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Fesselnd, brutal, heutig: Tóibíns Version der 'Orestie'
Im geheimnisvollen Haus der Namen findet Orestes Zuflucht vor dem neuen Mann seiner Mutter. Diese hat nach der Opferung ihrer Tochter ihren Ehemann ermordet. Deswegen wird sie nun von ihrem Sohn Orestes und seiner Schwester Elektra angefeindet. Es beginnt ein blutiges Rachespiel zwischen Mutter, Tochter und zurückgekehrtem Sohn. Immer tiefer gerät Orestes zwischen die Fronten. Und dann ist da noch seine Liebe zu Leandros, die ihn vor eine Zerreißprobe stellt. »Grausam und quälend glaubhaft« (The Guardian) zeichnet Tóibín das Porträt…mehr

Produktbeschreibung
Fesselnd, brutal, heutig: Tóibíns Version der 'Orestie'

Im geheimnisvollen Haus der Namen findet Orestes Zuflucht vor dem neuen Mann seiner Mutter. Diese hat nach der Opferung ihrer Tochter ihren Ehemann ermordet. Deswegen wird sie nun von ihrem Sohn Orestes und seiner Schwester Elektra angefeindet. Es beginnt ein blutiges Rachespiel zwischen Mutter, Tochter und zurückgekehrtem Sohn. Immer tiefer gerät Orestes zwischen die Fronten. Und dann ist da noch seine Liebe zu Leandros, die ihn vor eine Zerreißprobe stellt. »Grausam und quälend glaubhaft« (The Guardian) zeichnet Tóibín das Porträt einer zerrissenen Familie und einer entgleisenden Mutter-Tochter-Beziehung - und zeigt, wie modern der Stoff dieses antiken Dramas ist.
Autorenporträt
Colm Tóibín, 1955 in Enniscorthy/Irland geboren, ist einer der wichtigsten irischen Autoren der Gegenwart. Er lebt in Dublin und New York, wo er an der Columbia University unterrichtet. Sein literarisches Werk wurde vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem internationalen IMPAC-Preis und dem David Cohen Prize for Literature.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.02.2020

Und dann?
Colm Tóibíns „Haus der Namen“ erzählt in schlichter Sprache die Geschichte der Klytemnästra,
die mit Mord beginnt. Es ist aber vor allem ein Roman darüber, wie man wieder zusammen findet
VON CATRIN LORCH
Ich zeigte ihm das Messer, richtete es erst gegen seine Augen, bis er zurückzuckte, und dann stach ich ihm in den Hals, gleich unter dem Ohr, trat ein wenig beiseite, um dem Strahl von sprudelndem Blut auszuweichen, und dann stach ich tiefer hinein und zog die Klinge weiter durch seine Kehle, schnitt tief in ihn hinein, während das Blut in glatten gurgelnden Wellen über seine Brust hinabfloss.“ Colm Tóibín beginnt seinen Roman „Haus der Namen“ mit einem Schnitt durch die Kehle. Es ist der berühmte Gattenmord der Klytämnestra, die ihrem Mann Agamemnon den Hals durchschneidet.
Frappierend ist zunächst, wie wenig archaisch das erscheint. Schon weil das Smartphone, das man gebraucht gekauft hat, zwischen Musikvideos gleich zwei solcher Hinrichtungen gespeichert hat. Das 21. Jahrhundert hat offensichtlich wieder Bedarf an solchen Morden und solchen Bildern. Und die Kluft, die nach so einem Schnitt bleibt, teilt die Gegenwart und spaltet Gesellschaften. Aischylos’ antikes Drama „Orestie“, das der Autor Colm Tóibín zitiert, umkreiste den Übergang von gottgewollter Rache zu menschlichem Recht. Es ist aber nur der Ausgangspunkt für Colm Tóibín, der erzählt, wie es weitergehen kann, wie man wieder zusammen finden könnte nach der Katastrophe. Es ist in diesem Sinn eines der wichtigsten politischen Bücher dieser Zeit.
Der im Jahr 1955 in Enniscorthy geborene Autor, ist als Ire zutiefst vertraut mit einer Gesellschaft, die von Terror und Gegenterror geprägt ist. Er hat nicht nur reflektierte Essays über die Zeit geschrieben, in der Irland kolonisiert war, er hat auch die daraus resultierenden Mythen betrachtet, ist die inner-irische Grenze abgegangen und hat denen zugehört, die dort leben und von Rache und Verzeihung berichten. Man ist womöglich umsichtiger, wenn man aus der Ecke der Underdogs stammt, auch hellhöriger für alle Äußerungen der Macht. Colm Tóibín hält seine Sprache schlicht. Eines seiner bekanntesten Bücher war zuletzt „Marias Testament“, der skeptische Bericht von Jesus' Mutter, die bis dahin in tausenden von Jahren doch eigenartig stumm geblieben war. Vor allem dieses Buch erscheint jetzt fast wie eine Einstimmung seiner Adaption der Orestie. Denn die erste Berichterstatterin ist Klytämnestra, die ihren Mann, den König und Kriegshelden Agamemnon, umbringt, weil der vor dem Feldzug ihre Tochter Iphigenie den Göttern geopfert hat. So wird nicht nur der Mord aus ihrer Perspektive erzählt, sie darf die Ereignisse auch einordnen in einen Epochenbruch: „So lange er lebte, glaubten er und seine Männer, dass die Götter ihre Schicksale verfolgten und Anteil an ihnen nahmen. Aber jetzt werde ich verraten, dass es nicht so war, es nicht so ist.“ Was Klytämnestra aber nicht ahnt: Auch mit den überkommenen Hierarchien hat es ein Ende. Der Tod des Königs, sein Fall, steckt nur die Möglichkeiten ab, die Colm Tóibín ausspielen wird, dessen Figuren alle irgendwann im Verlauf der Geschichte im Verlies landen, sich alle aber auch an anderer Stelle an der Spitze wähnen dürfen.
Der Monolog der Klytämnestra ist dicht formuliert, die Handelnden sind sich durchweg ihrer Bedeutung und Historizität bewusst. Nicht nur die Königin, die nach dem Messer greift, ohne die Götter oder das Orakel zu befragen. Auch Achill, der junge Held, der Iphigenie als Bräutigam versprochen war. Er fürchtet, dass sein Name, verstrickt in diese familiäre Intrige, einst nichts bedeuten werde. „Nur Ohnmacht, nur ein Name, mit dem man ein Mädchen in die Falle gelockt hat.“ Und der Kriegsheld Agamemnon ist ohnehin nur noch ein Geschichtenerzähler, verbreitet „aufgeblähten Lärm“, ist so „mit Reden beschäftigt, dass er kaum mitbekam, wohin wir uns bewegten“. Vor dem Tod kommt die Stille. Ein Netz lähmt den König im Bad: „Ich wollte nicht, dass man auch nur einen Ton von ihm vernahm.“ Und auch die Männer, die der Mörderin helfen, nach der Tat den Landfrieden wieder herzustellen, sind dazu erzogen, „bei der Sache zu sein, kein Getue zu machen. Es durfte kein Geschrei und keinen Jubel geben; vielmehr war eisernes Schweigen geboten“.
Dann wechselt die Perspektive. Das folgende Kapitel berichtet von der Verschleppung und Flucht von Orest, dem Thronfolger, der gemeinsam mit den Söhnen und Enkeln der Ältesten in einem fernen Land unter brutaler Bewachung steht. Um den naiven Klang einer Kinderstimme zu vermeiden, wird in der dritten Person erzählt, und in einem vollkommen anderen Rhythmus
Colm Tóibín gönnt seinen Lesern fern des Palasts eine Robinsonade, während der drei Jungen gemeinsam fliehen und bei einer alten Frau Zuflucht und eine neue Heimat finden. Mitros und Leandros, die Gefährten, kommen in Aischylos' Orestie nicht vor. Genauso wenig wie der abgelegene Hof, dessen einstige Bewohner die Alte bei der Flucht zurückgelassen haben, in einem Haus, das einst „voller Namen“ war und jetzt seinem Roman den Titel leiht.
Die Götter, die Macht, der Krieg haben nicht nur die Verhältnisse im Königshaus zersetzt, sie lösen alle Familienbindungen auf, bis in die Provinz hinein. Aber ausgerechnet diese Unverbundenheit ist das Fundament, auf dem das Idyll im „Haus der Namen“ gründet, wenigstens vorübergehend. Orest stellt sich nicht nur vor „Leandros und Mitros wären seine Schwestern Iphigenie und Elektra“, sondern auch, dass „die alte Frau seine Mutter“ wäre. Die lange Episode, während der die Jungen erwachsen werden, entfaltet sich vielstimmig, gibt Geplauder, Märchen, Mythen und Träumen Raum, jeder Art von auf Verständigung angelegtem Austausch, vom Pfeifen bis zum Trauergesang. Der Roman darf in diesem Kapitel, in dem sich Orest und Leandros ineinander verlieben, einmal Luft holen, bis die beiden in ihre Heimat aufbrechen.
Dem „Haus der Namen“ steht der Palast nun als „Haus des Flüsterns“ gegenüber, ein Ort, an dem – wie Elektra ihren zurück gekehrten Bruder warnt – jedes Wort gehört wird „Als er sich an die Stille gewöhnt hatte, erkannte er, dass es keine ganz richtige war. Er begann, Geräusche zu hören – zum Beispiel wie jemand leise den Korridor entlangging, oder undeutliches Flüstern und dann eine Zeitlang nichts.“
Auf diesen Fluren herrscht Aigisthos, einer der vielschichtigsten Charaktere des Buches. Als Geisel im Verlies wanderte der Barbar nachts durch die Räume, keine Tür war ihm verschlossen. Als Klytemnästra ihn als Verbündeten gewinnen will, antwortet er berechnend: „Wenn du dich nicht meiner bedienst, tut’s vielleicht ein anderer.“ Aigisthos steigt auf zum Wächter und Geliebten der Herrscherin und bewegt sich dann zwischen Thronsaal, Ältestenrat, Wachstube und Wäschekammer mit der Geschmeidigkeit eines Diplomaten. Das alte System ist zerlöchert und die Durchlässigkeit der Burgmauern entspricht einer Zersetzungder Macht. Auch wenn Aigisthos nachts das Bett mit Klytämnestra teilt, so sind es doch die Dienerinnen, „die von ihm schwanger waren oder bereits ein Kind von ihm hatten“. Während die Königsfamilie immer kleiner wird, sind die „Räume im Untergeschoss von Fruchtbarkeit erfüllt“.
Orest, der heimgekehrte Sohn, weigert sich zunächst noch stolz, mit so einem wie Aigisthos überhaupt den Tisch zu teilen. Als sich irgendwann bis zu ihm herumspricht, dass Klytämnestra seinen Vater getötet hat, ist es aber schon fast zu spät – und halb aus Notwehr, halb in der Hoffnung, er könne mit der Tat sein Schwester Elektra gewinnen und die Nähe zu seinem Freund Leandros wieder herstellen, kommt es zum Muttermord.
Danach muss wieder ein Frieden hergestellt werden. Drinnen herrscht Elektra, draußen Leandros und die Rebellen, Orest, dem Muttermörder, weichen sie aus. Alle sind „zur Einsamkeit verdammt“, leben „in einem komplexen Netz von Plänen und Bündnissen, dessen verwickelte Feinheiten nur sie selbst durchschauten“. Es ist nun an Orest, den Bann zu brechen. Nicht durch den Mord an der Mutter, sondern durch das, was er als Vater zu tun bereit ist.
Denn Leandros Schwester Ianthe, die als einige einen Anschlag auf ihre Familie überlebte, sucht seine Nähe, auch nachts. Als sie schwanger ist, wird eine Heirat vereinbart. Doch wieder ist nichts wie es scheint. Ianthes Körper, diese letzte Zuflucht, die Orest noch geblieben ist, er ist ihm verschlossen. Das Kind, so gesteht sie, ist das Ergebnis einer Vergewaltigung durch die Mörder ihrer Eltern, gleich fünf Soldaten kommen in Frage – auch sie sind alle längst tot. Elektra, die Schwester, und Leandros, der Bruder, wollten das vor Orest geheim halten, aber Ianthe will ohnehin „mit dem Kindchen fort“.
Es ist dieser Moment der unauflöslichen Verwirrung aller Verhältnisse, in dem Orest einfach Frieden schließt. „Das Kind ist hier in unserem Haus gewachsen“, sagt er, es werde „in diesem Haus geboren werden“. Das alte Denken hätte diese Vaterschaft als Ende seines Geschlechts verstanden. Orest stellt dagegen fest: „Wir können keinen mehr verlieren.“
Colm Toíbin hat den alten Stoff zur Formel für die Gegenwart gemacht, indem er alles aufgegeben hat, das dem Überleben im Weg steht: Götter, Helden, Macht, Familienbande. Wenn es ums Überleben geht, müssen neue Geschichten erfunden werden, solche, die allen gerecht werden. Es ist eine Formel, die nur einfach klingt – es braucht lebenskluge Erzähler für dieses Narrativ. Das Buch allerdings kann bester Hoffnung enden: Ianthe bleibt. Und die Geburt bringt die beiden Geschwisterpaare wieder zusammen, getrennt nur durch die Tür von Elektras Zimmer, in dem Ianthe das Kind zur Welt bringt. Im ersten Morgenlicht stehen Leandros und Orest auf dem Flur, „achtsam auf jedes Geräusch“. Aber es ist nicht die Intrige oder der Verrat, dem sie auflauern, nicht Flüstern oder Raunen. Sondern ein Schrei, der erste Laut eines Kindes, mit dem alles anders wird.
Das Haus „voller Namen“, das dem
Roman den Titel gibt, taucht in
Aischylos' Orestie nicht auf
Das Buch endet
mit der Hoffnung
auf eine neue Zeit
Colm Tóibín: Haus der Namen. Roman. Aus
dem Englischen von Giovanni Bandini und Ditte Bandini.
Carl Hanser Verlag,
München 2020.
288 Seiten, 24 Euro.
„Der Geist der Klytemnästra erweckt die Furien“ – John Dowmans Gemälde von 1781.
Foto: imago/Artokoloro
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.03.2020

Wir können keinen mehr verlieren

Bekannte Sagen im modernen Gefühlsgewand: Mit "Haus der Namen"schreibt Colm Tóibín antike Mythen fort.

Von Simon Strauß

Ein Hoffnungsschimmer inmitten der düstersten Katastrophe: Orest, der Muttermörder und Waisensohn, liegt im Bett auf seinem Zimmer, draußen auf dem Korridor hört man die Wächter flüstern, die Palastmauern sind kalt, von draußen pfeift der Wind durch die Ritzen. Ianthe, seine junge schwangere Frau, sitzt auf der Bettkante und lässt seine Hand auf ihrem Bauch ängstlich nach dem Kopf des Kindes tasten. Doch in seine Augen schießt Furcht und mischt sich mit Abscheu, als sie ihm, der sich als werdender Vater wähnt, erzählt, wie fünf Männer sie vor den Augen ihrer Familie vergewaltigt haben, wie sie ihr die unsagbarste Gewalt antaten und dann all ihren Liebsten die Kehle durchschnitten, dabei grölten und höhnten und sie selbst am Schluss geschändet auf den blutigen Leichenberg warfen.

Die Frucht des Lebens, die sie in sich trägt, ist ihr geschenkt von abartigen Mördern. Sie spricht schnell, voller Ekel vor den eigenen Worten. Und Orest? Der Held, dem Ehre und Ansehen angeblich das Wichtigste sind? Er drückt sie an sich und schweigt. Hier, in dieser unwahrscheinlichen Traumsequenz, beruhigt er die Gefährtin, die sich nicht vorstellen kann, dass er das Kind wird haben und sein eigen nennen wollen. "Aber das Kind ist in dir, nicht in ihnen", sagt er "Es ist in dir gewachsen, während ich dich hielt. Es ist in der Nacht gewachsen, während du hier bei mir warst." Wenig später, ruft er den Tränen nahe: "Wir können keinen mehr verlieren. Ich habe meine Schwester verloren, ich habe meinen Vater verloren. Es hat genug Tod gegeben." Diesem Orest gelingt das Unmögliche: Er stellt sich gegen den Fluch der Götter, widerspricht dem Schicksal, das ihn und seine Familie zum endlosen Morden verdammt und ruft die Liebe als neuen Wegweiser auf. Er beendet den Mythos. Und mit ihm den Glauben an das unveränderliche Verhängnis. Den Krieg. Die Rache. Orest stellt sich unter den Banner der Vergebung und nimmt das unschuldige Kind an. Während draußen der Morgen anbricht und mit einem vollen, gesättigten Licht ein neuer Tag beginnt: "gleichgültig, wer kam und ging oder wer geboren oder was vergessen oder erinnert wurde".

So endet Colm Tóibíns "Orestie": Mit der Hoffnung, dass sich der Mensch auf Erden doch durchsetzt gegen den unmenschlichen Willen der Götter oben auf dem Himmelsberg. Die Art, wie dieser Roman geschrieben ist, setzt sich von Beginn an souverän über die Frage hinweg, was an dem Geschilderten nun "wahr" sei und was nicht. Was soll die Frage bei einem Mythos, der immer nur dadurch lebte, dass er von unterschiedlichen Stimmen neu erzählt wurde?

In diese gewissermaßen vorschriftliche Tradition des Erzählens reiht Tóibín sich 2017 ein mit seinem Buch "Haus der Namen", das nun auf Deutsch vorliegt. In der Danksagung am Schluss bekennt er, dass sein Text ein "Werk der Fantasie" sei und viele Figuren - so wie Ianthe - in den überlieferten Versionen der Orestie-Geschichte nicht vorkommen. Allerdings sind die Namen, nach denen er seine Kapitel gliedert - Klytaimnestra, Elektra, Orestes -, die altbekannten Sagentypen, von denen man schon oft gehört, sie häufig auf der Bühne gesehen hat. Und doch ist man ihnen noch nie so nahe gekommen wie hier. Nacheinander zeichnet er sorgfältig das Profil ihrer Charaktere, schenkt ihnen Gedanken und Gefühle, lässt sie zu Menschen werden, die sich aus Angst, Hochmut und Hoffnung zusammensetzen.

Die alte Mythos-Geschichte rund um den Kriegervater Agamemnon, der seine eigene Tochter Iphigenie opfert, um die Götter zu besänftigen, die irrgewordene Mutter Klytaimnestra, die jenen bei seiner Heimkehr kaltblütig hinwegmeuchelt, die überlebende Schwester Elektra, die jeden Tag am Grab ihres Vaters weint, und den verlorengeglaubten Sohn Orestes, der in Gefangenschaft gerät und sich befreien kann, um schließlich seiner eigenen Mutter das Messer in die Brust zu rammen, wird hier sachlich, fast nüchtern erzählt als handelte es sich um eine "True Crime Story". Der Geruch des Todes hängt über allem, aber das verleitet den Autor nicht dazu, monumentalisch zu schreiben. Es ist ein klarer, unprätentiöser Ton, mit dem hier das Grauen geschildert und die prototypische Mythosgeschichte ausgekleidet wird.

Was von Beginn an auffällt, ist die dezidiert götterkritische Haltung des Erzählers. Die Götter stehen für Lug und Trug, sind kalte, unbeteiligte Achselzucker, deren Macht über die Menschen nur zu Schaden führt. "Es gibt keinen unter den Göttern, an den ich mich wenden würde. Ich lebe allein im schaudernden, einsamen Wissen darum, dass die Zeit der Götter vorbei ist", flüstert Klytaimnestra hier, und selbst die ängstliche Elektra ist sich sicher, dass sie in einer Zeit lebt, "in der die Götter verblassen. Ihre Macht ist im Schwinden. Bald wird die Welt eine andere sein."

Vielleicht ist das die einzige wirkliche Schwäche dieses spannungsvoll geschriebenen, fast wie ein Drehbuch angelegten Romans, dass er seine Protagonisten allzu selbstbewusst zu kritisch-modernen Geistern stilisiert. Sie leben in dem falschen Bewusstsein, dass alles besser würde, wenn man die Götter tötet. Und geben sich dadurch eben nicht mehr als mythische, sondern nur noch als psychologische Größen zu erkennen. Mit dieser Schwachstelle korrespondiert auch das Kippen ins Umgangssprachliche, etwa wenn "zwei Wärter richtig Ärger bekommen" sollen oder als Aufgabe festgelegt wird, jemanden "fehlzuinformieren". Wo keine Götter sind, walten Gespenster: So auch hier - die ermordete Mutter schleicht nachts über den Gang und jagt den Überlebenden Angst und Schrecken ein. Und doch: Tóibíns Buch ist ein gewagt-gelungener Versuch, an der alten Mythenkette weiter zu schmieden. Ohne falschen Voyeurismus, ohne künstliche Archaik schreibt er den antiken Sagengestalten zu, was sie gefühlt hätten, wenn sie modern gewesen wären.

Colm Tóibín: "Haus der Namen". Roman.

Aus dem Englischen von Giovanni und Ditte Bandini. Hanser Verlag, München 2020. 287 S., geb., 24,- [Euro].

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"Packend und sehr aktuell. [...] Eine Geschichte darüber, wie das Zusammenleben klappen kann, in der Gesellschaft und in ihrer kleinsten Einheit, der Familie. Es ist die schlichte alte Botschaft: verzeiht euch, redet miteinander. So einfach, so wahr!" Theresa Hübner, SWR2 lesenswert, 26.04.20