Die Autorin erzählt ironisch und frech vom ganz normalen Alltagswahnsinn, in den Frauen und Männer verstrickt sind: Delia zum Beispiel ist eine hingebungsvolle Hausfrau. Sie beschäftigt sich mit ihrer Wohnung, stellt liebevoll Eingemachtes her, um damit zu Weihnachten ihre Freunde zu beglücken - leider hat sie keine. Und Barbara, erfolgreich, um die dreißig, beliebt und begehrt, verabschiedet sich gerade von ihrem lustigen Singledasein - von schweren Zweifeln an dieser folgenreichen Entscheidung geplagt. Moderne Zeiten, alles ist möglich. Das ist natürlich noch nicht die Hölle, aber manchmal reicht eine Kleinigkeit, und das Inferno ist nicht mehr aufzuhalten.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.07.1996Verloren in der Speisekammer
Hölle für Hausfrauen: Margherita Giacobino stellt den Herd an
Nicht nur der Alltag, ihr ganzes Leben ist etwas, das ihnen zustößt: Delia, Hausfrau mittleren Alters, hat die Silberhochzeit schon überstanden. Ihr lethargischer Mann ist in seine verletzten Knochen verliebt, zärtlich hüllt er sie in Wolldecken. Seine Fehler sind alles, was sie hat. Barbara, dreiunddreißig, bald Hausfrau, wird in Kürze heiraten. Sie weiß selbst nicht genau, warum. Aber sie liebt ihn schon. Clelia, zweiundachtzig, Witwe und Haushaltsvorsitzende, hat fast alles schon hinter sich. Die Erinnerung an den Ehemann ist weit weniger beständig als das Erbe. Ihre kränkliche Tochter Albina, seit dreißig Jahren Hausfrau im Kaufrausch, ringt seit ihrer Geburt um die Anerkennung der Mutter. Clelias Haushälterin Fernanda ist schon geschickter im Umgang mit der Egozentrischen, trotzt ihr hier und da Geschenke für die Zeit danach ab.
Das Figurengeflecht ihres Romans "Hausfrauen in der Hölle" breitet die in Turin lebende Margherita Giacobino aus wie einen Teppich, es wuchert ohne Ursprung. Nur vorübergehend bilden sich Knoten. Die resolute Clelia ist einer davon. Adas kleiner Laden, in dem sie mehr Seelsorge leistet als Drogeriewaren verkauft, ein anderer. Die Autorin zeigt nur einen Ausschnitt, doch das Außen läßt sich immer erahnen, die vielen Figuren, die nie in den Text eintreten, es aber jederzeit könnten. Eine bislang nicht erwähnte Freundin könnte anrufen, ein Verwandter zu Besuch kommen. Das Buch ist kein Panorama, das sich um den Betrachter zu entfalten beginnt und 359 Grad später wieder zum Ausgangspunkt zurückkehrt, sondern hinterläßt den Eindruck von Offenheit. Wäre es ein Drehbuch, der Regisseur müßte Robert Altman heißen: Alle Figuren stehen miteinander in Verbindung; falls nicht verwandt oder befreundet, treffen sie sich bei Ada oder können einander ins Schlafzimmer schauen. Eines haben sie gemeinsam: Sie leben in Turin. Die meisten sind neurotisch, und es sind auch Hausfrauen unter ihnen.
Die Furcht vor Mißverständnissen plagt Margherita Giacobino immer wieder. Adas Mutter Mariuccia setze, "ohne es zu wollen oder zu wissen, die Dinge in Gang, greift in das Leben der anderen ein", heißt es erläuternd nach mehreren Abschnitten, in denen Mariuccia, ohne es zu wollen oder zu wissen, die Dinge in Gang gesetzt, in das Leben der anderen eingegriffen hat. Giacobino ist darauf bedacht, kaum einen Satz zu schreiben, der nicht von der Weisheit des Alltags gezeichnet oder ungemein ironisch oder beides ist.
Da ist besagte Delia, prototypische Hausfrau in der Hölle, die allen erzählen möchte, "daß ihr Gefühlsleben so kalt ist wie eine Packung tiefgefrorene Broccoli, ihr Herz vakuumverpackt wie ein Päckchen ranziger Nüsse, die man tief hinten in der Speisekammer vergessen hat". Diese Metapher läßt sich noch als Kommentar lesen, der die Gedankenwelt der Figur parodiert. Andere nicht mehr: Ombrettas Körper sei, heißt es später aus einer Perspektive jenseits der Figur, "wie ein neues Auto, oder eher wie ein Auto, das schon ein paar Jahre alt ist, aber nie gefahren wurde, das unter seiner Plastikplane in der Garage stand und jetzt, nach ein wenig Spotzen und Stottern, die Straße nur so verschlingt." Wäre es ein Drehbuch, der Regisseur müßte eine laue Komödie drehen. ALEXANDER KUBA
Margherita Giacobino: "Hausfrauen in der Hölle". Roman. Aus dem Italienischen übersetzt von Hinrich Schmidt-Henkel. Verlag Antje Kunstmann, München 1996. 330 S., geb., 39,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Hölle für Hausfrauen: Margherita Giacobino stellt den Herd an
Nicht nur der Alltag, ihr ganzes Leben ist etwas, das ihnen zustößt: Delia, Hausfrau mittleren Alters, hat die Silberhochzeit schon überstanden. Ihr lethargischer Mann ist in seine verletzten Knochen verliebt, zärtlich hüllt er sie in Wolldecken. Seine Fehler sind alles, was sie hat. Barbara, dreiunddreißig, bald Hausfrau, wird in Kürze heiraten. Sie weiß selbst nicht genau, warum. Aber sie liebt ihn schon. Clelia, zweiundachtzig, Witwe und Haushaltsvorsitzende, hat fast alles schon hinter sich. Die Erinnerung an den Ehemann ist weit weniger beständig als das Erbe. Ihre kränkliche Tochter Albina, seit dreißig Jahren Hausfrau im Kaufrausch, ringt seit ihrer Geburt um die Anerkennung der Mutter. Clelias Haushälterin Fernanda ist schon geschickter im Umgang mit der Egozentrischen, trotzt ihr hier und da Geschenke für die Zeit danach ab.
Das Figurengeflecht ihres Romans "Hausfrauen in der Hölle" breitet die in Turin lebende Margherita Giacobino aus wie einen Teppich, es wuchert ohne Ursprung. Nur vorübergehend bilden sich Knoten. Die resolute Clelia ist einer davon. Adas kleiner Laden, in dem sie mehr Seelsorge leistet als Drogeriewaren verkauft, ein anderer. Die Autorin zeigt nur einen Ausschnitt, doch das Außen läßt sich immer erahnen, die vielen Figuren, die nie in den Text eintreten, es aber jederzeit könnten. Eine bislang nicht erwähnte Freundin könnte anrufen, ein Verwandter zu Besuch kommen. Das Buch ist kein Panorama, das sich um den Betrachter zu entfalten beginnt und 359 Grad später wieder zum Ausgangspunkt zurückkehrt, sondern hinterläßt den Eindruck von Offenheit. Wäre es ein Drehbuch, der Regisseur müßte Robert Altman heißen: Alle Figuren stehen miteinander in Verbindung; falls nicht verwandt oder befreundet, treffen sie sich bei Ada oder können einander ins Schlafzimmer schauen. Eines haben sie gemeinsam: Sie leben in Turin. Die meisten sind neurotisch, und es sind auch Hausfrauen unter ihnen.
Die Furcht vor Mißverständnissen plagt Margherita Giacobino immer wieder. Adas Mutter Mariuccia setze, "ohne es zu wollen oder zu wissen, die Dinge in Gang, greift in das Leben der anderen ein", heißt es erläuternd nach mehreren Abschnitten, in denen Mariuccia, ohne es zu wollen oder zu wissen, die Dinge in Gang gesetzt, in das Leben der anderen eingegriffen hat. Giacobino ist darauf bedacht, kaum einen Satz zu schreiben, der nicht von der Weisheit des Alltags gezeichnet oder ungemein ironisch oder beides ist.
Da ist besagte Delia, prototypische Hausfrau in der Hölle, die allen erzählen möchte, "daß ihr Gefühlsleben so kalt ist wie eine Packung tiefgefrorene Broccoli, ihr Herz vakuumverpackt wie ein Päckchen ranziger Nüsse, die man tief hinten in der Speisekammer vergessen hat". Diese Metapher läßt sich noch als Kommentar lesen, der die Gedankenwelt der Figur parodiert. Andere nicht mehr: Ombrettas Körper sei, heißt es später aus einer Perspektive jenseits der Figur, "wie ein neues Auto, oder eher wie ein Auto, das schon ein paar Jahre alt ist, aber nie gefahren wurde, das unter seiner Plastikplane in der Garage stand und jetzt, nach ein wenig Spotzen und Stottern, die Straße nur so verschlingt." Wäre es ein Drehbuch, der Regisseur müßte eine laue Komödie drehen. ALEXANDER KUBA
Margherita Giacobino: "Hausfrauen in der Hölle". Roman. Aus dem Italienischen übersetzt von Hinrich Schmidt-Henkel. Verlag Antje Kunstmann, München 1996. 330 S., geb., 39,80 DM.
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