Georges Batailles hier erstmals auf Deutsch vorliegende Essays zu Hegel sind nur der sichtbare Teil einer lebenslangen, oft unterschwelligen Beschäftigung mit dessen Philosophie. Es sind Bruchstücke eines ununterbrochenen Dialogs, denn Hegel war einer von Batailles ständigen philosophischen Wegbegleitern, ohne den sich sein Denken nur bedingt verstehen lässt. Noch ein Jahr vor seinem Tod schreibt er an Alexandre Kojève, dass er etwas der Introduction à la lecture de Hegel Vergleichbares schaffen möchte, "aber das müsste unendlich willkürlicher sein und hauptsächlich auf dem Bestreben beruhen, das zu interpretieren, was Hegel nicht gewusst oder unbeachtet gelassen hat (so die Vorgeschichte, die Gegenwart, die Zukunft etc.)."
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.02.2019Heiliger Schreck
Wie Georges Bataille sich Hegel zurechtlegte
Der Erfolg, der einem Philosophen bei der Nachwelt beschieden ist, hängt nicht unbedingt von einer genauen Kenntnis seiner Texte ab. Das beste Beispiel dafür liefert die französische Hegel-Rezeption in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Gerade weil die offiziellen Vertreter des Fachs, in deren Köpfen noch immer das Zerrbild des preußischen Staatsphilosophen spukte, Hegel ignorierten, übte seine Philosophie eine umso größere Anziehungskraft auf all jene aus, die zur akademischen Welt auf Distanz gingen. So wurde ausgerechnet Hegel zum Ahnherren von Dada und Surrealismus.
Seinen Aufstieg zum festen Bezugspunkt des französischen Denkens verdankt Hegel jedoch einem Russen, der deutsche Texte mit großer Wirkung so ins Französische übersetzte, dass sie kaum mehr wiederzuerkennen sind. Sechs Jahre lang, von 1933 bis 1939, kommentierte Alexandre Kojève die "Phänomenologie des Geistes" an der Pariser École des hautes études in Anwesenheit von Maurice Merleau-Ponty, Sartre, Jacques Lacan und anderen illustren Teilnehmern. Sein vielleicht treuester Schüler aber war der fünf Jahre ältere Bibliothekar und Schriftsteller Georges Bataille, der sich nicht nur für die Gnosis, gallische Münzen und chinesische Folterpraktiken interessierte, sondern auch für die Hegelsche Dialektik.
Bereits 1932 hatte Bataille in einem gemeinsam mit Raymond Queneau verfassten Artikel die vor allem von Friedrich Engels popularisierte Idee einer Dialektik der Natur kritisiert: Anstatt die Gesetze der Dialektik zu vermeintlichen Naturgesetzen zu erklären, müsse man ihre Grundlagen in den konkreten Konflikten des menschlichen Miteinanders, "auf dem Terrain des Klassenkampfs, in der Erfahrung und nicht in den apriorischen Wolken universeller Auffassungen" suchen. Kojèves anthropologische Lektüre der Dialektik von Herr und Knecht als Motor der Geschichte kam da genau zur rechten Zeit.
Die Naturphilosophie ebenso wie den Absoluten Geist ausklammernd, behielt Kojève allein Hegels Beschreibung des Kampfes um Anerkennung und den damit verbundenen Begriff der Negativität zurück. Indem einer der beiden Kontrahenten in restloser Todesbereitschaft, unabhängig von jeder natürlichen Notwendigkeit, den anderen zu unterwerfen strebt, zeugt er von einer Freiheit, die eins ist mit dem Negativen. Er ist der Herr. Aber die Dialektik nimmt ihren Lauf, und das knechtische Bewusstsein erweist sich als die Wahrheit des Herren, der nur durch die Vermittlung des Knechts in den Genuss der Dinge kommt, während der Knecht, der durch Arbeit und Verzicht geduldig das Negative ins Werk setzt, am Ende der wahre Herr ist.
Der Sinn und die Geschichte gründen in der Scheu des Knechts vor der völligen Verausgabung. Lässt sich die Position des Herren - desjenigen also, der das Risiko des Verlusts rückhaltlos eingeht - trotzdem einnehmen? Das ist die Frage, die Bataille immer wieder und insbesondere in zwei Mitte der fünfziger Jahre veröffentlichten Artikeln über Hegel zu beantworten suchte, die Rita Bischof, zusammen mit dem bereits genannten Text aus den dreißiger Jahren und einem von ihr verfassten, ebenso umfangwie aufschlussreichen Nachwort, herausgegeben hat.
Im ersten Artikel stellt Bataille grundlegende Überlegungen zum Status des Opfers an, durch das der Mensch "das Tier in sich selbst zerstört". Da der eigene Tod zwangsläufig unerfahrbar bleibt, bedürfe es eines Stellvertreters, der für uns stirbt. Das Schauspiel, das Fest und die Kunst verdankten sich der Erfahrung des sakralen Schreckens, die "sich wie ein Theatervorhang auf das Jenseits dieser Welt öffnet". Der zweite Artikel kreist um den Unterschied zwischen Herrschaft und Souveränität. Souverän ist, wer weder sich noch anderen befiehlt, wer den Verlust - Wunder der Aufhebung - in keine Sinnschöpfung verkehrt. Vor der Trennung in Knechte und Herren, so vermutet Bataille, hat jeder Mensch sein Leben zweiteilen müssen "in einen absolut souveränen und in einen im Dienst animalischer Zwecke tätigen Teil": in die sakrale Zeit des Festes und die profane der Arbeit.
Eine weitere Frage, die ihn beschäftigt, zielt auf Kojèves berühmte These vom Ende der Geschichte. Was geschieht mit der Negativität, wenn sich die universelle Anerkennung realisiert hat? Wird sie, nunmehr beschäftigungslos, als reiner Überschuss fortbestehen? Der Briefwechsel zwischen Kojève und Bataille, der darüber Aufschluss gibt, wäre eine Ergänzung zu dieser ansonsten gelungenen Ausgabe gewesen.
MAXIMILIAN GILLESSEN.
Georges Bataille: "Hegel, der Mensch und die Geschichte". Die Hegel-Essays. Herausgegeben, übersetzt und mit einem Nachwort von Rita Bischof.
Matthes und Seitz, Berlin 2018. 331 S. 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wie Georges Bataille sich Hegel zurechtlegte
Der Erfolg, der einem Philosophen bei der Nachwelt beschieden ist, hängt nicht unbedingt von einer genauen Kenntnis seiner Texte ab. Das beste Beispiel dafür liefert die französische Hegel-Rezeption in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Gerade weil die offiziellen Vertreter des Fachs, in deren Köpfen noch immer das Zerrbild des preußischen Staatsphilosophen spukte, Hegel ignorierten, übte seine Philosophie eine umso größere Anziehungskraft auf all jene aus, die zur akademischen Welt auf Distanz gingen. So wurde ausgerechnet Hegel zum Ahnherren von Dada und Surrealismus.
Seinen Aufstieg zum festen Bezugspunkt des französischen Denkens verdankt Hegel jedoch einem Russen, der deutsche Texte mit großer Wirkung so ins Französische übersetzte, dass sie kaum mehr wiederzuerkennen sind. Sechs Jahre lang, von 1933 bis 1939, kommentierte Alexandre Kojève die "Phänomenologie des Geistes" an der Pariser École des hautes études in Anwesenheit von Maurice Merleau-Ponty, Sartre, Jacques Lacan und anderen illustren Teilnehmern. Sein vielleicht treuester Schüler aber war der fünf Jahre ältere Bibliothekar und Schriftsteller Georges Bataille, der sich nicht nur für die Gnosis, gallische Münzen und chinesische Folterpraktiken interessierte, sondern auch für die Hegelsche Dialektik.
Bereits 1932 hatte Bataille in einem gemeinsam mit Raymond Queneau verfassten Artikel die vor allem von Friedrich Engels popularisierte Idee einer Dialektik der Natur kritisiert: Anstatt die Gesetze der Dialektik zu vermeintlichen Naturgesetzen zu erklären, müsse man ihre Grundlagen in den konkreten Konflikten des menschlichen Miteinanders, "auf dem Terrain des Klassenkampfs, in der Erfahrung und nicht in den apriorischen Wolken universeller Auffassungen" suchen. Kojèves anthropologische Lektüre der Dialektik von Herr und Knecht als Motor der Geschichte kam da genau zur rechten Zeit.
Die Naturphilosophie ebenso wie den Absoluten Geist ausklammernd, behielt Kojève allein Hegels Beschreibung des Kampfes um Anerkennung und den damit verbundenen Begriff der Negativität zurück. Indem einer der beiden Kontrahenten in restloser Todesbereitschaft, unabhängig von jeder natürlichen Notwendigkeit, den anderen zu unterwerfen strebt, zeugt er von einer Freiheit, die eins ist mit dem Negativen. Er ist der Herr. Aber die Dialektik nimmt ihren Lauf, und das knechtische Bewusstsein erweist sich als die Wahrheit des Herren, der nur durch die Vermittlung des Knechts in den Genuss der Dinge kommt, während der Knecht, der durch Arbeit und Verzicht geduldig das Negative ins Werk setzt, am Ende der wahre Herr ist.
Der Sinn und die Geschichte gründen in der Scheu des Knechts vor der völligen Verausgabung. Lässt sich die Position des Herren - desjenigen also, der das Risiko des Verlusts rückhaltlos eingeht - trotzdem einnehmen? Das ist die Frage, die Bataille immer wieder und insbesondere in zwei Mitte der fünfziger Jahre veröffentlichten Artikeln über Hegel zu beantworten suchte, die Rita Bischof, zusammen mit dem bereits genannten Text aus den dreißiger Jahren und einem von ihr verfassten, ebenso umfangwie aufschlussreichen Nachwort, herausgegeben hat.
Im ersten Artikel stellt Bataille grundlegende Überlegungen zum Status des Opfers an, durch das der Mensch "das Tier in sich selbst zerstört". Da der eigene Tod zwangsläufig unerfahrbar bleibt, bedürfe es eines Stellvertreters, der für uns stirbt. Das Schauspiel, das Fest und die Kunst verdankten sich der Erfahrung des sakralen Schreckens, die "sich wie ein Theatervorhang auf das Jenseits dieser Welt öffnet". Der zweite Artikel kreist um den Unterschied zwischen Herrschaft und Souveränität. Souverän ist, wer weder sich noch anderen befiehlt, wer den Verlust - Wunder der Aufhebung - in keine Sinnschöpfung verkehrt. Vor der Trennung in Knechte und Herren, so vermutet Bataille, hat jeder Mensch sein Leben zweiteilen müssen "in einen absolut souveränen und in einen im Dienst animalischer Zwecke tätigen Teil": in die sakrale Zeit des Festes und die profane der Arbeit.
Eine weitere Frage, die ihn beschäftigt, zielt auf Kojèves berühmte These vom Ende der Geschichte. Was geschieht mit der Negativität, wenn sich die universelle Anerkennung realisiert hat? Wird sie, nunmehr beschäftigungslos, als reiner Überschuss fortbestehen? Der Briefwechsel zwischen Kojève und Bataille, der darüber Aufschluss gibt, wäre eine Ergänzung zu dieser ansonsten gelungenen Ausgabe gewesen.
MAXIMILIAN GILLESSEN.
Georges Bataille: "Hegel, der Mensch und die Geschichte". Die Hegel-Essays. Herausgegeben, übersetzt und mit einem Nachwort von Rita Bischof.
Matthes und Seitz, Berlin 2018. 331 S. 18,- [Euro].
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