Die Fotografie eines Hauses in einer österreichischen Kleinstadt hatte die Mutter von Max so sehr geliebt, daß sie diese in jeder neuen Wohnung in New York aufstellte, in jeder weiteren, immer ärmlicher werdenden Station ihres Exils. Zurück wollte sie jedoch nie. Daß ihre Schwester den Nazis nicht entkommen konnte, hat sie für immer von ihrem Zuhause abgeschnitten. Und auch Max zieht nichts zurück in die alte Heimat seiner Eltern: Er hat in New York Erfolg als Restaurator, und er führt ein ungebundenes Leben.
Dennoch bleibt in ihm eine heimliche Sehnsucht nach Europa wach. Knapp dreißig Jahre nach Kriegsende reist er zurück nach Österreich, findet dort allerdings nicht das in den Träumen seiner Mutter immer verlockender gewordene Haus, sondern trifft auf Beamte, die, unempfindlich gegenüber seiner jüdischen Familiengeschichte, ihn danach fragen, mit welchem Recht er die Rückgabe seines Besitzes überhaupt fordere. Bis ans Herz ernüchtert bricht Max seinen ersten Aufenthalt ab und kommt erst Jahre später wieder zurück.
Rätselhaft für ihn selber ist die Sehnsucht nach dem Ort, an dem seine Mutter für wenige Jahre glücklich war, und auch bei seinem zweiten Aufenthalt findet er keine Erklärung für dieses Gefühl. Dafür trifft er einige Menschen wie Spitzer, den alten Vorsteher der kleinen jüdischen Gemeinde, und eine Frau, die ihn einst sehr geliebt hat. Und er stößt auf eine unsichtbare Stadt, die verborgene Geschichte der
Juden, aber in allen diesen Vergangenheiten kann er auf Dauer nicht leben.
Anna Mitgutsch hat einen Roman über Suchen und Finden geschrieben, eine im höchsten Maß aktuelle Geschichte der Liebe zu einer Heimat, die nur noch in der Erinnerung betreten werden kann.
Dennoch bleibt in ihm eine heimliche Sehnsucht nach Europa wach. Knapp dreißig Jahre nach Kriegsende reist er zurück nach Österreich, findet dort allerdings nicht das in den Träumen seiner Mutter immer verlockender gewordene Haus, sondern trifft auf Beamte, die, unempfindlich gegenüber seiner jüdischen Familiengeschichte, ihn danach fragen, mit welchem Recht er die Rückgabe seines Besitzes überhaupt fordere. Bis ans Herz ernüchtert bricht Max seinen ersten Aufenthalt ab und kommt erst Jahre später wieder zurück.
Rätselhaft für ihn selber ist die Sehnsucht nach dem Ort, an dem seine Mutter für wenige Jahre glücklich war, und auch bei seinem zweiten Aufenthalt findet er keine Erklärung für dieses Gefühl. Dafür trifft er einige Menschen wie Spitzer, den alten Vorsteher der kleinen jüdischen Gemeinde, und eine Frau, die ihn einst sehr geliebt hat. Und er stößt auf eine unsichtbare Stadt, die verborgene Geschichte der
Juden, aber in allen diesen Vergangenheiten kann er auf Dauer nicht leben.
Anna Mitgutsch hat einen Roman über Suchen und Finden geschrieben, eine im höchsten Maß aktuelle Geschichte der Liebe zu einer Heimat, die nur noch in der Erinnerung betreten werden kann.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.04.2000Im verlorenen Paradies
Heimkehrversuch: Anna Mitgutschs Roman "Haus der Kindheit"
In H., einer kleinen österreichischen Stadt, wird im einfachen hellen Holzsarg Spitzer, der Sekretär und Vorsteher der kleinen jüdischen Gemeinde, begraben. Der Bruder spricht das Kaddisch. Wie verloren stehen am Grab die Witwe und die Tochter; sie sind den Gemeindemitgliedern so gut wie unbekannt - beide gehören der katholischen Religion an. Und ihnen ist die Feierlichkeit katholischer Beerdigungen so vertraut, dass die Kargheit dieses Begräbnisses sie bestürzt. Die dem Toten am nächsten stehen, bleiben auf dem jüdischen Friedhof die Fremden. In der Stadt aber sind umgekehrt die Mitglieder der zusammengeschmolzenen jüdischen Gemeinde immer noch die Fremden.
Anna Mitgutsch erzählt in ihrem neuen Roman die Geschichten jüdischer Bürger, die der so genannten "Endlösung" entkamen und nach dem Zusammenbruch des Hitlerregimes in ihre österreichische Heimat vorübergehend oder endgültig zurückkehrten. Spitzer, der sich weigert, Nichtjuden Gojim zu nennen, der eine Ehe gewagt hat, in der Religionsfreiheit herrscht, erscheint wie ein geistiger Nachkomme Nathans des Weisen, allerdings in einer Welt, die Nathans Botschaft vergessen hat. So steht diese Figur ein wenig im utopischen Nirgendwo.
In einer Zeit, da das Holocaust-Thema die Menschen aufrührt, da sich ein Autor die Identität eines Auschwitz-Überlebenden erschleichen und hohe Auflagen erschwindeln kann, gerät ein Roman wie dieser leicht in den Verdacht des Trittbrettfahrers. Aber der Verdacht wäre unfair. Anna Mitgutsch - 1996 erschien ihr Buch "Abschied von Jerusalem" - appelliert nicht an das Gemüt von Lesern, die sich durch nachträgliches Mitleid ihr schlechtes Gewissen erleichtern möchten. Sie vermeidet alle Rühreffekte, sie entrollt ein Bild sehr abgestufter jüdischer Lebensläufe.
Nicht Spitzer ist die Hauptfigur des Romans, sondern ein Mann, der aus Amerika zurückkehrt, um das Erbe der Familie, jenes Haus der Kindheit, das dem Roman seinen Titel gibt, wieder einzufordern. Den in New York hoch angesehenen Restaurator und Raumdesigner hatten die Erinnerungen an die ersten Jahre seiner Kindheit in Österreich durch die Exiljahre begleitet, weil sie sich an ein Foto des elterlichen Hauses klammern konnten. Sein erster Besuch in der Heimatstadt, als Angehöriger der amerikanischen Besatzungsarmee, hat ihn enttäuscht, aber sobald der Rausch beruflicher Erfolgserlebnisse dem Gefühl der Normalität gewichen ist, wird die Anziehungskraft des Heimatortes wieder übermächtig. Er findet das Haus, das in einem so genannten Arisierungsverfahren der Familie einst gestohlen worden ist, von Menschen bewohnt, die auf den Mieterschutz pochen können. Erste ernüchternde Erfahrungen überzeugen ihn, dass ein langes Ringen mit den Behörden bevorsteht. Er überlässt die juristischen Grabenkämpfe einem Anwalt, fliegt wieder nach New York und kehrt erst als alternder Mann in die Stadt N. zurück - für immer, wie er glaubt.
Max Bermann ist kein Mann, dem die Sympathien des Lesers nur so zufliegen. Nach schweren Exiljahren nun vom Erfolg verwöhnt, von einer ungeliebten Millionärstochter zum Erben gemacht, bewahrt er in seinem Innern einen Kern der Vereisung, von dem alle Liebe - und er wechselt die Geliebten mehrfach - abprallt. Vielleicht ein Rückstand aus der Zeit, da die Familie, nachdem der Vater sie verlassen hatte, ins Elend von Slum-Gegenden abstieg. Die Erfahrung von Ungeborgenheit hat Bindungsscheu hinterlassen.
Um die Biografie Max Bermanns gruppieren sich andre jüdische Lebensläufe. Der Vater, der im Exil Patienten für ein symbolisches Honorar behandelte, schließt sich zionistisch-sozialistischen Gemeinschaften an. Der Bruder verlässt Amerika, um beim Aufbau des Staates Israel mitzuhelfen. Spitzer hat nach dem "Anschluss" Österreichs in unwegsam-unübersichtlichen Gegenden des Balkans Unterschlupf finden können. Das Sorgenkind der Gemeinde, Ilja, ist jahrelang von polnischen Bauern in einem Erdloch versteckt worden.
Zu den Geschichten des Überlebens kommen aber auch die Lebensläufe im jüdisch-christlichen Grenzbereich: Spitzers Gratwanderung, die mysteriöse Herkunft des Findelkinds Nadja, die sich als Jüdin fühlt, aber nicht an Gott glaubt und deshalb nicht in die Gemeinde aufgenommen werden kann. Zur jüdischen Gemeinde zieht es Diana, deren Vater Jude war, deren Sohn nun Ministrant in der katholischen Kirche ist. So fügt der Roman in das Mosaik jüdischer Lebensläufe auch die Zwitterbiografien ein. Solche Vielfalt verrät ein Bemühen um Vollständigkeit, aber hier kommt die erzählerische Fantasie der Wirklichkeit ohnehin nicht nach. Anna Mitgutsch sucht ihrem Gemeinde-Porträt historische Tiefe zu geben. Max Bermann durchforscht das Stadtarchiv mit der Absicht, eine Chronik der jüdischen Minderheit zu schreiben. Immer wieder stößt er auf verräterische Anzeichen des Verschweigens. Aber einige Stationen jüdischer Geschichte werden doch erkennbar. Als erster Hausbesitzer wird in einer Kaufurkunde aus dem Jahre 1306 ein Jude Friedlein erwähnt. Von weniger Friedlichem berichten die anderen Eintragungen. Geldtribut konnte vor Gewalt nicht schützen. Von Ausweisungen liest man, von Pogromen, deren einer an Heines Erzählung "Der Rabbi von Bacherach" erinnert: Die angebliche Ermordung eines Christenkindes löst blinde Vergeltungswut aus.
Kursivdruck hebt den Chroniktext hervor. Bermann hält sich an den Chronikstil, lässt eine moralische Bewertung der Gewalttaten nur durchblicken. Diese objektive, aber keineswegs indifferente Darstellung kennzeichnet den Roman überhaupt. Auf experimentelle Eskapaden verzichtet die Erzählerin. Andererseits scheut sie aber auch das Risiko. Ihrer Sprache, der man Kultiviertheit nicht absprechen kann, wünscht man manchmal ein paar Stacheln.
Die in Linz geborene Autorin schlug keine Wurzeln in der Provinz; sie brach vom Institut für Amerikanistik in Innsbruck zu Lehrtätigkeiten an Universitäten in England, Korea und den Vereinigten Staaten auf, sie bereiste Afrika und Asien und kennt auch Israel von längeren Aufenthalten. Sie verdankt ihr Wissen über Länder und deren Lebensverhältnisse der Anschauung. So besticht in diesem Roman die Topographie New Yorks.
Im vergangenen Jahr erschienen Anna Mitgutschs Poetikvorlesungen "Erinnern und Erfinden". Im neuen Roman wird die Erinnerung zur Antriebskraft des Handelns. Mit seiner Rückkehr in den Heimatort und ins Elternhaus versucht Max Bermann seine Kindheit zurückzuholen, wiederzugewinnen. Vergeblich. Die verlorenen Paradiese, so sagt Marcel Proust, sind die wirklichen Paradiese. Diese Erfahrung macht auch Max Bermann. So verlässt er endgültig das Haus der Kindheit. Im Flugzeug spürte er "eine Woge von Wärme in sich aufsteigen, die stärker wurde, je näher er New York kam".
WALTER HINCK.
Anna Mitgutsch: "Haus der Kindheit". Roman. Luchterhand Literaturverlag, München 2000. 233 S., geb., 39,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Heimkehrversuch: Anna Mitgutschs Roman "Haus der Kindheit"
In H., einer kleinen österreichischen Stadt, wird im einfachen hellen Holzsarg Spitzer, der Sekretär und Vorsteher der kleinen jüdischen Gemeinde, begraben. Der Bruder spricht das Kaddisch. Wie verloren stehen am Grab die Witwe und die Tochter; sie sind den Gemeindemitgliedern so gut wie unbekannt - beide gehören der katholischen Religion an. Und ihnen ist die Feierlichkeit katholischer Beerdigungen so vertraut, dass die Kargheit dieses Begräbnisses sie bestürzt. Die dem Toten am nächsten stehen, bleiben auf dem jüdischen Friedhof die Fremden. In der Stadt aber sind umgekehrt die Mitglieder der zusammengeschmolzenen jüdischen Gemeinde immer noch die Fremden.
Anna Mitgutsch erzählt in ihrem neuen Roman die Geschichten jüdischer Bürger, die der so genannten "Endlösung" entkamen und nach dem Zusammenbruch des Hitlerregimes in ihre österreichische Heimat vorübergehend oder endgültig zurückkehrten. Spitzer, der sich weigert, Nichtjuden Gojim zu nennen, der eine Ehe gewagt hat, in der Religionsfreiheit herrscht, erscheint wie ein geistiger Nachkomme Nathans des Weisen, allerdings in einer Welt, die Nathans Botschaft vergessen hat. So steht diese Figur ein wenig im utopischen Nirgendwo.
In einer Zeit, da das Holocaust-Thema die Menschen aufrührt, da sich ein Autor die Identität eines Auschwitz-Überlebenden erschleichen und hohe Auflagen erschwindeln kann, gerät ein Roman wie dieser leicht in den Verdacht des Trittbrettfahrers. Aber der Verdacht wäre unfair. Anna Mitgutsch - 1996 erschien ihr Buch "Abschied von Jerusalem" - appelliert nicht an das Gemüt von Lesern, die sich durch nachträgliches Mitleid ihr schlechtes Gewissen erleichtern möchten. Sie vermeidet alle Rühreffekte, sie entrollt ein Bild sehr abgestufter jüdischer Lebensläufe.
Nicht Spitzer ist die Hauptfigur des Romans, sondern ein Mann, der aus Amerika zurückkehrt, um das Erbe der Familie, jenes Haus der Kindheit, das dem Roman seinen Titel gibt, wieder einzufordern. Den in New York hoch angesehenen Restaurator und Raumdesigner hatten die Erinnerungen an die ersten Jahre seiner Kindheit in Österreich durch die Exiljahre begleitet, weil sie sich an ein Foto des elterlichen Hauses klammern konnten. Sein erster Besuch in der Heimatstadt, als Angehöriger der amerikanischen Besatzungsarmee, hat ihn enttäuscht, aber sobald der Rausch beruflicher Erfolgserlebnisse dem Gefühl der Normalität gewichen ist, wird die Anziehungskraft des Heimatortes wieder übermächtig. Er findet das Haus, das in einem so genannten Arisierungsverfahren der Familie einst gestohlen worden ist, von Menschen bewohnt, die auf den Mieterschutz pochen können. Erste ernüchternde Erfahrungen überzeugen ihn, dass ein langes Ringen mit den Behörden bevorsteht. Er überlässt die juristischen Grabenkämpfe einem Anwalt, fliegt wieder nach New York und kehrt erst als alternder Mann in die Stadt N. zurück - für immer, wie er glaubt.
Max Bermann ist kein Mann, dem die Sympathien des Lesers nur so zufliegen. Nach schweren Exiljahren nun vom Erfolg verwöhnt, von einer ungeliebten Millionärstochter zum Erben gemacht, bewahrt er in seinem Innern einen Kern der Vereisung, von dem alle Liebe - und er wechselt die Geliebten mehrfach - abprallt. Vielleicht ein Rückstand aus der Zeit, da die Familie, nachdem der Vater sie verlassen hatte, ins Elend von Slum-Gegenden abstieg. Die Erfahrung von Ungeborgenheit hat Bindungsscheu hinterlassen.
Um die Biografie Max Bermanns gruppieren sich andre jüdische Lebensläufe. Der Vater, der im Exil Patienten für ein symbolisches Honorar behandelte, schließt sich zionistisch-sozialistischen Gemeinschaften an. Der Bruder verlässt Amerika, um beim Aufbau des Staates Israel mitzuhelfen. Spitzer hat nach dem "Anschluss" Österreichs in unwegsam-unübersichtlichen Gegenden des Balkans Unterschlupf finden können. Das Sorgenkind der Gemeinde, Ilja, ist jahrelang von polnischen Bauern in einem Erdloch versteckt worden.
Zu den Geschichten des Überlebens kommen aber auch die Lebensläufe im jüdisch-christlichen Grenzbereich: Spitzers Gratwanderung, die mysteriöse Herkunft des Findelkinds Nadja, die sich als Jüdin fühlt, aber nicht an Gott glaubt und deshalb nicht in die Gemeinde aufgenommen werden kann. Zur jüdischen Gemeinde zieht es Diana, deren Vater Jude war, deren Sohn nun Ministrant in der katholischen Kirche ist. So fügt der Roman in das Mosaik jüdischer Lebensläufe auch die Zwitterbiografien ein. Solche Vielfalt verrät ein Bemühen um Vollständigkeit, aber hier kommt die erzählerische Fantasie der Wirklichkeit ohnehin nicht nach. Anna Mitgutsch sucht ihrem Gemeinde-Porträt historische Tiefe zu geben. Max Bermann durchforscht das Stadtarchiv mit der Absicht, eine Chronik der jüdischen Minderheit zu schreiben. Immer wieder stößt er auf verräterische Anzeichen des Verschweigens. Aber einige Stationen jüdischer Geschichte werden doch erkennbar. Als erster Hausbesitzer wird in einer Kaufurkunde aus dem Jahre 1306 ein Jude Friedlein erwähnt. Von weniger Friedlichem berichten die anderen Eintragungen. Geldtribut konnte vor Gewalt nicht schützen. Von Ausweisungen liest man, von Pogromen, deren einer an Heines Erzählung "Der Rabbi von Bacherach" erinnert: Die angebliche Ermordung eines Christenkindes löst blinde Vergeltungswut aus.
Kursivdruck hebt den Chroniktext hervor. Bermann hält sich an den Chronikstil, lässt eine moralische Bewertung der Gewalttaten nur durchblicken. Diese objektive, aber keineswegs indifferente Darstellung kennzeichnet den Roman überhaupt. Auf experimentelle Eskapaden verzichtet die Erzählerin. Andererseits scheut sie aber auch das Risiko. Ihrer Sprache, der man Kultiviertheit nicht absprechen kann, wünscht man manchmal ein paar Stacheln.
Die in Linz geborene Autorin schlug keine Wurzeln in der Provinz; sie brach vom Institut für Amerikanistik in Innsbruck zu Lehrtätigkeiten an Universitäten in England, Korea und den Vereinigten Staaten auf, sie bereiste Afrika und Asien und kennt auch Israel von längeren Aufenthalten. Sie verdankt ihr Wissen über Länder und deren Lebensverhältnisse der Anschauung. So besticht in diesem Roman die Topographie New Yorks.
Im vergangenen Jahr erschienen Anna Mitgutschs Poetikvorlesungen "Erinnern und Erfinden". Im neuen Roman wird die Erinnerung zur Antriebskraft des Handelns. Mit seiner Rückkehr in den Heimatort und ins Elternhaus versucht Max Bermann seine Kindheit zurückzuholen, wiederzugewinnen. Vergeblich. Die verlorenen Paradiese, so sagt Marcel Proust, sind die wirklichen Paradiese. Diese Erfahrung macht auch Max Bermann. So verlässt er endgültig das Haus der Kindheit. Im Flugzeug spürte er "eine Woge von Wärme in sich aufsteigen, die stärker wurde, je näher er New York kam".
WALTER HINCK.
Anna Mitgutsch: "Haus der Kindheit". Roman. Luchterhand Literaturverlag, München 2000. 233 S., geb., 39,80 DM.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Walter Hinck legt in seiner Rezension Wert auf die Feststellung, dass dieser Roman nicht zu den Büchern gehört, mit denen durch "Rühreffekte" Mitleid erzeugt werden soll. Die Stärke des Buchs sieht er vielmehr darin, dass die Autorin ein facettenreiches Bild äußerst verschiedener jüdischer Biografien zu zeichnen weiß. Dazu gehört auch, dass die Figur des reichen, aber zur Liebe kaum fähigen Max Bermann dem Leser zunächst nicht übermäßig sympathisch erscheint, wie Hinck meint. Dass die Autorin viele Jahre in den verschiedensten Ländern gelebt hat, macht sich seiner Ansicht nach daran deutlich bemerkbar, dass die Kenntnis über die Lebensverhältnisse der dort - z. B. in New York - lebenden Menschen durchaus überzeugend erscheint. Mitgutschs Stil bezeichnet er als "objektiv, aber keineswegs indifferent", bisweilen allerdings hätte er sich ein wenig mehr Schärfe und Risikobereitschaft gewünscht.
© Perlentaucher Medien GmbH
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