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Im Erfahrungshorizont der Französischen Revolution und ihrer kontinentalen Auswirkungen vollzieht sich die eindrucksvolle weltanschauliche Metamorphose des jungen Hegel. In wechselvollster Weise bleibt dabei stets Kant gleichermaßen Ausgangs- wie Kontrapunkt seines Philosophierens. Schließlich findet Hegels Idee des Weltbürgertums in seiner Philosophie der Geschichte seine systematische Ausführung. Im historisch-universalistischen Konzept verknüpfen sich die deutsch-, europäisch- und weltbürgerliche Absicht seines Denkens von Freiheit.

Produktbeschreibung
Im Erfahrungshorizont der Französischen Revolution und ihrer kontinentalen Auswirkungen vollzieht sich die eindrucksvolle weltanschauliche Metamorphose des jungen Hegel. In wechselvollster Weise bleibt dabei stets Kant gleichermaßen Ausgangs- wie Kontrapunkt seines Philosophierens. Schließlich findet Hegels Idee des Weltbürgertums in seiner Philosophie der Geschichte seine systematische Ausführung. Im historisch-universalistischen Konzept verknüpfen sich die deutsch-, europäisch- und weltbürgerliche Absicht seines Denkens von Freiheit.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.12.2019

Wirklichkeit aus Gedanken

Wenn der Idealismus plötzlich ganz materialistisch aussieht: Klaus Viewegs große Hegel-Biographie.

Am 27. August 2020 jährt sich Hegels 250. Geburtstag, und das ist ein guter Zeitpunkt für den erneuten Versuch einer Gesamtdarstellung seines Lebens und Werks, die den Anspruch erhebt, Hegel so zu präsentieren, dass klar wird, warum wir ihn heute lesen sollen. Die große Biographie, die der Jenenser Philosoph Klaus Vieweg vorlegt, erhebt diesen Anspruch nachdrücklich. Und sie macht schon in ihrem Titel klar, worin sie die Gegenwärtigkeit Hegels sieht: Hegel ist "der Philosoph der Freiheit". Hegels Philosophie ist dies für Vieweg so sehr und durch und durch, dass er für sein Buch die Hoffnung hegt, es könne nicht weniger als ein "mittels der Biographie artikuliertes Plädoyer für freies Denken" sein.

Es ist klar, dass in dieser Perspektive Hegels intensives politisches Interesse eine zentrale Rolle spielen muss. Dieses Interesse zeigt sich bereits in der Rousseau- und Schillerlektüre des Stuttgarter Gymnasiasten und gewinnt während der Zeit im Tübinger Stift ab 1788 in den Ereignissen der Französischen Revolution einen Attraktions- und Konzentrationspunkt, dem Hegel zeitlebens eine unvergleichliche weltgeschichtliche Bedeutung zusprechen wird. Denn noch nie zuvor, so Hegel in einer späten Berliner Vorlesung, war "gesehen worden, dass der Mensch sich auf den Kopf d. i. auf den Gedanken stellt und die Wirklichkeit nach dem Gedanken erbaut."

Daran interessierte Hegel aber, wie Vieweg material- und kenntnisreich zeigt, zeitlebens nicht nur die Volte des revolutionären Kopfstands, sondern ebenso, wie man aus dem Gedanken eine Wirklichkeit erbaut: Seitdem er als Berner Hofmeister 1795 eine girondistische Kampfschrift übersetzte, die die Herrschaft der "Oligarchie" der Stadt Bern über das Waadtland einer "staatsrechtlichen" Analyse unterzog, stehen verfassungstheoretische Überlegungen im Zentrum von Hegels politischem Denken. Viewegs überraschende Kennzeichnung von Napoleon als der "große Pariser Staatsrechtslehrer" bringt dieses Interesse präzise auf den Punkt; in Hegels Heidelberger Intervention in den Württemberger Verfassungsstreit, seiner Polemik gegen eine politische Romantik, die auf den spontanen Selbstausdruck des Volkes ohne konstitutionelle Ordnung vertraut, und in seiner letzten Schrift zur englischen Verfassungsreform findet es prägnanten Ausdruck.

Damit nimmt Hegel unmittelbar an den politischen Kämpfen seiner Zeit teil. Das gilt nicht nur für die fast zehn Jahre, in denen er, vor seiner späten Berufung 1816 auf seine erste Professur in Heidelberg, als Redakteur der "Bamberger Zeitung" und Nürnberger Rektor eines humanistischen Reformgymnasiums arbeitet. Sondern, wie Vieweg lebhaft und engagiert schildert, auch für Hegels Berliner Jahre, in denen er für seine politisch aktiven Studenten bei der und gegen die Obrigkeit interveniert. Aber so eindrucksvoll Vieweg dieses Bild des politisch denkenden und handelnden Hegel auch zeichnet - all dies macht jenen noch nicht zu "dem Philosophen" der Freiheit. Er ist es auch noch nicht einmal deshalb, weil er sein verfassungsrechtliches Denken in dem einen Prinzip der Freiheit begründet - was ihn nach Vieweg zu einem Liberalen macht. Der Philosoph der Freiheit ist Hegel vielmehr gerade deshalb, weil die Freiheit für ihn kein bloßes Prinzip, keine Voraussetzung ist, von der er ausgeht - gar ein Vermögen, das jeder Mensch "von Natur aus" hat (wie die Liberalen meinen). Sondern weil er die Freiheit so denkt, dass sie sich selbst hervorbringt: Der Geist ist nur frei, indem er seine Freiheit hervorbringt, und das tut er, indem er alles Bestehende, alle "Positivität", durch die Kraft der Negativität auflöst und aus dieser Kraft neu gestaltet.

Die Freiheit so zu denken heißt aber, weit darüber hinauszugehen, was mit einer liberalen Beteuerung ihres "Werts" gemeint ist. Hegels Philosophie geht es um viel mehr; die Freiheit, radikal und daher fundamental zu denken, heißt für Hegel nicht weniger als die systematische Ausarbeitung einer Philosophie, die Vieweg als "monistischen Idealismus" bezeichnet. Mit diesem (nicht ganz glücklichen) Ausdruck meint Vieweg eine Philosophie, die antidualistisch ist und zugleich Differenz und Entzweiung zu denken, ja zu bejahen vermag.

Die Grundbestimmung dieses Idealismus ist das Denken. Alles ist Denken; Denken ist nicht eine spezielle Aktivität, sondern wenn wir fühlen, anschauen, handeln, denken wir. Und alles ist im Denken; alles wird, indem wir es denken, zu einem Gedachten. Nur als allumfassendes, als unendliche Macht ist das Denken nach Hegel frei. Als begrenztes wäre es unfrei. Zugleich aber ist es nach Hegel nur frei und wahrhaft allumfassend, wenn es nicht in und bei sich selbst bleibt (und daher ist sein "absoluter Idealismus" nicht monistisch). Das freie Denken entzweit sich vielmehr von sich selbst und gibt das Äußere als Äußeres frei, ja es bringt das Denken das Äußere genau dadurch hervor, dass es sich gegen sich selbst wendet. Hegel radikalisiert den Idealismus des Denkens bis zu dem Punkt, an dem er in Materialismus umschlägt.

Vieweg schildert eindrücklich, wie Hegel erst langsam und über viele Umwege - Hegel war ein Spätzünder - zu dieser Einsicht gelangt und dann in rascher Folge in vier großen Werken entfaltet, die zwischen 1807 und 1821, innerhalb von nur vierzehn Jahren, erscheinen: die "Phänomenologie des Geistes", die "Wissenschaft der Logik", die "Enzyklopädie der Wissenschaften" und die "Grundlinien der Philosophie des Rechts". Sie zielen darauf, den Idealismus als die einzige konsequente, radikale Philosophie der Freiheit zu exponieren. Sein Grundgedanke lautet, dass es die Freiheit nur "im Anderen" gibt: Die Freiheit besteht darin, das Andere, also jede Schranke der Freiheit - die Welt mir gegenüber, die Wirklichkeit von Interaktionen und Institutionen, die äußere und innere Natur, das Schicksal und den Zufall, zuletzt: der Tod, vor allem auch: den Tod Gottes -, nicht aufzulösen, sondern als Moment in der Freiheit zu bejahen.

Wenn man Hegel als den Philosophen der Freiheit begreifen will, dann führt also die Gedankenbewegung von seinem politischen Enthusiasmus, Engagement und Denken zu seiner systematischen Philosophie, dem Idealismus der Freiheit. Die Stärke von Viewegs Darstellung liegt darin, dass er diese Herausforderung klar hervortreten lässt. Aber damit stellt sich zugleich eine Frage, die die Form seiner Darstellung betrifft: die Gattung der Biographie. Wie kann in einer Biographie, der Erzählung eines Lebens, die Philosophie vorkommen? Wie hängen Philosophie und Leben zusammen? Man meint, dies gut zu verstehen, solange Vieweg vom politischen Hegel handelt, politisches Erleben, Engagement und Denken scheinen ineinander überzugehen und eine Einheit zu bilden. Aber dieses Band wird brüchig, wenn es zur Philosophie, dem Denken der Freiheit des Denkens, kommt.

Man merkt das an Sätzen, in denen Vieweg beides unmittelbar nebeneinander stellt: Etwa im Titel des Kapitels über Hegels Nürnberger Jahre: "Nürnberg - Das erste humanistische Gymnasium, die große Logik und die kleine Familie". Was heißt hier "und"? Bezeichnet es ein Nebeneinander, so wie Tagwerk (Gymnasialunterricht) und Abend- oder Freizeitbeschäftigung (Logikschreiben) oder wie privat (Familie) und offiziell (Logik) nebeneinander stehen? Oder aber sind dies alles nur Teile des einen und selben Unternehmens?

Beides ist für eine Philosophie der Freiheit nicht überzeugend: Zwischen Leben und Philosophie kann weder bloße Verschiedenheit noch bloße Identität herrschen; die Philosophie kann weder bloß ein Ausdruck des Lebens (und Erlebten) noch dem Leben gegenüber gleichgültig anders (oder "höher") sein. Denn zwar ist es etwas anderes, ob man lebt, also denkt, oder ob man philosophisch denkt, wie man denkt. Aber zugleich gelangt man zur Philosophie nur durch einen Prozess der "Erfahrung" - Hegels zentrales Wort in der "Phänomenologie des Geistes" -, die sich im Leben abspielt.

Von hier aus lässt sich vielleicht die Formulierung verstehen, die Vieweg aus Hegels Jenenser Vorlesungen zitiert und die so gar nicht nach Hegel klingt: dass es das Anliegen der Philosophie sei, "von ihr und durch sie leben zu lernen". Das darf man nicht so verstehen, dass Hegel die Philosophie zum Hort der Weisheit und zur Instanz der Orientierung erklärte. Das Denken des Denkens gibt keine Anleitung dazu, wie man denken soll. Aber es lässt auch nicht alles, wie es ist. Denn wenn das philosophische Denken des Denkens das Denken der Freiheit und sonst nichts ist, dann ist der "Weg der Seele" zur Philosophie - wie Hegel später gesagt hat - ein Prozess der "Befreiung".

CHRISTOPH MENKE

Klaus Vieweg: "Hegel".

Der Philosoph der Freiheit. Biographie.

C. H. Beck Verlag, München 2019.

824 S., Abb., geb., 34,- [Euro].

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