Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.09.1997Nicht recht von dieser Welt
Oh, mein Herz: Jean-Luc Raharimanana im Dunkel Madagaskars
Mit keinem Geringeren als dem großen nachtseitigen Dichter Comte de Lautréamont vergleicht der Horlemann-Verlag seinen madagassischen Autor Raharimanana. Zum ersten Mal, heißt es nicht ohne Stolz aus Bad Honnef, liege Literatur "aus einem der schönsten und ärmsten Länder Schwarzafrikas" in deutscher Übersetzung vor. Dabei macht sich im Buch selbst ein Widerspruch zwischen dem Klappentext und dem Nachwort der Übersetzerin bemerkbar, der sich offensichtlich bis zur Drucklegung nicht beheben ließ: Wurde Jean-Luc Raharimanana nun 1966 oder 1967 geboren, stammt er aus der Inselhauptstadt Antananarivo oder aus einem fiktiven Ort "Antanarivo"? Solche Nachlässigkeiten, zu denen auch augenfällige Druckfehler kommen, verstimmen.
Dabei hätte diese Literatur Interesse verdient. Raharimananas zwölf Erzählungen versuchen im Sinne der "Négritude"-Bewegung, die mündliche afrikanische Ursprungssprache, ihren Rhythmus und ihre Musikalität ins schriftliche Französisch zu überführen. Die Bildwelt der Volkserzählungen wird dadurch aufgewertet. Madagaskar war seit 1896 französische Kolonie, 1960 wurde die viertgrößte Insel der Erde in die Unabhängigkeit entlassen.
Der Autor selbst bezeichnet das "Offensein" seiner Figuren als ihr wichtigstes Charakteristikum. Sie gleiten in andere Zustände, stehen in Kontakt mit den Verstorbenen und sind insgesamt nicht recht von dieser Welt. Fast immer herrschen bei Raharimanana Finsternis und Wahnsinn. Es wird gemordet, vergewaltigt, gelitten. Eine Leiche liegt neben einer Mülltonne, der Erzähler ergeht sich in fiebrigen inneren Monologen. Pathetisch beweint der Erzähler seine tote Geliebte: "Friede. Friede, oh mein Herz. Ruhe. Halte deine Tränen an. Sanft, sanft. Schweig, so schweig doch!" In diesem Tonfall geht es fort und fort. Mit seiner Apotheose der Dunkelheit steht Raharimanana in der Tradition der postkolonialen Literatur Afrikas der achtziger Jahre, als die Euphorie der staatlichen Selbständigkeit längst verflogen war. Die Worte Ungewißheit, Schleier und Nacht fanden sich damals häufig in Romantiteln. Das Prosadebüt Raharimananas wirkt vor diesem Hintergrund wie ein bemühter Nachzügler. KATRIN HILLGRUBER
Jean-Luc Raharimanana: Haut der Nacht. Erzählungen aus Madagaskar. Aus dem Französischen übersetzt und mit einem Nachwort versehen von Sigrid Köppen. Horlemann-Verlag, Bad Honnef 1997. 139 S., br., 24,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Oh, mein Herz: Jean-Luc Raharimanana im Dunkel Madagaskars
Mit keinem Geringeren als dem großen nachtseitigen Dichter Comte de Lautréamont vergleicht der Horlemann-Verlag seinen madagassischen Autor Raharimanana. Zum ersten Mal, heißt es nicht ohne Stolz aus Bad Honnef, liege Literatur "aus einem der schönsten und ärmsten Länder Schwarzafrikas" in deutscher Übersetzung vor. Dabei macht sich im Buch selbst ein Widerspruch zwischen dem Klappentext und dem Nachwort der Übersetzerin bemerkbar, der sich offensichtlich bis zur Drucklegung nicht beheben ließ: Wurde Jean-Luc Raharimanana nun 1966 oder 1967 geboren, stammt er aus der Inselhauptstadt Antananarivo oder aus einem fiktiven Ort "Antanarivo"? Solche Nachlässigkeiten, zu denen auch augenfällige Druckfehler kommen, verstimmen.
Dabei hätte diese Literatur Interesse verdient. Raharimananas zwölf Erzählungen versuchen im Sinne der "Négritude"-Bewegung, die mündliche afrikanische Ursprungssprache, ihren Rhythmus und ihre Musikalität ins schriftliche Französisch zu überführen. Die Bildwelt der Volkserzählungen wird dadurch aufgewertet. Madagaskar war seit 1896 französische Kolonie, 1960 wurde die viertgrößte Insel der Erde in die Unabhängigkeit entlassen.
Der Autor selbst bezeichnet das "Offensein" seiner Figuren als ihr wichtigstes Charakteristikum. Sie gleiten in andere Zustände, stehen in Kontakt mit den Verstorbenen und sind insgesamt nicht recht von dieser Welt. Fast immer herrschen bei Raharimanana Finsternis und Wahnsinn. Es wird gemordet, vergewaltigt, gelitten. Eine Leiche liegt neben einer Mülltonne, der Erzähler ergeht sich in fiebrigen inneren Monologen. Pathetisch beweint der Erzähler seine tote Geliebte: "Friede. Friede, oh mein Herz. Ruhe. Halte deine Tränen an. Sanft, sanft. Schweig, so schweig doch!" In diesem Tonfall geht es fort und fort. Mit seiner Apotheose der Dunkelheit steht Raharimanana in der Tradition der postkolonialen Literatur Afrikas der achtziger Jahre, als die Euphorie der staatlichen Selbständigkeit längst verflogen war. Die Worte Ungewißheit, Schleier und Nacht fanden sich damals häufig in Romantiteln. Das Prosadebüt Raharimananas wirkt vor diesem Hintergrund wie ein bemühter Nachzügler. KATRIN HILLGRUBER
Jean-Luc Raharimanana: Haut der Nacht. Erzählungen aus Madagaskar. Aus dem Französischen übersetzt und mit einem Nachwort versehen von Sigrid Köppen. Horlemann-Verlag, Bad Honnef 1997. 139 S., br., 24,- DM.
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