Die »Weltbühne« als geistiger Sehnsuchtsort für die »heimatlosen« Intellektuellen des 20. Jahrhunderts.Die »Weltbühne« war eine der herausragenden politisch-kulturellen Zeitschriften der Weimarer Republik. Sie galt schon früh als Inbegriff für kritisches Engagement in Deutschland, und von ihr ging eine weit über ihr Verbot im März 1933 hinausreichende Wirkungskraft aus. Für viele Intellektuelle bildete sie eine geistige Heimat, deren Verlust sie melancholisch stimmte und die sie wiederbeleben wollten. Zu diesen »heimatlosen« Intellektuellen zählten Axel Eggebrecht, Kurt Hiller, William S. Schlamm und Peter Alfons Steiniger. Alexander Gallus zeigt anhand ihrer Biografien eine facettenreiche Intellektuellengeschichte des 20. Jahrhunderts. Er zeichnet ihr politisches Denken von den 1920er Jahren an bis in die 1970er Jahre hinein nach, untersucht ihr intellektuelles Rollenverständnis und ihre Positionierung in der politischen Öffentlichkeit.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.2012Auch Geistesarbeit ist Kraft mal Weg
Publizistik im Zeitalter der Regimewechsel: Alexander Gallus schreibt die Geschichte von vier prominenten Autoren der Zeitschrift "Die Weltbühne".
Von Regina Mönch
Anders als die Geschichte der Rechtsintellektuellen sind Lebenswenden im linksintellektuellen Milieu und ihr historischer Kontext wenig erforscht. Dem Historiker Alexander Gallus ist mit seinen exzellent recherchierten biographischen Skizzen zu den Publizisten Kurt Hiller, William S. Schlamm, Axel Eggebrecht und Peter Alfons Steiniger eine beachtliche Rekonstruktion gelungen, die weit über diese vier Einzelfälle hinausweist.
Als sehr unterschiedliche, aber exemplarische Beispiele stehen die vier Autoren der Zeitschrift "Weltbühne" für die politisch extremen Weimarer Jahre. Einig waren sich diese Nonkonformisten nur über die Gefährlichkeit des Nationalsozialismus. Sie waren parteiunabhängige Persönlichkeiten, ungeachtet ihrer frühen Bindung an die kommunistische Bewegung. Hiller, Schlamm und Eggebrecht wirkten auch in der Bundesrepublik nachhaltig, jedoch in nun deutlich verschiedenen, fast unversöhnlich scheinenden politischen Lagern. Peter Alfons Steiniger wiederum, der bis 1924 noch der KPD-Kritiker der Weltbühne war, näherte sich dem Kommunismus um so mehr an, je diktatorischer er wurde. Er ist ein Paradebeispiel für den Verlust intellektueller Autonomie und seine Folgen. Steiniger machte eine steile Karriere in der DDR, manipulierbar und unterwürfig, ein "Funktionärsintellektueller", der seine Fähigkeit zu denken der Politik opferte.
Der Radikalismus, ihre harte linke Kritik am Weimarer System, die zuweilen völlig überzogenen, ätzenden Angriffe auf Politiker und Parteien haben der "Weltbühne" später, als sie längst zum Mythos erhoben worden war, den Vorwurf eingetragen, sie gehörte gerade darum mit zu den geistigen Totengräbern der Weimarer Republik. Doch das überschätzt wohl ihren Einfluss und übersieht vor allem die Motive ihrer Autoren, nämlich eine bessere Demokratie schaffen zu wollen.
Nach dem Verbot 1933 gab es Versuche, die Zeitschrift im Exil weiterzuführen, was 1939 mit neuerlichem Verbot endete. Nach dem Krieg veranlasste die KPD in der SBZ eine Neugründung, doch diese alsbald von der SED gelenkte Zeitschrift hatte wenig mit der berühmten Vorlage zu tun. Ihr mangelte es an intellektueller Schärfe, sie blieb glanzlos DDR-konform und wenn sie bissig wurde, dann im dumpfen Propagandaton. Kurt Hillers hartes Urteil, sie sei eine "einzige permanente Leichenschändung" gewesen, ist zutreffend.
Gallus beschreibt in seinem Buch vier Solitäre, die zunächst ein "intellektuell-politisches Erweckungserlebnis" durch die alte "Weltbühne" einte. Ihre Lebenswege aber waren so ungleich wie ihre Temperamente und ihr Denken, das vor allem in Hillers elitärem, abstrakten Republikanismus, zuweilen totalitär anmutet. Gallus nennt Hiller einen sich treu bleibenden Ego-Dogmatiker, dessen Demokratieunverständnis sich erst im Exil zu wandeln begann. Lange hielt Hiller die Mehrheitsherrschaft für bestenfalls mittelmäßig, ihm schwebte eine "Geistesaristrokratie" vor. Sein späterer "freiheitlicher Sozialismus" grenzte sich scharf vom "despotischen" ab. Doch gerade er verkörpert den Typus des heimatlosen Linken und seine Vorstellung von dem, was ihm gemäß gewesen wäre, erfüllte sich nach der "Weltbühne" nie mehr.
Axel Eggebrecht wiederum, nach dem Krieg einflussreicher Radiokommentator, steht für die westdeutschen Intellektuellen, die sich nach und nach zu einer Anerkennung der neuen deutschen Demokratie durchrangen, sie aber auch skeptisch von links begleiteten. Eggebrechts Skepsis verdankte sich dabei seiner überzogenen Wahrnehmung einer angeblichen "konservativen Tendenzwende", ausgerechnet in den Siebzigern.
Die ungewöhnlichste Biographie hat Gallus mit derjenigen des fast vergessenen William Schlamm rekonstruiert. Schlamm, der zeitweilig die Exil-Weltbühne in Prag und Wien verantwortete, wandte sich früh vom Kommunismus ab und wurde angesichts der ersten Moskauer Schauprozesse zum unnachgiebigen Totalitarismuskritiker. Früh erkannte er im Stalinismus die brutale Lüge, schreibt Gallus, als Linksintellektuelle noch dafür schwärmten und Schlamm darum isolierten. Eine kritische Analyse dieses menschenverschlingenden Systems ist die deutsche Linke ja bis heute schuldig geblieben.
Den unbestechlichen William Schlamm, der in die Vereinigten Staaten emigrierte, aber verfolgt seitdem von links das Stigma des Renegaten. Kurt Hiller schickte ihm 1960, damals war Schlamm allerdings bereits ein verhasster (remigrierter) Konservativer, sogar ein Schmähgedicht mit antisemitischen Untertönen hinterher und vertrat mit anderen, dass so jemand wieder aus Deutschland zu verschwinden hätte.
Der zornige Verfechter des Westens feierte noch einmal Erfolge als Kolumnist des "Stern" und der "Welt am Sonntag"; ein "Sinnvermittler, weniger ein Sinnproduzent", schreibt Gallus. Seine konservativen Wortmeldungen kamen zu einer Zeit, als gerade hitzig die Frage debattiert wurde, was eigentlich konservativ heiße. Der "Spiegel" widmete ihm als "Demagogen" Titelgeschichten, auch sie mit antisemitischen Tönen durchsetzt. Schlamm, der schließlich zu immer heftigeren Rundumschlägen neigte, habe, so Gallus, unfreiwillig dazu beigetragen, dass sich ein staats- und regierungskritischer Journalismus herausbildete, der Akteure wie ihn als Gegner benötigte. Und ähnlich wie Eggebrecht und Hiller, nur aus dem anderen Lager, forderte Schlamm eine "Politisierung der Köpfe" im Wirtschaftswunderland.
Die Metamorphosen der drei Weltbühnen-Solitäre vollzogen sich, betont Gallus, nicht abrupt und ambivalenter, als oft behauptet. Sie hätten sich nach Weimar stärker im Widerspruch zu sich selbst befunden als zu dem Staat, in dem sie lebten. Alexander Gallus hat, um die Lebenswege dieser Eigensinnigen nachzuzeichnen, ein unglaublich reiches Quellenmaterial ausgewertet, das der Verlag etwas lesefreundlicher hätte gestalten können (die Fußnoten nehmen zuweilen zwei Drittel einer Seite ein). Entstanden ist daraus eine gut erzählte Geschichte der publizistischen Vermittlung politischen Denkens nach dem Krieg.
Alexander Gallus: "Heimat Weltbühne". Eine Intellektuellen- geschichte im 20. Jahrhundert.
Wallstein Verlag, Göttingen 2012. 421 S., Abb., geb., 34,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Publizistik im Zeitalter der Regimewechsel: Alexander Gallus schreibt die Geschichte von vier prominenten Autoren der Zeitschrift "Die Weltbühne".
Von Regina Mönch
Anders als die Geschichte der Rechtsintellektuellen sind Lebenswenden im linksintellektuellen Milieu und ihr historischer Kontext wenig erforscht. Dem Historiker Alexander Gallus ist mit seinen exzellent recherchierten biographischen Skizzen zu den Publizisten Kurt Hiller, William S. Schlamm, Axel Eggebrecht und Peter Alfons Steiniger eine beachtliche Rekonstruktion gelungen, die weit über diese vier Einzelfälle hinausweist.
Als sehr unterschiedliche, aber exemplarische Beispiele stehen die vier Autoren der Zeitschrift "Weltbühne" für die politisch extremen Weimarer Jahre. Einig waren sich diese Nonkonformisten nur über die Gefährlichkeit des Nationalsozialismus. Sie waren parteiunabhängige Persönlichkeiten, ungeachtet ihrer frühen Bindung an die kommunistische Bewegung. Hiller, Schlamm und Eggebrecht wirkten auch in der Bundesrepublik nachhaltig, jedoch in nun deutlich verschiedenen, fast unversöhnlich scheinenden politischen Lagern. Peter Alfons Steiniger wiederum, der bis 1924 noch der KPD-Kritiker der Weltbühne war, näherte sich dem Kommunismus um so mehr an, je diktatorischer er wurde. Er ist ein Paradebeispiel für den Verlust intellektueller Autonomie und seine Folgen. Steiniger machte eine steile Karriere in der DDR, manipulierbar und unterwürfig, ein "Funktionärsintellektueller", der seine Fähigkeit zu denken der Politik opferte.
Der Radikalismus, ihre harte linke Kritik am Weimarer System, die zuweilen völlig überzogenen, ätzenden Angriffe auf Politiker und Parteien haben der "Weltbühne" später, als sie längst zum Mythos erhoben worden war, den Vorwurf eingetragen, sie gehörte gerade darum mit zu den geistigen Totengräbern der Weimarer Republik. Doch das überschätzt wohl ihren Einfluss und übersieht vor allem die Motive ihrer Autoren, nämlich eine bessere Demokratie schaffen zu wollen.
Nach dem Verbot 1933 gab es Versuche, die Zeitschrift im Exil weiterzuführen, was 1939 mit neuerlichem Verbot endete. Nach dem Krieg veranlasste die KPD in der SBZ eine Neugründung, doch diese alsbald von der SED gelenkte Zeitschrift hatte wenig mit der berühmten Vorlage zu tun. Ihr mangelte es an intellektueller Schärfe, sie blieb glanzlos DDR-konform und wenn sie bissig wurde, dann im dumpfen Propagandaton. Kurt Hillers hartes Urteil, sie sei eine "einzige permanente Leichenschändung" gewesen, ist zutreffend.
Gallus beschreibt in seinem Buch vier Solitäre, die zunächst ein "intellektuell-politisches Erweckungserlebnis" durch die alte "Weltbühne" einte. Ihre Lebenswege aber waren so ungleich wie ihre Temperamente und ihr Denken, das vor allem in Hillers elitärem, abstrakten Republikanismus, zuweilen totalitär anmutet. Gallus nennt Hiller einen sich treu bleibenden Ego-Dogmatiker, dessen Demokratieunverständnis sich erst im Exil zu wandeln begann. Lange hielt Hiller die Mehrheitsherrschaft für bestenfalls mittelmäßig, ihm schwebte eine "Geistesaristrokratie" vor. Sein späterer "freiheitlicher Sozialismus" grenzte sich scharf vom "despotischen" ab. Doch gerade er verkörpert den Typus des heimatlosen Linken und seine Vorstellung von dem, was ihm gemäß gewesen wäre, erfüllte sich nach der "Weltbühne" nie mehr.
Axel Eggebrecht wiederum, nach dem Krieg einflussreicher Radiokommentator, steht für die westdeutschen Intellektuellen, die sich nach und nach zu einer Anerkennung der neuen deutschen Demokratie durchrangen, sie aber auch skeptisch von links begleiteten. Eggebrechts Skepsis verdankte sich dabei seiner überzogenen Wahrnehmung einer angeblichen "konservativen Tendenzwende", ausgerechnet in den Siebzigern.
Die ungewöhnlichste Biographie hat Gallus mit derjenigen des fast vergessenen William Schlamm rekonstruiert. Schlamm, der zeitweilig die Exil-Weltbühne in Prag und Wien verantwortete, wandte sich früh vom Kommunismus ab und wurde angesichts der ersten Moskauer Schauprozesse zum unnachgiebigen Totalitarismuskritiker. Früh erkannte er im Stalinismus die brutale Lüge, schreibt Gallus, als Linksintellektuelle noch dafür schwärmten und Schlamm darum isolierten. Eine kritische Analyse dieses menschenverschlingenden Systems ist die deutsche Linke ja bis heute schuldig geblieben.
Den unbestechlichen William Schlamm, der in die Vereinigten Staaten emigrierte, aber verfolgt seitdem von links das Stigma des Renegaten. Kurt Hiller schickte ihm 1960, damals war Schlamm allerdings bereits ein verhasster (remigrierter) Konservativer, sogar ein Schmähgedicht mit antisemitischen Untertönen hinterher und vertrat mit anderen, dass so jemand wieder aus Deutschland zu verschwinden hätte.
Der zornige Verfechter des Westens feierte noch einmal Erfolge als Kolumnist des "Stern" und der "Welt am Sonntag"; ein "Sinnvermittler, weniger ein Sinnproduzent", schreibt Gallus. Seine konservativen Wortmeldungen kamen zu einer Zeit, als gerade hitzig die Frage debattiert wurde, was eigentlich konservativ heiße. Der "Spiegel" widmete ihm als "Demagogen" Titelgeschichten, auch sie mit antisemitischen Tönen durchsetzt. Schlamm, der schließlich zu immer heftigeren Rundumschlägen neigte, habe, so Gallus, unfreiwillig dazu beigetragen, dass sich ein staats- und regierungskritischer Journalismus herausbildete, der Akteure wie ihn als Gegner benötigte. Und ähnlich wie Eggebrecht und Hiller, nur aus dem anderen Lager, forderte Schlamm eine "Politisierung der Köpfe" im Wirtschaftswunderland.
Die Metamorphosen der drei Weltbühnen-Solitäre vollzogen sich, betont Gallus, nicht abrupt und ambivalenter, als oft behauptet. Sie hätten sich nach Weimar stärker im Widerspruch zu sich selbst befunden als zu dem Staat, in dem sie lebten. Alexander Gallus hat, um die Lebenswege dieser Eigensinnigen nachzuzeichnen, ein unglaublich reiches Quellenmaterial ausgewertet, das der Verlag etwas lesefreundlicher hätte gestalten können (die Fußnoten nehmen zuweilen zwei Drittel einer Seite ein). Entstanden ist daraus eine gut erzählte Geschichte der publizistischen Vermittlung politischen Denkens nach dem Krieg.
Alexander Gallus: "Heimat Weltbühne". Eine Intellektuellen- geschichte im 20. Jahrhundert.
Wallstein Verlag, Göttingen 2012. 421 S., Abb., geb., 34,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensentin Regina Mönch hält dieses Buch für ein ordentliches Stück Arbeit. Die Masse an Quellenmaterial, die der Historiker hier zusammengetragen hat, scheint ihr beachtlich. Dass der Verlag es mit einem leserfreundlichen Arrangement nicht so hat, ist eine andere Sache. Inhaltlich gefällt ihr der Band, der die Lebens- und Wirkungswege von vier prominenten Autoren der "Weltbühne" (Kurt Hiller, William Schlamm, Axel Eggebrecht, Peter Alfons Steiniger) nachzeichnet und damit exemplarisch linksintellektuelle Biografien in der Zeit der Weimarer Republik und danach. Mönch erkennt zugleich die Unterschiedlichkeit der vier Biografien, die nach früher kommunistischer Prägung in sich widersprüchlich verliefen, im Fall von Hiller sogar totalitäre Züge annahmen. Darüber hinaus bietet der Band der Rezensentin eine sehr lesbare Geschichte der publizistischen Vermittlung politischen Denkens nach dem Krieg.
© Perlentaucher Medien GmbH
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