Barbara Dröscher berichtet in ihren „Havanna Lektionen“ von Alltag, Kultur und Politik in Kuba und davon, was sie während ihres Aufenthalts auf der Karibikinsel erlebt hat. Ihre Berichte sind eine bunte Sammlung von lebendigen Eindrücken, amüsanten wie bedrückenden Beobachtungen und kritischen Reflexionen aus dem Grenzraum der internationalen Kooperation zwischen Deutschland und Kuba. Die Autorin schildert persönliche Erlebnisse und lässt uns an ihrem Blick auf und an ihren Ansichten über Kuba teilhaben. Sie informiert über die politische Situation im Land nach dem Rückzug Fidel Castros und gewährt Einblicke in ihre Tätigkeit an der Universität Havanna. Und sie schreibt über ihre Lektüre kubanischer und lateinamerikanischer AutorInnen und das „Kaffeesatzlesen“ in den offiziellen kubanischen Medien. „Havanna Lektionen“ ist ein spannendes Buch über Kuba und eine Liebeserklärung an seine Hauptstadt.
Ungeachtet brutaler Menschenrechtsverletzungen erscheint Kuba, immerhin Lateinamerikas einzige De-facto-Militärdiktatur, häufig noch immer in einem nostalgisch weichgezeichneten Licht. "Inkarniert", schreibt die Berliner Wissenschaftlerin Barbara Dröscher, "im Stereotyp der verführerischen Mulattin oder einem Polittourismus, der dem augenzwinkernden ,Havana Blues' nachhängt." Nun hat freilich jedes Stereotyp seine reale Grundierung, und verführerische Menschen mit nicht zuletzt musikalischem Gespür sind gewiss kein schlechter Grund, eine Reise anzutreten. Fatal wird es nur, wenn vor lauter Salsa-Hüftschwüngen und "malerisch verfallenen Kolonialgebäuden" der tägliche Überlebenskampf eines geschurigelten Volkes ebenfalls als Folklore missverstanden wird. Barbara Dröschers Buch "Havanna Lektionen" ist deshalb ein passendes Antidot und trägt seinen Untertitel zu Recht: "Kuba zwischen Alltag, Kultur und Politik". Zwei Jahre hat die Autorin mit Hilfe des Deutschen Akademischen Austauschdienstes DAAD auf der Insel verbracht. Als Lektorin für deutsche Literatur hatte sie mit (angepassten und skeptischen) Universitäts-Intellektuellen und Studenten zu tun, doch hatte sie auch reichlich Kontakt zu den sogenannten normalen Leuten auf der Straße. Was sie gehört, beobachtet und nun aufgeschrieben hat, ist wohltuend frei von Klischees, jedoch auch von soziologisch verrätselter Insider-Sprache. Sie pflegt weder einen überheblichen noch jenen verdruckst pseudo-neutralen Stil, der bei nicht wenigen Kuba-Reiseführern unangenehm berührt. Und die härteste Kritik am Regime der Betonbrüder Castro kommt von den Kubanern selbst. Nun werden hier jedoch keine bloßen Debatten über die marode Gegenwart und die unsichere Zukunft des Landes referiert, vielmehr bekommt das Lebensweltliche sein Recht. Ob beim Kochen und Essen, bei Stadtspaziergängen, am Strand oder bei subtil oppositionellen Kunst-Happenings: Die Sinne der Autorin sind permanent auf Empfang gestellt und hinterfragen das Geschaute, ohne sich selbstreferentiell einzuigeln. Immer wieder kommt es zu Überraschungen, die oft allerdings keineswegs putzig sind: In einem Café in der neuesten, eben aus der deutschen Botschaft geholten Ausgabe der "Zeit" blätternd, wird die Lesende auf einmal angestarrt - sehnsüchtig von den Gästen und Kellnern, misstrauisch von den Sicherheitsleuten mit ihren Sprechgeräten. "Wieder einmal dachte ich darüber nach, welche für uns so selbstverständlichen Dinge hier schon problematisch erscheinen." Das schönste Kompliment, das man diesem ebenso reflektierten wie lebendig geschriebenen Buch machen kann, ist dieses: Keiner der Freunde, Bekannten und Gesprächspartner der Autorin wird jemals als passender Zitatgeber für diese oder jene These missbraucht. Diese Annäherung an Kuba könnte spannender und integrer nicht sein.
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"Havanna Lektionen. Kuba zwischen Alltag, Kultur und Politik" von Barbara Dröscher. Edition Tranvia, Berlin 2011. 232 Seiten. Broschiert, 17,80 Euro.
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