"Heimat - Das ist der Tod, da will ich hin Ankommen aber nie und nimmer."
Ein literarisches Ereignis: Neue Gedichte von Wolf Biermann, dem "echten Erben Heinrich Heines" - Marcel Reich-Ranicki, der in diesem Jahr seinen siebzigsten Geburtstag feiert. Große Lyrik, die melancholisch und kämpferisch ist, schnodderig und poetisch, böse und zart und immer vital.
"Am alten Baum sind frische Früchte gewachsen, die nun gepflückt wurden und abgepackt ... Etliche dieser Texte sind weit weg von Deutschland gewachsen, im Languedoc, im Roussillon, dem Land der Troubadoure. Neue politische Gedichte schrieb ich über die gottlose Gläubigkeit eines Atheisten, hoffnungsgebrochene Verse über Israel, Wider-worte im europäischen Streit um Krieg und Frieden. Und das ewige Thema: Liebespaare in politischer Landschaft. Das Zentrum meiner poetischen Versuche wird immer hier ander Elbe sein, wo ich als gebranntes Kind durch das Große Feuer der Bombennächte raus in die Welt rannte, immer dorthin, wo keiner je ankommt: in der Heimat."
Ein literarisches Ereignis: Neue Gedichte von Wolf Biermann, dem "echten Erben Heinrich Heines" - Marcel Reich-Ranicki, der in diesem Jahr seinen siebzigsten Geburtstag feiert. Große Lyrik, die melancholisch und kämpferisch ist, schnodderig und poetisch, böse und zart und immer vital.
"Am alten Baum sind frische Früchte gewachsen, die nun gepflückt wurden und abgepackt ... Etliche dieser Texte sind weit weg von Deutschland gewachsen, im Languedoc, im Roussillon, dem Land der Troubadoure. Neue politische Gedichte schrieb ich über die gottlose Gläubigkeit eines Atheisten, hoffnungsgebrochene Verse über Israel, Wider-worte im europäischen Streit um Krieg und Frieden. Und das ewige Thema: Liebespaare in politischer Landschaft. Das Zentrum meiner poetischen Versuche wird immer hier ander Elbe sein, wo ich als gebranntes Kind durch das Große Feuer der Bombennächte raus in die Welt rannte, immer dorthin, wo keiner je ankommt: in der Heimat."
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.11.2006Ein altes Lied wie aus andern Welten
Wie man für die nicht eingetretenen Schwächen des Alters um Nachsicht bittet: Wolf Biermanns neuer Gedichtband „Heimat”
Vor einem Jahrzehnt hat Wolf Biermann uns ausführlich erklärt, „wie man Verse macht und Lieder”. Dieser Rechenschaftsbericht gehört zu einer Epoche, in der er fand, es sei „an der Zeit, die Summe eines Lebens zu ziehn, das noch dauert”. Er hat danach die Produktion fast noch beschleunigt und gratuliert uns nun zu seinem 70. Geburtstag, den er am 15. November feiern wird, mit einem schönen runden Band neuer Lieder und Gedichte, fast alle jünger als das neue Jahrtausend. „Nur wer sich ändert, bleibt sich treu”, hat er einst gesungen. Das war eine moralische Herausforderung. Von einem gewissen Alter an ändert man sich freilich ohne eigenes Zutun und schneller als gewollt. Der letzte Vers im Buch gesteht das ein. Er ist vielleicht nicht der gelungenste, aber er rührt an durch seinen Freimut: gebeugt, aber ungebrochen wie die sturmzerzauste Parasol-Pinie, „so bin ich!” ruft er aus – und korrigiert sich sogleich im selben Vers: „will lieber sagen: will so sein.”
Auch die Melodie verzichtet zum Schluss auf den stolzen Grundton des Moll-Akkords zugunsten der bescheideneren, wie über Abgründen schwebenden Quinte. Ist das nun Altersweisheit? Weisheit ist es auf jeden Fall bei einem, der vom Dichter verlangte, er müsse „so sein und so leben, dass er das lyrische Fundamentalwörtchen ,Ich‘ radikal und rücksichtslos in Gebrauch nehmen kann” und „ein Ich haben, das sich für ein Gedicht lohnt.” Das war polemisch, wohlbegründet und gut gemeint, klang aber auch anmaßend, weil er diese Tugenden ohne den Hauch eines Zweifels bei sich selbst vorauszusetzen schien. Zwischen dem auftrumpfenden „so bin ich!” und dem fast demütigen „will so sein” bewegen sich Biermanns Neue Gedichte.
Neu an seinen Gedichten ist wohl, dass sie auf einen dunkleren Hintergrund geschrieben sind. Manchmal stößt er seine Leser mit der ihm eigenen Radikalität und Rücksichtslosigkeit darauf hin, etwa im „Bildnis eines alten Dichters”, wo er, nicht ohne einen Schuss Koketterie, seine „Allerliebste” um Nachsicht für alle freilich noch nicht eingetretenen, aber drohenden Schwächen des Alters bittet, bis auf eine: „Doch wenn mein Lied dein Herze nicht mehr bricht / Lach mich kalt an. Und verlasse mich.” Es sind die Schlussverse eines ansonsten korrekt gereimten und zur Gitarre gesungenen Sonetts. Souverän packt er die Silben in den Rhythmus seiner Melodie: ja, die starke Hand des Dichters ist noch da, aber er spricht durch eine Maske, die er selber das „Kunst-Ich” genannt hat: dem ist erlaubt, ironische Klischees wie „mein Lied” und „dein Herze” zu sagen, es soll aber zugleich trotz aller Verkleidung einen Blick ins Herz des wirklichen und lebendigen „Ich-Ichs” freigeben.
Insgesamt 19 Melodien, für Gitarrenbegleitung eingerichtet und faksimiliert nach der Handschrift des Dichters, begleiten die Texte und erklären oft deren raue Metrik, ohne doch immer Auskunft zu geben, wie die Folgestrophen vorzutragen wären. Der unverwüstliche Biermann-Ton trägt den Autor, hält ihn aber auch gefangen. Es droht ihm das Schicksal eines seiner großen Vorgänger im 13. Jahrhundert, Neidhart von Reuental, der bitter darüber klagt, man wolle von ihm nichts anderes als „Neidharte” hören. Biermann spürt wohl dergleichen und es ist ihm ungemütlich dabei. Der erfolggewohnte Liedermacher in ihm tritt nicht gern in den Hintergrund, aber er scheint sich bei seinem Dichten nun genauer zu beobachten, bisweilen stolz, bisweilen misstrauisch, bisweilen selbstmitleidig.
In seiner poetologischen Vorlesung hatte er, auch schon im Ton des Rückblicks, geschrieben: „Ich wollte mit meinen Versen immer beides: ins Bett meiner Liebsten und auf die Straße ins politische Getümmel.” Gleich im ersten Lied „Heimat” ruft er wie zitierend diese beiden Zentralthemen seiner Vitalität auf den Plan: „Im ewig jungen Freiheitskrieg / Das Unerträgliche ertragen” und „Laß Tier uns mit zwei Rücken sein!” Aber da bringt sich noch ein weiteres Talent, das wichtigste, in Erinnerung, und im Vollbewusstsein seiner poetischen Potenz singt er: „Und so, ihr Lumpen, macht man Lieder.” Er jedenfalls lässt sich nicht lumpen, und so gibt es denn auch hier eine ganze Reihe echter Biermann-Texte.
Aber nun wird der Sänger öfter zum Gegenstand seines Liedes und zitiert sich sogar selber: „Mein altes Lied ,Um Deutschland ist mir gar nicht bang. . . ‘ / Kommt mir schon selber wie aus andern Welten her”. Dass er immer noch derselbe ist, das möchte er sich und uns immer wieder bestätigen, z.B. in „Poetenperspektive” („Es schmerzt den Biermann in mir nicht, wenn ich mich schneide”), in „Heimkehr nach Berlin Mitte” („Paar Fressen fand ich, aber kein Gesicht”), in „Biermanns Bilanzballade im elften Jahr”, in „Sonnenfinsternis” („Wolf wird euch die Wahrheit sagen”). Manchmal prescht er auch ganz nach vorn an die Front im politischen Getümmel, wie in „Du!” („– da wirken Kinderleichen ganz besonders gut / Arabische, versteht sich, attraktiv zerfetzt”).
Warum liest und hört man den Biermann-Ton nun mit etwas weniger spontaner Zustimmung bei Gedichten, die uns einleuchten und mit etwas mehr Nachsicht, wo sie uns nerven? Vielleicht liegt es nur daran, dass andere Gedichte danebenstehen, die – manchmal treffend, manchmal rührend, manchmal auch rührend naiv – ein Ich präsentieren, das es früher nicht gab oder von dem der Dichter früher wohl gemeint hätte, es lohne sich nicht für ein Gedicht.
Es kann doch nicht nur am Leser liegen, wenn er bei „Krankes Molliekind” plötzlich an – Manfred Hausmann denkt oder das „Schlaflied für Mollie” großväterliche Gefühle weckt. Es gibt jedoch nicht nur diese kleine Mollie („du starke Frucht / Meiner schwindenden Kräfte”), zu der man dem Autor (aber doch nicht ihm allein) nur herzlich gratulieren und viel Glück wünschen kann. Es gibt auch Gedichte, die man im biermannschen Stil „Natur pur” überschreiben könnte, z.B. „Frühlingserwachen”: „die Natur ist voll Ungeduld” ganz wie in einem Sommerlied von Neidhart von Reuental. Die „Winterlandschaft im Lande Angeln” ist so elegisch wie nur je der Winter die Poeten stimmen konnte: „Mit einfach Winter – Frühling – Sommer – Herbst / So paarmal noch mich um die Sonne drehn / und dann ist gut. Ich hab genug gesehn”.
Die Blankverse respektieren den Jambus mehr als sonst bei Biermann, gekappte Silben und andere Manipulationen eines selbstherrlichen Poeten sind selten, die Schlussgesten greifen vertrauensvoll zum Reim. Im Klappentext schreibt der Dichter: „Das Zentrum meiner poetischen Versuche wird immer hier an der Elbe sein”, und von dieser Landschaft sprechen denn auch die meisten der 39 Stücke des ersten Teils, der wie das Büchlein insgesamt mit „Heimat” überschrieben ist. Aber Heimat ist ein Ziel, „wo keiner je ankommt”. Sie wird gar kühn mit dem Tod gleichgesetzt – „da will ich hin. Ankommen aber nie und nimmer”. Im Leben vor dem Tode erscheint die Landschaft anonsten wie gezähmt, essbar in „Erntezeit an der Flensburger Förde”, durcherotisiert als Frauenkörper in „Venus von Angeln”.
Was hier sogar im Norden gelingt, wo schreckliche Kindheitserinnerungen die Landschaft für immer verdunkeln („Milchstraße” gibt Anlass zu einer langen Anmerkung zum Hamburger Bombenteppich und zur Deportation und Ermordung der gesamten Familie des Vaters), das scheint ganz leicht zu werden in der „vertrauten Fremde”, dem französisch-katalanischen Roussillon, „Land der Troubadours, wo Wein wächst wie die Lieder”. Aus Landschaft, Menschen und historischer Erinnerung wächst im zweiten Teil mit dem Titel „Heimweh” ein ganz eigener Mythos.
Auch hier gibt es, leicht ironisiert, „Natur pur” in „Côte Vermeille”: „Dann leuchtet die Küste / Dann sieht dieses Kitschbild der Fischer im Boot” – überhaupt wuchert hier, weit genug von der Heimat, die Idylle in „Les Pyrénées”, wo die Reben aus Wasser Wein machen: „so simpel ist hier das Leben”. Simpel und friedlich sind auch die Leute im Genrebild am „Samstag in Banyuls sur mer”, „Der Weinbauer André Estrela” wird betrauert, und in Banyuls, ganz anders als in Berlin oder Hamburg, lächelt gar jeder Stein und jeder Fels, wenn der Poet vorübergeht.
Gewiss ist das nicht alles. Port Bou erinnert an Walter Benjamins Tod, die alten und neuen Alpträume dringen auch in diese Idylle und bevölkern sie mit Gysi, Mielke, der Legion Condor, verfeindeten Söhnen Abrahams und vergasten Kurden, aber hier ist das Erinnern irgendwie weniger penetrant, und die Banalität des Guten bekommt immer wieder die Oberhand: „Nun ist genug. Die Kids solln in die Schule gehn / Paar Kilo hab ich abgespeckt – wir fahrn nach Haus / Ich will mein Altona in Hamburg wiedersehn / Dort im Getümmel ruh ich mich vom Ausruhn aus”. Poesie im Ruhestand? Ruhm bringt das nicht ein, aber vielleicht Sympathie – und Nachsicht, wenn der „alte Dichter” für unsern Geschmack ein bisschen zu gesprächig seinen Mann stehen will, „mal abgesehn von Liebe”!
HANS-HERBERT RÄKEL
WOLF BIERMANN: Heimat. Neue Gedichte. Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2006. 272 Seiten, 17,95 Euro.
„ – da wirken Kinderleichen ganz besonders gut”
„Paar Kilo hab ich abgespeckt – wir fahrn nach Haus”
Der noch junge Sänger eines noch jungen, aber inzwischen untergegangenen Landes, das damals von seinem Untergang noch nichts wusste: Wolf Biermann in einer Aufnahme aus dem Jahr 1970, sechs Jahre vor seienr Ausbürgerung aus der DDR.
Foto: Brigitte Friedrich
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Wie man für die nicht eingetretenen Schwächen des Alters um Nachsicht bittet: Wolf Biermanns neuer Gedichtband „Heimat”
Vor einem Jahrzehnt hat Wolf Biermann uns ausführlich erklärt, „wie man Verse macht und Lieder”. Dieser Rechenschaftsbericht gehört zu einer Epoche, in der er fand, es sei „an der Zeit, die Summe eines Lebens zu ziehn, das noch dauert”. Er hat danach die Produktion fast noch beschleunigt und gratuliert uns nun zu seinem 70. Geburtstag, den er am 15. November feiern wird, mit einem schönen runden Band neuer Lieder und Gedichte, fast alle jünger als das neue Jahrtausend. „Nur wer sich ändert, bleibt sich treu”, hat er einst gesungen. Das war eine moralische Herausforderung. Von einem gewissen Alter an ändert man sich freilich ohne eigenes Zutun und schneller als gewollt. Der letzte Vers im Buch gesteht das ein. Er ist vielleicht nicht der gelungenste, aber er rührt an durch seinen Freimut: gebeugt, aber ungebrochen wie die sturmzerzauste Parasol-Pinie, „so bin ich!” ruft er aus – und korrigiert sich sogleich im selben Vers: „will lieber sagen: will so sein.”
Auch die Melodie verzichtet zum Schluss auf den stolzen Grundton des Moll-Akkords zugunsten der bescheideneren, wie über Abgründen schwebenden Quinte. Ist das nun Altersweisheit? Weisheit ist es auf jeden Fall bei einem, der vom Dichter verlangte, er müsse „so sein und so leben, dass er das lyrische Fundamentalwörtchen ,Ich‘ radikal und rücksichtslos in Gebrauch nehmen kann” und „ein Ich haben, das sich für ein Gedicht lohnt.” Das war polemisch, wohlbegründet und gut gemeint, klang aber auch anmaßend, weil er diese Tugenden ohne den Hauch eines Zweifels bei sich selbst vorauszusetzen schien. Zwischen dem auftrumpfenden „so bin ich!” und dem fast demütigen „will so sein” bewegen sich Biermanns Neue Gedichte.
Neu an seinen Gedichten ist wohl, dass sie auf einen dunkleren Hintergrund geschrieben sind. Manchmal stößt er seine Leser mit der ihm eigenen Radikalität und Rücksichtslosigkeit darauf hin, etwa im „Bildnis eines alten Dichters”, wo er, nicht ohne einen Schuss Koketterie, seine „Allerliebste” um Nachsicht für alle freilich noch nicht eingetretenen, aber drohenden Schwächen des Alters bittet, bis auf eine: „Doch wenn mein Lied dein Herze nicht mehr bricht / Lach mich kalt an. Und verlasse mich.” Es sind die Schlussverse eines ansonsten korrekt gereimten und zur Gitarre gesungenen Sonetts. Souverän packt er die Silben in den Rhythmus seiner Melodie: ja, die starke Hand des Dichters ist noch da, aber er spricht durch eine Maske, die er selber das „Kunst-Ich” genannt hat: dem ist erlaubt, ironische Klischees wie „mein Lied” und „dein Herze” zu sagen, es soll aber zugleich trotz aller Verkleidung einen Blick ins Herz des wirklichen und lebendigen „Ich-Ichs” freigeben.
Insgesamt 19 Melodien, für Gitarrenbegleitung eingerichtet und faksimiliert nach der Handschrift des Dichters, begleiten die Texte und erklären oft deren raue Metrik, ohne doch immer Auskunft zu geben, wie die Folgestrophen vorzutragen wären. Der unverwüstliche Biermann-Ton trägt den Autor, hält ihn aber auch gefangen. Es droht ihm das Schicksal eines seiner großen Vorgänger im 13. Jahrhundert, Neidhart von Reuental, der bitter darüber klagt, man wolle von ihm nichts anderes als „Neidharte” hören. Biermann spürt wohl dergleichen und es ist ihm ungemütlich dabei. Der erfolggewohnte Liedermacher in ihm tritt nicht gern in den Hintergrund, aber er scheint sich bei seinem Dichten nun genauer zu beobachten, bisweilen stolz, bisweilen misstrauisch, bisweilen selbstmitleidig.
In seiner poetologischen Vorlesung hatte er, auch schon im Ton des Rückblicks, geschrieben: „Ich wollte mit meinen Versen immer beides: ins Bett meiner Liebsten und auf die Straße ins politische Getümmel.” Gleich im ersten Lied „Heimat” ruft er wie zitierend diese beiden Zentralthemen seiner Vitalität auf den Plan: „Im ewig jungen Freiheitskrieg / Das Unerträgliche ertragen” und „Laß Tier uns mit zwei Rücken sein!” Aber da bringt sich noch ein weiteres Talent, das wichtigste, in Erinnerung, und im Vollbewusstsein seiner poetischen Potenz singt er: „Und so, ihr Lumpen, macht man Lieder.” Er jedenfalls lässt sich nicht lumpen, und so gibt es denn auch hier eine ganze Reihe echter Biermann-Texte.
Aber nun wird der Sänger öfter zum Gegenstand seines Liedes und zitiert sich sogar selber: „Mein altes Lied ,Um Deutschland ist mir gar nicht bang. . . ‘ / Kommt mir schon selber wie aus andern Welten her”. Dass er immer noch derselbe ist, das möchte er sich und uns immer wieder bestätigen, z.B. in „Poetenperspektive” („Es schmerzt den Biermann in mir nicht, wenn ich mich schneide”), in „Heimkehr nach Berlin Mitte” („Paar Fressen fand ich, aber kein Gesicht”), in „Biermanns Bilanzballade im elften Jahr”, in „Sonnenfinsternis” („Wolf wird euch die Wahrheit sagen”). Manchmal prescht er auch ganz nach vorn an die Front im politischen Getümmel, wie in „Du!” („– da wirken Kinderleichen ganz besonders gut / Arabische, versteht sich, attraktiv zerfetzt”).
Warum liest und hört man den Biermann-Ton nun mit etwas weniger spontaner Zustimmung bei Gedichten, die uns einleuchten und mit etwas mehr Nachsicht, wo sie uns nerven? Vielleicht liegt es nur daran, dass andere Gedichte danebenstehen, die – manchmal treffend, manchmal rührend, manchmal auch rührend naiv – ein Ich präsentieren, das es früher nicht gab oder von dem der Dichter früher wohl gemeint hätte, es lohne sich nicht für ein Gedicht.
Es kann doch nicht nur am Leser liegen, wenn er bei „Krankes Molliekind” plötzlich an – Manfred Hausmann denkt oder das „Schlaflied für Mollie” großväterliche Gefühle weckt. Es gibt jedoch nicht nur diese kleine Mollie („du starke Frucht / Meiner schwindenden Kräfte”), zu der man dem Autor (aber doch nicht ihm allein) nur herzlich gratulieren und viel Glück wünschen kann. Es gibt auch Gedichte, die man im biermannschen Stil „Natur pur” überschreiben könnte, z.B. „Frühlingserwachen”: „die Natur ist voll Ungeduld” ganz wie in einem Sommerlied von Neidhart von Reuental. Die „Winterlandschaft im Lande Angeln” ist so elegisch wie nur je der Winter die Poeten stimmen konnte: „Mit einfach Winter – Frühling – Sommer – Herbst / So paarmal noch mich um die Sonne drehn / und dann ist gut. Ich hab genug gesehn”.
Die Blankverse respektieren den Jambus mehr als sonst bei Biermann, gekappte Silben und andere Manipulationen eines selbstherrlichen Poeten sind selten, die Schlussgesten greifen vertrauensvoll zum Reim. Im Klappentext schreibt der Dichter: „Das Zentrum meiner poetischen Versuche wird immer hier an der Elbe sein”, und von dieser Landschaft sprechen denn auch die meisten der 39 Stücke des ersten Teils, der wie das Büchlein insgesamt mit „Heimat” überschrieben ist. Aber Heimat ist ein Ziel, „wo keiner je ankommt”. Sie wird gar kühn mit dem Tod gleichgesetzt – „da will ich hin. Ankommen aber nie und nimmer”. Im Leben vor dem Tode erscheint die Landschaft anonsten wie gezähmt, essbar in „Erntezeit an der Flensburger Förde”, durcherotisiert als Frauenkörper in „Venus von Angeln”.
Was hier sogar im Norden gelingt, wo schreckliche Kindheitserinnerungen die Landschaft für immer verdunkeln („Milchstraße” gibt Anlass zu einer langen Anmerkung zum Hamburger Bombenteppich und zur Deportation und Ermordung der gesamten Familie des Vaters), das scheint ganz leicht zu werden in der „vertrauten Fremde”, dem französisch-katalanischen Roussillon, „Land der Troubadours, wo Wein wächst wie die Lieder”. Aus Landschaft, Menschen und historischer Erinnerung wächst im zweiten Teil mit dem Titel „Heimweh” ein ganz eigener Mythos.
Auch hier gibt es, leicht ironisiert, „Natur pur” in „Côte Vermeille”: „Dann leuchtet die Küste / Dann sieht dieses Kitschbild der Fischer im Boot” – überhaupt wuchert hier, weit genug von der Heimat, die Idylle in „Les Pyrénées”, wo die Reben aus Wasser Wein machen: „so simpel ist hier das Leben”. Simpel und friedlich sind auch die Leute im Genrebild am „Samstag in Banyuls sur mer”, „Der Weinbauer André Estrela” wird betrauert, und in Banyuls, ganz anders als in Berlin oder Hamburg, lächelt gar jeder Stein und jeder Fels, wenn der Poet vorübergeht.
Gewiss ist das nicht alles. Port Bou erinnert an Walter Benjamins Tod, die alten und neuen Alpträume dringen auch in diese Idylle und bevölkern sie mit Gysi, Mielke, der Legion Condor, verfeindeten Söhnen Abrahams und vergasten Kurden, aber hier ist das Erinnern irgendwie weniger penetrant, und die Banalität des Guten bekommt immer wieder die Oberhand: „Nun ist genug. Die Kids solln in die Schule gehn / Paar Kilo hab ich abgespeckt – wir fahrn nach Haus / Ich will mein Altona in Hamburg wiedersehn / Dort im Getümmel ruh ich mich vom Ausruhn aus”. Poesie im Ruhestand? Ruhm bringt das nicht ein, aber vielleicht Sympathie – und Nachsicht, wenn der „alte Dichter” für unsern Geschmack ein bisschen zu gesprächig seinen Mann stehen will, „mal abgesehn von Liebe”!
HANS-HERBERT RÄKEL
WOLF BIERMANN: Heimat. Neue Gedichte. Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2006. 272 Seiten, 17,95 Euro.
„ – da wirken Kinderleichen ganz besonders gut”
„Paar Kilo hab ich abgespeckt – wir fahrn nach Haus”
Der noch junge Sänger eines noch jungen, aber inzwischen untergegangenen Landes, das damals von seinem Untergang noch nichts wusste: Wolf Biermann in einer Aufnahme aus dem Jahr 1970, sechs Jahre vor seienr Ausbürgerung aus der DDR.
Foto: Brigitte Friedrich
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Von dem etwas abgegriffenen Titel dieser Gedichte sollte man sich laut Jürgen Verdofsky nicht abschrecken lassen: Der Dichter Wolf Biermann - da ist er ganz und gar geschult an den Heimatlosen Heine und Brecht - verstehe, "auf das Lebhafteste zu verfremden". Vieles gibt es zu erkunden in diesem Band, versichert Verdofsky in seiner an Zitaten reichen Besprechung: politisch vertraute Landschaften, Biermanns "lebenslänglichen Affekt", den Tod des Vaters in Auschwitz zu besiegen, und andere dunklen Seiten der Biografie. Einiges funkelt auch noch laut Verdofsky aus dem Berliner "Sagenschatz der Chausseestraße". Neues gebe es aber auch zu entdecken: Biermann als Landschaftsdichter zu Beispiel. Für das Schönste in dem Band aber hält der Rezensent Biermanns Liebeserklärungen an die geliebte Pamela: "Das können sich nur wenige leisten", seufzt der Rezensent, "so angreifbar und verletzlich sich zu zeigen".
© Perlentaucher Medien GmbH
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