Sie sind uns vertraut wie Familienmitglieder, ihr Schicksal bewegt uns oft mehr als das anderer Menschen, und doch bleiben sie fremde Natur : Seit Jahrtausenden begleiten uns Haustiere als Nutzbringer, treue Kameraden oder auch nur Gäste. Doch wie über nahe Verwandte wissen wir auch über die selbstverständlichen tierischen Gefährten oft am wenigsten. Kundig und voller Charme erzählt Josef H. Reichholf vom unbekannten Leben und der Geschichte der Haustiere und fördert dabei Unerwartetes zutage, denn nicht immer ist ausgemacht, wer im Verhältnis von Tier und Mensch den anderen domestiziert oder wer sich zu wem gesellt hat. Dabei blickt er mal liebevoll, mal kritisch, aber immer mit großer persönlicher Hingabe auf das Schicksal von Katze, Hausmaus, Rind und Co, wodurch auch die Extreme unserer eigenen Beziehung zur Natur ins Auge springen : Während Hunde und Katzen oft als verhätschelter Ersatz für ein dürftiges Sozialleben herhalten müssen, werden Nutztiere in Massentierhaltung zu lebenden Maschinen degradiert. So stehen wir vor der existenziellen Frage, wie wir mit Lebewesen umzugehen haben, die von uns geschaffen wurden und ohne uns nicht mehr zu überleben wüssten.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.04.2018Teuer ist uns der Hund, billig das Schwein
Haltungsfragen: Josef H. Reichholf und Karsten Brensing über unser ambivalentes Verhältnis zu Tieren
Erst domestizierte der Mensch sich selbst im Verlauf der Neolithischen Revolution, dann einige Tiere. Ohne sie wären wir nicht, was wir sind. Ohne domestizierte Tiere wären Menschen wohl kaum über das Sammler-und-Jäger-Dasein hinausgekommen. Vor 15 000 Jahren begann der Mensch als Erstes den Wolf zu zähmen; bereits vor sechstausend Jahren hatte er in Eurasien die anderen "Big Five" der Domestikation beisammen: Schaf, Ziege, Schwein, Rind und Pferd. Kaum etwas dürfte entscheidender gewesen sein für jene Unterschiede, die es zwischen Arm und Reich, zwischen den Kulturen der Alten und der Neuen Welt gibt. Aus wild lebenden Stammarten durch die Zuchtwahl des Menschen entstanden, versorgten Haustiere ihn mit Nahrung, Kleidung, Arbeitskraft und, im Fall der Pferde, zudem mit militärischer Stärke.
Bis heute ist es - ebenso wie bei den Pflanzen, von denen wir uns ernähren - nur eine verschwindend kleine Zahl von Arten, die der Mensch erfolgreich domestiziert hat und die in seinen Haushalten wohnen; hierzulande immerhin in jedem dritten. Das machen sie durch Stückzahl wieder wett. Allein in Deutschland leben mehr als dreizehn Millionen Katzen (plus zwei Millionen verwilderte), nahezu neun Millionen Hunde und sechs Millionen Kleintiere; gleichzeitig halten wir mehr als achtunddreißig Millionen Legehennen und achtundzwanzig Millionen Schweine; dazu noch dreizehn Millionen Rinder. Die einen bereichern als geliebte Heimtiere unser Leben, der anderen bedienen wir uns als lebende Fleischreserven. In seinem jüngsten Buch "Haustiere" nimmt uns Josef Reichholf mit zu einem Streifzug durch die Ställe und Stätten der Domestikation. Er beginnt unvermeidlich mit dem Hund. Der hat inzwischen einen ökologischen Fußabdruck beinahe wie sein Herrchen oder Frauchen: "Die Menge Proteine, die die 163 Millionen Hunde und Katzen in den Vereinigten Staaten konsumieren, entspricht dem Fleischbedarf der Bevölkerung Frankreichs." Kaum besser kommt, ökologisch gesehen, die halbdomestizierte, gern freilaufende Katze weg, die das Mausen nicht lässt.
Reichholfs Haustier-Miniaturen sind durchzogen von kritischen Tönen. Auch im Kapitel über das einst wilde Schwein, das die Domestikation besonders hart traf. Das heutige Mastschwein sei kaum mehr als die lebendige Vorstufe zur künstlichen Fleischerzeugung. Die weltweit fast eine Milliarde Hausschweine steckten zum alleinigen Zweck in unseren Ställen, so schnell wie möglich zu Kotelett, Schnitzel und Würstchen zersägt zu werden. Eineinhalb Milliarden Rinder bringen es auf mehr Lebendgewicht als die gesamte Menschheit mit ihren siebeneinhalb Milliarden, die vom derzeitigen weltweiten Hühnerberstand noch um das Doppelte übertroffen werden.
Reichholf erweitert den Kreis der tierischen Haus-Freunde des Menschen um Gelegenheitsgäste wie Hausmaus, Hausratte und Haustaube. Wir lesen auch von Floh, Fliege und Fledermaus; oder von Schwalbe, Sperling, Spinne und dem unverwüstlichen Silberfischchen. Hier fördert Reichholf gelegentlich durchaus Unerwartetes zutage. Seine zwei Dutzend Porträts sind gut erzählte, auch nachdenklich stimmende, stets kurzweilige Miniaturen. Der Band erscheint begleitend zur Ausstellung "Tierisch beste Freunde. Über Haustiere und ihre Menschen", die das Deutsche Hygienemuseum Dresden noch bis 10. Juni zeigt.
Zentrale Aspekte der Domestikation reißt Reichholf allerdings nur an. Etwa, dass nahezu alle unsere Haustiere aus jenen beiden geographischen Großräumen des Vorderen Orients und Mesoamerikas stammen, in denen auch der Mensch sesshaft wurde. Es ist schade, dass man bei diesem Autor nicht in gewohnt brillanter Weise mehr über die evolutiven Zusammenhänge und ökologischen Zumutungen der Domestikation liest. Die sich aufdrängende Frage, wie wir mit Lebewesen umgehen, die wir lieben oder ausnutzen, wird bei Reichholf nur gestreift.
Derzeit haben ohnehin andere Bücher über Natur Konjunktur, vorzüglich dem vermeintlich unbekannten Leben von Birken und Buchen gewidmete oder dem, was heute die meisten Großstadtbewohner für Natur halten. Da haben Fragen zu Haltung und Behandlung von Haustieren kaum Platz. Karsten Brensing etwa, Verhaltensforscher und Streiter für die Persönlichkeitsrechte von Tieren, interessiert sich in seinem gleichnamigen Buch vor allem für "Das Mysterium der Tiere". Brensing will "Verblüffendes über das Tierreich" berichten, liefert indes nur weitgehend Altbekanntes zur Biologie, angefangen bei den liedreichen Buckelwalen bis zum den mit Stöckchen Termiten angelnden Schimpansen.
Am Ende kommt Brensing allerdings auf unseren ambivalenten Umgang mit Tieren zu sprechen, die Diskrepanz zwischen dreckigem Schwein, heiliger Kuh und geliebtem Hund; und auf Menschen, die sehr viel Geld für die medizinische Behandlung eines geliebten Haustieres ausgeben, aber Schweinefleisch für 4,49 Euro pro Kilo kaufen. Ein Fall von kognitiver Dissonanz, wenn wir wissen, dass auch Schweine eine Reihe von Eigenschaften mit hochintelligenten Tieren wie Hunden oder Delphinen teilen. Im Erzählteig von Brensings Anekdotensammlung aber gehen solche Einblicke unter.
MATTHIAS GLAUBRECHT.
Josef H. Reichholf: "Haustiere". Unsere nahen und doch so fremden Begleiter.
Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2017. 194 S., geb., 28,- [Euro].
Karsten Brensing: "Das Mysterium der Tiere". Was sie denken, was sie fühlen.
Aufbau Verlag, Berlin 2017. 384 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Haltungsfragen: Josef H. Reichholf und Karsten Brensing über unser ambivalentes Verhältnis zu Tieren
Erst domestizierte der Mensch sich selbst im Verlauf der Neolithischen Revolution, dann einige Tiere. Ohne sie wären wir nicht, was wir sind. Ohne domestizierte Tiere wären Menschen wohl kaum über das Sammler-und-Jäger-Dasein hinausgekommen. Vor 15 000 Jahren begann der Mensch als Erstes den Wolf zu zähmen; bereits vor sechstausend Jahren hatte er in Eurasien die anderen "Big Five" der Domestikation beisammen: Schaf, Ziege, Schwein, Rind und Pferd. Kaum etwas dürfte entscheidender gewesen sein für jene Unterschiede, die es zwischen Arm und Reich, zwischen den Kulturen der Alten und der Neuen Welt gibt. Aus wild lebenden Stammarten durch die Zuchtwahl des Menschen entstanden, versorgten Haustiere ihn mit Nahrung, Kleidung, Arbeitskraft und, im Fall der Pferde, zudem mit militärischer Stärke.
Bis heute ist es - ebenso wie bei den Pflanzen, von denen wir uns ernähren - nur eine verschwindend kleine Zahl von Arten, die der Mensch erfolgreich domestiziert hat und die in seinen Haushalten wohnen; hierzulande immerhin in jedem dritten. Das machen sie durch Stückzahl wieder wett. Allein in Deutschland leben mehr als dreizehn Millionen Katzen (plus zwei Millionen verwilderte), nahezu neun Millionen Hunde und sechs Millionen Kleintiere; gleichzeitig halten wir mehr als achtunddreißig Millionen Legehennen und achtundzwanzig Millionen Schweine; dazu noch dreizehn Millionen Rinder. Die einen bereichern als geliebte Heimtiere unser Leben, der anderen bedienen wir uns als lebende Fleischreserven. In seinem jüngsten Buch "Haustiere" nimmt uns Josef Reichholf mit zu einem Streifzug durch die Ställe und Stätten der Domestikation. Er beginnt unvermeidlich mit dem Hund. Der hat inzwischen einen ökologischen Fußabdruck beinahe wie sein Herrchen oder Frauchen: "Die Menge Proteine, die die 163 Millionen Hunde und Katzen in den Vereinigten Staaten konsumieren, entspricht dem Fleischbedarf der Bevölkerung Frankreichs." Kaum besser kommt, ökologisch gesehen, die halbdomestizierte, gern freilaufende Katze weg, die das Mausen nicht lässt.
Reichholfs Haustier-Miniaturen sind durchzogen von kritischen Tönen. Auch im Kapitel über das einst wilde Schwein, das die Domestikation besonders hart traf. Das heutige Mastschwein sei kaum mehr als die lebendige Vorstufe zur künstlichen Fleischerzeugung. Die weltweit fast eine Milliarde Hausschweine steckten zum alleinigen Zweck in unseren Ställen, so schnell wie möglich zu Kotelett, Schnitzel und Würstchen zersägt zu werden. Eineinhalb Milliarden Rinder bringen es auf mehr Lebendgewicht als die gesamte Menschheit mit ihren siebeneinhalb Milliarden, die vom derzeitigen weltweiten Hühnerberstand noch um das Doppelte übertroffen werden.
Reichholf erweitert den Kreis der tierischen Haus-Freunde des Menschen um Gelegenheitsgäste wie Hausmaus, Hausratte und Haustaube. Wir lesen auch von Floh, Fliege und Fledermaus; oder von Schwalbe, Sperling, Spinne und dem unverwüstlichen Silberfischchen. Hier fördert Reichholf gelegentlich durchaus Unerwartetes zutage. Seine zwei Dutzend Porträts sind gut erzählte, auch nachdenklich stimmende, stets kurzweilige Miniaturen. Der Band erscheint begleitend zur Ausstellung "Tierisch beste Freunde. Über Haustiere und ihre Menschen", die das Deutsche Hygienemuseum Dresden noch bis 10. Juni zeigt.
Zentrale Aspekte der Domestikation reißt Reichholf allerdings nur an. Etwa, dass nahezu alle unsere Haustiere aus jenen beiden geographischen Großräumen des Vorderen Orients und Mesoamerikas stammen, in denen auch der Mensch sesshaft wurde. Es ist schade, dass man bei diesem Autor nicht in gewohnt brillanter Weise mehr über die evolutiven Zusammenhänge und ökologischen Zumutungen der Domestikation liest. Die sich aufdrängende Frage, wie wir mit Lebewesen umgehen, die wir lieben oder ausnutzen, wird bei Reichholf nur gestreift.
Derzeit haben ohnehin andere Bücher über Natur Konjunktur, vorzüglich dem vermeintlich unbekannten Leben von Birken und Buchen gewidmete oder dem, was heute die meisten Großstadtbewohner für Natur halten. Da haben Fragen zu Haltung und Behandlung von Haustieren kaum Platz. Karsten Brensing etwa, Verhaltensforscher und Streiter für die Persönlichkeitsrechte von Tieren, interessiert sich in seinem gleichnamigen Buch vor allem für "Das Mysterium der Tiere". Brensing will "Verblüffendes über das Tierreich" berichten, liefert indes nur weitgehend Altbekanntes zur Biologie, angefangen bei den liedreichen Buckelwalen bis zum den mit Stöckchen Termiten angelnden Schimpansen.
Am Ende kommt Brensing allerdings auf unseren ambivalenten Umgang mit Tieren zu sprechen, die Diskrepanz zwischen dreckigem Schwein, heiliger Kuh und geliebtem Hund; und auf Menschen, die sehr viel Geld für die medizinische Behandlung eines geliebten Haustieres ausgeben, aber Schweinefleisch für 4,49 Euro pro Kilo kaufen. Ein Fall von kognitiver Dissonanz, wenn wir wissen, dass auch Schweine eine Reihe von Eigenschaften mit hochintelligenten Tieren wie Hunden oder Delphinen teilen. Im Erzählteig von Brensings Anekdotensammlung aber gehen solche Einblicke unter.
MATTHIAS GLAUBRECHT.
Josef H. Reichholf: "Haustiere". Unsere nahen und doch so fremden Begleiter.
Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2017. 194 S., geb., 28,- [Euro].
Karsten Brensing: "Das Mysterium der Tiere". Was sie denken, was sie fühlen.
Aufbau Verlag, Berlin 2017. 384 S., geb., 22,- [Euro].
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»Seine zwei Dutzend Porträts sind gut erzählte, auch nachdenklich stimmende, stets kurzweilige Miniaturen.« - Matthias Glaubrecht, FAZ Matthias Glaubrecht FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung 20180404