Stationen einer Reise in die Tiefe der Ozeane sind die Gedichte in Dana Rangas Debüt "Wasserbuch". Auch in ihrem zweiten Band, "Hauthaus", geht es um verborgene Landschaften - doch sind es dieses Mal nicht subaquatische, sondern subkutane: Das Herz, die Schilddrüse, die Leber oder der Magen sind die Protagonisten dieses Buches, sie werden befragt und untersucht, und doch unterscheidet sich Dana Rangas Blick von dem der Mediziner, fehlt jenen trotz Messer und Mikroskop doch der Sinn für die Bedeutung des Belebten: "sie zeichnen auf / sie knacken Zell-Codes / erfahrene Hacker der Lust / Diebe der Intimität / sie suchen das Leben mit dem Skalpell und triumphieren / bei jedem Examen / und doch wissen sie nichts über sich / über Schönheit und Liebe". Dieses Nicht-Wissen, also das Sichtbare, zu ergänzen um das Unsichtbare und damit dem Rätsel vom Wesen der Schönheit und Liebe auf die Spur zu kommen, unternimmt Dana Ranga in diesem Buch - in Texten voller Muskelstränge und Nervenbahnen,voller Melancholie und Musikalität.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Schon der Titel von Dana Rangas neuem Buch verweist Nico Bleutge einmal mehr auf das außergewöhnliche Sprachgefühl der Autorin, der er schillernde Sprachbewegungen und eine "Feier des Assoziativen" verdankt. Die Frage, ob es sich bei den etwa mit Herz, Magen oder Milz überschriebenen Texten um Prosa oder Lyrik handelt, ist dem Kritiker egal, viel zu gebannt lässt er sich von der in Bukarest geborenen Autorin ebenso kritisch wie energisch durch die verschiedenen Schichten der Sprache führen. Großartig, wie Ranga etwa in dem Text "Hirn" wissenschaftliche Sprache mit Bildern sakraler Bauten und Erzählungen aus der Bibel verknüpft und dabei nicht nur die Gewaltgeschichte der christlichen Religion, sondern auch die vermeintliche Vormachtstellung der als "Großhirnkathedrale" bezeichneten Vernunft hinterfragt, lobt der Rezensent, der betont, dass es sich hier nicht um bloße Sprachspielereien handelt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.09.2016Von Wirbel
zu Wirbel
Dana Ranga baut ein
„Hauthaus“ aus Sprache
Wer mit Dana Ranga in die Sprache geht, der bekommt ein Gespür für Ähnlichkeiten. Schon der Titel ihres neuen Buches macht erlebbar, wir nah sich Wörter bisweilen sein können. Von ihrer Bedeutung her weisen „Haut“ und „Haus“ in ganz unterschiedliche Richtungen. Doch so, wie beide, Haut und Haus, etwas umschließen und für den Austausch zwischen Innen und Außen sorgen, sind sich auch die Wörter näher, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Nur ein Buchstabe trennt sie, und „s“ und „t“ sind zugleich Nachbarn im Alphabet.
Klare Zuschreibungen, überschaubare Ordnung sind Dana Ranga fremd. Schon in ihrem leuchtenden „Wasserbuch“ (2011), einer Sammlung ozeanischer Gedichte, tastete sie den Sprachbewegungen und Verschiebungen im Gefüge des Denkens nach: „Atmen und singen in stiller Bucht. Wasser kennt keine Narben; Druckwelle, Abschied, / akzentfreie Entfernung // zwischen dir und mir“, heißt es hier in einem Stück zu Carcharodon carcharias, dem Weißen Hai. Und über Octopus vulgaris, die gemeine Krake: „Werde furchtlos und lebe versteckt, hier bleibt nichts zu entdecken.“ Zu entdecken aber gibt es bei Dana Ranga viel, man muss nur ihren Verknüpfungen folgen und dabei spüren, wie frei sich das Denken manchmal bewegen kann.
Er glaube an eine höhere Wirklichkeit, schrieb einst André Breton, an „gewisse, bis dahin vernachlässigte Assoziationsformen“ und das „zweckfreie Spiel des Denkens“. Nicht, dass Dana Ranga eine Surrealistin wäre, die Kraft der Assoziation aber und das „freie Spiel“ sind die Impulswellen ihres Schreibens. Fast könnte man von einer Feier des Assoziativen sprechen, so schnell wechseln hier die Laute und Ideen.
Immer wieder lagern sich ihre Sätze, die eigentlich ein einziger, dicht getakteter Satz sind, an semantische Felder an, eine Sprache des Körpers etwa, die bis in die kleinsten Verästelungen reicht, die Härchen und „Hornfäden“ in der Haut. Die Namen von Organen, „Herz“ zum Beispiel, „Magen“ oder „Milz“, dienen dabei als Überschriften. Auch das „Haus“ wird in all seinen Schattierungen erwähnt, es mag als „Käfig“ sein, als „Rahmen“ oder als „Röhre“. Dann wieder nehmen die Zeilen bestimmte Wortformen auf, manchmal sogar die Idee einer Geschichte, sprechen aber von etwas ganz anderem. Es ist ein ständiges Schweifen von hier nach dort, ohne doch je zu zerfasern. Wie einer jener Nerven, von dem einmal die Rede ist: „Vagabund, und doch hält er alles zusammen“.
Dana Ranga wurde 1964 in Bukarest geboren, mit 23 Jahren ging sie nach Deutschland. Neben ihrem Schreiben ist sie in der Welt des Films unterwegs und verfasst Hörspiele. Nicht von ungefähr hat sie ein großes Gespür dafür, wie unterschiedlich und zugleich durchlässig Medien und Sprachen sein können. „Ich werfe Wort für Wort über die rechte Schulter, unmögliche Spur durch das Dickicht des Ungewissen.“ Lateinische Termini sitzen in den Zeilen oder Cluster aus unterschiedlichen Sprachen: „cor, kardia, heart, cuore, inima, kokoro, corazón, xinzang, serce“. Mit ihrer grenzsprengenden Energie unterlaufen die Texte auch die Frage, ob es sich um Gedichte handle oder um Prosa. Geschickt verknüpft Dana Ranga einen oft prosaartigen Satzrhythmus mit kaum merklichen Assonanzen und Binnenreimen, ordnet die Wortfolgen mal zu zentrierten Kolumnen an, mal zu längeren Blöcken.
Doch nie verliert sie sich in reiner Spielerei. „Was fressen Gedanken am liebsten?“, fragte ein Gedicht im „Wasserbuch“. Neue Gedanken, ließe sich mit „Hauthaus“ antworten. Noch das kürzeste Stück enthält eine Denkbewegung, die überkommene Vorstellungen reflektiert und ihre Sprache einer kritischen Sichtung unterzieht. In einem über viele Seiten mäandernden Text zum „Hirn“ etwa schließt Dana Ranga wissenschaftliche Sprache mit Bildern sakraler Bauten und Erzählungen aus der Bibel kurz und hinterfragt so nicht nur die Gewaltgeschichte der christlichen Religion, sondern auch die vermeintliche Vormachtstellung der Vernunft, jene „Großhirnkathedrale“, in der sich vor allem Schwerter und Kreuze finden.
Es ist keine harmonisierende Sicht der Welt, die Dana Rangas Gedichte auffalten. Eher sprechen sie von Kratzern und Rissen, Rammböcken und Panzern, „schlechten Nachrichten von überall her, Daumenschrauben und Däumchen drehen“. Der autoritären Rede der Väter, die Ranga auch aus der eigenen Familiengeschichte kennt, hält sie die Erfahrung der vielen Blickwinkel und der bewegliche Sprache entgegen: „springe von Wirbel zu Wirbel“.
Manchmal, ganz selten nur, läuft ein Satz zu glatt über die Seite: „Wie viele sind / das Volk / verbunden und dirigiert / überwacht und eingezäunt: / der Großmeister / hält tausend Peitschen in der Hand / und lenkt den Karren geradeaus / gegen die Wand“. Doch schon im nächsten Text schiebt Dana Ranga die Schichten der Sprache umso dichter ineinander und träumt von der Möglichkeit, „alles zu unterbrechen, mit einem Punkt, einem Punkt ohne Breite, Länge Tiefe, ohne Umfang und Masse“. Einem Punkt, wie ihn vielleicht nur ein Bleistift setzen kann.
NICO BLEUTGE
Dana Ranga: Hauthaus. Suhrkamp Verlag, Berlin 2016. 65 Seiten, 19,95 Euro.
„Werde furchtlos und lebe
versteckt, hier bleibt
nichts zu entdecken“
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zu Wirbel
Dana Ranga baut ein
„Hauthaus“ aus Sprache
Wer mit Dana Ranga in die Sprache geht, der bekommt ein Gespür für Ähnlichkeiten. Schon der Titel ihres neuen Buches macht erlebbar, wir nah sich Wörter bisweilen sein können. Von ihrer Bedeutung her weisen „Haut“ und „Haus“ in ganz unterschiedliche Richtungen. Doch so, wie beide, Haut und Haus, etwas umschließen und für den Austausch zwischen Innen und Außen sorgen, sind sich auch die Wörter näher, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Nur ein Buchstabe trennt sie, und „s“ und „t“ sind zugleich Nachbarn im Alphabet.
Klare Zuschreibungen, überschaubare Ordnung sind Dana Ranga fremd. Schon in ihrem leuchtenden „Wasserbuch“ (2011), einer Sammlung ozeanischer Gedichte, tastete sie den Sprachbewegungen und Verschiebungen im Gefüge des Denkens nach: „Atmen und singen in stiller Bucht. Wasser kennt keine Narben; Druckwelle, Abschied, / akzentfreie Entfernung // zwischen dir und mir“, heißt es hier in einem Stück zu Carcharodon carcharias, dem Weißen Hai. Und über Octopus vulgaris, die gemeine Krake: „Werde furchtlos und lebe versteckt, hier bleibt nichts zu entdecken.“ Zu entdecken aber gibt es bei Dana Ranga viel, man muss nur ihren Verknüpfungen folgen und dabei spüren, wie frei sich das Denken manchmal bewegen kann.
Er glaube an eine höhere Wirklichkeit, schrieb einst André Breton, an „gewisse, bis dahin vernachlässigte Assoziationsformen“ und das „zweckfreie Spiel des Denkens“. Nicht, dass Dana Ranga eine Surrealistin wäre, die Kraft der Assoziation aber und das „freie Spiel“ sind die Impulswellen ihres Schreibens. Fast könnte man von einer Feier des Assoziativen sprechen, so schnell wechseln hier die Laute und Ideen.
Immer wieder lagern sich ihre Sätze, die eigentlich ein einziger, dicht getakteter Satz sind, an semantische Felder an, eine Sprache des Körpers etwa, die bis in die kleinsten Verästelungen reicht, die Härchen und „Hornfäden“ in der Haut. Die Namen von Organen, „Herz“ zum Beispiel, „Magen“ oder „Milz“, dienen dabei als Überschriften. Auch das „Haus“ wird in all seinen Schattierungen erwähnt, es mag als „Käfig“ sein, als „Rahmen“ oder als „Röhre“. Dann wieder nehmen die Zeilen bestimmte Wortformen auf, manchmal sogar die Idee einer Geschichte, sprechen aber von etwas ganz anderem. Es ist ein ständiges Schweifen von hier nach dort, ohne doch je zu zerfasern. Wie einer jener Nerven, von dem einmal die Rede ist: „Vagabund, und doch hält er alles zusammen“.
Dana Ranga wurde 1964 in Bukarest geboren, mit 23 Jahren ging sie nach Deutschland. Neben ihrem Schreiben ist sie in der Welt des Films unterwegs und verfasst Hörspiele. Nicht von ungefähr hat sie ein großes Gespür dafür, wie unterschiedlich und zugleich durchlässig Medien und Sprachen sein können. „Ich werfe Wort für Wort über die rechte Schulter, unmögliche Spur durch das Dickicht des Ungewissen.“ Lateinische Termini sitzen in den Zeilen oder Cluster aus unterschiedlichen Sprachen: „cor, kardia, heart, cuore, inima, kokoro, corazón, xinzang, serce“. Mit ihrer grenzsprengenden Energie unterlaufen die Texte auch die Frage, ob es sich um Gedichte handle oder um Prosa. Geschickt verknüpft Dana Ranga einen oft prosaartigen Satzrhythmus mit kaum merklichen Assonanzen und Binnenreimen, ordnet die Wortfolgen mal zu zentrierten Kolumnen an, mal zu längeren Blöcken.
Doch nie verliert sie sich in reiner Spielerei. „Was fressen Gedanken am liebsten?“, fragte ein Gedicht im „Wasserbuch“. Neue Gedanken, ließe sich mit „Hauthaus“ antworten. Noch das kürzeste Stück enthält eine Denkbewegung, die überkommene Vorstellungen reflektiert und ihre Sprache einer kritischen Sichtung unterzieht. In einem über viele Seiten mäandernden Text zum „Hirn“ etwa schließt Dana Ranga wissenschaftliche Sprache mit Bildern sakraler Bauten und Erzählungen aus der Bibel kurz und hinterfragt so nicht nur die Gewaltgeschichte der christlichen Religion, sondern auch die vermeintliche Vormachtstellung der Vernunft, jene „Großhirnkathedrale“, in der sich vor allem Schwerter und Kreuze finden.
Es ist keine harmonisierende Sicht der Welt, die Dana Rangas Gedichte auffalten. Eher sprechen sie von Kratzern und Rissen, Rammböcken und Panzern, „schlechten Nachrichten von überall her, Daumenschrauben und Däumchen drehen“. Der autoritären Rede der Väter, die Ranga auch aus der eigenen Familiengeschichte kennt, hält sie die Erfahrung der vielen Blickwinkel und der bewegliche Sprache entgegen: „springe von Wirbel zu Wirbel“.
Manchmal, ganz selten nur, läuft ein Satz zu glatt über die Seite: „Wie viele sind / das Volk / verbunden und dirigiert / überwacht und eingezäunt: / der Großmeister / hält tausend Peitschen in der Hand / und lenkt den Karren geradeaus / gegen die Wand“. Doch schon im nächsten Text schiebt Dana Ranga die Schichten der Sprache umso dichter ineinander und träumt von der Möglichkeit, „alles zu unterbrechen, mit einem Punkt, einem Punkt ohne Breite, Länge Tiefe, ohne Umfang und Masse“. Einem Punkt, wie ihn vielleicht nur ein Bleistift setzen kann.
NICO BLEUTGE
Dana Ranga: Hauthaus. Suhrkamp Verlag, Berlin 2016. 65 Seiten, 19,95 Euro.
„Werde furchtlos und lebe
versteckt, hier bleibt
nichts zu entdecken“
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» ... eine literarische Innenschau voll Assoziationskraft.« Petra Suchanek Pinzgauer Nachrichten 20170323