Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.03.2004Haus, Frauen, Sex
Margit Schreiners Lesung im Hessischen Literaturforum
"Es ist ein heller, stechender Schmerz, der mit der oberen Holzsäule des Treppengeländers in Linz verbunden ist." Eine Tochter erinnert sich an den Vater ihrer Kindheit, an den kurzen Abschied, als sie für einige Tage in einem Kinderheim untergebracht wird, weil der Vater auf Reisen geht. Eine von vielen Erinnerungen im Laufe des langen und endgültigen Abschieds von einem Alzheimerkranken, der schon längst zum unerreichbaren Fremden geworden ist. Der Kontrast zwischen intensivem Kindheitserleben und der unsentimentalen, nüchternen Darstellung einer Erwachsenen ist deutlich. Am Anfang steht die detaillierte Beschreibung der Beerdigung, ein drei Seiten langer Satz, atemlos, ohne Punkt bis zu der Stelle, an der die Mutter der Ich-Erzählerin "etwas Hartes, Spitzes, Glattes" in die Hand drückt: das Gebiß des Verstorbenen.
Fast teilnahmslos und mit leichtem österreichischem Akzent liest Margit Schreiner zunächst aus "Nackte Väter", dem Roman, der ihre thematische Triologie von Liebe und Abschied vervollständigt und der in diesem Jahr bei Schöffling & Co neu erschienen ist. Immer geht es um die engsten Bezugspersonen: den Vater, die Mutter, den Ehepartner. Die alltäglichen Mißverständnisse, die Unfähigkeit, den anderen wahrzunehmen und zu lieben, sind Themen, die unter die Haut gehen und durch intime Darstellung die Grenzen der Peinlichkeit überschreiten: an manchen Stellen möchte man wegsehen, nicht dabeisein. Doch gerade an diesen Winkeln scheint der Autorin gelegen.
"Am Ende bringen wir unsere Mütter um, weil wir nicht mehr lügen wollen." Dieser Satz steht zu Beginn der Auseinandersetzung einer Tochter, diesmal mit ihrer Mutter. Wieder geht es um den Abschied, den Tod, aber auch den Anfang einer neuen Liebe und ganz am Ende um eine schmerzhafte Geburt. In dem autobiographisch gefärbten Buch "Heißt Liebe" setzt sich die Tochter mit der Lüge, der Selbstbehauptung, der falschen Wahrnehmung und der unmöglichen Liebe auseinander und tut dies stellvertretend für alle Töchter, indem sie zwischen "ich" und "wir" wechselt.
Diese Tochterrolle verläßt Schreiner in "Haus, Frauen, Sex", indem sie die Position des Technikers Franz einnimmt, der nach langer Ehe von Frau und Sohn verlassen wird. In einem Monolog rechnet er mit den Frauen, insbesondere seiner Exgattin, ab. Erschreckend wirkt hier die Einseitigkeit der Wahrnehmung, beschrieben mit einer illusionslosen Komik: So wettert Franz über die Frigidität seiner Verflossenen, sieht sich als Opfer von Quotenfrauen; kein Verständnis hat er für studierende Ehefrauen, und angesichts der mangelnden weiblichen Sensibilität steht er fassungslos vorm Herd, den er außerdem viel besser putzen kann als all diese Frauen. "Hast du schon einmal eine Frau gesehen, die sich zu Tode säuft, weil ihr Mann stirbt oder weil er sie verlassen hat? Ich nicht."
BIRTE LEMITZ
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Margit Schreiners Lesung im Hessischen Literaturforum
"Es ist ein heller, stechender Schmerz, der mit der oberen Holzsäule des Treppengeländers in Linz verbunden ist." Eine Tochter erinnert sich an den Vater ihrer Kindheit, an den kurzen Abschied, als sie für einige Tage in einem Kinderheim untergebracht wird, weil der Vater auf Reisen geht. Eine von vielen Erinnerungen im Laufe des langen und endgültigen Abschieds von einem Alzheimerkranken, der schon längst zum unerreichbaren Fremden geworden ist. Der Kontrast zwischen intensivem Kindheitserleben und der unsentimentalen, nüchternen Darstellung einer Erwachsenen ist deutlich. Am Anfang steht die detaillierte Beschreibung der Beerdigung, ein drei Seiten langer Satz, atemlos, ohne Punkt bis zu der Stelle, an der die Mutter der Ich-Erzählerin "etwas Hartes, Spitzes, Glattes" in die Hand drückt: das Gebiß des Verstorbenen.
Fast teilnahmslos und mit leichtem österreichischem Akzent liest Margit Schreiner zunächst aus "Nackte Väter", dem Roman, der ihre thematische Triologie von Liebe und Abschied vervollständigt und der in diesem Jahr bei Schöffling & Co neu erschienen ist. Immer geht es um die engsten Bezugspersonen: den Vater, die Mutter, den Ehepartner. Die alltäglichen Mißverständnisse, die Unfähigkeit, den anderen wahrzunehmen und zu lieben, sind Themen, die unter die Haut gehen und durch intime Darstellung die Grenzen der Peinlichkeit überschreiten: an manchen Stellen möchte man wegsehen, nicht dabeisein. Doch gerade an diesen Winkeln scheint der Autorin gelegen.
"Am Ende bringen wir unsere Mütter um, weil wir nicht mehr lügen wollen." Dieser Satz steht zu Beginn der Auseinandersetzung einer Tochter, diesmal mit ihrer Mutter. Wieder geht es um den Abschied, den Tod, aber auch den Anfang einer neuen Liebe und ganz am Ende um eine schmerzhafte Geburt. In dem autobiographisch gefärbten Buch "Heißt Liebe" setzt sich die Tochter mit der Lüge, der Selbstbehauptung, der falschen Wahrnehmung und der unmöglichen Liebe auseinander und tut dies stellvertretend für alle Töchter, indem sie zwischen "ich" und "wir" wechselt.
Diese Tochterrolle verläßt Schreiner in "Haus, Frauen, Sex", indem sie die Position des Technikers Franz einnimmt, der nach langer Ehe von Frau und Sohn verlassen wird. In einem Monolog rechnet er mit den Frauen, insbesondere seiner Exgattin, ab. Erschreckend wirkt hier die Einseitigkeit der Wahrnehmung, beschrieben mit einer illusionslosen Komik: So wettert Franz über die Frigidität seiner Verflossenen, sieht sich als Opfer von Quotenfrauen; kein Verständnis hat er für studierende Ehefrauen, und angesichts der mangelnden weiblichen Sensibilität steht er fassungslos vorm Herd, den er außerdem viel besser putzen kann als all diese Frauen. "Hast du schon einmal eine Frau gesehen, die sich zu Tode säuft, weil ihr Mann stirbt oder weil er sie verlassen hat? Ich nicht."
BIRTE LEMITZ
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Franz Haas ruft die Stunde des schwachen Mannes aus! Im österreichischen Frauenministerium gebe es jetzt eigens eine Männerunterabteilung. Und die Literatur beziehungsweise eine gewiefte Autorin nimmt sich "in listiger Umkehrung der Perspektive" ebenfalls des weinerlichen, lächerlichen, erbärmlichen Mannes an, dem die Frau aus dem selbsterbauten Haus weggelaufen ist und der nun gegen das andere Geschlecht hetzt, jammert, grübelt. Gott sei Dank, findet Haas, sei das Männerbild von Schreiner nicht schwarzweiß, der feministische Unterton nicht kämpferisch oder aggressiv. Denn das männliche Geplapper zeitigt auch Träume, Kindheitserinnerungen und Naturphantasien, die den Rezensenten berührt haben; irgendetwas "zwischen Suff und Poesie". Haas kann dem Roman oder vielmehr dieser Rollenprosa sogar regelrecht komische Seiten abgewinnen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Kühl und kühn inszeniert, Fesselungs- und Verführungsträume, mörderische Begegnungen: eine feine Mischung, mit einem Touch Roald Dahl, öfter an Robert Gernhardt gemahnend - ins Österreichische gewendet.« Volker Hage / Die Zeit »Ein furioses Stück Rollenprosa, wie es ein Mann, politisch domestiziert und emotional verbogen, wohl nie hätte schreiben können.« Der Spiegel »Ein raffiniertes Stück Rollenprosa, in der sich der Redner mit viriler Geschwätzigkeit selbst entblösst, nachdem ihm seine Frau davongelaufen ist - ein gewitzter Eheroman.« Neue Zürcher Zeitung»Ein intelligentes Buch, sehr überzeugend, eine kunstvolle Sprache - ich finde die Autorin hoch beachtlich.« Marcel Reich-Ranicki im 'Literarischen Quartett'