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Die Großmutter stirbt, ihr Haus, ein Jugendstilbau, muss geräumt werden. Um die Reste ihres Lebens zu bewahren, fotografiert die Enkelin jeden Winkel des Hauses und schreibt Erinnerungen auf, die sie mit dem Garten, den Räumen, den Gegenständen, der Atmosphäre und vor allen Dingen den Gewohnheiten und der Anwesenheit ihrer Großmutter verbindet.
Der reich bebilderte Text hebt an mit dem Prozess des Ausräumens, den Lücken im Regal, den herumstehenden Kartons. Immer wieder drängen sich sich Erinnerungsfetzen an einzelne Begebenheiten in den Vordergrund. Fotos und Bilder geben Anlaß, sich
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Produktbeschreibung
Die Großmutter stirbt, ihr Haus, ein Jugendstilbau, muss geräumt werden. Um die Reste ihres Lebens zu bewahren, fotografiert die Enkelin jeden Winkel des Hauses und schreibt Erinnerungen auf, die sie mit dem Garten, den Räumen, den Gegenständen, der Atmosphäre und vor allen Dingen den Gewohnheiten und der Anwesenheit ihrer Großmutter verbindet.

Der reich bebilderte Text hebt an mit dem Prozess des Ausräumens, den Lücken im Regal, den herumstehenden Kartons. Immer wieder drängen sich sich Erinnerungsfetzen an einzelne Begebenheiten in den Vordergrund. Fotos und Bilder geben Anlaß, sich Personen und ihre Geschichte zu vergegenwärtigen.
Die einer Wormser jüdischen Familie entstammende Großmutter, Granny genannt (1902-1998), war Bratschistin in einem Damen-Quartett, bevor sie sich für die Bildhauerei entschied. Sie heiratete 1922 in die Schweiz, wo sie - mit einer Unterbrechung während des Zweiten Weltkriegs - über 70 Jahre lang lebte.
Autorenporträt
Irène Speiser, in Zürich geboren, wuchs in Brüssel auf und studierte in Zürich. Von 1983 bis 2003 lebte sie in New York und arbeitete als Korrespondentin der Neuen Zürcher Zeitung sowie für fotografische Zeitschriften und den Rundfunk. Sie veröffentlichte u. a. zwei Gedichtbände 'Sagen von der Sonne' und 'Buchstabenwalzer'. Die Autorin lebt in Basel.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.12.2010

Frau im Schließfach
Die Großmutter stirbt, fast ein Jahrhundert alt. Irène Speiser
schreitet zur „Hausauflösung“ Von Johan Schloemann
Die Frisierkommode aus der Jugendstilzeit schräg gegenüber vom Bett wirkt verloren; Granny wird sich nie mehr vor den Spiegel setzen, die Haare zurechtzumachen, Lippenstift aufzutragen, die Wangen zu pudern. Läden sperren die Veranda ab. Einzig aus dem Fenster zur Strassenseite dringt Licht in den Raum und wirft seine milchige Färbung auf die angegraute Wand.“
Ist das sentimental, was wir da lesen? Die schweizerische Journalistin und Dichterin Irène Speiser, die zwanzig Jahre lang für die Neue Zürcher Zeitung aus New York berichtete, läuft durch das große, leere Haus in Zürich, in dem ihre Großmutter, Granny genannt, Jahrzehnte lebte, bis sie mit stattlichen sechsundneunzig Jahren gestorben ist. Nein, gefühliger als nötig will die Enkelin eigentlich gerade nicht darüber schreiben. Eher dezent und genau. Aber es ist eben zunächst einfach ein trauriger Anlass: Granny, die über vierzig Jahre in diesem Haus allein lebende Witwe des berühmten Mathematikers Hermann Weyl, war das kommunikative und emotionale Zentrum eines weiten Familien- und Bekanntenkreises; und nun ist sie nicht mehr da.
Es wird zum Vorhaben der Autorin, neben der Erinnerung an die vermisste Großmutter auch „das angewachsene Gewebe des Hauses, welches bald verkauft, im schlimmsten Fall gar abgerissen werden soll, zu beschauen, beziehungsweise festzuhalten, nicht aus geschwätziger Neugier oder trüber Sentimentalität, füge ich gleich hinzu, sondern eher um das Einmalige des Hauses in ein Schliessfach zu sperren“.
Bevor dieses Schließfach entsteht, in dem die Erinnerung jetzt publiziert ist, müssen die Hinterbliebenen die „Hausauflösung“ organisieren, so der Titel des Buches. Wie fremde Eindringlinge begutachten und teilen sie Damastdecken, Kristallgläser, Fotos, Briefe. Die Bilder werden abgehängt, hinterlassen aber unschöne hellere Flecke an den Wänden. „Die Gegenstände stehen schon derart lange beieinander, dass sie aufeinander nicht verzichten können.“
Das Buch beschreibt in Ruhe die eingewohnten Räumlichkeiten und ihre vertraulichen, aber verblassenden Beziehungen zur Bewohnerin wie zur Enkelin, die oft nach festem Ritual zum Mittagessen ins Haus kam und die jetzt ihre Erinnerung, wie morgens einen Traum, verrinnen sieht.
Granny, die Großmutter, aus einer jüdischen Familie in Worms stammend, hatte nicht nur Musikzimmer, Esszimmer, Bibliothek und so weiter im Haus, sondern auch ein Atelier: Sie war Bildhauerin. Sie schuf Porträtköpfe von Arthur Rubinstein oder Chaim Weizmann. Sie hieß gebürtig Ellen Lohnstein. Doch in Irène Speisers Buch wird der volle Name nirgends genannt, ebenso wenig wie der des ersten Ehemanns, des Physikers und Bankiers Richard Bär – er starb noch kurz vor der zwischenzeitlichen Emigration nach Amerika in den Jahren 1941 bis 1945 –, oder der Name des zweiten Ehemanns Hermann Weyl. Weyl lehrte, ebenfalls Emigrant, in Princeton, er war dort wie schon zuvor an der ETH Zürich mit Albert Einstein bekannt und schrieb ein vielgelesenes Buch über die Relativitätstheorie („Raum, Zeit, Materie“). 1951 ging Weyl zurück nach Zürich, 1955 starb er, seine Witwe erst 1998.
Der Grund, dass diese Informationen zurückgehalten werden, ist nicht nur, dass jene berühmten, längst toten Männer, die der Enkelgeneration unbekannt sind, in diesem Buch über Granny und ihr Haus nicht die Hauptrolle bekommen sollen. Es liegt auch an der vorsichtigen, zwar sprachbewussten, aber doch tastenden Schreibart. Das Buch hat gar nichts Enzyklopädisches, es verweigert sich der historischen Linearität biographischer Standarderzählungen; es ist eben ein Herumschreiten in einem leer werdenden Haus, bei dem auch das einst Bedeutende erst nur im Augenwinkel auftaucht und nicht immer gleich scharfgestellt wird.
Die Erzählweise erinnert somit eher an Erinnerungsinstallationen von Künstlern wie Christian Boltanski als an das beliebte Genre süffig erzählter Familiengeschichten. Die geliebte alte Frau hatte in ihren Räumen „eine schützende Nähe gepaart mit verbürgter Distanz“ gewährt; erst im Zuge der räumenden, inventarisierenden Begehung durch die Erbin scheint die Großmutter auch als Exilantin und Zeitzeugin des zwanzigsten Jahrhunderts auf, als Gastgeberin, Freundin, Briefpartnerin und Bekannte von berühmten Leuten wie Gershom Scholem, Chaim Weizmann, Erwin Schrödinger, Rudolf Serkin, Max Planck oder George Szell. Ebenso ambulierend werden die verästelte Ahnentafel, die Baugeschichte des Jugendstilhauses oder die äußerlichen Lebensgewohnheiten besichtigt: halb schon im Schatten der Fensterläden liegend.
Dieser atmosphärisch aufmerksame und stilistisch skrupulöse Rundgang ist gewiss auch ein riskantes Verfahren – mal mag man Irène Speisers Text zu persönlich, mal zu manieriert finden. In jedem Fall aber bleibt beim Leser dieses eigenwilligen kleinen Buches ein starkes Erinnerungsbild haften, ein Nachklang, als hätte man es nur ganz knapp verpasst, selber zur stets pünktlichen Essenszeit bei dieser wunderbaren Dame eingeladen worden zu sein. „Man weiss, wann man erwartet wird, wann man zu gehen hat, man weiss um sein Eingefügtsein in einem festen Tagesablauf“, schreibt Speiser über die Gastkultur des Hauses. So wird zwar eine Person betrauert, aber auch einem ebenso kosmopolitischen und geistig offenen wie geordneten Milieu ein Denkmal gesetzt.
Als die Großmutter noch lebt, als sie noch zum Telefonhörer oder zur Zeitung greift, da geht es so zu: „Das Haus fängt täglich Kraftstösse von aussen auf, ebenso wie es sie, im Gegenzug, zurückwirft, ein rhythmisiertes Hin und Her, das Granny bedingungslos auskostet.“ Dann baut sie langsam ab, und auch die Immobilie gibt ihren Geist auf. Übrig bleibt, trotz aller Dankbarkeit für ein langes Leben, kein gutes Gefühl. Aber gut ist es, es so in Worte zu fassen.
Irène Speiser
Hausauflösung
Stroemfeld Verlag, Frankfurt am Main und Basel 2010. 119 Seiten, 18 Euro.
Sie porträtierte Rubinstein, zu
den Bekannten zählten Gershom
Scholem und Max Planck
Ein großes Haus in
Zürich – oben ein collagiertes Foto aus den siebziger Jahren. Bewohnt wurde es jahrzehntelang von der Bildhauerin Ellen Lohnstein, in der Familie „Granny“ genannt; das Bild links zeigt sie vermutlich im Jahr 1941, kurz vor der Ausreise nach Amerika, von wo sie 1945 in die Schweiz zurückkehrte. Ihr zweiter Mann, der Mathematiker Hermann Weyl, starb 1955; sie selbst lebte als Witwe bis 1998, als kommunikatives und emotionales Zentrum eines großen Familien- und Bekanntenkreises. Ins Esszimmer (unteres Foto) lud sie Wissenschaftler, Künstler und Musiker, aber auch ihre Enkelin, die jetzt ein ungewöhnliches Erinnerungsbuch über Granny und ihr Haus geschrieben hat.  
Abb.: Privatbesitz,
Markus Senn/Stroemfeld
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Beate Tröger hat sich gern auf dieses Buch eingelassen, in dem die Schweizer Journalistin Irene Speiser den Tod ihrer Großmutter betrauert - und damit auch eine eigentlich längst untergegangene Welt. Speiser wandert durch die großbürgerliche Jugendstilvilla ihrer Großmutter, erzählt von ihren Ehemännern und spürt deren Physikerkollegen nach, die im Haus ein- und ausgingen. Ein sehr vornehmes Verhältnis von Distanz und Nähe macht Tröger hier aus und versichert, dass Speisers Blick nie weinerlich werde, aber melancholisch durchaus.

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