Eine einzigartige und ungewöhnliche Einführung in Heideggers Denken und darüber hinaus
Martin Heidegger ist einer der wichtigsten Philosophen des 20. Jahrhunderts, aber auch einer der umstrittensten. Nachdem die Publikation der »Schwarzen Hefte« seinen Antisemitismus offengelegt hat, schien Heidegger philosophisch erledigt zu sein. Doch so einfach kommen wir von seinem Denken nicht los.
Peter Trawny, ausgewiesener Heidegger-Experte, nähert sich in seinem Buch Heideggers Leben und Denken auf ungewöhnliche Weise. In kurzen Fragmenten tritt er in einen Dialog mit diesem Denker, ringt mit ihm, befragt ihn, beleuchtet sein widersprüchliches Leben, weicht keinem Konflikt aus und sondiert, was Heidegger ihm, was Heidegger uns heute noch sagen kann. Ein Buch, das gleichzeitig Literatur und Philosophie ist, das einen in Heideggers Denken, ins Denken überhaupt hineinzieht und an das Wesentliche, den existentiellen Kern der Philosophie rührt.
Martin Heidegger ist einer der wichtigsten Philosophen des 20. Jahrhunderts, aber auch einer der umstrittensten. Nachdem die Publikation der »Schwarzen Hefte« seinen Antisemitismus offengelegt hat, schien Heidegger philosophisch erledigt zu sein. Doch so einfach kommen wir von seinem Denken nicht los.
Peter Trawny, ausgewiesener Heidegger-Experte, nähert sich in seinem Buch Heideggers Leben und Denken auf ungewöhnliche Weise. In kurzen Fragmenten tritt er in einen Dialog mit diesem Denker, ringt mit ihm, befragt ihn, beleuchtet sein widersprüchliches Leben, weicht keinem Konflikt aus und sondiert, was Heidegger ihm, was Heidegger uns heute noch sagen kann. Ein Buch, das gleichzeitig Literatur und Philosophie ist, das einen in Heideggers Denken, ins Denken überhaupt hineinzieht und an das Wesentliche, den existentiellen Kern der Philosophie rührt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.01.2019Betrogen nach Strich und Faden, und dennoch treu
Voll enttäuschter Liebe: Peter Trawny ringt mit seiner Verehrung für Martin Heidegger
Peter Trawny ähnelt einem Jungen, der in der Wohnung des von ihm verehrten Großvaters herumstöbert und auf ziemlich abscheuliche Details aus dessen Vergangenheit stößt. Viele Bände der Heidegger-Gesamtausgabe hat er hingebungsvoll herausgegeben, zuletzt die sogenannten "Schwarzen Hefte", und in ihnen fand er jene antisemitischen Angriffe, die die philosophische Reputation des Meisters schwer beschädigt haben. So hat sich in Trawnys Liebe die Enttäuschung eingeschlichen, und seitdem steckt er in einem Zwiespalt. Er meint, "jeder Heidegger-Leser" sei "eine potentielle Elfride", habe also etwas mit dessen Ehefrau gemein, die von ihm nach Strich und Faden betrogen wurde und ihm die Treue hielt. Viele Leser werden sich gegen diesen Vergleich verwahren, aber zu Trawny passt er allemal. Die Enttäuschung kann er nicht verhehlen, der Liebe hat er nicht entsagt.
So ist Trawnys neues Heidegger-Buch kein Schlusswort, sondern eine Zwischenbilanz. Mit der gewählten Form - einer Folge kurzer, fragmentarischer Abschnitte - hält er die Leser in Schwung und bei der Stange, zugleich schützt sie ihn davor, sich festlegen zu müssen. Das zwiespältige Verhältnis zu seinem Gegenstand lebt Trawny aus, indem er häufig den Ton wechselt. Mal klingt er salopp ("Auschwitz und Haribo?"), mal pfiffig ("Die Erkenntnis der Wirkungslosigkeit der Philosophie hat zwar keine kurzen Beine, aber verbrannte Finger"), mal inspirierend ("Delphi ist der Nabel der Welt, nicht Athen"), mal kitschig ("Das Glänzen der Blume verbindet sich mit ihren Dornen"), mal pathetisch ("Erst von der Wahrheit aus wird das Geschlecht zu dem, was es als Ding nie zu sein vermag").
Zusammengehalten werden Trawnys Fragmente durch eine leitende These, die bereits im Untertitel "Eine philosophische Biographie" verborgen ist. Darin steckt nicht die Ankündigung, dass Alltagsanekdoten zur Illustration des Denkens herangezogen werden, und auch nicht, dass Heideggers Philosophie aus seinem Leben erklärt und abgeleitet wird. Trawny geht vielmehr davon aus, dass für Heidegger jede Denkübung zugleich ein Lebensversuch ist - und umgekehrt. Das dazu passende Modewort lautet: "Performanz". Denk- und Lebensvollzug werden eins. So bringt Trawny zum Beispiel Heideggers erotische Eskapaden mit dessen Wahrheitsbegriff (Unverbogenheit! Verborgenheit!) zusammen und verbindet damit noch Assoziationen zu Courbets Gemälde "Der Ursprung der Welt", welches das weibliche Geschlechtsorgan zeigt, wie es ist. Das klingt kurios, ist aber klug.
Und doch ist das Bild schief, das Trawny von Heidegger zeichnet. Er feiert ihn dafür, die Philosophie als "endliche Denkform, die an einen Ort und an eine Zeit gebunden bleibt", praktiziert zu haben, er lobt ihn für Lebensnähe und "anarchische Kreativität". Dabei entgeht Trawny der Anspruch, der an jedem Heidegger-Spruch wie ein Schwitzfleck heraustritt: dass nämlich der Lauf der Welt allein von seinem Denken abhänge. Der große Kritiker des Willens zur Macht und des Subjekts ergeht sich in der Phantasie, dass das Weltschicksal mit ihm stehe und falle.
Trawny, der enttäuschte Liebende, benennt die "schrecklichen" Irrwege des Denkers, der ihn jahrelang "in seinem Bann" gehalten habe. An den Schluss seines Buches stellt er aber einen lieben "Dank" - die "Dankbarkeit" dafür, dass es "diesen Philosophen gab". Natürlich ist das eine Provokation: Warum soll man dankbar dafür sein, dass es einen Philosophen gab, der die NS-Gleichschaltung betrieben und gegen die Juden gehetzt hat? Trawny tut diesen Einwand als "moralische" Vorhaltung ab, die am radikalen Denker abperlt. "Sein Denken ist ein Skandal", sagt Trawny über Heidegger - und meint dies als Kompliment dafür, "anstößig" zu sein und "Anstöße" zu geben.
Einen radikalen Denker meint Trawny in Heidegger zu erkennen - und solch ein Denker möchte er selbst sein. So bekommt das Buch autobiographische Züge. Mutig, wütend und eitel wettert Trawny gegen die Philosophie als Wissenschaft und Beruf, gegen die Manager von "Exzellenzinitiativen", die in "schicksten Altbauwohnungen" leben, den Konformismus pflegen und ihm selbst die "Karriere" verbaut haben. Mit ironischem Trotz schreibt er: "Ich will, dass im Leben noch anderes wichtig ist als eine gute Altersversorgung."
Trawny übt nicht nur Kritik am Wissenschaftsbetrieb, sondern auch Kritik am "Betrieb" überhaupt, also im Sinne von Heideggers Technikkritik am Zustand einer Welt, die zu einem großen "Arbeitslager" geworden sei. Für Trawny gibt es nur einen wahren Widerstand dagegen: die Liebe zum "Unnötigen" und den Müßiggang. Deshalb geht er auch auf Abstand zu den neurechten Intellektuellen, die sich auf Heidegger berufen. Seine Begründung dafür ist leider nicht vom Feinsten. Trawny wirft jenen Intellektuellen vor, politisch aktiv zu werden und "demokratisch tun oder sein zu wollen". Damit würden sie zu einem Teil des "techno-ökonomischen Apparats" und blieben von Heidegger durch eine "unübersteigbare Wand" getrennt. Trawny hat diese Wand mit lässigem Schwung übersprungen und die demokratischen Niederungen hinter sich gelassen. Die Krisen der Welt will er nicht mit "politischer Praxis" bekämpfen, sondern mit dem "eigentlichen Handeln": dem "Denken". Dabei kann man ihm viel Glück wünschen.
DIETER THOMÄ
Peter Trawny:
"Heidegger-Fragmente". Eine philosophische
Biographie.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2018. 316 S., geb., 25,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Voll enttäuschter Liebe: Peter Trawny ringt mit seiner Verehrung für Martin Heidegger
Peter Trawny ähnelt einem Jungen, der in der Wohnung des von ihm verehrten Großvaters herumstöbert und auf ziemlich abscheuliche Details aus dessen Vergangenheit stößt. Viele Bände der Heidegger-Gesamtausgabe hat er hingebungsvoll herausgegeben, zuletzt die sogenannten "Schwarzen Hefte", und in ihnen fand er jene antisemitischen Angriffe, die die philosophische Reputation des Meisters schwer beschädigt haben. So hat sich in Trawnys Liebe die Enttäuschung eingeschlichen, und seitdem steckt er in einem Zwiespalt. Er meint, "jeder Heidegger-Leser" sei "eine potentielle Elfride", habe also etwas mit dessen Ehefrau gemein, die von ihm nach Strich und Faden betrogen wurde und ihm die Treue hielt. Viele Leser werden sich gegen diesen Vergleich verwahren, aber zu Trawny passt er allemal. Die Enttäuschung kann er nicht verhehlen, der Liebe hat er nicht entsagt.
So ist Trawnys neues Heidegger-Buch kein Schlusswort, sondern eine Zwischenbilanz. Mit der gewählten Form - einer Folge kurzer, fragmentarischer Abschnitte - hält er die Leser in Schwung und bei der Stange, zugleich schützt sie ihn davor, sich festlegen zu müssen. Das zwiespältige Verhältnis zu seinem Gegenstand lebt Trawny aus, indem er häufig den Ton wechselt. Mal klingt er salopp ("Auschwitz und Haribo?"), mal pfiffig ("Die Erkenntnis der Wirkungslosigkeit der Philosophie hat zwar keine kurzen Beine, aber verbrannte Finger"), mal inspirierend ("Delphi ist der Nabel der Welt, nicht Athen"), mal kitschig ("Das Glänzen der Blume verbindet sich mit ihren Dornen"), mal pathetisch ("Erst von der Wahrheit aus wird das Geschlecht zu dem, was es als Ding nie zu sein vermag").
Zusammengehalten werden Trawnys Fragmente durch eine leitende These, die bereits im Untertitel "Eine philosophische Biographie" verborgen ist. Darin steckt nicht die Ankündigung, dass Alltagsanekdoten zur Illustration des Denkens herangezogen werden, und auch nicht, dass Heideggers Philosophie aus seinem Leben erklärt und abgeleitet wird. Trawny geht vielmehr davon aus, dass für Heidegger jede Denkübung zugleich ein Lebensversuch ist - und umgekehrt. Das dazu passende Modewort lautet: "Performanz". Denk- und Lebensvollzug werden eins. So bringt Trawny zum Beispiel Heideggers erotische Eskapaden mit dessen Wahrheitsbegriff (Unverbogenheit! Verborgenheit!) zusammen und verbindet damit noch Assoziationen zu Courbets Gemälde "Der Ursprung der Welt", welches das weibliche Geschlechtsorgan zeigt, wie es ist. Das klingt kurios, ist aber klug.
Und doch ist das Bild schief, das Trawny von Heidegger zeichnet. Er feiert ihn dafür, die Philosophie als "endliche Denkform, die an einen Ort und an eine Zeit gebunden bleibt", praktiziert zu haben, er lobt ihn für Lebensnähe und "anarchische Kreativität". Dabei entgeht Trawny der Anspruch, der an jedem Heidegger-Spruch wie ein Schwitzfleck heraustritt: dass nämlich der Lauf der Welt allein von seinem Denken abhänge. Der große Kritiker des Willens zur Macht und des Subjekts ergeht sich in der Phantasie, dass das Weltschicksal mit ihm stehe und falle.
Trawny, der enttäuschte Liebende, benennt die "schrecklichen" Irrwege des Denkers, der ihn jahrelang "in seinem Bann" gehalten habe. An den Schluss seines Buches stellt er aber einen lieben "Dank" - die "Dankbarkeit" dafür, dass es "diesen Philosophen gab". Natürlich ist das eine Provokation: Warum soll man dankbar dafür sein, dass es einen Philosophen gab, der die NS-Gleichschaltung betrieben und gegen die Juden gehetzt hat? Trawny tut diesen Einwand als "moralische" Vorhaltung ab, die am radikalen Denker abperlt. "Sein Denken ist ein Skandal", sagt Trawny über Heidegger - und meint dies als Kompliment dafür, "anstößig" zu sein und "Anstöße" zu geben.
Einen radikalen Denker meint Trawny in Heidegger zu erkennen - und solch ein Denker möchte er selbst sein. So bekommt das Buch autobiographische Züge. Mutig, wütend und eitel wettert Trawny gegen die Philosophie als Wissenschaft und Beruf, gegen die Manager von "Exzellenzinitiativen", die in "schicksten Altbauwohnungen" leben, den Konformismus pflegen und ihm selbst die "Karriere" verbaut haben. Mit ironischem Trotz schreibt er: "Ich will, dass im Leben noch anderes wichtig ist als eine gute Altersversorgung."
Trawny übt nicht nur Kritik am Wissenschaftsbetrieb, sondern auch Kritik am "Betrieb" überhaupt, also im Sinne von Heideggers Technikkritik am Zustand einer Welt, die zu einem großen "Arbeitslager" geworden sei. Für Trawny gibt es nur einen wahren Widerstand dagegen: die Liebe zum "Unnötigen" und den Müßiggang. Deshalb geht er auch auf Abstand zu den neurechten Intellektuellen, die sich auf Heidegger berufen. Seine Begründung dafür ist leider nicht vom Feinsten. Trawny wirft jenen Intellektuellen vor, politisch aktiv zu werden und "demokratisch tun oder sein zu wollen". Damit würden sie zu einem Teil des "techno-ökonomischen Apparats" und blieben von Heidegger durch eine "unübersteigbare Wand" getrennt. Trawny hat diese Wand mit lässigem Schwung übersprungen und die demokratischen Niederungen hinter sich gelassen. Die Krisen der Welt will er nicht mit "politischer Praxis" bekämpfen, sondern mit dem "eigentlichen Handeln": dem "Denken". Dabei kann man ihm viel Glück wünschen.
DIETER THOMÄ
Peter Trawny:
"Heidegger-Fragmente". Eine philosophische
Biographie.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2018. 316 S., geb., 25,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
das kenntnisreichste, inspirierteste, empathischste und vor allem humorvollste Buch, was über den Zauberer aus dem Schwarzwald je zu schreiben gewagt wurde. Thomas Palzer Deutschlandfunk 20181001