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Franz Rosenzweig entwickelte sein »Neues Denken«, dessen Entdeckung in der zeitgenössischen Philosophie gerade erst begonnen hat, in beständiger Auseinandersetzung mit den großen idealistischen Entwürfen Hegels und Schellings. 1920 veröffentlichte er mit Hegel und der Staat die erste umfassende kritische Analyse der politischen Philosophie Hegels. Das Buch folgt allen Wendungen von Hegels Denkweg und mündet in eine große Analyse der Rechtsphilosophie, die an kritischer Sachkenntnis nach wie vor ihresgleichen sucht. Souverän verbindet Rosenzweig die Auslegung der Texte mit der wechselhaften…mehr

Produktbeschreibung
Franz Rosenzweig entwickelte sein »Neues Denken«, dessen Entdeckung in der zeitgenössischen Philosophie gerade erst begonnen hat, in beständiger Auseinandersetzung mit den großen idealistischen Entwürfen Hegels und Schellings. 1920 veröffentlichte er mit Hegel und der Staat die erste umfassende kritische Analyse der politischen Philosophie Hegels. Das Buch folgt allen Wendungen von Hegels Denkweg und mündet in eine große Analyse der Rechtsphilosophie, die an kritischer Sachkenntnis nach wie vor ihresgleichen sucht. Souverän verbindet Rosenzweig die Auslegung der Texte mit der wechselhaften politischen Biographie Hegels. Seine Analyse des christologischen Kerns der Rede von der Wirklichkeit des Vernünftigen harrt ebenso der Wiederentdeckung wie seine politische Situierung Hegels zwischen Revolution und Reaktion.
Autorenporträt
Rosenzweig, FranzFranz Rosenzweig (1886-1929) war Philosoph und Historiker und lehrte zu Beginn der zwanziger Jahre im Freien Jüdischen Lehrhaus in Frankfurt/M.Im Suhrkamp Verlag ist von ihm erschienen: Der Stern der Erlösung (1988)
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.11.2010

Schicksal, das sich als Staat erweist

Lange war dieses Buch bei den Philosophen in Vergessenheit geraten. Weil es aber die Frage nach der Religion im Staat stellt, ist die Neuauflage aktuell.

Von Lorenz Jäger

Ein Wunderwerk. Eine Dissertation, abgeschlossen bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs, geschrieben bei Friedrich Meinecke. Erschienen 1920 in zwei Bänden. Aus dem Jahr der Publikation stammt das resignierte Geständnis ihres Verfassers: "Ich weiß nicht, wo man heute noch den Mut hernehmen soll, deutsche Geschichte zu schreiben." Die ursprüngliche Absicht aber schildert Franz Rosenzweig so, und es empfiehlt sich, hier jedes Wort auf die Goldwaage zu legen: "Der harte und beschränkte Staatsgedanke Hegels . . . sollte hier in seinem Werden durch das Leben seines Denkers hindurch gleichsam unter dem Auge des Lesers sich selbst zersetzen, um so den Ausblick zu eröffnen auf eine nach innen und außen geräumigere deutsche Zukunft. Es ist anders gekommen. Ein Trümmerfeld bezeichnet den Ort, wo vormals das Reich stand."

Man erkennt bei der Lektüre von Rosenzweigs Buch, dass das Leben von Hegels Philosophie, das wir ausschließlich an die Frage nach dem Verhältnis von Staat und bürgerlicher Gesellschaft oder an die Dialektik gebunden glaubten - vor allem wenn wir an ihr Nachleben im Marxismus denken - noch andere Dimensionen hatte, die in Georg Lukács' "Der junge Hegel" oder Adornos "Drei Studien zu Hegel" ausgeblendet worden waren. Sicher auch: Man kann Hegel erst einmal von einer Theorie der Identität her lesen. Dann erscheint als sein großes Postulat, dass das Subjekt nicht berufen ist, sich außerhalb der Objektivität als "schöne Seele" zu bewahren, sondern dass es gerade in seiner Subjektivität besser daran tut, den Schmerz der Objektivierung auf sich zu nehmen, ein "Schicksal" zu erfahren und zu ertragen. Dieses Objektive ist immer die Gegenwart - und um das bloß romantische Subjekt herauszufordern, schrieb Hegel in den "Grundlinien der Philosophie des Rechts" den ungeheuren Satz: "Was vernünftig ist, das ist wirklich; und was wirklich ist, das ist vernünftig." Rosenzweig zitiert ihn etwas ironisch als Motto des ersten Abschnitts seines Buches: "Was vernünftig ist . . . und was wirklich ist . . ." Da klingt er nicht wie ein Postulat, sondern wie ein Sinnen, das noch nicht nach Hause gefunden hat.

Was das Buch von Rosenzweig leistet, ist nun: das, was als Subjektivität und Objektivität noch abstrakt und allgemein verstanden war, in seinen Konkretisierungen auszufalten. Als der höchste Inbegriff des Objektiven erweist sich bei Hegel der Staat - und als der höchste Inbegriff des Subjekts, jedenfalls in den frühen Entwürfen: Jesus. Überflüssig zu sagen, dass der Stifter des Christentums hier in ganz fremde Fragestellungen gerückt wird. Nämlich eben in die der Subjektivitätsgeschicke. Einige Notizen Hegels, die Rosenzweig anführt, deuten es an: "Schicksal Jesu - Entsagung der Beziehungen des Lebens - a) bürgerlicher und ziviler, b) politischer, c) Zusammenleben mit anderen Menschen - Familie, Verwandte, Ernährung. Das Verhältnis Jesu zu der Welt ist teils Flucht, teils Reaktion, Bekämpfung derselben. Solang und soweit Jesus die Welt nicht verändert hatte, soweit musste er sie fliehen." Dann aber tritt ihm der "Staat" gegenüber, an dem er sein "Schicksal" erleidet. Dies ist in groben Zügen die Ausgangskonstellation von Hegels Gedankenbewegung. Und wie sie sich entwickelte, immer konkretere Bestimmungen gewann, bis der Staat in der Philosophie als der preußische erschien und anerkannt wurde und aus dem Individuum Jesus der Protestantismus als dominante Religion dieses Staates geworden war, wie sich schließlich damit, je später, je heftiger, bei Hegel eine dem Katholizismus feindliche Position ausformte - dies alles schildert Rosenzweigs Buch.

Damit aber bringt es in der langen Diskussion von Staat, bürgerlicher Gesellschaft und Revolution bei Hegel das Problem der Religion ins Spiel. Ein Zwischengeschoss wird in das majestätische Gebäude eingezogen, ohne das seine Statik nicht berechnet werden kann - und insofern ist die Neuauflage von Rosenzweigs Schrift von höchster Aktualität; sie wird der heutigen philosophischen Diskussion ganz neue Perspektiven geben können.

Rosenzweig hatte nun selbst ein gerütttelt Maß an romantischem Geist in sich. Was seine intellektuelle Agilität angeht, möchte man überhaupt nur den jungen Schlegel als Vergleich gelten lassen. Deshalb ist das Buch so ungemein spannungsvoll. Aber zugleich zog es Rosenzweig doch nicht zum Fragmentarischen, insofern war er auch ein Antiromantiker. Und vor allem: Sein Stil ist völlig frei von der Esoterik Benjamins oder der Manier von Adorno. Dieses Buch ist architektonisch groß entworfen und eher historisch-dramatisch als lyrisch. Kein "geheimes Deutschland" findet der Leser, sondern das exoterisch-politische zwischen Französischer Revolution, dem Ende des alten Reichs und der Ausstrahlung der englischen Reform-Bill. Hier zeigt sich die Schule Friedrich Meineckes, dessen Buch "Weltbürgertum und Nationalstaat", im Untertitel: "Studien zur Genesis des deutschen Nationalstaats", eine Geistesgeschichte des Sachverhalts vor Augen führt, die viele Sprecher hatte. Rosenzweig aber konzentriert sich auf den einen Hauptprotagonisten unter den Denkern.

Wenn man die Festrednerphrase von der deutsch-jüdischen Symbiose einmal gelten lassen will, dann hier. Aber bald zeigt sich auch, dass Rosenzweig, der 1920 von dem "Trümmerfeld" des Reiches gesprochen hatte, an diesem Ort nicht verharren wollte. Das Hegel-Buch war in gewisser Weise auch ein Abschied.

Denn 1920, im gleichen Jahr, begann der "Stern der Erlösung" am philosophischen Himmel zu leuchten. Das war nun, wieder nur in den Umrissen skizziert, ein philosophisches System nicht der jüdischen Theologie, sondern des jüdischen Lebens überhaupt. Nur in Deutschland war ein solcher Entwurf möglich gewesen, der an die idealistischen Systeme vor allem Schellings und Hegels anknüpfte - und nicht nur anknüpfte, sondern sie auf höchst merkwürdige Weise steigerte und überbot. Noch ein Schlusspunkt, noch ein Abschied: Mit diesem Buch ging auch die deutsch-jüdische Symbiose zu Ende, für die es ein so glanzvolles Zeugnis gab.

Franz Rosenzweig: "Hegel und der Staat". Hrsg. Frank Lachmann. Mit einem Nachwort von Axel Honneth. Suhrkamp Verlag, Berlin 2010. 582 S., br., 18,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Was ist eigentlich ein wirklich jüdischer Denker? Nach der Lektüre der von Frank Lachmann herausgegebenen Dissertationsschrift von Franz Rosenzweig, erstmals 1920 veröffentlicht, weiß es Rezensent Thomas Meyer wieder und auch, was er noch immer schmerzlich vermisst: Eine Rosenzweig-Werkausgabe nämlich. Rosenzweigs Hegel-Buch liegt, sorgfältig editiert, wie er findet, nun immerhin vor ihm und glänzt durch des Autors Rechercheleistung wie durch die Anleitung zum Verständnis von Hegels Ambivalenzen. Rosenzweigs Umwertung Hegels zu einem politisch-theologischen Denker hält der Rezensent noch immer für wegweisend.

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