Die Geschichte von Tilda und Willem beginnt auf offenem Meer, Mitte der 1930er Jahre. Während Tilda eine Vergnügungsreise macht, ist Willems Mission eine mörderische: Als Mitglied der »Legion Condor« ist er mit dem Schiff unterwegs nach Spanien, wo der Krieg gegen alles, was anders ist, geprobt wird. Anders ist auch Hannah, die gemeinsame Tochter, geboren als der Krieg längst vorbei ist: Wild und unbeherrschbar, lässt sie sich durch nichts zwingen, weder durch Strenge noch durch die unbeholfenen Versuche ihrer Eltern, sie zu lieben. Willem verkriecht sich im Keller des Hauses, um ungestört Jazz zu hören, nachdem er tagsüber als Chemiker daran arbeitet, künstliche Fruchtaromen herzustellen. In den Augen von Tilda ist der schneidige Held von einst eine lächerliche Figur geworden. Und Hannah eine Verrückte ...»Heim« erzählt vom Ungesagten, vom Unaussprechlichen, vom langen Nachwirken der Vergangenheit und davon, wie sehr wir selbst Teil davon sind. Konsequent folgt es der beklemmenden Logik einer Familienkonstellation, eröffnet ihren Figuren aber auch Wege des Ausbruchs.
Saskia Hennig von Lange führt ihre Figuren in Situationen größtmöglicher Einsamkeit und Isolation. Dort lässt sie sie im Ungewissen und beobachtet sie, schaut in ihre Köpfe und, das ist ungewöhnlich, in ihre Körper hinein. Christoph Schröder, Die Zeit (über »Hier beginnt der Wald«)
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensentin Rose-Maria Gropp lobt diesen "intensiven" Roman, der sich zwischen Weltkriegstraumata und dem Elend der Nachkriegsjahre positioniert und zugleich den Sprachlosen eine Stimme verleihen will. Die Autorin Saskia Hennig von Lange erzählt aus der Perspektive eines unbeliebten Mädchens, das an einer geistigen Behinderung leidet - man weiß nicht genau, welcher Art. So steht sie zwischen der Welt und ihren Eltern, noch nicht erwacht aus den traumatischen Erfahrungen von Faschismus und Krieg und nun zutiefst erschüttert und sprachlos. Die große Kunst des Romans liegt für Gropp darin, dass sich Hennig von Lange mit dem Mädchen verschalten will, ihre vermeintliche Absurdität zur globalen Normalität macht, und diese Suche nach der Wahrhaftigkeit ihrer Wahrnehmung gefällt Gropp sehr. Eigentlich geht es ihr darum, über das Mädchen das paradoxe Schicksal der Nachkriegsgeborenen zu verhandeln, die zugleich Teil der Gewaltgeschichte des Faschismus sind und doch außerhalb dieser Geschichte stehen. Gropp jedenfalls hält diesen Versuch für gelungen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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