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Hinduistischen Gläubigen gelten indische Tempelaffen als Götter. Verhaltensforschern dagegen als Paradebeispiel der soziobiologischen These, daß jede noch so altruistisch wirkende Handlung auf einem egoistischen Antrieb beruht. Nach jahrzehntelanger Beobachtung dieser Primaten schildert und interpretiert Volker Sommer in diesem Buch deren Sozialleben - die täglichen Konflikte um Speis' und Trank, den Streit um, vor, beim und nach dem Sex, die rätselhaften Kindestötungen.

Produktbeschreibung
Hinduistischen Gläubigen gelten indische Tempelaffen als Götter. Verhaltensforschern dagegen als Paradebeispiel der soziobiologischen These, daß jede noch so altruistisch wirkende Handlung auf einem egoistischen Antrieb beruht. Nach jahrzehntelanger Beobachtung dieser Primaten schildert und interpretiert Volker Sommer in diesem Buch deren Sozialleben - die täglichen Konflikte um Speis' und Trank, den Streit um, vor, beim und nach dem Sex, die rätselhaften Kindestötungen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.04.1996

Die List der Biologie
Volker Sommer bei Indiens Tempelaffen / Von Josef H. Reichholf

In jedem Affen steckt ein Mensch"; das wird man bestätigt finden, wenn man die "Heiligen Egoisten" von Volker Sommer (fast) zu Ende gelesen hat. Heilig sind sie gewiß nicht, die smarten Tempelaffen Indiens. Egoisten sind sie durch und durch. Diese Eigenschaften verbinden sie mit uns auf eine schon wieder fast sympathische Art und Weise. Nicht selten halten sie dem Menschen einen Spiegel vor. Die "schlechte Seite des Menschen" zeigen sie keineswegs, wie der Naturforscher Lorenz Ockenfuß vor fast zweihundert Jahren meinte, aber selbstverständlich sind sie uns auch kein Vorbild, wie Volker Sommer zum Schluß nachdrücklich versichert.

Was sind sie dann, und warum treibt sich ein Wissenschaftler bei bis zu 45 Grad Celsius im Schatten zweieinhalbtausend Stunden unter ihnen in der Wüstenstadt Jodhpur im Südwesten Indiens herum? Andere, vornehmlich Frauen, taten es ihm gleich oder investierten noch mehr Zeit ihres Lebens, um unsere biologische Verwandtschaft zu studieren. Allein den Languren Indiens, von denen das Buch handelt, sind insgesamt bereits fünfundzwanzig Jahre Feldforschung gewidmet worden. Natürlich suchen alle, Forscherin oder Forscher, offen oder verdeckt, bewußt oder unbewußt, nach dem Menschen im Affen. Volker Sommer gibt das ganz offen zu. "Dafür will die vorliegende Chronik der heiligen Affen Indiens nämlich werben: für eine konsequent naturgeschichtliche Deutung des sozialen Verhaltens aller Lebewesen einschließlich des Menschen."

Dazu hat er einiges zu bieten; allerdings nicht in der Art der "Soziobiologen aus dem eiligen Amerika", die "dünnen Skeletten von Daten besonders fix wunderschöne Kostüme von Deutungen überstülpen" und "auf dem internationalen Jahrmarkt der Verhaltensforschung häufiger preisgekrönt werden" als die fleißig genaue und umfassende Informationen sammelnden Forscher, "was eher eine Spezialität der drögen Deutschen ist". Dröge freilich ist Volker Sommer nicht, sondern ein salopper Schreiber, der seine in der Tat hervorragenden Forschungsergebnisse sehr wohl unters Volk und in die Wissenschaft zu bringen versteht.

Sein Buch ist ein Forschungsbericht im besten Sinne, der mit Charme, Witz und oft auch Ironie den Alltag des einsamen Beobachters in der Horde der Affen wie auch die Fragen, die ihn bei seinen Forschungen beschäftigen, zu vermitteln versteht. Da frißt ihm eine heilige Kuh, weil er voll gespannter Aufmerksamkeit das Treiben der Languren verfolgt, ein Blatt seines unersetzlichen Protokolls, oder es prügelt ihn ein Affenmann, weil er selbst gerade von einem anderen Prügel bezogen hat. Und weil er sich mit den heiligen Affen des Ramayana, den Hanumans, beschäftigt, wird er verdächtigt, ihnen die Nieren aus dem Körper zu schneiden. Die Bürokratie Indiens wird zum größten Gegenspieler; resigniert zieht er sich zurück, aber nicht ohne Hoffnung, denn ein junger Inder tritt an seine Stelle und führt die Beobachtungen weiter.

Solche Umstände können es allerdings nicht sein, die den Affenforscher in die Halbwüsten (oder in tropische Regenwälder) treiben, auch wenn sie sich Jahre später ganz gut als Beiwerk zum Forschungsbericht verkaufen lassen. Es geht bei Volker Sommer auch nicht einfach darum, unsere nächsten Verwandten näher kennenzulernen, wie das Jane Goodall ohne großen wissenschaftlichen Anspruch seit Jahrzehnten bei "ihren" Schimpansen macht. Die Feldforschung von Volker Sommer zielt auf den Kern der Soziobiologie, auf das Problem des Egoismus.

Trifft es zu, daß die Hanumans, diese schönen, schlanken und von fast einer Milliarde Menschen als "heilig" verehrten Affen, durch und durch Egoisten sind, die nur danach trachten, ihr eigenes Erbgut möglichst erfolgreich in die Zukunft weiterzugeben, dann hat das auch Konsequenzen für den Menschen.

Die Antwort auf diese Kernfrage steckt bereits im Titel. Die indischen Tempelaffen sind Egoisten. Auch dann, wenn sie uneigennützig zu handeln scheinen, tun sie es, weil es ihrem Egoismus mittel- und langfristig zugute kommt. Sie sind das Werkzeug ihres Erbgutes, ihrer Gene, und was wie Hingabe, Mutterliebe oder Kameradschaft aussieht, ist nichts weiter als Tünche über dem Eigennutz.

Volker Sommer erhebt mit diesen Feststellungen keinen Anspruch auf Originalität. Doch hat er umfassende Beweise geliefert. Seine Forschungen haben vor allem eine fundamentale Frage klar entschieden: Der Egoismus geht in der Fortpflanzung so weit, daß Männchen sogar kleine Kinder töten, wenn sie eine Weibchengruppe übernehmen können. Die Kindstötung ist nicht krankhaft oder das Ergebnis unnatürlicher, vom Menschen geschaffener oder erzwungener Lebensbedingungen, sondern Teil der Fortpflanzungsstrategie. Die Langurenmännchen haben nur vergleichsweise geringe Chancen, sich jemals fortzupflanzen; nur jeder fünfte kommt im Durchschnitt zum Zuge. Der große Rest bleibt ausgeschlossen. Eine Gruppe von Weibchen zu übernehmen bedeutet jahrelanges Warten, beste Konditionen und heftige Kämpfe, die nicht selten zum vorzeitigen Tode des "Haremshalters" führen. In der Zeit von wenigen Monaten bis wenigen Jahren, in denen sich ein starkes Männchen behaupten kann, muß es versuchen, soviel wie möglich eigene Kinder zu zeugen. Der Preis ist hoch, aber der Erfolg auch, wenn es ihm gelingt, Vater von zehn oder mehr Kindern zu werden.

Da Weibchen, die trächtig sind oder kleine Junge zu versorgen haben, längere Zeit für die Fortpflanzung nicht mehr in Frage kommen, versucht das Männchen, Fehlgeburten herbeizuführen oder die vom Vorgänger stammenden, kleinen Jungen, vornehmlich die Männchen, zu töten. Kurze Zeit danach paaren sich die Weibchen wieder mit dem "Mörder" ihrer Kinder. Ihre Strategie ist auf möglichst langedauernde Beständigkeit der sozialen Verhältnisse ausgerichtet. Sie sind untereinander mehr oder minder eng verwandt, kooperieren und führen ein eher ruhiges Leben.

Bei den Männchen dagegen ist der stete Wandel der Verhältnisse das einzig Beständige. Sie konkurrieren und kämpfen, schließen sich mit anderen zusammen und trennen sich wieder - und denken immer nur an das eine. Gelingt es ihnen nicht, wenn sie nach rund sechs Jahren auf dem Höhepunkt ihrer Kräfte angelangt sind, eine Weibchengruppe zu übernehmen und den bisherigen "Besitzer" zu vertreiben, sind sie erledigt und ausgeschlossen.

Bei den Weibchen verhält es sich ziemlich genau umgekehrt. Die gerade geschlechtsreif werden, gelangen an die Spitze der Hierarchie, denn sie sind für das Männchen die attraktivsten. Die alten, erfahrenen Weibchen fallen in der Gunst zurück, wenngleich sie auch im höheren Alter noch gute Chancen haben, dank ihrer Erfahrung Kinder erfolgreich großzuziehen. Aber die Männchen scheinen gewissermaßen das Gesamtfortpflanzungspotential zu kalkulieren, und das ist bei den älteren Weibchen schon fast ausgeschöpft. Die jungen Weibchen scheitern an der List der Biologie, den Haremsbesitzer während der Schwangerschaft verführen zu wollen. Er kann ihren Zustand abschätzen und vergibt seine Manneskraft nicht umsonst. Die Weibchen konkurrieren daher aufs heftigste untereinander. Wo immer sich das Männchen mit einem Weibchen zu paaren versucht, setzen sie alles daran, die beiden zu stören. Sex macht wenig Spaß in der Gesellschaft der heiligen Affen, es sei denn, er bleibt im verborgenen. Solange das Geschlechtsleben mit der Zeugung von Nachkommen verbunden ist, muß es sich im geheimen abspielen, denn sonst wird es zum Gegenstand der Konkurrenz um Fortpflanzungschancen. Volker Sommer überläßt es dem Leser, daraus Konsequenzen für das Menschenleben zu ziehen.

Volker Sommer: "Heilige Egoisten". Die Soziobiologie indischer Tempelaffen. Verlag C. H. Beck, München 1996. 301 S., 32 Abb., 2 Tab., geb., 58,- DM.

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