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Produktdetails
  • ISBN-13: 9783831712038
  • Artikelnr.: 24938421
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.10.1995

Es fehlt noch die Stimmung des Selbstvertrauens
Die Mängel und die Möglichkeiten der Hauptstadt Berlin

Werner Süß (Herausgeber): Hauptstadt Berlin. Band 1: Nationale Hauptstadt Europäische Metropole. Band 2: Berlin im vereinten Deutschland. Berlin Verlag Arno Spitz, Berlin 1994/1995. 493 und 623 Seiten, 35,- und 48,- Mark.

Der Hauptstadtstreit zwischen Bonn und Berlin wurde vor vier Jahren vom Bundestag entschieden, inzwischen ist er auch beendet: der Bund bereitet ernsthaft seinen Umzug vor. Vom Ende her betrachtet erscheint der Streit vornehmlich als eine Auseinandersetzung zwischen westdeutscher Saturiertheit und gesamtdeutschem historischen Bewußtsein. Die Zukunft kam auf seiten Berlins zwar als Argument auch vor, sie hat aber nicht die Debatte bestimmt. Das spiegelt die Unsicherheit des vereinten Deutschlands, es kennzeichnet insbesondere auch die Situation seiner künftigen Hauptstadt. "Nur vage verbinden sich mit der Entscheidung, Berlin zum politischen Führungszentrum auszubauen, Hoffnungen auf weitere Entwicklungsimpulse für die Stadt, für die Region und für den Standort Deutschland", stellt Werner Süß, Politikwissenschaftler an der Berliner Freien Universität, eingangs seines zweiten Sammelbands zur "Hauptstadt Berlin" fest. Der Band vereint informative Beiträge, Aufsätze und persönliche Anmerkungen von Politikern, Diplomaten, Unternehmern und Wissenschaftlern, welche in unterschiedlicher Stringenz und Dichte über die Lage Berlins und seine Chancen im vereinten Deutschland referieren.

Ein erster Sammelband mit ähnlicher Struktur befaßte sich ausführlich mit dem Streit um den Regierungssitz und den Konsequenzen des Berlin/Bonn-Kompromisses auf die Entwicklung der Hauptstadt. Über Details informieren dazu der Bonner CDU-Fraktionschef Schäuble und der CDU-Abgeordnete Kansy, Vorsitzender der Bundesbaukommission, der das Ringen und die Methoden der Lobbyisten auf beiden Seiten bekümmernd anschaulich nacherzählt. Im zweiten Band, der eher der Zukunft Berlins gilt, stehen optimistische Prognosen gegen skeptische Erwartungen. Während der Berliner Regierende Bürgermeister Diepgen von Berlin als Hauptstadt erhofft, es werde "ein Stück weit auch geistige Führung" im vereinten Deutschland übernehmen und während der einstige Daimler-Benz-Vorstandschef Reuter der Stadt ihrer geographischen Lage wegen die Rolle einer ökonomischen Wachstums-Metropole nach dem Beispiel Hongkongs oder Dallas' verheißt, bleiben die Wissenschaftler unter den Autoren bei argumentativ meist besser unterfütterten und eher gedämpften Prognosen.

Das wichtigste Merkmal, das einer günstigen Entwicklung Berlins hinderlich sein könnte, nennt Süß in seinem Vorwort selber, es weist freilich über die eigenen Möglichkeiten der Stadt, ihre Zukunft zu gewinnen, weit hinaus: Anders als in der ersten Expansionsphase Berlins, welche vor mehr als 100 Jahren ihrer ersten Bestimmung zum deutschen Regierungssitz folgte, fällt dieses Mal die Etablierung der Hauptstadt nicht mit einer Stimmung des Selbstvertrauens und allgemeinen Überschwangs zusammen. Insgesamt belegen die so unterschiedlichen Beiträge jedenfalls die Vielfalt, die Mängel und auch die Möglichkeiten der Stadt und bestätigen damit, was Frantisek Cerny, lange Jahre Leiter der Berliner Außenstelle der tschechischen Botschaft, in seiner Betrachtung feststellt: "Für Berlin braucht man einfach viel Zeit, wenn man seine Vorzüge erkennen und erleben will, denn es ist zu groß, zu weitläufig, zu sehr voller Widersprüche steckend, um als Ganzes bestechen zu können." JOHANNES LEITHÄUSER

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