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Hefte aus Kriegszeiten hat Marguerite Duras die vier dichtbeschriebenen Schulhefte genannt, die sie lange Zeit in ihrem legendären "blauen Schrank" aufbewahrte. Die Aufzeichnungen aus den Jahren 1943 bis 1949, vom Beginn ihrer schriftstellerischen Laufbahn, sind von ganz eigenem Reiz. Hier finden sich bereits die zentralen Themen ihres Lebens und späteren Werks: Kindheit und Jugend in Indochina; die ambivalente Beziehung zur Mutter und zu den beiden Brüdern; die Beziehung zu einem Vietnamesen, die sie später in ihrem berühmtesten Roman, Der Liebhaber, gestaltet. Marguerite Duras protokolliert…mehr

Produktbeschreibung
Hefte aus Kriegszeiten hat Marguerite Duras die vier dichtbeschriebenen Schulhefte genannt, die sie lange Zeit in ihrem legendären "blauen Schrank" aufbewahrte. Die Aufzeichnungen aus den Jahren 1943 bis 1949, vom Beginn ihrer schriftstellerischen Laufbahn, sind von ganz eigenem Reiz. Hier finden sich bereits die zentralen Themen ihres Lebens und späteren Werks: Kindheit und Jugend in Indochina; die ambivalente Beziehung zur Mutter und zu den beiden Brüdern; die Beziehung zu einem Vietnamesen, die sie später in ihrem berühmtesten Roman, Der Liebhaber, gestaltet. Marguerite Duras protokolliert das qualvolle Warten auf ihren in Buchenwald internierten Mann, Robert Antelme, dessen Rückkehr, die Trennung von ihm, erzählt von ihrem Engagement in der Résistance, vom Tod ihres ersten Kindes, der Geburt des Sohnes Jean.
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Autorenporträt
Marguerite Duras wurde am 4. April 1914 in der ehemaligen französischen Kolonie Gia Dinh, dem heutigen Vietnam als Marguerite Donnadieu geboren und starb am 3. März 1996 in Paris. Sie besuchte das Lycée Français in Saigon und machte 1931 Abitur. Ein Jahr später siedelte die Familie nach Paris um, wo sie an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Paris und an der École des Sciences Politiques studierte. Von 1935 bis 1941 arbeitete sie als Sekretärin im Ministère des Colonies. 1939 heiratete sie Robert Antelme. Beide waren ab 1940 in der Résistance aktiv. Antelme wurde später ins Konzentrationslager Dachau deportiert. 1943 erschien ihr Debütroman Les Impudents (Die Schamlosen) unter dem Pseudonym Marguerite Duras, welchem keine besondere Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit zuteil kam. Mit Un Barrage contre le Pacifique (Heiße Küste), das 1950 erschien, hatte Duras größeren Erfolg. Sie schrieb nicht nur Romane, sondern verfasste auch Theaterstücke und trat als Filmregisseurin in Erscheinung.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.09.2007

Ihr Geheimnis
Die "Hefte aus Kriegszeiten" sind die Urszenen aus Marguerite Duras' Werk

Sie sprach, als sie schon sehr alt war, von sich selbst nur noch in der dritten Person. Sie sagte nicht mehr "ich", sondern immer nur "die Duras", als meinte sie eine andere, die sie mit der größten Selbstverständlichkeit allerdings für genial hielt. Ihr Narzissmus war grenzenlos: "die Duras, die man anbetet", "die Duras, Freundin des Präsidenten Mitterrand". Im Kult um die eigene Person verschwammen ihr Leben und ihr Werk, bis sie sie selbst nicht mehr voneinander trennen konnte. "Die Geschichte meines Lebens", sagte sie, "gibt es nicht. Ich schreibe nicht, um meine Geschichte zu erzählen. Das Schreiben hat mir weggenommen, was mir noch vom Leben blieb, hat mich entleert, und ich kann nicht mehr auseinanderhalten, was ich über mein Leben geschrieben habe und was ich wirklich erlebt habe, was wahr ist."

Die Leser von Marguerite Duras sind immer wieder in die biographische Falle gelaufen. Als der französische Regisseur Jean-Jacques Annaud Anfang der neunziger Jahre ihr wohl bekanntestes und erfolgreichstes Buch "Der Liebhaber" verfilmte, hielt er den Roman für eine Autobiographie, stellte polizeiliche Nachforschungen über sie und den Liebhaber ihrer Jugend in Indochina an, drehte in Vietnam vor rekonstruierter Kulisse, um die Orte nachzustellen, an denen Marguerite mit ihrer Mutter und ihren zwei Brüdern aufgewachsen war. Annaud arbeitete am Mythos. Denn "Der Liebhaber" war keine Autobiographie. Oder besser: Wie immer in der Literatur war alles an ihm autobiographisch und zugleich nichts.

Marguerite Duras' Werk ist wie eine Lektion, die genau diese paradoxe Formel zu verstehen gibt. Ein Paradox, das man vor allem dann begreift, wenn man die Texte liest, die, in ihrem Nachlass erhalten, letztes Jahr von Sophie Bogaert und Olivier Corpet in Frankreich herausgegeben wurden und nun bei Suhrkamp erscheinen: "Hefte aus Kriegszeiten". Es sind Schlüsseltexte. Nicht deshalb, weil sie wahrer wären als die anderen. Sondern weil sie den Blick auf genau das wilde, undurchdringliche Dickicht freilegen, in dem bei ihr Wirklichkeit und Fiktion ineinander verstrickt sind. Mit den "Heften aus Kriegszeiten" beginnt das große Abenteuer der Marguerite Donnadieu, die sich, nach einem französischen Landstrich, aus dem ihr Vater stammte, später Marguerite Duras, dann "die Duras" nannte.

Der Chinese im Auto

Sie hatte einen blauen Schrank in ihrem Landhaus. In diesem Schrank fand sie, da war sie Ende sechzig, Schulhefte, die sie, 1943 bis 1949, während des Kriegs und kurz danach, vollgeschrieben hatte und von denen sie behauptete, dass sie sie völlig vergessen habe. Aufgeregt rief sie einen Verlegerfreund an: "Komm, ich habe etwas Großartiges gefunden!" Sie war völlig außer sich. Das hier waren die Urszenen: Erinnerungen an die Jugend in Indochina; an den, der der "Liebhaber" werden sollte; die Totgeburt ihres ersten Kindes; der Tod ihres Bruders; die Aktivitäten in der Résistance; die Deportation und Rückkehr ihres Ehemanns Robert Antelme; die Geburt ihres Sohnes Jean. Lauter Fragmente, Entwürfe, zum Teil ganze Erzählungen.

Schon das erste, im Original rosa geäderte Heft bringt einen durcheinander und damit auf die Spur "der Duras": Das Mädchen, das hier "ich" sagt, lernt auf dem Weg nach Saigon einen perfekt französisch sprechenden Chinesen mit einem tollen Auto kennen. Er lässt nicht von ihr ab. Wenn sie zur Schule geht, wartet er unten in einem Anzug aus roher Tussorseide, an die Tür seines Wagens gelehnt, auf sie, nachdem er vorher schon fünfunddreißig Mal laut hupend am Haus vorbeigefahren ist. Der Liebhaber - denkt man reflexartig, hat sofort seine weichen Züge vor Augen, die erotische Angelegenheit im Kopf.

Aber dieser Chinese hier ist hässlich: "Léo war die Lächerlichkeit in Person, und ich litt sehr darunter. Er hatte ein lächerliches Aussehen, weil er dermaßen mager war und klein und herabfallende Schultern hatte. Dabei hielt er sich für gut aussehend. Im Auto konnte man sich mit ihm sehen lassen, weil man da nicht seine Körpergröße, sondern nur sein Gesicht sah, das zwar hässlich war, aber immerhin eine gewisse Vornehmheit besaß. Nie bin ich bereit gewesen, hundert Meter auf der Straße neben ihm zu gehen. Falls die Scham-Kapazität eines Menschen erschöpft werden könnte, hätte ich meine mit Léo erschöpft."

Léo ist hässlich, aber er hat Geld. Und wenn auf diese Weise beide ein Tauschgeschäft eingehen, ist die eifrigste Geschäftsfrau in diesem Deal die finanziell ruinierte Mutter der Erzählerin, die das Verhältnis ausdrücklich billigt, solange der Chinese nicht mit ihrer Tochter schläft, und die davon profitiert. Zu Hause wird die Tochter brutal geschlagen, von der Mutter und dem älteren Bruder, die im Wettstreit ihrer Erniedrigungsmethoden sich gegenseitig überbieten. Nur wenn die Tochter Geld mit nach Hause bringt, hat sie Macht. Um aus der Familie herauszukommen, braucht sie Léo.

Man findet die Geschichte mit dem Chinesen in Duras' Werk in immer neuen Versionen: in ihrem Roman "Heiße Küste" und in "Der Liebhaber" oder "Der Liebhaber aus Nordchina", die sie erst nach der Wiederentdeckung der Hefte schrieb. Diese erste Version ist die grausamste. Sie ist, der Duras-Biographie Laure Adlers zufolge, dem gelebten Leben am nächsten: Erinnerungsmaterial, "aus einem Ausgrabungsinstinkt heraus aufgeschrieben"; eine erste Schicht, über die Marguerite Duras neue legt, verzerrt, verdichtet, streicht. Die "Hefte" geben einen außergewöhnlichen Einblick in die durassche Schreibwerkstatt.

Doch ist Indochina nicht alles. In den Aufzeichnungen folgt dann, was einen aus der Fassung bringt: Texte über die Résistance, die Rückkehr Roberts aus dem Konzentrationslager, die Folterung von Denunzianten durch die Mitglieder des Widerstands. Marguerite Duras hat sie 1985 überarbeitet in ihrem Buch "Der Schmerz" veröffentlicht. Es ist ihr bestes. In den Heften trägt Robert Antelme noch seinen tatsächlichen Namen; der Mann, der während der Widerstandaktivitäten (daher auch die frühe Bekanntschaft Marguerite Duras' mit François Mitterrand) denunziert und nach Buchenwald, später Dachau deportiert wurde.

Warten und überleben

Die Lager werden befreit. Sie wartet auf Robert. Andere kommen zurück. Er nicht. Das Warten hört nicht auf: "Immer noch auf dem Sofa in der Nähe des Telefons. Es ist Sonntag. Heute wird Berlin eingenommen werden. Es ist wirklich das Ende. Die Zeitungen sagen, wie wir es erfahren werden. (. . .) Plötzlich die Gewissheit, die Gewissheit, die Gewissheit. Er ist tot. Tot. Tot. Tot. Es ist der siebenundzwanzigste April, es ist der siebenundzwanzigste April, es ist der siebenundzwanzigste April. (. . .) Ich kann nicht mehr. Ich sage mir: es wird etwas geschehen, das gibt es doch nicht. Ich müsste von diesem Warten erzählen, indem ich von mir in der 3. Person spreche. Es gibt mich nicht mehr in diesem Warten."

Die Freunde finden Robert. Sie erkennen ihn nicht. Er erkennt sie. Aus der Erinnerung beschreibt Marguerite Duras, wie sie ihn, zu Hause in Paris, am Leben halten, eine fremde Gestalt, an der alles unmenschlich geworden ist, selbst die Ausscheidungen. Es gehört zum Radikalsten, was sie geschrieben hat: "Er machte also seine Scheiße. Es war eine klebrige, dunkelgrüne, schäumende Scheiße. Siebzehn Tage lang sah diese Scheiße gleich aus. Diese Scheiße und seine Art, sie zu machen, waren unmenschlich. Sie trennte ihn mehr von uns als das Fieber, mehr als die Magerkeit, die nagellosen Finger, die Spuren von Schlägen. Obwohl wir ihm nur Brei gaben, blieb sie dunkelgrün. Vielleicht war es die Milz, die aus seinem Körper austrat, oder sein Herz. Denn was war es? Diejenigen, die das Gesicht verziehen, wenn sie dies hier lesen, diejenigen, denen das Übelkeit verursacht, auf die scheiße ich, ich wünsche ihnen, sie mögen eines Tages auf ihrem Weg einem Menschen begegnen, dessen Körper sich auf diese Weise über seinen Anus entleert, und ich wünsche ihnen, dieser Mensch möge das Schönste und Geliebteste und Begehrenswerteste sein, was sie haben. Ihr Liebhaber. Ich wünsche ihnen ein Unglück dieser Art."

Als sie den "Schmerz" veröffentlichte, behauptete Marguerite Duras, sie habe die wiedergefundenen Hefte "nicht anzutasten gewagt" und den Text deshalb unverändert übernommen. Aber man darf ihr nicht einfach glauben, "der Duras" am allerwenigsten. Natürlich hat sie alles minutiös überarbeitet. Mit der Edition der "Hefte aus Kriegszeiten" lässt sich das jetzt nachvollziehen. Vor allem hat sie dem "Schmerz" aus der späten Erinnerung einen Text hinzugefügt, "Monsieur X, hier Pierre Rabier genannt", der von der Begegnung mit einem Kollaborateur erzählt, mit dem sie sich immer wieder zum Essen trifft, allein weil er wissen könnte, wohin die Gestapo Robert nach seiner Verhaftung gebracht hat. Für Robert trifft sie sich mit ihm. Es ist ein schmaler Grat, auf dem sie sich bewegt. Die Aktivisten des Widerstands sind bei ihr, nicht zuletzt durch die durch sie begangenen Folterungen, unweigerlich immer auch Täter.

Wer war Marguerite Duras? Man wird es nicht wissen. Aber was ihre Texte sind, das weiß man. Es ist gut, eine Weile lang die Tür zuzumachen und sich zurückzuziehen mit den "Heften", dem "Schmerz" und dem "Liebhaber". Als eine andere kehrt man anschließend wieder zurück ins Leben.

JULIA ENCKE

Marguerite Duras: "Hefte aus Kriegszeiten". Aus dem Französischen von Anne Weber. Suhrkamp-Verlag. 450 Seiten, 24,80 Euro. Erscheint am 1. Oktober.

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Thomas Laux zeigt sich von dieser Publikation mit Marguerite Duras' frühen Schriften freudig überrascht. Nicht nur, dass die nach verschiedenen Farben unterschiedenen Hefte ein Licht auf die bisher weitgehend im Dunklen liegende Kindheit und Jugend der französischen Autorin im damaligen Indochina werfen, die Schriften enthalten auch frühe Entwürfe der berühmten Romane, die bereits ihre ganze Meisterschaft demonstrieren, so der Rezensent beeindruckt. Insofern sei die Bezeichnung 'Entwurf' ohnehin missverständlich, denn es zeige sich, dass Duras in diesen Texten bereits die Stilsicherheit und Vielschichtigkeit an den Tag lege, die dann in den späteren Romanen so faszinierten, preist Laux. Dass diese Qualitäten so klar auch aus der deutschen Fassung sprechen, rechnet der begeisterte Rezensent der Übersetzerin Anne Weber hoch an. So präsentiert sich in diesem Textkonvolut nicht etwa eine sich erst entwickelnde Schriftstellerin, sondern die "ganze Duras", betont der beeindruckte Rezensent.

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