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Zum ersten Mal wird eine Geschichte des "Reichsgau Sudetenland" vorgelegt, erarbeitet auf Grundlage bisher größtenteils unbekannter Quellen in tschechischen, deutschen und russischen Archiven. Im Zentrum steht der politische Führer der "Sudetendeutschen", Konrad Henlein, seine politischen Pläne einerseits und seine Position in Partei, SS und Staat andererseits. Einen Schwerpunkt der Untersuchung bildet die Diskrepanz zwischen dem Anspruch der Sudetendeutschen auf eine Sonderstellung und der Machtpolitik des zentralistischen Dritten Reiches.

Produktbeschreibung
Zum ersten Mal wird eine Geschichte des "Reichsgau Sudetenland" vorgelegt, erarbeitet auf Grundlage bisher größtenteils unbekannter Quellen in tschechischen, deutschen und russischen Archiven. Im Zentrum steht der politische Führer der "Sudetendeutschen", Konrad Henlein, seine politischen Pläne einerseits und seine Position in Partei, SS und Staat andererseits. Einen Schwerpunkt der Untersuchung bildet die Diskrepanz zwischen dem Anspruch der Sudetendeutschen auf eine Sonderstellung und der Machtpolitik des zentralistischen Dritten Reiches.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.09.1999

Schicksal eines "Mustergaus"
Eine Studie über Konrad Henlein und das Sudetenland

Ralf Gebel: "Heim ins Reich!" Konrad Henlein und der Reichsgau Sudetenland 1938-1945. Herausgegeben vom Vorstand des Collegium Carolinum Forschungsstelle für die böhmischen Länder. R. Oldenbourg Verlag, München 1999. XVI, 424 Seiten, 98 Mark.

Der Autor schließt mit dem Satz, Konrad Henleins Rolle gleiche letztlich "der eines ,Anti-Helden', der von den Umständen mehr getrieben wird, als dass er sie bestimmt. In seinem Schicksal jedoch spiegelt sich besonders klar das Schicksal seiner Region und seiner Zeit." Das hört sich anders an als das durchweg bösartige Zerrbild, das von Henlein seit Jahrzehnten umlief und dazu diente, die Vertreibung der Sudetendeutschen 1945 zu "rechtfertigen". Die vorliegende große, gediegene Studie über den politischen Führer der Sudetendeutschen zwischen 1935 und 1945 muss man, auf andere Weise, durchaus als eine gewichtige Arbeit zur Vorgeschichte der Vertreibung der Sudetendeutschen verstehen.

Das Buch ist, was die Sudetendeutschen betrifft, eine auf weiten Strecken sehr kritische Vorgeschichte, die auf einer breiten und überzeugenden Quellenbasis beruht. Gleichzeitig ist es aber auch, exemplifiziert am Schicksal des "Mustergaus" Sudetenland, eine erhellende Fallstudie über die politischen Mechanismen des "Dritten Reiches", der Kämpfe zwischen Ministerialbürokratie, Partei, SS und SD, also einem schwer durchschaubaren Kräftespiel, dem der ehemalige Turnlehrer Henlein kaum gewachsen war. Dennoch war er kein Lämmlein, wie seine "Germanisierungspolitik" im Sudetengau zeigt.

Zunächst geht es um die Geschichte der "Sudetendeutschen Partei" (SdP) und den Aufstieg Henleins bis zum Münchner Abkommen von 1938, mit dem die deutschen Gebiete Böhmens und Mährens an Deutschland abgetreten wurden - bis heute ein Trauma für das tschechische Nationalbewusstsein. Es war eine Epoche, in der die Politik der SdP lange vom "Kameradschaftsbund" geprägt wurde, einer nationalkonservativen Gruppe, die von den Ideen Othmar Spanns beeinflusst war. Sie unterschied sich in wesentlichen Fragen vom Brutalismus der NS-Ideologie, wurde aber seit 1937 mehr und mehr von den nach Berlin orientierten Kräften um Karl Hermann Frank zurückgedrängt, nach 1938 eliminiert und teilweise auch politisch verfolgt. Edvard Benes' Hoffnung, diese spannungsreiche "Sammelbewegung" werde eines Tages auseinander brechen, war also durchaus nicht illusorisch.

Im Zentrum des Werkes geht es um Probleme des "Ausschlusses" und der "Gleichschaltung" und um die teilweise Divergenz der Interessen von Gauund Reichsverwaltung; ferner um mentale Differenzen zwischen Sudetendeutschen und "Altreichsdeutschen", die sich vor allem im Beamtenapparat bemerkbar machten. Dabei lässt sich eine zunehmende Ernüchterung der sudetendeutschen Bevölkerung hinsichtlich der "Heimholung ins Reich" feststellen, die sich naturgemäß im Verlauf des Krieges steigerte, aber doch zu keinem effektiven Widerstand führte.

Das und mehr wird vom Verfasser ebenso sachkundig wie anschaulich, teilweise geradezu spannend dargestellt, ein gutes Beispiel dafür, dass Geschichtsschreibung eben auch eine Kunst ist, wenn sie sich aus den grauen Gespinsten rein qualifizierender Methoden zu lösen versteht. Dennoch sind einige Anmerkungen angebracht, die sich schon aus der Tatsache ergeben, dass der "Rückblick", also die Geschichte der Sudetendeutschen Partei bis 1938, nur etwa 25 Druckseiten umfasst und deshalb notgedrungen kursorisch bleiben musste, obwohl in dieser Epoche bereits die Katastrophen der folgenden Zeit angelegt sind. So wäre es nötig gewesen, um die Reaktionen der SdP auf die Prager Politik richtig einzuschätzen, Letztere wenigstens skizzenhaft mitzuteilen.

Man kann beispielsweise kaum verstehen, wieso bis 1935, das heißt bis zu den "Erdrutschwahlen", welche die Partei Konrad Henleins zur stärksten der Republik machte, 70 bis 80 Prozent der Sudetendeutschen noch staatspositive Parteien, das heißt Christlich-Soziale, Sozialdemokraten und Agrarier, wählten, wenn man nicht die politisch-sozialen "Umweltfaktoren" dieser plötzlichen Abkehr von den staatspolitischen "aktivistischen", demokratischen Parteien in Rechnung stellt. Diese schufen 1935 im deutschen Lager eine völlig neue Situation, die anfangs mit Hitler-Deutschland kaum etwas zu tun hatte, denn der damals in der Partei maßgebliche Kameradschaftsbund setzte, wie Gebel schreibt, bei der Regelung der sudetendeutschen Frage nicht auf Berlin, sondern auf ein echtes Autonomiestatut nach Schweizer Muster.

Mit den katastrophalen Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise auf die Konsumgüterindustrie der sudetendeutschen Gebiete war aber massenpsychologisch wie politisch eine neue Situation entstanden. Wenn von 800 000 Arbeitslosen der CSR 500 000 allein auf die deutschen Gebiete fielen, dann musste dies auch verhängnisvoll auf die politische Landschaft durchschlagen, das heißt, jeder arbeitslose Sudetendeutsche - allein oder mit Familie - sah sich einer Elendssituation gegenüber, die nah am physischen Hunger war und für heutige deutsche Verhältnisse unvorstellbar ist. Kein Wunder, dass rationale Argumente unter solchen Bedingungen wenig Gehör fanden und sich viele von der Scheinblüte im benachbarten Deutschland blenden ließen. Dies war die materielle Seite der aufkommenden "Heim-ins-Reich"-Hysterie, die in den kommenden Jahren den autonomistischen Flügel der SdP entscheidend schwächte.

Ein zweiter Faktor war das tschechoslowakische "Staatsverteidigungsgesetz" vom 31. Mai 1936, das in einschneidender Weise verfassungsmäßige Rechte vor allem der Nationalitäten in der CSR außer Kraft setzte. Polizeiliche Übergriffe und zahlreiche willkürliche Hausdurchsuchungen und Verhaftungen politisch missliebiger Personen waren die Folge, die staatliche Zensur sorgte in den sudetendeutschen Zeitungen für zahlreiche leere Spalten. Mit anderen Worten: Die Republik war seither nur noch in sehr beschränktem Sinne ein demokratischer Verfassungsstaat.

Das soll keine Exkulpierung des Verhaltens der Mehrheit der Sudetendeutschen sein, sondern sachliche Information fördern. Massenpsychologisch wirkten sich dabei auch törichte Schikanen der Staatsgewalt aus, etwa 1938 die Beschlagnahmung aller Rundfunkgeräte sudetendeutscher Bürger, die den Wert aller Nachrichten aus dem Reich ungemein erhöhten, so verlogen dieselben auch sein mochten. Symptomatisch für das sinkende internationale Prestige der CSR war es, dass in der englischen Publizistik die ursprünglichen Sympathien für Prag einer zunehmend kritischen Haltung wichen.

Diese Anmerkungen sollen jedoch keinesfalls den großen Wert dieses ebenso objektiven wie sehr gut lesbaren Werkes beeinträchtigen. Im Gegenteil! Man möchte sich wünschen, dass der Verfasser bei seinem Kenntnisstand sich an das thematische Pendant, die "Protektoratszeit", heranwagen würde. Leicht wäre eine solche Aufgabe sicher nicht, denn hier ginge es auch um das Hauptproblem dieser Epoche, nämlich um das erstaunliche Ausmaß tschechischer Kollaboration mit der Okkupationsmacht bis zum 5. Mai 1945. Dies ist bekanntlich bis heute das Tabu-Thema Nummer 1 in der tschechischen Gesellschaft. Aber gerade deshalb sollte es aus politischen wie historiographischen Gründen in Angriff genommen werden.

FRIEDRICH PRINZ

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