Giuseppe Carpani wurde zum Biografen Joseph Haydns (1732-1809), weil er sein Freund geworden war. Er musizierte gemeinsam mit dem Komponisten und war über lange Jahre sein enger Vertrauter und Gesprächspartner. Was er über die Musik Haydns zu sagen weiß, ist klar und kenntnisreich, überzeugend und voller Enthusiasmus. Was er aus dessen Leben erzählt, ist so lebendig, so begeistert, so voller Geist, dass Stendhal das Werk kurzerhand als sein eigenes ausgab. Carpanis Haydns-Biografie erschien im italienischen Original 1812, drei Jahre nach dessen Tod. Der Biograf lässt uns die Gestalt des Komponisten mit den Augen seiner Zeitgenossen sehen, gleichermaßen offen wie lebensnah. Er gibt uns kostbare Einblicke in das Wesen und die Arbeitsweise eines Künstlers, der, einfallsreich und fruchtbar wie kaum ein anderer, in seinem Leben ein einfacher Mensch war und mit seiner Musik unsterblich wurde. Die Biografie von Giuseppe Carpani erscheint hier, zwei Jahrhunderte nach Haydns Tod, erstmalsauf Deutsch.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.04.2009Auf dem Sessel hinauf in den Kunsthimmel
Giuseppe Carpanis Eloge auf Joseph Haydn
Die beiden ersten biographischen Versuche über Joseph Haydn - die des Wiener Legationsrates Georg Griesinger und die des Malers Albert Christoph Dies - sind ein Jahr nach dem Tode des Komponisten (1810) erschienen. Zwei Jahre später veröffentlichte Giuseppe Carpani eine Eloge unter dem Titel "Le Haydine ovvero lettere su la vita e le opere del celebre maestro Giuseppe Haydn". "Keiner führt mich näher an Haydns Werke heran", schreibt Nikolas Harnoncourt in seinem Geleitwort zu der erstmals ins Deutsche übersetzten Biographie des italienischen Librettisten und Komponisten, der seit 1796 in Wien lebte und mit Haydn befreundet war.
Stendhal war von diesen Erinnerungen so hingerissen, dass er sie ins Französische übersetzte und sie unter Pseudonym als seine eigenen ausgab. Das Buch gehört zum Typus der "heroischen Biographie" im Sinne von Thomas Carlyle: "Haydn! Welch ein illustrer Name, dessen Ruhm wie ein Stern im Tempel der Harmonie erstrahlt! ( . . .) Haydn fuhr in den Himmel der Künste, ohne von seinem Sessel aufzustehen."
Carpani stellt Haydn in die Ahnenreihe italienischer Meister wie Boccherini und Sammartini, ausdrücklich zudem in die der Melodiker, weil "die Melodie die Seele der Musik ist". Stets um Analogien und Assoziationen bemüht, erkennt er in den Instrumentalwerken die Figuren der von Cicero angewandten Rhetorik: die Steigerung, die Antithese, die Anzweifelung, die Wiederholung, die Anhäufung von Argumenten. Haydns Musik kenne nicht das Ebenmaß Vergils, sie gleiche eher den Phantasieflügen des Ariost.
Als Dokumentation ist Carpanis Büchlein überholt. Aber es ist keineswegs veraltet. Die biographischen Passagen sind kurz und oft geistreich-lapidar. Über die Vorfahren erfahren wir: "Sie wurden geboren, lebten vor sich und starben; das ist ihre ganze Biographie." Seltsam und kaum haltbar ist die Behauptung, dass Hadyn sich außermusikalischer Ideen bediente, um seine musikalische Phantasie zu beflügeln. Er war kein "illustrierender", sondern ein darstellender und erzählender Musiker. Dies gilt auch für die "Schöpfung", die Carpani in einem besonders eloquenten Brief als das chef d'oeuvre eines Jahrhunderts preist.
Ebenso plastisch und prägnant sind die Charakterisierungen von Haydns Stil in der Instrumentalmusik. Dass Haydn kein genuiner Bühnenkomponist gewesen sei, weil er in der Oper zugunsten der Melodie das Orchester zurückhalten musste, würde allerdings gerade Carpanis Bewunderer Harnoncourt wohl als einen typisch italienischen Denkfehler verwerfen.
Bei der Lektüre des vergnüglichen Epochen-Panoramas, von Johanna Fürstenauer flüssig übersetzt, ist es geraten, sich an eine von Carpani zitierte Maxime La Bruyères zu halten: "Das Vergnügen zu kritisieren hindert uns daran, von den sehr schönen Dingen berührt zu werden."
JÜRGEN KESTING
Giuseppe Carpani: "Haydn." Sein Leben. Herausgegeben und aus dem Italienischen von Johanna Fürstauer. Residenz Verlag, St. Pölten 2009. 265 S., geb., 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Giuseppe Carpanis Eloge auf Joseph Haydn
Die beiden ersten biographischen Versuche über Joseph Haydn - die des Wiener Legationsrates Georg Griesinger und die des Malers Albert Christoph Dies - sind ein Jahr nach dem Tode des Komponisten (1810) erschienen. Zwei Jahre später veröffentlichte Giuseppe Carpani eine Eloge unter dem Titel "Le Haydine ovvero lettere su la vita e le opere del celebre maestro Giuseppe Haydn". "Keiner führt mich näher an Haydns Werke heran", schreibt Nikolas Harnoncourt in seinem Geleitwort zu der erstmals ins Deutsche übersetzten Biographie des italienischen Librettisten und Komponisten, der seit 1796 in Wien lebte und mit Haydn befreundet war.
Stendhal war von diesen Erinnerungen so hingerissen, dass er sie ins Französische übersetzte und sie unter Pseudonym als seine eigenen ausgab. Das Buch gehört zum Typus der "heroischen Biographie" im Sinne von Thomas Carlyle: "Haydn! Welch ein illustrer Name, dessen Ruhm wie ein Stern im Tempel der Harmonie erstrahlt! ( . . .) Haydn fuhr in den Himmel der Künste, ohne von seinem Sessel aufzustehen."
Carpani stellt Haydn in die Ahnenreihe italienischer Meister wie Boccherini und Sammartini, ausdrücklich zudem in die der Melodiker, weil "die Melodie die Seele der Musik ist". Stets um Analogien und Assoziationen bemüht, erkennt er in den Instrumentalwerken die Figuren der von Cicero angewandten Rhetorik: die Steigerung, die Antithese, die Anzweifelung, die Wiederholung, die Anhäufung von Argumenten. Haydns Musik kenne nicht das Ebenmaß Vergils, sie gleiche eher den Phantasieflügen des Ariost.
Als Dokumentation ist Carpanis Büchlein überholt. Aber es ist keineswegs veraltet. Die biographischen Passagen sind kurz und oft geistreich-lapidar. Über die Vorfahren erfahren wir: "Sie wurden geboren, lebten vor sich und starben; das ist ihre ganze Biographie." Seltsam und kaum haltbar ist die Behauptung, dass Hadyn sich außermusikalischer Ideen bediente, um seine musikalische Phantasie zu beflügeln. Er war kein "illustrierender", sondern ein darstellender und erzählender Musiker. Dies gilt auch für die "Schöpfung", die Carpani in einem besonders eloquenten Brief als das chef d'oeuvre eines Jahrhunderts preist.
Ebenso plastisch und prägnant sind die Charakterisierungen von Haydns Stil in der Instrumentalmusik. Dass Haydn kein genuiner Bühnenkomponist gewesen sei, weil er in der Oper zugunsten der Melodie das Orchester zurückhalten musste, würde allerdings gerade Carpanis Bewunderer Harnoncourt wohl als einen typisch italienischen Denkfehler verwerfen.
Bei der Lektüre des vergnüglichen Epochen-Panoramas, von Johanna Fürstenauer flüssig übersetzt, ist es geraten, sich an eine von Carpani zitierte Maxime La Bruyères zu halten: "Das Vergnügen zu kritisieren hindert uns daran, von den sehr schönen Dingen berührt zu werden."
JÜRGEN KESTING
Giuseppe Carpani: "Haydn." Sein Leben. Herausgegeben und aus dem Italienischen von Johanna Fürstauer. Residenz Verlag, St. Pölten 2009. 265 S., geb., 24,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Auf lauter sehr schöne Dinge trifft Jürgen Kesting in diesem Buch von 1812, das er, jetzt erstmals flüssig ins Deutsche übertragen, vor sich liegen hat. Harnoncourts Begeisterung, Stendhals Überschwang angesichts von Guiseppe Carpanis Erinnerungen an den Zeitgenossen und Freund Haydn - Kesting kann sie verstehen. Prächtig leuchtet der Glorienschein über Haydns Haupt, doch Carpanis Assoziationen (von Haydns Instrumentalwerken mit Ciceros Rhetorik) erscheinen Kesting stimmig genug, seine Charakterisierungen von Haydn Stil "plastisch und prägnant", biografische Details "geistreich-lapidar". Für Kesting ein "vergnügliches Epochen-Panorama" mit lässlichen Schwächen, etwa in seiner dokumentarischen Bedeutung.
© Perlentaucher Medien GmbH
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