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Ein kleines Heidedorf in den 60er Jahren
Matthias Jänicke, Lehrer und nicht mehr ganz jung, tritt seine erste Stelle an. Das gemächliche Landleben behagt ihm durchaus. Idyllische Impressionen lassen ihn, zumindest eine Zeitlang, an eine heile Welt glauben. Doch der schöne Schein trügt. Schon bald muss er erkennen, dass fast jeder Dorfbewohner etwas zu verbergen hat. Missgunst und kleine Skandale sind an der Tagesordnung, werden jedoch vor dem Fremden sorgfältig verborgen. Der dörfliche Mikrokosmos widersetzt sich allen Versuchen des Lehrers, in dessen Inneres vorzudringen. So bleibt er der…mehr

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Produktbeschreibung
Ein kleines Heidedorf in den 60er Jahren

Matthias Jänicke, Lehrer und nicht mehr ganz jung, tritt seine erste Stelle an. Das gemächliche Landleben behagt ihm durchaus. Idyllische Impressionen lassen ihn, zumindest eine Zeitlang, an eine heile Welt glauben. Doch der schöne Schein trügt. Schon bald muss er erkennen, dass fast jeder Dorfbewohner etwas zu verbergen hat. Missgunst und kleine Skandale sind an der Tagesordnung, werden jedoch vor dem Fremden sorgfältig verborgen. Der dörfliche Mikrokosmos widersetzt sich allen Versuchen des Lehrers, in dessen Inneres vorzudringen. So bleibt er der geduldete Beobachter, dessen Alltag zwischen zufälligen Liebeleien, Schulstunden und gelegentlichen Jagdausflügen verrinnt.
Dabei käme es für ihn jetzt wirklich darauf an: Es ist bereits sein dritter Anlauf, eine bürgerliche Existenz zu gründen ...
Autorenporträt
Walter Kempowski wurde am 29. April 1929 als Sohn eines Reeders in Rostock geboren. Er besuchte dort die Oberschule und wurde gegen Ende des Krieges noch eingezogen. 1948 wurde er aus politischen Gründen von einem sowjetischen Militärtribunal zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Nach acht Jahren im Zuchthaus Bautzen wurde Walter Kempowski entlassen. Er studierte in Göttingen Pädagogik und ging als Lehrer aufs Land. Seit Mitte der sechziger Jahre arbeitete Walter Kempowski planmäßig an der auf neun Bände angelegten "Deutschen Chronik", deren Erscheinen er 1971 mit dem Roman "Tadellöser & Wolff" eröffnete und 1984 mit "Herzlich Willkommen" beschloss. Kempowskis "Deutsche Chronik" ist ein in der deutschen Literatur beispielloses Unternehmen, dem der Autor das mit der "Chronik" korrespondierende zehnbändige "Echolot", für das er höchste internationale Anerkennung erntete, folgen ließ.

Walter Kempowski verstarb am 5. Oktober 2007 im Kreise seiner Familie. Er gehört zu den bedeu

tendsten deutschen Autoren der Nachkriegszeit. Seit 30 Jahren erscheint sein umfangreiches Werk im Knaus Verlag.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.10.1998

Wühlen und Schnaufen
Diverse Bauern und Bäuerinnen: In Walter Kempowskis heiler Welt

Das gute Essen bei Frau Schulz, der Handhebel zum Umschalten auf Reservetank, die Wachstuchdecke, die Katze, die gerade eine Wurmkur hinter sich gebracht hat, die Hosenklammern beim Radfahren, ein gebrauchtes Präservativ: jedes Detail macht sich hier wichtig, maßt sich Bedeutung an, wäre gern "symbolisch", ist aber leider gänzlich platt und bedeutungslos. Man spürt zwar, wie Kempowskis Augen bei jeder Erinnerung träumerisch feucht werden, aber des Lesers Augen bleiben trocken. Das Mitgeteilte bleibt durchaus privat, schön als Andenken für die Beteiligten, für die anderen ohne Belang.

Kempowski hat aus den vergilbten Erinnerungen an seine Dorfschullehrerzeit zu Anfang der sechziger Jahre ein literarisches Gebilde zu formen versucht. In den langen Jahren im Zuchthaus Bautzen war in seiner Seele der Traum vom Volksschullehrerdasein auf dem Lande aufgeleuchtet. Nach der Entlassung im Jahre 1956 absolvierte er zielbewußt Abitur und Lehrerbildungsanstalt und bekam 1960 den ersehnten Platz an einer niedersächsischen Dorfschule. Diese biographischen Hintergründe werden im Roman zwar ständig angedeutet, bleiben aber lose flatternde Fäden, zusammenhanglos, weil sie nur im Leben verknüpft sind, nicht im Werk.

Eine liebe, zarte Dachstübchen-Gestalt wird uns vorgestellt, zufrieden-selbstzufrieden, nicht gut im Rechnen, aber Stifters "Nachsommer" lesend, ein Kinderfreund, der am liebsten ein mit Perlen besticktes Käppchen trüge, eine lange Pfeife dazu rauchte und tagelang den ziehenden Wolken nachblickte. Das biedermeierliche Schulmeisterlein hat natürlich Feinde, die Effizienten und die Bürokraten, die ihm das eine oder andere Leid zufügen. Es schlägt nicht zurück, das ist nicht seine Art. Es hält sich schadlos durch das Sammeln von Altertümern, deren Wert man auf dem Lande damals nicht zu schätzen wußte. Daß der Schullehrer diesen Wert durchaus kennt und den Bauern manches gute Stück für ein paar Mark abknöpft, stört ein wenig das Idyll, denn er füllt allmählich eine ganze Scheune und macht exzellente Geschäfte. Und unser Dorfpädagoge ist eine durchaus buchhalterische Natur. Wir freuen uns mit ihm, daß er in Lindau nur zwei Mark fünfzig für die Nacht bezahlen mußte.

Im übrigen lernen wir diverse Bauern und Bäuerinnen kennen, dazu Pastoren, Lehrer und Lehrerinnen, Schulräte, Antiquitätenhändler, Schulkinder, ferner die Künstlertochter Ellinor, Anita mit dem breiten Hintern und die knochige Carla mit dem Indianerhaar. Die letzten drei kommen "in Frage" - während er selbst damals jung verheiratet war, ist Kempowskis Spiegelwunschbild auf der Suche. Sein Blick ist sehnsüchtig, aber kalt. So etwas wie Liebe gibt es nicht, höchstens Brauchbarkeit. Mit Carla kommt es zuerst zu einem Kuß, dann zu einem Gerangel, dann zu einem Wühlen und Schnaufen und schließlich zu extremen Begattungsbelastungen. Das sind so Kempowskis Ausdrücke.

Überall im Untergrund spuken die Traumata des Nationalsozialismus. Kempowski erzählt sie wie etwas Abgestandenes, mit gleicher Unbeteiligtheit wie die Wurmkur der Katze. Es fehlt dem Buch an einem Ziel. Es gibt sich, als wäre alles, was sich je in Dichters Leben ereignet hat, per se erzählenswert. Es ist ohne Kritik, vor allem ohne Selbstkritik. Daß es das liebe Alte bewahren möchte, ist als Ziel nicht mehr originell; auch hörten wir es mit mehr Zustimmung, wenn der Pferdefuß des Interesses weniger sichtbar wäre. Als Zeitbild der sechziger Jahre auf dem Lande könnte das Buch allenfalls hingehen, wenn es nicht auch dann noch zu langweilig wäre. Seine Langeweile ist nicht von der grandiosen, sondern von der ideenlosen Art. In Jean Pauls "Leben des vergnügten Schulmeisterleins Maria Wuz" steht auf dreißig Seiten mehr als hier auf beinahe fünfhundert. HERMANN KURZKE

Walter Kempowski: "Heile Welt". Roman. Albrecht Knaus Verlag, München 1998. 479 S., geb., 46,90 DM.

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