Produktdetails
- Verlag: Semele Verlag
- Seitenzahl: 206
- Deutsch
- Abmessung: 18mm x 137mm x 215mm
- Gewicht: 334g
- ISBN-13: 9783938869024
- ISBN-10: 393886902X
- Artikelnr.: 20791261
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.07.2022Der Ursprung des Geldes
In seinem Klassiker „Heiliges Geld“ machte sich Bernhard Laum mit Homers Hilfe auf die Suche nach dem frühesten verbindlichen Wertmaßstab
Wenn der gewohnheitsmäßige Konsum die gewohnheitsmäßig eingesteckte Geldmenge übersteigt, der Kaffee am Kiosk nicht mehr die Zeitung erlaubt, dann ist das ganz konkret das, was in den Nachrichten lapidar Teuerung genannt wird. Doch spätestens seit Beginn der Pandemie ist Bargeld ein Hort böser Ansteckung: Was da liegt, ist Gegenstand einer um sich greifenden Auszehrung. Doch möglicherweise ist der Geldwert in die kollektive Vorstellung auch so weit eingewandert, dass er gar nicht mehr eigens ausgedrückt werden muss.
Das meint jedenfalls der deutsche Altphilologe Eske Bockelmann, der vor zwei Jahren eine radikale Theorie des Geldes vorgelegt hat. Auf sein Betreiben wurde nun ein Klassiker der Wirtschaftsgeschichte neu aufgelegt: Bernhard Laums „Heiliges Geld“ von 1924, erschienen kurz nach dem Ende einer der radikalsten Geldentwertungen der Geschichte. Dass die Hyperinflation die Frage nach Ursprung und damit Verlässlichkeit des Geldes stellte, leuchtet unmittelbar ein. Laum, von Hause aus Gräzist, aber später auf einen Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte berufen, leitet das profane Geld vom antiken Tempelopfer ab. Dieser Gedanke war durchaus ungewöhnlich, denn die historische Rekonstruktion des Geldbegriffs galt als ebenso unmöglich wie unnötig – man proklamierte ihn einfach, indem man auf den primitiven Tausch verwies. Nicht einmal Marx hatte sich an einer Urszene des Geldes versucht. Laum hingegen tritt mit Homers Hilfe die Suche nach dem frühesten verbindlichen Wertmaßstab an.
Sie führt ihn in die Tempelbezirke Athens, wo die Menschen ihren Wünschen durch Opfer Nachdruck verleihen. In einer ebenso gewagten wie eleganten Ableitung identifiziert er das Rind als das „am häufigsten getauschte begehrteste Gut (...), an dem alle anderen gemessen, (...) mit dem alle anderen erworben werden“.
Das Rind war das wichtigste Tier in agrarischen Selbstversorgergemeinschaften, zudem in der Mythologie eine der bevorzugten Erscheinungsweisen des höchsten Gottes. Das Rind wurde getötet und teilweise verbrannt, zugleich stellte es die Zahlung für die Priester dar oder bereitete die Tafel für das Festmahl der Notabeln.
Die Selbstdarstellung der städtischen Gesellschaft im Zeichen des religiösen Opfers erneuerte den kollektiven Optimismus. Wenn man sich sattgegessen hatte – irgendwann wurde man auch der besten Fleischspieße überdrüssig – ging man dazu über, sich mit Symbolen zu behelfen, anstatt wirkliche Rinder zu essen oder zu tauschen. Aus dem Kult wurde, nach einer in der deutschen Geisteswissenschaft beliebten Formel, Kultur.
Und während im Tempelbezirk die obeloi – die Fleischspieße – allmählich dem Obolus als Münze, mithin der unmittelbare Genuss der Gaben dem Versprechen auf zukünftigen Naturalientausch wichen, gewöhnten sich die Götter daran, dass man ihretwegen nicht mehr tötete, sondern ihnen Abbildungen der Opfergaben darbrachte. Laums etymologische Herleitungen, seine schmale, aber gründlich bewirtschaftete Materialbasis – die homerischen Epen –, lassen die Argumentation angreifbar werden, aber nicht inkonsistent. Spekulativ und anregend ist seine Unterscheidung von staatstragendem Opferkult und volkstümlicher Magie, deren Glauben, dass eine Sache für eine andere einstehen kann, erst die Ersetzung des Opfers, seine „Vergeistigung“, im großen Stil ermöglicht habe. Dieser Gedanke verdankt sich einer Magietheorie, die zugleich eine Sprachtheorie ist. Im selben Jahr, in dem das „Heilige Geld“ erscheint, wird auch Marcel Mauss’ „Essay über die Gabe“ veröffentlicht. Darin geht es nicht um die Reinigung des Opfers, sondern um seine Erwiderung. Im Zentrum steht das „fait sociale totale“ des Tausches, nicht die Etablierung eines Wertes, sondern der Umstand, dass jede Praxis irgendwann ihre Institutionalisierung erfährt. Dieser Ansatz stellt eine Umkehrung zu Laums zentralem Gedanken dar. Außerdem verweist er auf einen blinden Fleck in der Herleitung: Das Opfer, das man den Göttern bringt, setzt das Funktionieren der Gesellschaft, innerhalb dessen es die erwünschten Effekte erzielt, bereits voraus. Die Effekte des Opfers bestehen nicht in normierbaren göttlichen Gegengaben, sondern in einem guten Leben.
Wie lesenswert und lesbar Laums Buch nach gut 100 Jahren geblieben ist, zeigt dessen editorische Rahmung: Christina von Braun entdeckt auf der Rückseite dieser Geschichte die Notwendigkeit, die „Materialisierungsfähigkeit der Zeichen“ mit zu bedenken, etwa anhand der Prostitution der Frau als „lebende Münze“. Und Eske Bockelmann, der in den vergangenen 20 Jahren über das Geld als transzendentale Bedingung unserer Kultur nachgedacht hat – von der Erscheinungsweise sämtlicher Objekte als Güter bis hin zur Geldform des Rhythmus –, möchte das Buch umbenennen: „Heiliges, NICHT Geld“. Denn die Güter, von denen Laum schreibt, seien zwar solche, die gegeneinander getauscht oder aneinander gemessen würden. Aber sie würden nicht anhand eines gemeinsamen Dritten verglichen. Damit entwickle Laum vor unseren Augen eine „Art des Zusammenlebens, die uns entschwunden ist und die hier neu wahrnehmen zu können wir dankbar annehmen sollten“.
Das ist, mit Blick auf die Geschichte der Altphilologie als geisteswissenschaftlicher Halluzinations- und Königsdisziplin, durchaus „Zukunftsphilologie“.
Genauso wie jede Revision der Zivilisationsgeschichte blickt sie in eine Welt der Unschuld und des Abenteuers, die gleichwohl nie umsonst zu haben war.
ULRICH VAN LOYEN
Nicht einmal Marx hatte
sich an einer Urszene
des Geldes versucht
Bernhard Laum: Heiliges Geld: Eine historische Untersuchung über den sakralen Ursprung des Geldes. Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2022. 329 Seiten, 28 Euro.
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In seinem Klassiker „Heiliges Geld“ machte sich Bernhard Laum mit Homers Hilfe auf die Suche nach dem frühesten verbindlichen Wertmaßstab
Wenn der gewohnheitsmäßige Konsum die gewohnheitsmäßig eingesteckte Geldmenge übersteigt, der Kaffee am Kiosk nicht mehr die Zeitung erlaubt, dann ist das ganz konkret das, was in den Nachrichten lapidar Teuerung genannt wird. Doch spätestens seit Beginn der Pandemie ist Bargeld ein Hort böser Ansteckung: Was da liegt, ist Gegenstand einer um sich greifenden Auszehrung. Doch möglicherweise ist der Geldwert in die kollektive Vorstellung auch so weit eingewandert, dass er gar nicht mehr eigens ausgedrückt werden muss.
Das meint jedenfalls der deutsche Altphilologe Eske Bockelmann, der vor zwei Jahren eine radikale Theorie des Geldes vorgelegt hat. Auf sein Betreiben wurde nun ein Klassiker der Wirtschaftsgeschichte neu aufgelegt: Bernhard Laums „Heiliges Geld“ von 1924, erschienen kurz nach dem Ende einer der radikalsten Geldentwertungen der Geschichte. Dass die Hyperinflation die Frage nach Ursprung und damit Verlässlichkeit des Geldes stellte, leuchtet unmittelbar ein. Laum, von Hause aus Gräzist, aber später auf einen Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte berufen, leitet das profane Geld vom antiken Tempelopfer ab. Dieser Gedanke war durchaus ungewöhnlich, denn die historische Rekonstruktion des Geldbegriffs galt als ebenso unmöglich wie unnötig – man proklamierte ihn einfach, indem man auf den primitiven Tausch verwies. Nicht einmal Marx hatte sich an einer Urszene des Geldes versucht. Laum hingegen tritt mit Homers Hilfe die Suche nach dem frühesten verbindlichen Wertmaßstab an.
Sie führt ihn in die Tempelbezirke Athens, wo die Menschen ihren Wünschen durch Opfer Nachdruck verleihen. In einer ebenso gewagten wie eleganten Ableitung identifiziert er das Rind als das „am häufigsten getauschte begehrteste Gut (...), an dem alle anderen gemessen, (...) mit dem alle anderen erworben werden“.
Das Rind war das wichtigste Tier in agrarischen Selbstversorgergemeinschaften, zudem in der Mythologie eine der bevorzugten Erscheinungsweisen des höchsten Gottes. Das Rind wurde getötet und teilweise verbrannt, zugleich stellte es die Zahlung für die Priester dar oder bereitete die Tafel für das Festmahl der Notabeln.
Die Selbstdarstellung der städtischen Gesellschaft im Zeichen des religiösen Opfers erneuerte den kollektiven Optimismus. Wenn man sich sattgegessen hatte – irgendwann wurde man auch der besten Fleischspieße überdrüssig – ging man dazu über, sich mit Symbolen zu behelfen, anstatt wirkliche Rinder zu essen oder zu tauschen. Aus dem Kult wurde, nach einer in der deutschen Geisteswissenschaft beliebten Formel, Kultur.
Und während im Tempelbezirk die obeloi – die Fleischspieße – allmählich dem Obolus als Münze, mithin der unmittelbare Genuss der Gaben dem Versprechen auf zukünftigen Naturalientausch wichen, gewöhnten sich die Götter daran, dass man ihretwegen nicht mehr tötete, sondern ihnen Abbildungen der Opfergaben darbrachte. Laums etymologische Herleitungen, seine schmale, aber gründlich bewirtschaftete Materialbasis – die homerischen Epen –, lassen die Argumentation angreifbar werden, aber nicht inkonsistent. Spekulativ und anregend ist seine Unterscheidung von staatstragendem Opferkult und volkstümlicher Magie, deren Glauben, dass eine Sache für eine andere einstehen kann, erst die Ersetzung des Opfers, seine „Vergeistigung“, im großen Stil ermöglicht habe. Dieser Gedanke verdankt sich einer Magietheorie, die zugleich eine Sprachtheorie ist. Im selben Jahr, in dem das „Heilige Geld“ erscheint, wird auch Marcel Mauss’ „Essay über die Gabe“ veröffentlicht. Darin geht es nicht um die Reinigung des Opfers, sondern um seine Erwiderung. Im Zentrum steht das „fait sociale totale“ des Tausches, nicht die Etablierung eines Wertes, sondern der Umstand, dass jede Praxis irgendwann ihre Institutionalisierung erfährt. Dieser Ansatz stellt eine Umkehrung zu Laums zentralem Gedanken dar. Außerdem verweist er auf einen blinden Fleck in der Herleitung: Das Opfer, das man den Göttern bringt, setzt das Funktionieren der Gesellschaft, innerhalb dessen es die erwünschten Effekte erzielt, bereits voraus. Die Effekte des Opfers bestehen nicht in normierbaren göttlichen Gegengaben, sondern in einem guten Leben.
Wie lesenswert und lesbar Laums Buch nach gut 100 Jahren geblieben ist, zeigt dessen editorische Rahmung: Christina von Braun entdeckt auf der Rückseite dieser Geschichte die Notwendigkeit, die „Materialisierungsfähigkeit der Zeichen“ mit zu bedenken, etwa anhand der Prostitution der Frau als „lebende Münze“. Und Eske Bockelmann, der in den vergangenen 20 Jahren über das Geld als transzendentale Bedingung unserer Kultur nachgedacht hat – von der Erscheinungsweise sämtlicher Objekte als Güter bis hin zur Geldform des Rhythmus –, möchte das Buch umbenennen: „Heiliges, NICHT Geld“. Denn die Güter, von denen Laum schreibt, seien zwar solche, die gegeneinander getauscht oder aneinander gemessen würden. Aber sie würden nicht anhand eines gemeinsamen Dritten verglichen. Damit entwickle Laum vor unseren Augen eine „Art des Zusammenlebens, die uns entschwunden ist und die hier neu wahrnehmen zu können wir dankbar annehmen sollten“.
Das ist, mit Blick auf die Geschichte der Altphilologie als geisteswissenschaftlicher Halluzinations- und Königsdisziplin, durchaus „Zukunftsphilologie“.
Genauso wie jede Revision der Zivilisationsgeschichte blickt sie in eine Welt der Unschuld und des Abenteuers, die gleichwohl nie umsonst zu haben war.
ULRICH VAN LOYEN
Nicht einmal Marx hatte
sich an einer Urszene
des Geldes versucht
Bernhard Laum: Heiliges Geld: Eine historische Untersuchung über den sakralen Ursprung des Geldes. Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2022. 329 Seiten, 28 Euro.
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