Menschen suchen vermehrt nach Heimat in einer Welt, die ungewiss erscheint, und in einem Leben, das sich schneller ändert, als es zu verstehen ist. Mehr als je zuvor sehen sich auch diejenigen mit Heimatlosigkeit konfrontiert, die eigentlich wohlbeheimatet sind. Heimat wird zum flüchtigen Gut in der Epoche des Globalwerdens von Menschen und Dingen. Im permanenten Hin und Her zwischen den Welten werden die Menschen selbst flüchtig und beginnen sich zu fragen: Wo bin ich wirklich daheim? Wo war ich es? Wo wird Heimat künftig möglich sein?
Die Heimat hat eine große Zukunft, aber nicht mit dem Modell der Vergangenheit. Eine Erweiterung des Heimatbegriffs ist nötig, denn Heimat ist mehr als nur ein Ort. Sie kann als Basislager des Lebens gelten, von dem aus Erkundungen ins Ungewisse möglich sind. Anders als es zunächst den Anschein hat, gibt es zahlreiche Möglichkeiten, Heimat zu finden. Die Vielfalt wird in der Diskussion über »die Heimat« oft aus den Augen verloren. Sie wird im Fokus dieses Buches stehen.
Die Heimat hat eine große Zukunft, aber nicht mit dem Modell der Vergangenheit. Eine Erweiterung des Heimatbegriffs ist nötig, denn Heimat ist mehr als nur ein Ort. Sie kann als Basislager des Lebens gelten, von dem aus Erkundungen ins Ungewisse möglich sind. Anders als es zunächst den Anschein hat, gibt es zahlreiche Möglichkeiten, Heimat zu finden. Die Vielfalt wird in der Diskussion über »die Heimat« oft aus den Augen verloren. Sie wird im Fokus dieses Buches stehen.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensent Burkhard Müller erträgt das Buch des "Lebenskunst-Philosophen" Wilhelm Schmid nur, indem er es gegen den Strich liest. Schmids Heimatduselei ist ihm viel zu undifferenziert, kitschig, selbstzufrieden und bequem, als dass er sich darauf einlassen möchte. Weil dem Autor schließlich alles zur Heimat wird, wird der Begriff für Müller unkenntlich, nicht zuletzt seine dunklen Implikationen. Nur in der kritischen Auseinandersetzung mit und Abwendung von Schmids Heimatbegriff fühlt sich der Rezensent zuhause.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.04.2021Wer darf sich unterstehen, einem Gefühl zu widersprechen?
Deutschlands erfolgreichster Wohlfühl-Philosoph Wilhelm Schmid hat einen misslungenen Heimat-Führer geschrieben. Für eine Sache ist das Buch trotzdem gut
Es ist ein sehr persönliches Buch. Wilhelm Schmid, emeritiert inzwischen, aber weiter der erfolgreichste Lebenskunst-Philosoph der Republik, Autor von fast 30 Büchern mit Titeln wie „Von der Kraft der Berührung“ oder „Sexout: Und die Kunst, neu anzufangen“, spricht davon, wie er lebt, reist, fühlt, sich in Familie und Freundeskreis bewegt, die Konflikte der Welt sieht. Entspannt, aufgeschlossen und wach nimmt er alles wahr und wirkt damit erst mal nicht unsympathisch.
Wenn er das gelingende, das ihm gelingende Leben nur nicht ausgerechnet auf den Namen der Heimat hätte taufen müssen! Heimat ist, wo man sich zu Haus fühlt, das ist eigentlich eine Tautologie, in der die dunkleren Untertöne des Worts zunächst verborgen bleiben. Zugleich ist Heimat etwas, dem sich schlechterdings nicht widersprechen lässt, denn es verbindet sich damit ein Gefühl, das als edel und tief gilt, und wer darf sich unterstehen, einem Gefühl zu widersprechen? Wer „Heimat“ sagt, scheint vorab recht zu haben.
Unmittelbar nach den Anschlägen von 2001 entstand in den USA die „Homeland Security“, der Heimatschutz. Nur ein vaterlandsloser Schuft konnte gegen dessen unerhört weitreichende Kompetenzen Einwendungen erheben. Am heimatbewusstesten sind die Dänen mit ihrer jüngst auch grenzübergreifend populär gewordenen „Hygge“. Diese flauschige Vokabel geht allerdings einher mit einem harten, von Zäunen und Kontrollen geprägten Grenzregime. Heimat ist immer meine, und deine nicht, und darum musst du draußen bleiben. Wo der eine „Heimat“ sagt, hat der andere zu schweigen. Schmid, der gelassene Philosoph, meint es gewiss nicht so. Aber was meint er dann?
„Ubi bene, ibi patria“, besagt ein lateinisches Sprichwort: Wo es mir gutgeht, da ist meine Heimat. Das galt immer als zynischer Opportunismus der Kosmopoliten, also als Gegenteil des wahren Heimatsinns. Schmid sucht dem Satz sein Gift auszutreiben, indem er alles, was ihm in seiner reisefreudigen Lebensführung zusagt, mit dem Namen der Heimat belegt, auch geografisch Disparates und zeitlich Transitorisches. Er weiß von der „Unterwegsheimat“ der Seeleute, der „Begleitheimat“, wenn zwei miteinander Hand in Hand in fremdem Gelände spazieren gehen, der „Verweilheimat“ der Parkbank in einer fremden Stadt, versucht sich an der „Markenheimat“ von Leuten, die einem Branding treu bleiben, und manch anderes.
Schmid erweitert den Begriff der Heimat, bis man ihn kaum mehr erkennt. Wenn man an einem schönen Urlaubsort in ein, zwei Wochen so seine Wege findet, auf denen man dann bis auf Weiteres wandelt: Warum muss es dann Heimat heißen, und nicht, wie der vom Autor häufig zitierte Nietzsche es genannt hat, eine kurze Gewohnheit – ein erhellender Begriff, der den Menschen als das Wesen ehrt, das unterwegs ist? Wenn Liebende in einer Graslandschaft zusammen niedersinken, warum muss das primär unter Heimat gebucht werden und nicht unter Liebe? Liebe mag zur Heimat werden; aber wo sie sich akut anbahnt, ist sie zunächst mal das Gegenteil, nämlich das hautnahe Fremde.
Schmid begegnet vielen Dingen und Menschen, und er ist nicht undankbar dabei. Doch immer stellt er sein eigenes Behagen ins Zentrum. Wäre es anders, er hätte nicht fast 500 Seiten gebraucht, denn das Behagen ist so breit, wie die Erkenntnis schmal ist. Manche Dinge sieht und beschreibt er genau, etwa in einem integrierten Kurzessay über das morgendliche Duschen als nur durch Rituale zu bändigende Schwellenzone von Bett und Welt. Aber solche Stellen sind sozusagen im Fett des übergreifenden Wohlgefühls begraben, dass alles Angenehme eben „Heimat“ sei.
Schmid ist ein letztlich allzu bequemer Denker, der immer wieder auch vor Klischees und Banalitäten nicht zurückschreckt, denn wo einem so wohl wird, da braucht man nicht noch originell zu sein. Kapitel-Überschriften lauten: „Heimat ist überall, wo Beziehung ist“, „Heimat ist das ruhige Leben auf dem Land“ . Und man erfährt Dinge wie: „Liebe ist kein leeres Wort, wenn die Liebenden mit Tuchfühlung zueinander Sorge dafür tragen, die Vertrautheit miteinander und Geborgenheit beieinander zu bewahren, so unwegsam die Landschaften auch sein mögen, die sie durchqueren.“
Zweifellos ein misslungenes Buch also, arg selbstzufrieden und salbungsvoll. So wäre es also zu gar nichts gut? Doch. Heimat schien immer etwas sehr Ambivalentes, sie schwankte zwischen dem Heimatfilm der Fünfziger und den Utopien von Ernst Bloch. Hier nun kann man erproben, ob man dieses Wort wirklich für sich haben will – und nach der Lektüre der 500 Seiten kann das Resultat nur lauten: nein.
Der Mensch hat nicht, wie immer wieder gern behauptet wird, Wurzeln, sondern Beine, damit er das Leben eines Wanderers und nicht das einer Napfschnecke führt, und die „ungewisse Welt“, die im Untertitel mit so ängstlicher Abwehr genannt wird, ist genau das, was zu ihm passt. „Ohne Rührung sieht er, wie die Erde eine andre ward, als ihm begann“, sagt Gottfried Benn. That’s the spirit. Heimat ist Kitsch, wo sie nostalgisch ersehnt wird, und Mief, wo man sie zu haben glaubt. Zu dieser endlich eintretenden Gewissheit verhilft einem, gegen seinen Willen, das Buch von Wilhelm Schmid.
BURKHARD MÜLLER
Der Mensch hat nicht Wurzeln,
sondern Beine, damit er
das Leben eines Wanderers führt
Wilhelm Schmid:
Heimat finden.
Vom Leben in einer
ungewissen Welt.
Suhrkamp Verlag,
Berlin 2021.
480 Seiten, 24 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Deutschlands erfolgreichster Wohlfühl-Philosoph Wilhelm Schmid hat einen misslungenen Heimat-Führer geschrieben. Für eine Sache ist das Buch trotzdem gut
Es ist ein sehr persönliches Buch. Wilhelm Schmid, emeritiert inzwischen, aber weiter der erfolgreichste Lebenskunst-Philosoph der Republik, Autor von fast 30 Büchern mit Titeln wie „Von der Kraft der Berührung“ oder „Sexout: Und die Kunst, neu anzufangen“, spricht davon, wie er lebt, reist, fühlt, sich in Familie und Freundeskreis bewegt, die Konflikte der Welt sieht. Entspannt, aufgeschlossen und wach nimmt er alles wahr und wirkt damit erst mal nicht unsympathisch.
Wenn er das gelingende, das ihm gelingende Leben nur nicht ausgerechnet auf den Namen der Heimat hätte taufen müssen! Heimat ist, wo man sich zu Haus fühlt, das ist eigentlich eine Tautologie, in der die dunkleren Untertöne des Worts zunächst verborgen bleiben. Zugleich ist Heimat etwas, dem sich schlechterdings nicht widersprechen lässt, denn es verbindet sich damit ein Gefühl, das als edel und tief gilt, und wer darf sich unterstehen, einem Gefühl zu widersprechen? Wer „Heimat“ sagt, scheint vorab recht zu haben.
Unmittelbar nach den Anschlägen von 2001 entstand in den USA die „Homeland Security“, der Heimatschutz. Nur ein vaterlandsloser Schuft konnte gegen dessen unerhört weitreichende Kompetenzen Einwendungen erheben. Am heimatbewusstesten sind die Dänen mit ihrer jüngst auch grenzübergreifend populär gewordenen „Hygge“. Diese flauschige Vokabel geht allerdings einher mit einem harten, von Zäunen und Kontrollen geprägten Grenzregime. Heimat ist immer meine, und deine nicht, und darum musst du draußen bleiben. Wo der eine „Heimat“ sagt, hat der andere zu schweigen. Schmid, der gelassene Philosoph, meint es gewiss nicht so. Aber was meint er dann?
„Ubi bene, ibi patria“, besagt ein lateinisches Sprichwort: Wo es mir gutgeht, da ist meine Heimat. Das galt immer als zynischer Opportunismus der Kosmopoliten, also als Gegenteil des wahren Heimatsinns. Schmid sucht dem Satz sein Gift auszutreiben, indem er alles, was ihm in seiner reisefreudigen Lebensführung zusagt, mit dem Namen der Heimat belegt, auch geografisch Disparates und zeitlich Transitorisches. Er weiß von der „Unterwegsheimat“ der Seeleute, der „Begleitheimat“, wenn zwei miteinander Hand in Hand in fremdem Gelände spazieren gehen, der „Verweilheimat“ der Parkbank in einer fremden Stadt, versucht sich an der „Markenheimat“ von Leuten, die einem Branding treu bleiben, und manch anderes.
Schmid erweitert den Begriff der Heimat, bis man ihn kaum mehr erkennt. Wenn man an einem schönen Urlaubsort in ein, zwei Wochen so seine Wege findet, auf denen man dann bis auf Weiteres wandelt: Warum muss es dann Heimat heißen, und nicht, wie der vom Autor häufig zitierte Nietzsche es genannt hat, eine kurze Gewohnheit – ein erhellender Begriff, der den Menschen als das Wesen ehrt, das unterwegs ist? Wenn Liebende in einer Graslandschaft zusammen niedersinken, warum muss das primär unter Heimat gebucht werden und nicht unter Liebe? Liebe mag zur Heimat werden; aber wo sie sich akut anbahnt, ist sie zunächst mal das Gegenteil, nämlich das hautnahe Fremde.
Schmid begegnet vielen Dingen und Menschen, und er ist nicht undankbar dabei. Doch immer stellt er sein eigenes Behagen ins Zentrum. Wäre es anders, er hätte nicht fast 500 Seiten gebraucht, denn das Behagen ist so breit, wie die Erkenntnis schmal ist. Manche Dinge sieht und beschreibt er genau, etwa in einem integrierten Kurzessay über das morgendliche Duschen als nur durch Rituale zu bändigende Schwellenzone von Bett und Welt. Aber solche Stellen sind sozusagen im Fett des übergreifenden Wohlgefühls begraben, dass alles Angenehme eben „Heimat“ sei.
Schmid ist ein letztlich allzu bequemer Denker, der immer wieder auch vor Klischees und Banalitäten nicht zurückschreckt, denn wo einem so wohl wird, da braucht man nicht noch originell zu sein. Kapitel-Überschriften lauten: „Heimat ist überall, wo Beziehung ist“, „Heimat ist das ruhige Leben auf dem Land“ . Und man erfährt Dinge wie: „Liebe ist kein leeres Wort, wenn die Liebenden mit Tuchfühlung zueinander Sorge dafür tragen, die Vertrautheit miteinander und Geborgenheit beieinander zu bewahren, so unwegsam die Landschaften auch sein mögen, die sie durchqueren.“
Zweifellos ein misslungenes Buch also, arg selbstzufrieden und salbungsvoll. So wäre es also zu gar nichts gut? Doch. Heimat schien immer etwas sehr Ambivalentes, sie schwankte zwischen dem Heimatfilm der Fünfziger und den Utopien von Ernst Bloch. Hier nun kann man erproben, ob man dieses Wort wirklich für sich haben will – und nach der Lektüre der 500 Seiten kann das Resultat nur lauten: nein.
Der Mensch hat nicht, wie immer wieder gern behauptet wird, Wurzeln, sondern Beine, damit er das Leben eines Wanderers und nicht das einer Napfschnecke führt, und die „ungewisse Welt“, die im Untertitel mit so ängstlicher Abwehr genannt wird, ist genau das, was zu ihm passt. „Ohne Rührung sieht er, wie die Erde eine andre ward, als ihm begann“, sagt Gottfried Benn. That’s the spirit. Heimat ist Kitsch, wo sie nostalgisch ersehnt wird, und Mief, wo man sie zu haben glaubt. Zu dieser endlich eintretenden Gewissheit verhilft einem, gegen seinen Willen, das Buch von Wilhelm Schmid.
BURKHARD MÜLLER
Der Mensch hat nicht Wurzeln,
sondern Beine, damit er
das Leben eines Wanderers führt
Wilhelm Schmid:
Heimat finden.
Vom Leben in einer
ungewissen Welt.
Suhrkamp Verlag,
Berlin 2021.
480 Seiten, 24 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
»Er ist der wohl beliebteste deutsche Denker der Gegenwart. ... Sein Buch hilft gegen Fernweh und ebenso gegen Heimweh.« DIE ZEIT 20210429