Marie Lacrosse: Kadewe – Haus der Träume
Fulminanter Abschluss der Dilogie
Mit Spannung habe ich auf den zweiten Teil der Kadewe-Dilogie gewartet und mich auf das Wiedersehen vor allem mit den Hauptprotagonistinnen Rieke und Judith gefreut.
Rieke, die aus dem Arbeitermillieu stammt, hat sich
in der Hierarchie des Kadewe weiter mit Fleiß, Zuverlässigkeit und Engagement emporgearbeitet. Zu…mehrMarie Lacrosse: Kadewe – Haus der Träume
Fulminanter Abschluss der Dilogie
Mit Spannung habe ich auf den zweiten Teil der Kadewe-Dilogie gewartet und mich auf das Wiedersehen vor allem mit den Hauptprotagonistinnen Rieke und Judith gefreut.
Rieke, die aus dem Arbeitermillieu stammt, hat sich in der Hierarchie des Kadewe weiter mit Fleiß, Zuverlässigkeit und Engagement emporgearbeitet. Zu Beginn des zweiten Teils im Januar 1927 wird sie in ihre neue Tätigkeit als Aufsichtsdame für die Abteilungen Damenkonfektion und Damenwäsche eingeführt. Paul Bergmann, der Vater ihrer Freundin Judith und Personalleiter des Luxus-Warenhauses, ist überzeugt, mit Rieke eine gute Wahl getroffen zu haben. Ganz anderer Meinung ist Gunter Perl, der als leitender Textileinkäufer Riekes direkter Vorgesetzter und weiterhin darauf aus ist, ihr das Leben schwer zu machen.
Nachdem Adolf Jandorf am Ende von Band 1 „sein“ Kaufhaus des Westens an die Familie Tietz verkauft hat, fungiert nunmehr Martin Tietz als Geschäftsführer. Er hat den Ehrgeiz, alles neu und noch luxuriöser zu machen. Als er und Judith Bergmann sich näher kommen, sehen beider Mütter diese Verbindung mit großer Freude und hören bereits die Hochzeitsglocken läuten. Judith jedoch, die inzwischen Dozentin an der Friedrich-Wilhelm-Universität ist und auch an Alice Salomons Sozialer Frauenschule in Schöneberg lehrt (an der sie selbst ausgebildet wurde), würde ihren Beruf nur ungern aufgeben. Mit großem Einsatz ist sie nach wie vor in den Armenvierteln der großen Stadt unterwegs und versucht, zu helfen, wo sie kann. Hier wird der krasse Gegensatz zwischen dem ungeheueren Luxus, für den das Kadewe steht, und dem Elend der vor allem nach der Weltwirtschaftskrise oft unverschuldet in Not geratener Menschen besonders deutlich.
Und als dann die neuen Machthaber in Deutschland systematisch gegen das Judentum vorgehen, kommen auf das Kadewe, auf Judith und ihre Familie, aber auch auf Rieke und die Ihren schwere Zeiten zu. Diese Szenen schildert die Autorin besonders eindringlich. Hier treffen wir Riekes jüngere Schwester Sanni wieder. Sanni hat im Gegensatz zu Rieke die Chance, im Kadewe arbeiten zu dürfen, nicht genutzt, und mischt jetzt in den Frauengruppen der Nationalsozialistenischen Partei mit.
Marie Lacrosse hat mit „Kadewe – Haus der Wünsche“ erneut bewiesen, dass sie eine Meisterin ihres Fachs ist. Ich konnte das Buch kaum aus der Hand legen, auch wenn es keine „leichte“ Lektüre ist. Die Autorin schildert z.B. die damaligen Lebensverhältnisse der „einfachen Leute“, die im Gegensatz zu heute kein soziales Netz auffing, wenn sie etwa ihre Arbeitsstelle verloren und weder Geld für Miete noch für Essen hatten, derart lebendig, dass ich mehr als betroffen war. Sehr nahe ging mir das Schicksal der alleinerziehenden Klara Engwicht, die Judith im Rahmen ihres Forschungsprojekts besuchte.
Besonders interessant ist auch diesmal wieder das Nachwort „Wahrheit und Fiktion“ der Autorin. Wie schon in Band 1 waren die Quellen, die sie beim Schreiben zurate ziehen konnte, meist nicht allzu zahlreich bzw. aussagekräftig. Ihre Fantasie und ihr psychologisches Fachwissen konnten diese „Lücken“ füllen, und so erzählt sie die Geschichte von 1927 bis 1934 (Epilog 1936) so weiter, wie sie sich tatsächlich abgespielt haben könnte. Ebenso klärt sie auf, wo sie sich dichterische Freiheiten herausnahm, welche Personen tatsächlich lebten und welche sie realen Persönlichkeiten nachempfunden hat. Der sicher nicht nur mir sehr unsympathische Gunter Perl zum Beispiel handelt oft so, wie der wirklich im Kadewe als Textileinkäufer und auch Geschäftsführer beschäftigte Georg Karg. Hier verweist Marie Lacrosse auf ein noch nicht veröffentlichtes Forschungsprojekt der Karg-Stiftung, das u.a. die undurchsichtige Rolle Georg Kargs bei der Arisierung der Hermann Tietz OHG aufklären soll.
Abschließend danke ich der Autorin für diesen großartigen Roman, mit dem sie sich selber übertroffen hat.
Das Buch wurde mir freundlicherweise vom Goldmann-Verlag als Rezessionsexemplar zur Verfügung gestellt, das hat jedoch meine Meinung nicht beeinflusst.