Die 'lingua tertii imperii', die Sprache des Dritten Reichs, hat - dank eines großen Einverständnisses mit, einer rückhaltlosen gedanklichen Zustimmung zu einem fürchterlichen, aus pompöser Monumentalität und Gefühlsduselei verfertigten Jargon, den man als sprachliche 'Thingstätte' bezeichnen könnte - alles und jedes durchdrungen. Den Zwängen des Nationalsozialismus entkam niemand, und was da¬mals in Deutschland erlebt und geschrieben wurde, trägt ihren sichtbaren Stempel und ist seither einem bestimmten Denken ein für alle Mal eingeschrieben. Dieser Jargon hatte die Sprache so sehr infiltriert und entstellt, dass jene 'Schädlinge', die die Naziwörter nicht benutzten, im Handumdrehen zu erkennen waren. Da Heideggers Denken mit eben dieser Sprache amalgamiert ist, kann es, selbst seinem politischen Gehalt nach, nicht ins Französische übertragen werden. Was Heidegger sagt, lässt sich partout nicht trennen von der Sprache, die es zum Ausdruck bringt, und zwar umso weniger, als sein ganzes Bemühen darauf gerichtet ist, Sprache letztlich von ihrer Wurzel her, in ihrer Vertikalität zu fassen.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Magnus Klaue findet, dass Georges-Arthur Goldschmidt in seiner "Abrechnung" mit Heidegger mitunter klingt wie der Schwarzwald-Philosoph himself. Macht nichts, findet Klaue, der die "grammatische Präzision" des Autors lobt, wenn Goldschmidt Heideggers Begriffe und "Krypto-Etymologien" zerlegt. Aufregend findet Klaue das Buch nicht zuletzt wegen seiner Perspektive: Als Übersetzer nähert sich der Autor Heidegger und seiner Sprache und übt nachvollziehbare Kritik, erklärt Klaue.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.04.2023Auf ungewöhnlichen Wegen des Deutschen
Sich an einen philosophischen Duktus schmiegen, um dessen Widersprüche zur Darstellung zu bringen: Georges-Arthur Goldschmidt prüft Heideggers Sprache
Dass Polemiken gegen Martin Heidegger sich an seiner Diktion entzünden, ist in der Heidegger-Kritik traditionsbildend geworden. Schon bevor Theodor W. Adorno 1964 mit seinem "Jargon der Eigentlichkeit" den für diese Tradition kanonisch gewordenen Text vorlegte, hatten andere Autoren, die Heidegger näher waren, ihren Einspruch gegen ihn in Auseinandersetzung mit seiner Sprache entfaltet. Günther Anders formulierte auf diese Weise seine Distanznahme von Heidegger in mehreren Essays der Vierzigerjahre, die Gerhard Oberschlick 2001 in dem Band "Über Heidegger" herausgegeben hat. Karl Löwith veranschaulichte in seinem 1953 erschienenen Buch "Heidegger - Denker in dürftiger Zeit" die im Titel behauptete Dürftigkeit anhand der Krypto-Etymologie von Heideggers Wortbildungen. Auch Víctor Farías in der 1987 veröffentlichten Studie "Heidegger und der Nationalsozialismus" und Emmanuel Faye in seinem 2005 erschienenen Essay über die "Einführung des Nationalsozialismus in die Philosophie" haben ihre Argumentation am Leitfaden von Heideggers Sprachgebrauch entwickelt.
Es mag daher wenig originell erscheinen, wenn der als Übersetzer, Freud-Interpret und autobiographischer Schriftsteller hervorgetretene Georges-Arthur Goldschmidt seine 2006 auf Französisch erschienene Abrechnung mit Heidegger, die nun in deutscher Übertragung vorliegt, "Heidegger und die deutsche Sprache" nennt. Doch der Titel deutet an, worin Goldschmidts Zugang zu Heidegger sich von dem seiner Vorgänger unterscheidet. Während Adornos Essay davon lebt, dass er in genauer Kenntnis der begriffs- und metapherngeschichtlichen Verästelungen philosophischer Terminologie die Sprache der Existenzphilosophie zu demontieren sucht, nähert sich Goldschmidt Heidegger mit dem Blick des Übersetzers, der die ihm fremde Sprache nuancenreicher wahrnimmt als ein Muttersprachler und doch eine untilgbare Distanz zu ihr hält. Ihren Anfang nehmen Goldschmidts Betrachtungen bei dem Eindruck der Unangemessenheit französischer Heidegger-Übertragungen: "Da, wo Heideggers Sprache immer der deutschen Sprache genuin bleibt, wirkt die französische Übersetzung sonderbar gestelzt und verschlossen."
Dass philosophischen Texten die Sprache, in der sie verfasst sind, nicht äußerlich bleibt, ist eine Trivialität, der auch Adorno zugestimmt hätte. Die Pointe von Goldschmidts Essay besteht indessen darin, dass er in Heideggers "Jargon" kein obskures Geraune sieht, sondern die Problematik darin erblickt, dass diese Sprache die ihr innewohnenden Widersprüche nicht zur Entfaltung bringe. In diesem privativen und gerade dadurch für ihren Gehalt substanziellen Sinn nennt Goldschmidt Heideggers Sprache "genuin deutsch". Solche "Verwurzelung" des Denkens im Deutschen - dem Bildfeld der Wurzel und des Grundes geht Goldschmidt detailliert nach - deutet er nicht als puren Archaismus, sondern als Ausdruck von Heideggers problematischer Modernität: "Heidegger eröffnet, genau wie Paul Celan, dem Deutschen ungewöhnliche Wege ... Während aber die Sprache Celans ihre Zeit noch vor sich hat, weil sie davon Zeugnis ablegt, dass die nationalsozialistische Finsternis sie nicht zerstören konnte ..., bleibt die Heideggersche Sprache ohne Zukunft, in sich eingeschlossen."
In den sechs Kapiteln seines Essays rekonstruiert Goldschmidt die Verbindungen zwischen Sprache und Raum bei Heidegger sowie die Bedeutung der Technik als Ausdrucksform einer die "Verortung" gefährdenden "Entwurzelung". Der polemische Gestus ergibt sich weniger aus einer vorab entschiedenen Ablehnung als aus der Dissonanz zwischen Heideggers "Genuinität" mit der "Eingeschlossenheit" seiner Sprache, die sich an der Problematik ihrer Übersetzbarkeit offenbare. Prägnant führt Goldschmidt vor, wie Heideggers Begriffe durch ihre Raummetaphorik ("Ortschaft", "Wurzel", "Abkunft", "Ankunft", "Lichtung" bis hin zur "Gelassenheit", die ein unbewegtes Verharren bezeichnet) mitkonstituiert sind, die sie von der französischen Sprache unterscheidet, unter deren Begriffen sich weniger zahlreiche und anders geartete Metaphorisierungen von Räumlichkeit finden.
Wenn Goldschmidt Heideggers Krypto-Etymologien sprachlich ausstellt, tut er das, um Heideggers eigene Maxime vom Primat der deutschen Sprache für das Denken gegen ihn beim Wort zu nehmen. Heideggers Rede vom "Ge-stell" nutzt er für eine Entfaltung der für Heidegger charakteristischen Wort- und Satzbildungen: "Das Ge-stell ist abgeleitet von stellen, es ist ein passives Substantiv im Gegensatz zum Stellen, aber doch anders als das Gestellte, nämlich so etwas wie ein geschlechtsloses Partizip Perfekt. ... Ein Ge-stell ist etwas, das per definitionem schwankt, es besteht aus Gestänge, Geschiebe, Gerüste." Dem "Ge-stell" stehe bei Heidegger das "Währende" gegenüber, das das Dauernde gegenüber dem Gemachten bezeichne: "Sehr oft arbeitet Heidegger mit einem solchen Gegensatz zwischen Partizip Präsens und ebenfalls substantiviertem Partizip Perfekt."
Mit grammatischer Präzision legt Goldschmidt auch andere Schlüsselbegriffe Heideggers ("Stimmung", "Gestimmtsein", "Entbergung", "Erschlossenheit" und so fort) auf diese Weise auseinander. Dass er in seiner Neukonstellation immer wiederkehrender Worte manchmal selbst wie Heidegger klingt, liegt an der Mimesis, mit der er sich an Heideggers Sprache anschmiegt, um sie gleichsam mit sich selbst zusammenprallen zu lassen. Dies gelingt Goldschmidt, indem er Heideggers Schlüsselworte aus ihrem Immanenzzusammenhang löst, um sie in einen grammatisch-lexikalischen zu überführen, der sie in neuem Licht erscheinen lässt.
Manche Zuspitzungen - wie die Assoziation des "Ge-stells" mit den Bettgestellen in den Konzentrationslagern - mögen solcher Polemik eher schaden als nützen. Die Akribie, mit der Goldschmidt sich auf Heideggers Sprache einlässt, hebt seine Studie dennoch von den oft selbst weltanschaulichen Polemiken in der Nachfolge Adornos ab. Nebenher lässt sich durch sie auch besser verstehen, weshalb viele deutsche Übersetzungen an Heidegger geschulter Poststrukturalisten wie Jacques Derrida wenig überzeugend sind. Goldschmidts Studie ist so auch eine Handreichung für alle, die ihm im Urteil nicht folgen mögen. MAGNUS KLAUE
Georges-Arthur Goldschmidt: "Heidegger und die deutsche Sprache".
Aus dem Französischen von Monika Noll. ça ira-Verlag, Freiburg i. Br. 2023. 192 S., br., 25,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Sich an einen philosophischen Duktus schmiegen, um dessen Widersprüche zur Darstellung zu bringen: Georges-Arthur Goldschmidt prüft Heideggers Sprache
Dass Polemiken gegen Martin Heidegger sich an seiner Diktion entzünden, ist in der Heidegger-Kritik traditionsbildend geworden. Schon bevor Theodor W. Adorno 1964 mit seinem "Jargon der Eigentlichkeit" den für diese Tradition kanonisch gewordenen Text vorlegte, hatten andere Autoren, die Heidegger näher waren, ihren Einspruch gegen ihn in Auseinandersetzung mit seiner Sprache entfaltet. Günther Anders formulierte auf diese Weise seine Distanznahme von Heidegger in mehreren Essays der Vierzigerjahre, die Gerhard Oberschlick 2001 in dem Band "Über Heidegger" herausgegeben hat. Karl Löwith veranschaulichte in seinem 1953 erschienenen Buch "Heidegger - Denker in dürftiger Zeit" die im Titel behauptete Dürftigkeit anhand der Krypto-Etymologie von Heideggers Wortbildungen. Auch Víctor Farías in der 1987 veröffentlichten Studie "Heidegger und der Nationalsozialismus" und Emmanuel Faye in seinem 2005 erschienenen Essay über die "Einführung des Nationalsozialismus in die Philosophie" haben ihre Argumentation am Leitfaden von Heideggers Sprachgebrauch entwickelt.
Es mag daher wenig originell erscheinen, wenn der als Übersetzer, Freud-Interpret und autobiographischer Schriftsteller hervorgetretene Georges-Arthur Goldschmidt seine 2006 auf Französisch erschienene Abrechnung mit Heidegger, die nun in deutscher Übertragung vorliegt, "Heidegger und die deutsche Sprache" nennt. Doch der Titel deutet an, worin Goldschmidts Zugang zu Heidegger sich von dem seiner Vorgänger unterscheidet. Während Adornos Essay davon lebt, dass er in genauer Kenntnis der begriffs- und metapherngeschichtlichen Verästelungen philosophischer Terminologie die Sprache der Existenzphilosophie zu demontieren sucht, nähert sich Goldschmidt Heidegger mit dem Blick des Übersetzers, der die ihm fremde Sprache nuancenreicher wahrnimmt als ein Muttersprachler und doch eine untilgbare Distanz zu ihr hält. Ihren Anfang nehmen Goldschmidts Betrachtungen bei dem Eindruck der Unangemessenheit französischer Heidegger-Übertragungen: "Da, wo Heideggers Sprache immer der deutschen Sprache genuin bleibt, wirkt die französische Übersetzung sonderbar gestelzt und verschlossen."
Dass philosophischen Texten die Sprache, in der sie verfasst sind, nicht äußerlich bleibt, ist eine Trivialität, der auch Adorno zugestimmt hätte. Die Pointe von Goldschmidts Essay besteht indessen darin, dass er in Heideggers "Jargon" kein obskures Geraune sieht, sondern die Problematik darin erblickt, dass diese Sprache die ihr innewohnenden Widersprüche nicht zur Entfaltung bringe. In diesem privativen und gerade dadurch für ihren Gehalt substanziellen Sinn nennt Goldschmidt Heideggers Sprache "genuin deutsch". Solche "Verwurzelung" des Denkens im Deutschen - dem Bildfeld der Wurzel und des Grundes geht Goldschmidt detailliert nach - deutet er nicht als puren Archaismus, sondern als Ausdruck von Heideggers problematischer Modernität: "Heidegger eröffnet, genau wie Paul Celan, dem Deutschen ungewöhnliche Wege ... Während aber die Sprache Celans ihre Zeit noch vor sich hat, weil sie davon Zeugnis ablegt, dass die nationalsozialistische Finsternis sie nicht zerstören konnte ..., bleibt die Heideggersche Sprache ohne Zukunft, in sich eingeschlossen."
In den sechs Kapiteln seines Essays rekonstruiert Goldschmidt die Verbindungen zwischen Sprache und Raum bei Heidegger sowie die Bedeutung der Technik als Ausdrucksform einer die "Verortung" gefährdenden "Entwurzelung". Der polemische Gestus ergibt sich weniger aus einer vorab entschiedenen Ablehnung als aus der Dissonanz zwischen Heideggers "Genuinität" mit der "Eingeschlossenheit" seiner Sprache, die sich an der Problematik ihrer Übersetzbarkeit offenbare. Prägnant führt Goldschmidt vor, wie Heideggers Begriffe durch ihre Raummetaphorik ("Ortschaft", "Wurzel", "Abkunft", "Ankunft", "Lichtung" bis hin zur "Gelassenheit", die ein unbewegtes Verharren bezeichnet) mitkonstituiert sind, die sie von der französischen Sprache unterscheidet, unter deren Begriffen sich weniger zahlreiche und anders geartete Metaphorisierungen von Räumlichkeit finden.
Wenn Goldschmidt Heideggers Krypto-Etymologien sprachlich ausstellt, tut er das, um Heideggers eigene Maxime vom Primat der deutschen Sprache für das Denken gegen ihn beim Wort zu nehmen. Heideggers Rede vom "Ge-stell" nutzt er für eine Entfaltung der für Heidegger charakteristischen Wort- und Satzbildungen: "Das Ge-stell ist abgeleitet von stellen, es ist ein passives Substantiv im Gegensatz zum Stellen, aber doch anders als das Gestellte, nämlich so etwas wie ein geschlechtsloses Partizip Perfekt. ... Ein Ge-stell ist etwas, das per definitionem schwankt, es besteht aus Gestänge, Geschiebe, Gerüste." Dem "Ge-stell" stehe bei Heidegger das "Währende" gegenüber, das das Dauernde gegenüber dem Gemachten bezeichne: "Sehr oft arbeitet Heidegger mit einem solchen Gegensatz zwischen Partizip Präsens und ebenfalls substantiviertem Partizip Perfekt."
Mit grammatischer Präzision legt Goldschmidt auch andere Schlüsselbegriffe Heideggers ("Stimmung", "Gestimmtsein", "Entbergung", "Erschlossenheit" und so fort) auf diese Weise auseinander. Dass er in seiner Neukonstellation immer wiederkehrender Worte manchmal selbst wie Heidegger klingt, liegt an der Mimesis, mit der er sich an Heideggers Sprache anschmiegt, um sie gleichsam mit sich selbst zusammenprallen zu lassen. Dies gelingt Goldschmidt, indem er Heideggers Schlüsselworte aus ihrem Immanenzzusammenhang löst, um sie in einen grammatisch-lexikalischen zu überführen, der sie in neuem Licht erscheinen lässt.
Manche Zuspitzungen - wie die Assoziation des "Ge-stells" mit den Bettgestellen in den Konzentrationslagern - mögen solcher Polemik eher schaden als nützen. Die Akribie, mit der Goldschmidt sich auf Heideggers Sprache einlässt, hebt seine Studie dennoch von den oft selbst weltanschaulichen Polemiken in der Nachfolge Adornos ab. Nebenher lässt sich durch sie auch besser verstehen, weshalb viele deutsche Übersetzungen an Heidegger geschulter Poststrukturalisten wie Jacques Derrida wenig überzeugend sind. Goldschmidts Studie ist so auch eine Handreichung für alle, die ihm im Urteil nicht folgen mögen. MAGNUS KLAUE
Georges-Arthur Goldschmidt: "Heidegger und die deutsche Sprache".
Aus dem Französischen von Monika Noll. ça ira-Verlag, Freiburg i. Br. 2023. 192 S., br., 25,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Die Akribie, mit der Goldschmidt sich auf Heideggers Sprache einlässt, hebt seine Studie dennoch von den oft selbst weltanschaulichen Polemiken in der Nachfolge Adornos ab. Nebenher lässt sich durch sie auch besser verstehen, weshalb viele deutsche Übersetzungen an Heidegger geschulter Poststrukturalisten wie Jacques Derrida wenig überzeugend sind. Goldschmidts Studie ist so auch eine Handreichung für alle, die ihm im Urteil nicht folgen mögen.« / Magnus Klaue, FAZ