Seit dem Erscheinen der Schwarzen Hefte tobt eine neue internationale Debatte um Heideggers Nationalsozialismus und Antisemitismus. Reinhard Mehring verweist diese Debatte in wirkungsgeschichtlicher Perspektive und im Interesse der heutigen philosophischen Kultur auf den Aspekt der Nachlasspolitik. Er analysiert die Genese und die exzentrische Form von Heideggers Werk, indem er eine leitende These zu seiner postmetaphysischen Hermeneutik des universitären Daseins und akademischen Auftritts entwickelt und intellektuelle Konstellationen, Prägungen und Wirkungen erörtert. Außerdem analysiert er Heideggers Stellung im Nationalsozialismus sowie die Gesamtausgabe und den Betrieb des Heideggerianismus als Telos des Werkes. In der Nietzsche-Nachfolge stellte Heidegger seine "große Politik" von Hochschulpolitik auf Nachlasspolitik um und verlegte sich auf die Stiftung eines "anderen Denkens" und die "Zucht und Züchtung" des Heideggerianers als "künftigen Mensch" und "Übermensch".
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Martin Heidegger scheint langsam historisch zu werden. Jedenfalls gibt es kaum noch Heideggerianer, meint der Sankt-Gallener Philosoph Dieter Thomä, der Reinhard Mehrings Essaysammlung zusammen mit Donatella Di Cesares Studie "Heidegger, die Juden, Die Shoah" bespricht. Während Di Cesare Heideggers Antisemitismus in einen historischen Zusammenhang einordne, leiste Mehring Ähnliches für Heideggers zeitgenössischen Kontext. Er stelle den Zusammenhang zum Hölderlin-Kult der Weimarer Zeit und zu Figuren wie Carl Schmitt, Jaspers, Ernst Jünger und Hannah Arendt her. Einiges lernt Thomä auch über das Zustandekommen der von Heidegger am Ende gewollten "Gesamtausgabe", mit der Heidegger selbst einiges zu seiner Selbstdemontage beigetragen habe. Mehring konnte hierfür Briefe lesen, die bisher nicht zugänglich waren, so Thomä, der am Ende seiner Kritik einen Band mit Briefen von Martin und Fritz Heidegger mit weiteren "unappetitlichen Häppchen" annonciert.
© Perlentaucher Medien GmbH
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