketten an den Schultoren ausgewechselt wurden. Eher schafft der demografische Wandel und damit einhergehender Mangel an Lehrlingen den Druck, den es braucht, um diese große Gruppe von Schülern in den Fokus der Aufmerksamkeit zu rücken und die beschämende, fortdauernde Kapitulation vor ihren gravierenden Wissenslücken zu beenden.

Wellgraf begleitet seine deklassierten Jugendlichen mit großer Empathie. Doch die kargen Auskünfte zu ihrer familiären Situation und das Fehlen von Erziehungsmustern, vor allem bei den Einwandererkindern, und die recht einseitige Schilderung schulischer Misserfolge seiner Akteure durch diese selbst ergeben allenfalls ein oberflächliches Bild. Ein überzeugendes Porträt von resignierten Pädagogen, die hier nur als Beispiele für Verachtungsproduktion und Angehörige der herrschenden Klasse herhalten müssen, fehlt. Eine der von ihm beschriebenen Klassen im Wedding trifft sich montags immer zum gemeinsamen Frühstück. Was sich Lehrer davon versprechen, erfährt man nicht. Wellgraf nimmt es nur zum Ausgangspunkt für seine Beschreibung aggressiver Männlichkeit und betonter Geschlechtertrennung, die er einseitig als Reaktion auf die prekäre Lebenssituation wertet.

Wellgraf gleicht das subjektive Erleben immer neuer Ungerechtigkeiten - echter und auch nur so gefühlter -, die Zukunftsängste seiner Akteure und ihr Scheitern, etwa in der Schule oder bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz, mit allen möglichen Theorien zum Oben und Unten, zur Stigmatisierung und den "Mechanismen machtbedingter Ausschließung" in der Gesellschaft ab. Er räumt seinen "subjektiven Blick auf die Wirklichkeit" zwar ein, doch spätestens seine Vergleiche der unterschiedlichen Kulturtechniken von Hauptschülern und Berliner Gymnasiasten sind vor allem ideologisch und wirken recht bemüht.

Sein Rekurs zum aggressiven Boxerstil, "eine symbolische Sprache des Protests im Kontext von verweigerter Anerkennung", den viele männliche Hauptschüler favorisieren, und ihr cooles Posieren, ebenfalls "eine mögliche Reaktionsweise" auf Anerkennungsmangel, sind für ihn Beispiele antibürgerlicher Gegenkultur, die aber auf der anderen, der Sonnenseite des Lebens, gebraucht würden, um das bürgerliche Idealbild zu konturieren. Um dieses zu beschreiben, stellt er Gymnasiasten, die - anders als seine Protagonisten - in einem bürgerlichen Viertel Berlins aufwachsen, extrem suggestive Fragen und konstruiert aus ihren arglosen Antworten den herrschenden Lebensstil.

Einem dieser Mädchen, aus einer "wohlhabenden Familie", wird das Foto dreier Neuköllner Jungen (Frisur Boxerstil) gezeigt. Ihre Antwort: "Ne, das sind so welche, mit denen ich nichts zu tun haben will . . .". Man erfährt nicht, ob sie mit solchen Jungen schon einmal zu tun bekam. Aber sie gibt an, Angst vor ihnen zu haben, in Berlin nicht ganz unbegründet. Obwohl diese Foto-Jungen doch, wie der Autor schreibt, gar "keine furchteinflößenden Gesten vollziehen". Schlussfolgerung: Mädchens Selbstbild fußt auf der "Abwertung anderer Personengruppen", also auf Verachtung. Ein zweites Foto wiederum zeigt "Leute, mit denen ich was machen würde". Nett und offen schauten die, fügt das Bürgermädchen noch hinzu. Eine Mitschülerin findet statt der von Hauptschülern favorisierten Goldketten schlichte Steinketten "einfach schön". Auch diesem Bekenntnis liege, so Wellgraf, eine "Verinnerlichung von klassenspezifischen Wahrnehmungsmustern" zugrunde.

Wellgraf beschreibt Hauptschüler durchweg als Opfer der Verhältnisse und traut vor allem keinem zu, aus eigener Kraft auszubrechen aus dem Teufelskreis der Versager - auch das ist eine subtile Art der Verachtung.

Stefan Wellgraf: "Hauptschüler". Zur gesellschaftlichen Produktion von Verachtung.

transcript Verlag, Bielefeld 2012. 334 S., br., 24,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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O-Ton: »Die gesellschaftliche Produktion von Verachtung« - Stefan Wellgraf im Interview bei Hobbypop. »Das Buch will kein dramatischer Abgesang auf die Kompetenz der Pädagogen, keine spektakuläre Milieuzeichnung, Kriminalstatistik oder islam-kritische Polemik sein. Es schildert auf Grundlage von Beobachtungen und Interviews, wie wenig die schwierigen Lebensbedingungen der Jugendlichen in der Schule aufgefangen werden.« Claudia Lenssen, Deutschlandradio Kultur, 31.05.2012 »Eine vertiefende Analyse neoliberaler Ausgrenzungen.« Jörg Schlömerkemper, Pädagogik, 9 (2013) »Das Buch verdeutlicht die gesellschaftliche Stigmatisierung von Hauptschüler_innen und ihren aktiven Umgang mit Diskriminierung. Reflektierte Studie.« http://kritisch-lesen.de, 13.08.2012 »Die Forschungsarbeit ist ein Stachel im Fleisch derjenigen, die das traditionelle Schulsystem - und damit auch die Hauptschule - ein 'bisschen' verändern möchten und als Aufruf zu verstehen, Schule als gesellschaftliche und bildungspolitische Einrichtung für Chancengleichheit zu schaffen, als 'Schule für alle', lokal und global!« Jos Schnurer, socialnet.de, 03.07.2012 Besprochen in: GMK-Newsletter, 6 (2012) www.lehrerbibliothek.de, 7 (2012), Dieter Bach Lehren & Lernen, 8/9 (2012), Helmut Landwehr friedensnews.at, 9 (2012), Andreas Hermann Landl bildung & wissenschaft, 6 (2013), Heinz Klusch Die berufsbildende Schule, 11/12 (2015) Zeitschrift für Volkskunde, 112/1 (2017), Gerhard Handschuh