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"Zwei Ereignisse kennzeichnen die moderne jüdische Geschichte: die jüdische Revolution um 1881, als sich eine moderne jüdische Literatur auf hebräisch, jiddisch und in anderen Sprachen ebenso herausbildet, wie Ideologien und kulturelle Strömungen aufkommen, und die Neuschöpfung des Hebräischen als moderner, zeitgenössischer Sprache. Im Kern bedeutet die jüdische Revolution eine Neuschöpfung von Wörtern und Bedeutungen; es ist eine semiotische Revolution. Der Zionismus geht mit der Schaffung des modernen Hebräisch durch eine intellektuelle Avantgarde einher; der Entwurf einer neuen…mehr

Produktbeschreibung
"Zwei Ereignisse kennzeichnen die moderne jüdische Geschichte: die jüdische Revolution um 1881, als sich eine moderne jüdische Literatur auf hebräisch, jiddisch und in anderen Sprachen ebenso herausbildet, wie Ideologien und kulturelle Strömungen aufkommen, und die Neuschöpfung des Hebräischen als moderner, zeitgenössischer Sprache. Im Kern bedeutet die jüdische Revolution eine Neuschöpfung von Wörtern und Bedeutungen; es ist eine semiotische Revolution. Der Zionismus geht mit der Schaffung des modernen Hebräisch durch eine intellektuelle Avantgarde einher; der Entwurf einer neuen Gesellschaft, die tradierte Glaubensinhalte aufnimmt, sich aber zugleich in einem modernen Staat entfalten soll, geht Hand in Hand mit der Entwicklung und Reformierung des biblischen Hebräisch. Von daher entwickelt Harshav eine Theorie des »Zwillingssystems«: Innerhalb und außerhalb des damaligen Palästina wird für das Land Israel ein gesellschaftliches, ökonomisches, staatliches Modell entwickelt und die hebräische Sprache neu geschaffen, ihr Wortschatz erweitert, ihre Grammatik reformiert. Benjamin Harshav zeichnet Stationen dieser Entwicklungen nach."
Autorenporträt
Wiese, ChristianChristian Wiese, geboren 1961, Studium der Ev. Theologie und Judaistik in Tübingen, Bonn, Jerusalem und Heidelberg, Promotion 1997 in Frankfurt a.M., Habilitation 2006 in Erfurt. 2007-2010 Professor für jüdische Geschichte und Direktor des Centre for German-Jewish Studies an der University of Sussex. Vorher Stationen als Wiss. Mitarbeiter am Salomon-Ludwig-Steinheim-Institut für deutsch-jüdische Geschichte in Duisburg und Wiss. Assistent am Lehrstuhl für Judaistik an der Universität Erfurt. Sein Forschungsgebiet ist die moderne jüdische Geschichte und Philosophie, die Geschichte des Zionismus sowie die Geschichte der jüdisch-christlichen Beziehungen der Neuzeit. Gastprofessuren in Montreal, Dublin, am Dartmouth College, New Hampshire, an der University of Pennsylvania (Philadelphia) und an der ETH Zürich. Seit 2010 Inhaber der Martin-Buber-Professur für Jüdische Religionsphilosophie an der Goethe-Universität Frankfurt, seit 2021 Direktor des Frankfurter Buber-Rosen

zeig-Instituts für jüdische Geistes- und Kulturgeschichte der Moderne und Gegenwart.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.12.1995

Erzengel als Cousins, Heerscharen und so
Benjamin Harshavs Bericht von der Wiederbelebung des Hebräischen / Von Michael Brenner

Als das hebräische "Habimah"-Theater ein knappes Jahrzehnt nach seiner Gründung 1917 in Moskau in den Metropolen Westeuropas und der Vereinigten Staaten Gastspiele gab, wußten Besucher und Kritiker nicht, wovon sie sich mehr beeindruckt zeigen sollten: von den außergewöhnlichen künstlerischen Talenten der Truppe oder von der wagemutigen Idee, moderne Literatur in der Sprache der Bibel auf die Bühne zu bringen. Max Reinhardt fand die Habimah-Truppe "hinreißend", und Albert Einstein schrieb in einem offenen Brief: "Ihre Leistung war von wahrhaft monumentaler Größe und vermittelte mir wohl den größten Eindruck, den ich bisher in einem Schauspiel erlebt habe." Für Berlins führenden Theaterkritiker, Alfred Kerr, schließlich blieb es "etwas lebenslang Unvergeßbares . . ., den alten Laut, Bibel-Laut, der mir leider fremd ist (zu hören) - obschon man, aller Abstammungswahrscheinlichkeit nach als Cousins Erzengel in der Familie hat, und Heerscharen und so."

Was sich für die akkulturierten Juden des Westens als äußerst exotisches Schauspiel darbot, gehörte während der zwanziger Jahre in Osteuropa längst zum Alltag. Hier besuchten jüdische Schüler die hebräischsprachigen "Tarbut"- und "Jawne"-Schulen, hier existierten hebräische Zeitungen und Buchverlage, und bei der Volkszählung von 1931 gaben knapp 250000 polnische Juden Hebräisch als ihre Muttersprache an. Vielen von ihnen diente diese Erziehung als Vorbereitung für die "Alija", die Auswanderung in das Land Israel, in dem Hebräisch bald die dominante Sprache werden sollte.

Nur wenige Jahrzehnte vorher, im Jahre 1881, hatte sich ein einsamer Idealist auf den Weg von Osteuropa ins Gelobte Land gemacht, um die hebräische Sprache systematisch als Alltagssprache wiederzubeleben. Eliezer Ben-Jehuda, geboren in einem litauischen Schtetl als Eliezer Jizchak Perlman, ist als der Vater der modernen hebräischen Sprache jedem israelischen Schulkind ein Begriff. Er gab in Jerusalem hebräische Zeitungen heraus, gründete Gesellschaften zur Belebung der hebräischen Sprache und schrieb ein siebzehnbändiges hebräisches Lexikon, in dem viele Wörter seine eigenen Neugründungen sind. Selbst im Kreise seiner Familie sprach er nur Hebräisch. Weniger bekannt sind die zahlreichen Hindernisse auf dem Weg zur Popularisierung des Hebräischen, die Benjamin Harshav in seinem Buch detailliert nachzeichnet.

Dazu gehört etwa die Tatsache, daß Ben-Jehudas Bemühungen erst Jahrzehnte nach seiner Einwanderung Früchte trugen. Das von ihm gegründete hebräische Sprachkomitee existierte dreißig Jahre lang praktisch nur dem Namen nach, Jiddisch war noch lange die Umgangssprache unter den Einwanderern in Palästina, und sein eigener Sohn Ittamar Ben-Avi, das erste mit Neuhebräisch aufgewachsene jüdische Kind, weigerte sich bis zu seinem vierten Geburtstag, ein einziges Wort herauszubringen. Als Ben-Jehuda seinem Sohn einmal eine in mühevoller Nachtarbeit angefertigte hebräische Übersetzung des "Grafen von Montechristo" überreichte, bedankte dieser sich trocken mit den Worten: "Ich habe es bereits auf französisch gelesen."

Da auch Eliezer Ben-Jehuda am Ende des 19. Jahrhunderts noch die wichtigsten Begriffe der modernen Sprache fehlten, war das im Haus gesprochene Hebräisch recht erbärmlich. Bat er seine Frau, die nur wenig Hebräisch verstand, um eine Tasse Kaffee, so fehlten ihm die Wörter für Tasse, Untertasse, Löffel und aufgießen. Mit Zuhilfenahme von Gesten und Zeichen sagte er dann etwa: "Nimm das und tu das und bring mir das, und ich werde trinken."

Benjamin Harshavs nun auch auf deutsch zugängliche Studie über das Hebräische untersucht eine "Sprache in Zeiten der Revolution". Neben der Analyse von Mythen aus dem Leben Ben-Jehudas gilt Harshavs Interesse der Rolle der Sprache in der Transformation der jüdischen Gesellschaft am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Die Lösung von der traditionell-religiösen jüdischen Welt und die vom Zionismus propagierte "Selbstemanzipation" der Juden müssen auch als eine semiotische Revolution gesehen werden. Gewiß war das Hebräische niemals zu einer toten Sprache geworden, deren Gebrauch sich allein auf Gebet und Studium beschränkte. Auch im Schriftverkehr, bei Geschäftsbriefen ebenso wie bei rabbinischen Rechtsgutachten, überdauerte sie im Exil. Doch erst nach der von Harshav beschriebenen Revolution am Ende des 19. Jahrhunderts wurde Hebräisch erstmals seit Jahrhunderten wieder im Alltagsleben gesprochen.

Harshavs großes Verdienst ist es, die Geschichte der Wiederbelebung des Hebräischen in den Kontext der gesamtjüdischen Geschichte einzuordnen. Der Begründer des Porter Instituts für Semiotik und Poetik in Tel Aviv und Literaturwissenschaftler in Yale ist auch Jiddischspezialist. Er sieht die Erhebung des Jiddischen zur Literatursprache parallel zur Wiederbelebung des Hebräischen. Ebenso mußten es wohl die Zeitgenossen zwischen den Weltkriegen empfunden haben. Die gleichzeitige Gründung zweier wissenschaftlicher Institutionen im Jahre 1925, der Hebräischen Universität in Jerusalem und des Jiddischen Wissenschaftlichen Instituts (YIVO) in Wilna, markierte einen vielversprechenden Durchbruch für beide Sprachen. Noch am Vorabend des 2. Weltkrieges war es durchaus nicht klar, welche sich bei den jüdischen Massen durchsetzen würde.

Als 1939 Selig Kalmanowitsch, einer der Gründer des YIVO-Instituts, Jerusalem bereiste, bewunderte er die Bibliothek der Hebräischen Universität, bemerkte jedoch traurig gegenüber seiner Gastgeberin Rachel Janajit, eine der führenden weiblichen Persönlichkeiten der zionistischen Bewegung: "Wenn wir sie nur retten und nach Wilna verschiffen könnten", worauf diese erwiderte: "Wenn wir nur die YIVO-Bibliothek retten und nach Jerusalem bringen könnten!" Rachel Janajit konnte nicht ahnen, in welch tragischer Weise sie recht behalten sollte. Mit der Katastrophe des europäischen Judentums war nicht nur das Schicksal des Wilnaer YIVO-Instituts und der jiddischen Sprache besiegelt, sondern auch das der mit ihnen verbundenen Menschen. Kalmanowitsch, einer der führenden Jiddischisten, wurde 1944 in einem Vernichtungslager umgebracht. Rachel Janajit, verheiratet mit Israels zweitem Staatspräsidenten Jitzchak Ben-Zwi, sollte nur wenige Jahre später die First Lady eines Staates werden, in dem Hebräisch zur offiziellen Landessprache erhoben wurde.

Benjamin Harshav: "Hebräisch". Sprache in Zeiten der Revolution. Aus dem Englischen von Christian Wiese. Jüdischer Verlag, Frankfurt am Main 1995. 287 S., geb., 48,- DM.

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