Das zentrale Werk der mittelalterlichen japanischen Literatur "Heike monogatari" ist von
größter Bedeutung für die Kulturgeschichte Japans. "Die Erzählung von den Heike" handelt
vom Aufstieg, der Herrschaft und dem Niedergang der Schwertadel-Dynastie der Heike,
die in spektakulären Schlachten von dem konkurrierenden Geschlecht der Genji geschla-
gen werden.
- Historische Erzählung, Kriegerepos, buddhistische Initationsgeschichte, ethisch-
moralische Unterweisung und Monument der japanischen Literatur.
- Geprägt vom buddhistischen Zeitgeist: Das Epos spiegelt die politischen Umbrüche
des 12. Jahrhunderts wider, als die Macht vom Kaiserhaus und dem Hofadel auf den
Samurai-Kriegerstand überging.
- Bildreich und in kraftvoller Sprache: In den 40 doppelseitigen Holzstichen des Künst-
lers Teisai Hokuba werden ausgewählte Szenen des Geschehens in traditionell japani-
scher Weise dargestellt.
- Mit Karten und Stammtafeln: Im Anhang befinden sich Karten und Stammtafeln der
Heike-Dynastien, Kaiser und Könige sowie Erläuterungen zur Sprache und Schrift.
- Heike monogatari blieb über die Jahrhunderte lebendig und wird bis heute in der Bil-
denden Kunst sowie in der Literatur und Popkultur Japans breit rezipiert.
größter Bedeutung für die Kulturgeschichte Japans. "Die Erzählung von den Heike" handelt
vom Aufstieg, der Herrschaft und dem Niedergang der Schwertadel-Dynastie der Heike,
die in spektakulären Schlachten von dem konkurrierenden Geschlecht der Genji geschla-
gen werden.
- Historische Erzählung, Kriegerepos, buddhistische Initationsgeschichte, ethisch-
moralische Unterweisung und Monument der japanischen Literatur.
- Geprägt vom buddhistischen Zeitgeist: Das Epos spiegelt die politischen Umbrüche
des 12. Jahrhunderts wider, als die Macht vom Kaiserhaus und dem Hofadel auf den
Samurai-Kriegerstand überging.
- Bildreich und in kraftvoller Sprache: In den 40 doppelseitigen Holzstichen des Künst-
lers Teisai Hokuba werden ausgewählte Szenen des Geschehens in traditionell japani-
scher Weise dargestellt.
- Mit Karten und Stammtafeln: Im Anhang befinden sich Karten und Stammtafeln der
Heike-Dynastien, Kaiser und Könige sowie Erläuterungen zur Sprache und Schrift.
- Heike monogatari blieb über die Jahrhunderte lebendig und wird bis heute in der Bil-
denden Kunst sowie in der Literatur und Popkultur Japans breit rezipiert.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.10.2022Japans wahres Epos
Hier zeigen sich die Gemeinsamkeiten der Weltliteratur: 750 Jahre nach seiner Entstehung erscheint das "Heike monogatari" erstmals auf Deutsch.
Von Andreas Platthaus
Viele waren Zeuge, doch aus Ehrfurcht sprach niemand darüber." Wir wissen auch nicht, wer da von etwas spricht, über das nicht gesprochen wurde. Die anonyme Erzählinstanz im berühmtesten Geschichtsepos Japans, dem "Heike Monogatari", muss ohne Autorinstanz auskommen: Es ist unbekannt, wer diese Rekapitulation des in den Achtzigerjahren des zwölften Jahrhunderts ausgefochtenen Kriegs zwischen den Adelsfamilien der Taira und Minamoto um die Vorherrschaft im japanischen Kaiserreich verfasst hat. Sie ist seit dem späten dreizehnten Jahrhundert in Dutzenden, teilweise voneinander abweichenden Manuskripten überliefert, und einig sind sich die Experten nur darüber, dass sie ursprünglich von wandernden Rezitatoren (biwa-hoshi - nach dem Saiteninstrument Biwa, mit dem diese meist blinden Erzähler ihren Vortrag begleiteten) verbreitet worden ist. Deshalb die unterschiedlichen Fassungen. 1371, also rund hundert Jahre nach den ältesten erhaltenen Versionen, erstellte ein solcher biwa-hoshi die heute verbreitetste Kompilation. Sie ist, in einer philologisch sorgfältig edierten Ausgabe von 1994, nun auch zur Grundlage der ersten deutschen Übersetzung des "Heike monogatari" geworden - spät, denn allein ins Englische gab es in den letzten fünfzig Jahren drei Übersetzungen, aber genau zum richtigen Zeitpunkt.
Warum? In diesem Buch geht es doch gar nicht um die Gegenwart. Aber wer die Prinzipien von persönlicher und politischer Hybris verstehen will, wird kaum ein aussagekräftigeres Werk finden. In der dreihundert Jahre währenden Heian-Epoche, deren Ende dieser Krieg bedeutete, hatte der adlige Fujiwara-Clan die ebenfalls von der Kaiserfamilie abstammenden Taira und Minamoto vom Hof in Kyoto verdrängt, doch Mitte des zwölften Jahrhunderts war es Kiyomori, dem Clanchef der Taira, gelungen, als Beschützer des Kaiserhauses gegen die aufständischen Minamoto wieder in den inneren Machtzirkel zu gelangen. Dort kopierte er die bewährte Fujiwara-Politik, indem er eine seiner Töchter mit einem Kronprinzen verheiratete und seinen Söhnen begehrte Posten sicherte. Er selbst zog sich 1269 als Premierminister in den buddhistischen Mönchsstand zurück, was ihn unangreifbar machte und pro forma, aber nicht de facto einer Emeritierung entsprach - auch manche Kaiser hatten unter dem Druck der Einflussnahme des Adels dem Thron entsagt, regierten aber aus dem Unruhestand munter weiter mit. Durch solche Tricks entstanden im damaligen Japan sowohl Machtkonkurrenzen als auch Machtvakui, die für Intriganten ideale Bedingungen boten. Und Kiyomori erwies sich als deren größter.
Mit seinem Aufstieg setzt das "Heike monogatari" ein, aber der daraus resultierende moralische Bankrott ist vom ersten Kapitel an präsent: "Es ist undenkbar und mit Worten nicht zu beschreiben, was aus unmittelbarer Nähe vom Wesen Taira Kiyomoris überliefert ist." Worauf acht weitere Kapitel folgen, die genau eine solche Beschreibung liefern, teilweise aus der Sicht von Kiyomoris Opfern. Der stete Perspektivenwechsel wird ein bestimmendes Element bleiben, es gibt keinen "Helden" im europäischen Verständnis in diesem Kriegsepos, keinen Odysseus, Dante oder Don Quijote, um die Protagonisten aus in ihrem Rang vergleichbaren literarischen Werken zu nennen. Aber es gibt ein Ideal: die buddhistische Lehre. Das "Heike monogatari" ist ein tiefreligiöses Buch und insofern mehr als ein Roman. Seine Texte bieten moralische Exempla, die nicht nur zur Belehrung der Lebenden, sondern auch an den Schreinen zur Beschwichtigung der Geister vorgetragen wurden. Der Adressatenkreis dieses Fürstenspiegels umfasste also auch seine handelnden Personen.
Das japanische Original hat dafür eine rhapsodische Sprache gewählt, für die es im Deutschen mangels mündlicher Erzähltraditionen und ähnlich subtiler Höflichkeitsformen sowie durch ein ganz anderes Literaturverständnis keine "richtige" Entsprechung geben kann. Schon die zahlreichen Figurenreden in Form von Gedichten (Tanka mit ihrem strengen Aufbau von fünf Versen à fünf, sieben, fünf und noch zweimal sieben Silben) erlauben im Deutschen nur eine rhythmische, aber keine inhaltliche Entsprechung, weil zum japanischen Lyrikprinzip das Spiel mit doppelten Wortbedeutungen gehört. Der Übersetzer Björn Adelmeier weist sie in Anmerkungen jeweils nach, aber anders als bei der Dichtung von Dante oder Homer ist formale Entsprechung hier nur die halbe Miete.
Umso bemerkenswerter ist die Leistung von Adelmeier. Sieben Jahre hat er auf seine Übersetzung verwendet, und zu Beginn der Arbeit hat er erst einmal eigenhändig das ganze Epos auf Japanisch abgeschrieben: um überhaupt eine Vorlage mit ausreichend Annotationsplatz zu bekommen. Hervorgegangen aus seiner Mühe ist ein archaisierend-beschwörender Ton, der vor allem ein rhetorisches Mittel einsetzt, das in der deutschsprachigen Hochliteratur verpönt ist: die Begriffswiederholung. Es wimmelt von Charakterisierungen einzelner Geschehnisse als "tragisch", "traurig", "schändlich", "beschämend", "unerträglich" und vor allem "melancholisch" (Adelmeiers Wahl für das Leitadjektiv aware). Diese Aufzählung zeigt schon die pessimistische Grundhaltung des Textes; ähnlich oft kommt nur noch "einleuchtend" vor.
Im Japanischen liefern solche Wiederholungen poetische Hochkunst, auch aufgrund der Mehrdeutigkeit durch unterschiedliche Lesarten der jeweiligen Schriftzeichen. Die chinesischen Wurzeln der Kultur Japans waren im dortigen Mittelalter ständiger Bezugspunkt, sprachlich wie inhaltlich. Das fängt schon mit dem Namen des "Heike monogatari" an, denn "Heike" kombiniert die sinojapanischen Lesarten der Zeichen für die Taira (hei) und für Clan (ke). "Monogatari" wiederum sind Erzählungen, nicht Geschichtsschreibung, und so gibt es denn neben Dokumentenwiedergaben, historischen Faktensammlungen, überlieferten Gebeten und Gedichten auch Dialoge und innere Gedankenspiele. Aus der deutschen Literatur wäre am ehesten Ricarda Huchs Buch über den Dreißigjährigen Krieg ein geeigneter Vergleich.
Besonders groß aber ist die Nähe - nicht nur entstehungsbedingt - zu Homers Versepen. Auf den berühmten Katalogen der "Ilias" oder deren detailgesättigten Aufmarsch- und Schlachtenschilderungen beruht ein Gutteil unseres historischen Wissens über das griechische Altertum, und die metaphysischen und moralischen Wertvorstellungen der "Odyssee" sind für den abendländischen Geisteskosmos so wichtig wie sonst nur die Bibel. Ähnlich verhält es sich in Japan mit dem "Heike monogatari". Obwohl es dort vorher schon eine voll entwickelte Literaturtradition gab: mit großen Gedichtsammlungen seit dem achten Jahrhundert und den grandiosen von Hofdamen geschriebenen Romanen aus der Zeit der ersten Jahrtausendwende ("Kopfkissenbuch" und "Prinz Genji"). Das "Heike monogatari" jedoch ist keine Zustandsschilderung, sondern die Erklärung einer Zeitenwende - auch darin Homers Stoffen ähnlich, die von der Verlagerung der militärischen und politischen Macht von Kleinasien aufs Territorium des heutigen Griechenlands erzählen.
Zugleich wird uns im "Heike monogatari" ein Personenrepertoire geboten, das seinesgleichen sucht. Bei den Taira gibt es Kiyomoris hochmoralischen Sohn Shigemori, der das Familienkorrektiv darstellt: Nach seinem Tod hat die Hybris der Verwandten freien Lauf. Shigemori allein erkennt die Risiken der Politik seines Vaters und bittet die Götter entweder um dessen Mäßigung oder den eigenen Tod. Im Gebet erfährt er aber, dass der Niedergang der Taira unabdingbar ist, also "verließ etwas wie die Flamme einer Laterne seinen Körper und verschwand, als sei es mit einem Mal erloschen". An diesen Satz schließt der ganz zu Beginn dieser Rezension zitierte an. Fortan geht es mit den Taira bergab. Und mit den Minamoto wieder aufwärts.
Ihnen gehört die zweite Hälfte des in deutscher Fassung fast achthundertseitigen Epos mindestens so sehr wie den Taira, und mit Yoshitsune haben sie auch den aus der Sicht der Nachwelt überragenden Strategen des Kriegs in ihren Reihen. Aber im "Heike monogatari" bekommt der tragisch scheiternde Minamoto-Kriegsherr Kusi mehr Raum, und so wie der Clanchef Kiyomori für die Taira den Auftakt der Erzählung prägt, rückt für die Minamoto am Ende deren Oberhaupt Yoritomo in den Fokus. Er wird der erste Shogun in Japan und etabliert damit jene militärische Befehlsgewalt, die den Kaiser bis zur Meiji-Restauration des neunzehnten Jahrhunderts zur Marionette degradieren wird.
Der wahre Schluss des "Heike monogatari", ein kurzes Addendum in wirklich melancholischem Ton nach den zwölf Büchern des eigentlichen Epos, gilt dem Tod von Kiyomoris kaiserlich verheirateter Tochter Tokuko. Ihr als Einziger wird die Aufnahme ins Reine Land der buddhistischen Lehre zuteil. Weil sie der Welt entsagt, der Toten gedenkt. Wie dieses Buch.
"Heike Monogatari". Die Erzählung von den Heike.
Aus dem Japanischen von Björn Adelmeier. Nachwort von Stanca Scholz-Cionca. Reclam Verlag, Ditzingen 2022. 844 S., 40 Abb., 4 Karten, geb., 80,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Hier zeigen sich die Gemeinsamkeiten der Weltliteratur: 750 Jahre nach seiner Entstehung erscheint das "Heike monogatari" erstmals auf Deutsch.
Von Andreas Platthaus
Viele waren Zeuge, doch aus Ehrfurcht sprach niemand darüber." Wir wissen auch nicht, wer da von etwas spricht, über das nicht gesprochen wurde. Die anonyme Erzählinstanz im berühmtesten Geschichtsepos Japans, dem "Heike Monogatari", muss ohne Autorinstanz auskommen: Es ist unbekannt, wer diese Rekapitulation des in den Achtzigerjahren des zwölften Jahrhunderts ausgefochtenen Kriegs zwischen den Adelsfamilien der Taira und Minamoto um die Vorherrschaft im japanischen Kaiserreich verfasst hat. Sie ist seit dem späten dreizehnten Jahrhundert in Dutzenden, teilweise voneinander abweichenden Manuskripten überliefert, und einig sind sich die Experten nur darüber, dass sie ursprünglich von wandernden Rezitatoren (biwa-hoshi - nach dem Saiteninstrument Biwa, mit dem diese meist blinden Erzähler ihren Vortrag begleiteten) verbreitet worden ist. Deshalb die unterschiedlichen Fassungen. 1371, also rund hundert Jahre nach den ältesten erhaltenen Versionen, erstellte ein solcher biwa-hoshi die heute verbreitetste Kompilation. Sie ist, in einer philologisch sorgfältig edierten Ausgabe von 1994, nun auch zur Grundlage der ersten deutschen Übersetzung des "Heike monogatari" geworden - spät, denn allein ins Englische gab es in den letzten fünfzig Jahren drei Übersetzungen, aber genau zum richtigen Zeitpunkt.
Warum? In diesem Buch geht es doch gar nicht um die Gegenwart. Aber wer die Prinzipien von persönlicher und politischer Hybris verstehen will, wird kaum ein aussagekräftigeres Werk finden. In der dreihundert Jahre währenden Heian-Epoche, deren Ende dieser Krieg bedeutete, hatte der adlige Fujiwara-Clan die ebenfalls von der Kaiserfamilie abstammenden Taira und Minamoto vom Hof in Kyoto verdrängt, doch Mitte des zwölften Jahrhunderts war es Kiyomori, dem Clanchef der Taira, gelungen, als Beschützer des Kaiserhauses gegen die aufständischen Minamoto wieder in den inneren Machtzirkel zu gelangen. Dort kopierte er die bewährte Fujiwara-Politik, indem er eine seiner Töchter mit einem Kronprinzen verheiratete und seinen Söhnen begehrte Posten sicherte. Er selbst zog sich 1269 als Premierminister in den buddhistischen Mönchsstand zurück, was ihn unangreifbar machte und pro forma, aber nicht de facto einer Emeritierung entsprach - auch manche Kaiser hatten unter dem Druck der Einflussnahme des Adels dem Thron entsagt, regierten aber aus dem Unruhestand munter weiter mit. Durch solche Tricks entstanden im damaligen Japan sowohl Machtkonkurrenzen als auch Machtvakui, die für Intriganten ideale Bedingungen boten. Und Kiyomori erwies sich als deren größter.
Mit seinem Aufstieg setzt das "Heike monogatari" ein, aber der daraus resultierende moralische Bankrott ist vom ersten Kapitel an präsent: "Es ist undenkbar und mit Worten nicht zu beschreiben, was aus unmittelbarer Nähe vom Wesen Taira Kiyomoris überliefert ist." Worauf acht weitere Kapitel folgen, die genau eine solche Beschreibung liefern, teilweise aus der Sicht von Kiyomoris Opfern. Der stete Perspektivenwechsel wird ein bestimmendes Element bleiben, es gibt keinen "Helden" im europäischen Verständnis in diesem Kriegsepos, keinen Odysseus, Dante oder Don Quijote, um die Protagonisten aus in ihrem Rang vergleichbaren literarischen Werken zu nennen. Aber es gibt ein Ideal: die buddhistische Lehre. Das "Heike monogatari" ist ein tiefreligiöses Buch und insofern mehr als ein Roman. Seine Texte bieten moralische Exempla, die nicht nur zur Belehrung der Lebenden, sondern auch an den Schreinen zur Beschwichtigung der Geister vorgetragen wurden. Der Adressatenkreis dieses Fürstenspiegels umfasste also auch seine handelnden Personen.
Das japanische Original hat dafür eine rhapsodische Sprache gewählt, für die es im Deutschen mangels mündlicher Erzähltraditionen und ähnlich subtiler Höflichkeitsformen sowie durch ein ganz anderes Literaturverständnis keine "richtige" Entsprechung geben kann. Schon die zahlreichen Figurenreden in Form von Gedichten (Tanka mit ihrem strengen Aufbau von fünf Versen à fünf, sieben, fünf und noch zweimal sieben Silben) erlauben im Deutschen nur eine rhythmische, aber keine inhaltliche Entsprechung, weil zum japanischen Lyrikprinzip das Spiel mit doppelten Wortbedeutungen gehört. Der Übersetzer Björn Adelmeier weist sie in Anmerkungen jeweils nach, aber anders als bei der Dichtung von Dante oder Homer ist formale Entsprechung hier nur die halbe Miete.
Umso bemerkenswerter ist die Leistung von Adelmeier. Sieben Jahre hat er auf seine Übersetzung verwendet, und zu Beginn der Arbeit hat er erst einmal eigenhändig das ganze Epos auf Japanisch abgeschrieben: um überhaupt eine Vorlage mit ausreichend Annotationsplatz zu bekommen. Hervorgegangen aus seiner Mühe ist ein archaisierend-beschwörender Ton, der vor allem ein rhetorisches Mittel einsetzt, das in der deutschsprachigen Hochliteratur verpönt ist: die Begriffswiederholung. Es wimmelt von Charakterisierungen einzelner Geschehnisse als "tragisch", "traurig", "schändlich", "beschämend", "unerträglich" und vor allem "melancholisch" (Adelmeiers Wahl für das Leitadjektiv aware). Diese Aufzählung zeigt schon die pessimistische Grundhaltung des Textes; ähnlich oft kommt nur noch "einleuchtend" vor.
Im Japanischen liefern solche Wiederholungen poetische Hochkunst, auch aufgrund der Mehrdeutigkeit durch unterschiedliche Lesarten der jeweiligen Schriftzeichen. Die chinesischen Wurzeln der Kultur Japans waren im dortigen Mittelalter ständiger Bezugspunkt, sprachlich wie inhaltlich. Das fängt schon mit dem Namen des "Heike monogatari" an, denn "Heike" kombiniert die sinojapanischen Lesarten der Zeichen für die Taira (hei) und für Clan (ke). "Monogatari" wiederum sind Erzählungen, nicht Geschichtsschreibung, und so gibt es denn neben Dokumentenwiedergaben, historischen Faktensammlungen, überlieferten Gebeten und Gedichten auch Dialoge und innere Gedankenspiele. Aus der deutschen Literatur wäre am ehesten Ricarda Huchs Buch über den Dreißigjährigen Krieg ein geeigneter Vergleich.
Besonders groß aber ist die Nähe - nicht nur entstehungsbedingt - zu Homers Versepen. Auf den berühmten Katalogen der "Ilias" oder deren detailgesättigten Aufmarsch- und Schlachtenschilderungen beruht ein Gutteil unseres historischen Wissens über das griechische Altertum, und die metaphysischen und moralischen Wertvorstellungen der "Odyssee" sind für den abendländischen Geisteskosmos so wichtig wie sonst nur die Bibel. Ähnlich verhält es sich in Japan mit dem "Heike monogatari". Obwohl es dort vorher schon eine voll entwickelte Literaturtradition gab: mit großen Gedichtsammlungen seit dem achten Jahrhundert und den grandiosen von Hofdamen geschriebenen Romanen aus der Zeit der ersten Jahrtausendwende ("Kopfkissenbuch" und "Prinz Genji"). Das "Heike monogatari" jedoch ist keine Zustandsschilderung, sondern die Erklärung einer Zeitenwende - auch darin Homers Stoffen ähnlich, die von der Verlagerung der militärischen und politischen Macht von Kleinasien aufs Territorium des heutigen Griechenlands erzählen.
Zugleich wird uns im "Heike monogatari" ein Personenrepertoire geboten, das seinesgleichen sucht. Bei den Taira gibt es Kiyomoris hochmoralischen Sohn Shigemori, der das Familienkorrektiv darstellt: Nach seinem Tod hat die Hybris der Verwandten freien Lauf. Shigemori allein erkennt die Risiken der Politik seines Vaters und bittet die Götter entweder um dessen Mäßigung oder den eigenen Tod. Im Gebet erfährt er aber, dass der Niedergang der Taira unabdingbar ist, also "verließ etwas wie die Flamme einer Laterne seinen Körper und verschwand, als sei es mit einem Mal erloschen". An diesen Satz schließt der ganz zu Beginn dieser Rezension zitierte an. Fortan geht es mit den Taira bergab. Und mit den Minamoto wieder aufwärts.
Ihnen gehört die zweite Hälfte des in deutscher Fassung fast achthundertseitigen Epos mindestens so sehr wie den Taira, und mit Yoshitsune haben sie auch den aus der Sicht der Nachwelt überragenden Strategen des Kriegs in ihren Reihen. Aber im "Heike monogatari" bekommt der tragisch scheiternde Minamoto-Kriegsherr Kusi mehr Raum, und so wie der Clanchef Kiyomori für die Taira den Auftakt der Erzählung prägt, rückt für die Minamoto am Ende deren Oberhaupt Yoritomo in den Fokus. Er wird der erste Shogun in Japan und etabliert damit jene militärische Befehlsgewalt, die den Kaiser bis zur Meiji-Restauration des neunzehnten Jahrhunderts zur Marionette degradieren wird.
Der wahre Schluss des "Heike monogatari", ein kurzes Addendum in wirklich melancholischem Ton nach den zwölf Büchern des eigentlichen Epos, gilt dem Tod von Kiyomoris kaiserlich verheirateter Tochter Tokuko. Ihr als Einziger wird die Aufnahme ins Reine Land der buddhistischen Lehre zuteil. Weil sie der Welt entsagt, der Toten gedenkt. Wie dieses Buch.
"Heike Monogatari". Die Erzählung von den Heike.
Aus dem Japanischen von Björn Adelmeier. Nachwort von Stanca Scholz-Cionca. Reclam Verlag, Ditzingen 2022. 844 S., 40 Abb., 4 Karten, geb., 80,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Japans wahres Epos: Wer die Prinzipien von persönlicher und politischer Hybris verstehen will, wird kaum ein aussagekräftigeres Werk finden.« (Andreas Platthaus, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.10.2022) »Bis heute liefert die nie aus der japanischen Kultur ausgeblendete Erzählung den Rohstoff für Filme, Pop und Literatur. Der grandiose Übersetzer Björn Adelmeier schafft spielend den Spagat zwischen den Sprachebenen, dem nüchternen Chronistenton, der Phantastik, Kriegsrhetorik, Religion, Emotionalität und den eingestreuten Gedichten. So fern diese Intrigen des 12. Jahrhundert sind, so vertraut und nah sind sie dem Leser aus der heutigen Politik.« Süddeutsche Zeitung, 15.04.2023